Pfeiler und Säulen mit Bossenwerk umkleidete. Die Vorliebe für derartige Anwendung der Rustika behielt er auch an den Palastbauten bei, deren schönster der Palazzo Bevilacqua (Fig. 428) in Verona ist. In Venedig baute er den Palazzo Grimani am Canal grande mit großartigen Verhältnissen. Der eigentliche Baumeister Venedigs war für die Hochrenaissance Jacopo Tatti, genannt Sansovino (1479-1570). Bei der Eigenart des venezianischen Kunstgeschmackes ist es erklärlich, daß der schmuckhaften Richtung des römischen Stiles der Vorzug gegeben wurde. Die Venezianer wollten vor allem Prachtbauten, und Sansovino verstand es, seine Kunst dem Willen der Auftraggeber anzupassen. Oft mußte darunter der künstlerische Wert seiner Werke leiden, so daß man neben Vollendetem auch sehr viel Minderwertiges findet. Sein Hauptwerk, die Bibliothek von S. Marco (Fig. 429) an der Piazzetta, entschädigt aber für alles Geringere vollkommen.
Die Bibliothek ist ein langgestreckter, zweistöckiger Hallenbau mit Bogen und Säulenstellungen. Den Aufbau entnahm Sansovino von einem alten römischen Bauwerk, dem Marcellustheater, gab ihm aber durch reichen und doch maßvollen bildnerischen Schmuck größere Lebendigkeit. Für die neuzeitliche Baukunst ist dieser Hallenbau nebst einem ähnlichen des Palladio in Vicenza für viele sogenannte «Gallerien» das Vorbild geworden. Ein sehr reizvoller Zierbau ist die Loggetta mit reichem bildnerischen Schmuck (Fig. 430). Vor dem Bau der Bibliothek entstand der Palazzo Corner della Ca grande, mit Anklängen an den römischen Palastbau; das Untergeschoß mit Rustika, die beiden oberen Stockwerke mit Säulengruppen zwischen den rundbogigen Fenstern. Von Kirchenbauten Sansovinos ist S. Giorgio de' Greci als der beste zu nennen, das Aeußere zeigt deutlich die Anpassung Sansovinos an den üblichen venezianischen Kirchenstil, der durch die Lombardi ausgebildet worden war. Der Aufbau der Vorderseite zeigt zwei Geschosse mit einem giebelartigen Aufsatz.
Sansovinos Kunstweise wurde nun für die meisten jetzt entstehenden Bauten Venedigs maßgebend. Einzelheiten von der Markusbibliothek und vom Palazzo Corner wurden an vielen Palästen und öffentlichen Bauten nachgeahmt, so daß die venezianische Baukunst lange Zeit durch ihn ihr Gepräge erhielt.
^[Abb.: Fig. 450. Pollajuolo: Grabmal Innocenz VIII.
Rom. St. Peter.] ¶
Palladio. Da trat gegen Ende des Jahrhunderts noch ein Künstler auf, der sich dem herrschenden Geschmack nicht beugte und den Venezianern seine strengen Formen aufzwang: Andrea Palladio (1505-1580). Dieser war, abweichend von der allgemeinen Vielseitigkeit, nur Baumeister, und sein ganzes Streben ging danach, in seiner Kunst so vollkommen zu werden, daß er in seinen Werken die Antike in ihrer edelsten Formenreinheit wiedererstehen lassen konnte. Um sein Ziel zu erreichen, studierte er auf das Sorgfältigste die Reste der alten römischen Baukunst, deren inneren Zusammenhang er vor allem zu ergründen suchte. In der genauen Kenntnis der antiken Formen und Verhältnisse liegt Palladios Bedeutung. Schöne Verteilung der Räume und Massen, kräftige Gliederungen - um zur Belebung der Formen starke Schatten zu erhalten - sind die Mittel, die er immer wieder mit gleicher Vollendung anwendet.
Palladio ist der hervorragendste in der Gruppe der vorhin erwähnten «Theoretiker»; man darf wohl sagen, daß er die Antike «errechnet» hat, und damit ist ausgedrückt, was ihn von den übrigen Meistern der Renaissance trennt: er rechnete, wo andere erfanden. Deshalb lassen seine Werke bei aller Großartigkeit kalt, sie wirken mehr auf den Verstand als auf das Gemüt. Dazu kommt eine andere Eigenart, die ebenfalls auf dem Streben, der Antike näher zu kommen, beruht: Palladios Kunst nimmt nirgends örtliche Eigentümlichkeiten auf, deshalb wird sie nirgends bodenständig und niemals volkstümlich. Mit Vignola verglichen, erscheint jedoch Palladio als der weitaus größere Geist. Er suchte ein «organisches System» der Baukunst aufzustellen, dessen Grundgedanke war, daß jeder Bauteil in lebendiger Beziehung zum Ganzen stehen müsse und diese Beziehung in einem ganz bestimmten Zahlverhältnisse sich auszudrücken habe, daher alle Abmessungen nach Höhe und Breite der Teile einfach durch jene des Ganzen gegeben seien.
Das erste größere Werk Palladios ist ein ähnlicher Bau, wie Sansovinos Bibliothek: die sogen. Basilika in Vicenza (Fig. 432). Sie ist eine Doppelhalle mit Bogen und Säulenstellungen, doch sucht sie nicht durch Schmuckhaftigkeit und zierliche Ausführung der Einzelheiten, sondern nur durch die Anordnung, schöne Verhältnisse und Gliederungen zu wirken. Bei Palastbauten liebte es Palladio, die Außenseite mit nur einer Säulenordnung zu versehen, so
^[Abb.: Fig. 451. Verrocchio: Christus zeigt Thomas die Wundmale.
Florenz. Orsanmichele. (Der Tabernakel ist von Donatello.)] ¶