wegung, welche man «Humanismus» zu nennen pflegt. Sie war eine mehr unmittelbare Folge der geschilderten Zustände, blieb aber auch beschränkt auf den kleineren Kreis der Gesellschaft, welcher die sogenannten «Gebildeten» umfaßte.
Der innerste und letzte Kern der humanistischen Anschauung besteht darin, daß sie in dem ganzen Menschen eine geschlossene Einheit von Sinnlichem und Uebersinnlichem sieht, und nicht blos die Seele - wie die alte kirchliche Lehre - als Ausfluß des Göttlichen erkennt. Die Auffassung, daß dieser «ganze Mensch» das Maß aller Dinge sei, war im Grunde die «heidnische» der antiken Welt, und sie kam daher auf, als man sich mit dieser eingehend zu beschäftigen anfing. Gewöhnlich wird denn auch mit Rücksicht auf die Art, wie sich der Humanismus nach Außen kundgab, der Begriff desselben in beschränkter und oberflächlicher Weise als Wiederbelebung der klassischen Studien und Nachahmung des antiken Lebens aufgefaßt. Ersteres ist jedoch Ursache, letzteres Erscheinungsform.
Beschäftigung mit der Antike. Jene eingehende Beschäftigung mit dem Altertum begann in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, und wurde am stärksten gefördert durch die Aufnahme von Griechen in Italien, welche vor und nach dem Zusammenbruch des byzantinischen Reichs (1453) zahlreich herüberkamen. Die Kenntnis der griechischen Sprache, in welcher ja die grundlegenden philosophischen Werke abgefaßt waren, verbreitete sich und man konnte die letzteren nun in der Urschrift lesen.
Die größere Vertrautheit mit den Verhältnissen des Altertums erzeugte sodann eine Begeisterung für die damaligen Staatsformen und für die gesellschaftlichen Zustände, so daß man sie als Vorbilder betrachtete, die nachzuahmen seien. Die Gebildeten bemühten sich, in «klassischem Latein» zu sprechen und zu schreiben, gaben sich antike Namen und ahmten die Sitten der Alten nach. Durch die Gründung von Bibliotheken und Akademien wurden diese Bestrebungen gefördert, welche ihrer ganzen Natur nach freilich auf die gelehrten Kreise beschränkt bleiben mußten und nicht volkstümlich werden konnten. Die «klassische Philologie» (Sprachwissenschaft) und das humanistische Gymnasium sind die Früchte von ehrwürdiger Dauerhaftigkeit, die aus den Keimen jener Zeit entstanden. Diese gelehrte Richtung rief aber bald auch eine Gegenströmung hervor, welche auf die Pflege der Volkssprache und heimischen Dichtung drang.
Verhältnis der Humanisten zum Christentum. Die Humanisten blieben jedoch
^[Abb.: Fig. 405. Alberti: San Francesco.
Rimini.]
^[Abb.: Fig. 406. Alberti: San Andrea.
Mantua.]
trotz dieser antiken Anwandlungen auf dem Boden des Christentums und anerkannten die Autorität der Offenbarung. Die Kirche und namentlich die Priesterschaft wurden freilich oft in derbster Weise verspottet, und schlimmer noch als die Zügellosigkeit der Sprache war jene der Sitten, durch welche viele sich hervorthaten. Doch daran nahm damals auch die Kirche keinen Anstoß und wir finden nicht nur viele Humanisten in kirchlichen Diensten, sondern unter den Päpsten selbst eifrige Förderer der ganzen Bewegung.
Wenn diese nun auch hauptsächlich mit jenen Wissenschaften sich beschäftigte, die mit dem Schrifttum und der Philosophie zusammenhängen, so kam sie doch auch den Naturwissenschaften zu gute. Die allgemein regere wissenschaftliche Thätigkeit gab sich auch auf deren Gebiete kund, veranlaßte Forschungen und überhaupt eine genauere Beobachtung der Natur.
Veränderungen auf politisch-wirtschaftlichem Gebiete. Mit dem Umschwunge auf dem geistigen Gebiete, welcher eine neue Weltanschauung vorbereitete, verliefen gleichzeitig auch starke Veränderungen der staatlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zustände. Es erfolgt die Auflösung des Lehens-Staates, das Bürgertum gelangt zu einflußreicher Machtstellung, Handel und Gewerbe werden für die Volkswirtschaft entscheidend, und damit vollzieht sich auch der Uebergang von der Naturalwirtschaft zur Geldwirtschaft.
Im alten germanischen Volksstaate lag die politische Macht bei der Gesamtheit der Freien, der König war nur Führer und Vertreter; dann hatte dieser allmählich alle Macht an sich gezogen, die daraus sich ergebenden Rechte an seine Dienstleute (Vasallen) vergeben, welche dafür ihm zur Gefolgschaft und unbedingten Treue verpflichtet sein sollten. Diese ausgeklügelte Staatsordnung versagte jedoch, da die Dienstleute im Besitz der Machtmittel ihrer Pflicht gegen das Königtum sich zu entledigen strebten und letzteres in Abhängigkeit von ihnen brachten. In langen und schweren Kämpfen bricht dieses endlich die Macht der Vasallen und begründet seine unumschränkte Machtstellung.
Der Verlauf dieser Entwicklung war in den einzelnen Volks- und Staatsgebieten verschieden. Am raschesten und vollständigsten kam in Frankreich das Königtum zu seinem Ziele: unter Ludwig XI. (1461-83) ist dessen unumschränkte Herrschaft fest begründet und damit auch der volkliche Einheitsstaat. In England war durch die Thronkämpfe (Krieg zwischen der roten
^[Abb.: Fig. 407. Alberti: Hauptthüre von St. Maria Novella.
Florenz.]
^[Abb.: Fig. 408. Rosselino (?): Palazzo Piccolomini.
Siena.]
und weißen Rose) die Macht des Adels vernichtet worden, hier blieb aber die Königsgewalt eingeschränkt durch das Parlament, fand jedoch im Bürgertum eine feste Stütze. In Deutschland und Italien kam die Königsmacht nicht mehr auf und wurde daher die Begründung eines volklichen Einheitsstaates unmöglich. Es traten an die Stelle des einen Königtums die «Landesherren»; die ehemaligen Lehensträger werden in ihren Gebieten unumschränkte Fürsten. Auf der pyrenäischen Halbinsel endlich vollzog sich die Vertreibung der Mauren und die volkliche Einigung in zwei Staaten-Gebilden.
Allenthalben sehen wir somit, wie die ganze staatliche Macht in die Hände der Fürsten gelegt wird; sei es nun im volklichen Einheitsstaate oder in Teilgebieten. Dadurch verliert auch das Rittertum immer mehr an Bedeutung, und blühen Städte und Bürgertum auf. Der Fürst bedarf nicht mehr der persönlichen Dienste des Waffenadels, umsomehr aber des Geldes, welches nicht der Grundbesitz, wohl aber Handel und Gewerbe ihm liefern können. Je größer die Ohnmacht des Königtums war, desto günstiger wurde die Lage der Städte; denn sie gewannen dabei gleichwie die Lehensleute Unabhängigkeit und entwickelten sich zu Staatswesen. So geschah es in Italien und Deutschland, und deren Städte sind denn auch im Besitz des Welthandels. Da für diesen das Mittelmeer die Hauptrolle spielt, stehen die italienischen Städte - namentlich Genua und Venedig - an Bedeutung voran, aber die deutschen Seestädte, im Bunde der Hansa vereinigt (dem übrigens auch zahlreiche Binnenstädte angehörten), beherrschen den nordischen Handel, und die süddeutschen Reichsstädte den Binnenverkehr. Das Ende des 15. Jahrhunderts bereitet allerdings den Niedergang dieser Handelsmächte vor; durch die Entdeckung Amerikas und des Seeweges nach Ostindien wird der Welthandel auf neue Wege geleitet, und die westlichen Staaten bemächtigen sich desselben.
^[Abb.: Fig. 409. Benedetto di Majano: Palazzo Strozzi.
Florenz.]
Der rege Unternehmungsgeist des 15. Jahrhunderts führte nicht nur zu jenen Entdeckungen, welche eine völlige Umwälzung des ganzen wirtschaftlichen Lebens in Europa zur Folge hatten, sondern zeitigte auch verschiedene Erfindungen, welche wieder der gewerblichen Thätigkeit zu gute kamen. Den größten und nachhaltigsten Einfluß übte jene des Buchdruckes, denn diese wurde auch für das geistige Leben von ungeheurer Bedeutung.
Rückwirkung der allgemeinen Verhältnisse auf die Kunst. Dieser kurze Ausblick auf die allgemeinen Verhältnisse erschien nötig, weil sie für die Entwicklung der Künste bestimmend waren. Das Ergebnis läßt sich etwa in folgenden Sätzen zusammenfassen:
Das Weltliche wird für die Kunst maßgebend; sie steht nicht mehr überwiegend im Dienste der Religion, sondern wird durch die Prachtliebe der Fürsten und reichen Stände beschäftigt. Demnach behandelt sie auch weit mehr als früher weltliche Stoffe und Vorwürfe und zeigt selbst bei religiösen eine Hinneigung zu weltlicher Auffassung, so daß in der Darstellung heiliger Personen das Menschliche, bei Vorgängen das Lebenswahre betont wird.
Das Sinnliche in den Erscheinungen kommt mehr zur Geltung; da es als dem Geistigen gleichberechtigt betrachtet wird. Dies nötigt zu genauerer Beobachtung der Natur überhaupt und insbesondere des menschlichen Körpers. Der Mensch als das höchste Geschöpf ist auch der vornehmste Gegenstand künstlerischer Darstellung, in und durch ihn lassen sich alle Gedanken ausdrücken.
Die Persönlichkeit des Künstlers tritt hervor; er wird zum freien selbständigen Schöpfer, welcher Gedanken und Empfindungen, die ihm zu eigen sind, in Formen zum Ausdruck bringt, für die ihm die Natur vorbildlich, die eigene Auffassung jedoch bestimmend ist. Die Kunst wird demnach frei und ihre Werke erhalten selbständige Bedeutung; sie veranschaulichen das Wollen des Künstlers, und dieser künstlerische Zweck wird zur Haupt-
^[Abb.: Fig. 410. Pollaiolo: Palazzo Guadagni.
Florenz.]
fache, nicht die äußerliche nächste Bestimmung (z. B. um als Schmuck oder zur Belehrung und dergl. zu dienen). - Während die Beschäftigung mit der Antike dazu führte, nicht volksmäßige, zeitfremde Vorstellungen zum Gegenstande der Darstellung zu machen, wird gleichzeitig auch in der Wiedergabe volkstümlicher Gedanken und natürlicher Erscheinungen der Fortschritt zur Vollendung eingeleitet. Was die äußeren Verhältnisse anbelangt, so sind diese in den großen Staaten mit unumschränkter Königsmacht zunächst weniger günstig als in den Gebieten der kleinen Fürsten und in den freien Städten, hier findet die Kunst ihre eifrigste Pflege.
Der genossenschaftliche Zusammenhang der Künstler (Gilden) besteht noch fort, er beengt jedoch nicht mehr und regt nur gegenseitige Beeinflussung an. Jedenfalls haben diese Körperschaften, in welchen die Kunstgenossen unter sich sind, nicht die Nachteile der Akademieen der Folgezeit, in welchen das Gelehrte und Schulmäßige einerseits, der Einfluß fremder Kreise - der Staatsgewalt - andererseits das unbefangene freie Schaffen beeinträchtigt und zur Erstarrung führt. - Hiermit dürften die wesentlichsten Punkte angeführt sein, welche für die Kunstentwicklung vor und zu Beginn der «Renaissance-Zeit» in Betracht kommen, also für das 15. und den Anfang des 16. Jahrhunderts. (Bemerkt mag hier werden, daß die Italiener das 15. Jahrhundert Quatrocento [1400], das 16. Cinquecento [1500] nennen, indem sie sich an die thatsächliche Jahrhundertziffer halten. Der deutsche Sprachgebrauch geht davon aus, daß im Jahre 1501 eben 15 Jahrhunderte verflossen sind, und somit das sechzehnte beginnt.) Daß man hinsichtlich der Gesamtkunst nur von einer Renaissance-Zeit und nicht von einem Renaissance-Stil sprechen kann, habe ich schon vorhin betont.
Verhältnisse der einzelnen Kunstzweige zu einander. Es dürfte noch angezeigt sein, einige Bemerkungen über das Verhältnis der einzelnen Zweige zur gesamten Kunst, über den Anteil der verschiedenen Volksgebiete an der Entwicklung und über die maßgebenden Persönlichkeiten vorauszuschicken.
Die erste Stelle nimmt die Malerei ein, in ihr giebt sich der Kunstgeist der Zeit
^[Abb.: Fig. 411. Sangallo: S. Maria delle Carceri.
Prato.]
^[Abb.: Fig. 412. S. Maria delle Grazie.
Mailand.]
in deutlichster Weise kund, ihr widmen sich die besten Kräfte, sie ist am meisten volkstümlich und verbreitet. Der Grundsatz des «Malerischen» beeinflußt auch die Formgebung der anderen Künste. Die Malerei schafft zwar noch immer zahlreiche Werke für religiöse Zwecke, nicht weniger aber auch für den Schmuck von Palästen und öffentlichen Gebäuden, und was die Hauptsache ist, Bilder, welche weder die eine noch die andere Bestimmung haben, sondern «für sich» bestehen, um ihrer selbst willen aufgenommen werden. Die Abhängigkeit von einem gegebenen Raum oder Ort entfällt, das Bild wird Kunstwerk mit Selbstzweck. - Auch für die Bildnerei, welche an zweiter Stelle steht, hat sich die Art der Aufgaben verändert; die religiösen Werke treten in den Hintergrund, in Standbildern für öffentliche Plätze, vorwiegend aber in Grabdenkmälern kann sie ihre beste Leistungsfähigkeit bethätigen.
Die Baukunst hat ihre einstige führende und herrschende Rolle verloren; man könnte beinahe sagen, das Verhältnis habe sich umgekehrt, und sie ist von den Schwesterkünsten abhängig, welche den Bauwerken erst zur vollen Wirkung verhelfen müssen. In gewissem Sinne kann man auch bei der Baukunst von einer Rückkehr zur Natur sprechen, insofern nämlich sie den geänderten Bedürfnissen des Lebens sich anpaßt, also die Zweckmäßigkeit entscheidend hervortritt. (Wie das zu verstehen ist, wird man leicht herausfinden, wenn man beispielsweise daran denkt, daß die altrömische Basilika eine Gerichtshalle war, und fragt, ob für unser heutiges Gerichtswesen ein solcher Bau zweckdienlich wäre. - Wie befremdlich wirkt Gasbeleuchtung in einem gotischen Dom!) Man brauchte bei den Herrenschlössern nicht mehr auf Sicherung und Wahrhaftigkeit bedacht zu sein, sondern bedurfte weiter und
^[Abb.: Fig. 413. S. Maria della Croce.
Crema.]
heller Räume von festlich heiterm Ansehen, welche zu der lebensfrohen und genießenden Gesellschaft paßten. Denn weltliche Bauten sind jetzt die Hauptaufgabe: Schlösser für die Fürsten und Vornehmen;
öffentliche Gebäude, die umfangreicher und stattlicher sein mußten, als früher, weil auch alle öffentlichen Geschäfte gewachsen waren;
auch bürgerliche Wohnhäuser werden künstlerisch gestaltet.
Die kirchliche Bauthätigkeit ist eingeschränkt; einerseits sind die angefangenen Werke der früheren Zeit zu vollenden und dabei der Stil der letzteren festzuhalten, andrerseits ist das Bedürfnis nach Neubauten nur gering, die Städte sind versorgt und für Klostergründungen wendet man selten noch reiche Mittel auf; bei einfachen Landkirchen verzichtet man auf das Künstlerische.
Anteil der einzelnen Länder an der Kunstentwicklung. Das Hauptgebiet des Renaissance-Stiles der Baukunst ist Italien. Hier entsteht er, wird ausgebildet und von hier aus verbreitet. Selbständig verarbeitet die italienischen Anregungen nur Deutschland, wo er sich zu besonderer Eigenart entwickelt. Frankreich steht im 16. Jahrhundert in der Bauthätigkeit etwas zurück, in der Folgezeit formt es den Stil in seinem Geiste um und bildet aus demselben eine neue Richtung heraus.
Als Begründer des Stiles ist der Florentiner Brunellesco zu betrachten, auf die weitere Entwicklung nahmen bestimmenden Einfluß hauptsächlich Bramante, Vignola, Palladio und - Michelangelo. Unter den deutschen Meistern erhebt sich keiner zu einer führenden Stellung: ihr Anteil an der Ausbildung ist ziemlich gleichwertig.
Auch für die Bildnerei und Malerei sind im 16. Jahrhundert Italien und Deutschland die maßgebenden Landschaften, die mit ihrer Kunstübung die anderen überragen und beeinflussen. Die italienische Bildnerei hat in Michelangelo, die deutsche in Peter Vischer ihren Hauptmeister.
Wie in diesem Kunstzweig die beiden Völker selbständig ihre eigenen Wege einschlagen, so ist es auch in der Malerei der Fall. Die volle Eigenart der deutschen Richtung bringt Albrecht Dürer zum reinsten Ausdruck, während Holbein der Jüngere sie durch
^[Abb.: Fig. 414. Borgognone da Fossano: Certosa bei Pavia.]
Aufnahme, aber selbständige Verarbeitung italienischer Einflüsse vervollkommnet, er ist der weltumfassende Geist, welcher über alle Schranken weg zur Freiheit gelangt.
In Italien tritt als Bahnbrecher Lionardo da Vinci auf, der die sichere Beherrschung der Form lehrt, Raphael Santi bringt das vollkommene Ebenmaß in der Kunst zur Geltung, Michelangelo die gewaltige Gedankentiefe und erhabene Großartigkeit, Correggio weist den Weg zur Verwertung des Lichtes als Mittel, um die Gedanken und Empfindungen auszudrücken, und die höchste Vollendung der Malerei als Farbenkunst erreicht Tizian.
Michelangelo. In allen drei Kunstzweigen finden wir eine Persönlichkeit als maßgebend für deren Entwicklung genannt: Michelangelo. Dieser ist der wahre «Uebermensch» des Zeitalters, der Riesengeist, welcher den ganzen Zeitgeist in sich aufgenommen hat und zum Ausdruck bringt, wie in gleicher Weise Keiner vor und nach ihm. Er strebt in seiner Richtung bis zum Aeußersten und Letzten, bis zur Spitze. Die Spitze ist aber auch das Ende, über sie hinaus geht es ins Leere und in die Tiefe, und darum hat auch Michelangelo der italienischen Renaissance-Kunst nicht nur Keime der Fruchtbarkeit, sondern auch jene des Verderbens gebracht.
^[Abb.: Fig. 415. Pietro Lombardo: St. Maria de' Miracoli.
Venedig.]
a. Italien.
Die Baukunst der Frührenaissance. Dem Ursprungslande der Renaissance, Italien, in welchem sie auch zur höchsten Entwicklung gelangte, gebührt der Vortritt, nachdem es in der Zeit der gotischen Stilherrschaft hatte zurücktreten müssen. Natürlich ist es wieder die Baukunst, welche an erster Stelle betrachtet werden muß. Zwar früher als in den anderen Zweigen der bildenden Kunst tritt in der Bauweise der neue Geist nicht zu Tage - seine ersten Spuren sind vielmehr auf jenen Gebieten zu finden -, aber er ist in ihren Werken leichter zu erkennen, als bei jenen der Bildnerei und Malerei, in welchen er die Formgebung nicht so gründlich und jählings verändern konnte.
Der Drang nach einem Baustil, welcher den italienischen Anschauungen und Zeitbedürfnissen besser entsprach als die allwärts herrschende Gotik, war schon lange vorhanden. Man hatte letztere nur sozusagen «notgedrungen» aufgenommen, denn ihr Geist entsprach zu wenig dem leichtbeweglichen, eben nicht sehr gedankentiefen italienischen Wesen, und widersprach geradezu allen Ueberlieferungen, welche durch Jahrhunderte Anschauungen und «Geschmack» in einem anderen Sinne erzogen hatten. Im Grunde war daher der gotische Stil den italienischen Künstlern durchaus verhaßt, da er sie zwang, in Formen und nach Gesetzen zu bauen, für welche sie weder rechtes Verständnis noch auch «Gefühl» hatten. Der Versuch, eine eigene italienische Gotik zu begründen, mußte mißlingen, weil schon von Anbeginn an gegen die in ihrem innersten Wesen nicht verstandenen Grundlehren des gotischen Stiles verstoßen wurde.
Man kann begreifen, daß für die italienischen Baukünstler es gewissermaßen eine Erlösung aus einem Zwange erschien, als durch die vorhin geschilderte Bewegung der
^[Abb.: Fig. 416. Pietro Lombardo: Brüderschaftshaus San Marco.
Venedig. (Jetzt Spital.)]
Geister und andere Umstände eine gründlichere, eingehende Beschäftigung mit der Antike angeregt wurde. Indem sie die Formen derselben aufgriffen, hofften sie zu einem Stil zu gelangen, welcher sowohl den Bedürfnissen des Lebens, wie denen ihres Schönheitsgefühles zu entsprechen vermochte.
Es wäre ein Irrtum, zu glauben, daß nun sofort auch im Geiste der reinen Antike gebaut wurde, denn dieser war auch von den Humanisten keineswegs klar und richtig erfaßt worden. Zunächst sind es mehr nur Aeußerlichkeiten, eben die Formen, welche von den Künstlern aufgenommen werden. Für das Wesen des Ganzen, für die Grundanlage, war der Geist ihrer Zeit maßgebend, in dessen Sinne sie «erfanden», und nur für die Einzelheiten, die Bauteile, verwerteten sie die Vorbilder. Die Künstler wollten eben sich nicht durch strenge Regeln - wie sie der hochgotische Stil hatte - binden lassen, sondern im freien Schaffen ihre eigenen künstlerischen Anschauungen, ihre Persönlichkeit, zum Ausdruck bringen. Die Bauwerke der Renaissance lassen sich deshalb auch am besten im Zusammenhange mit ihren Urhebern schildern und ich schicke hier nur einige allgemeine Bemerkungen voraus.
Allgemeine Züge. Der leitende Grundsatz war, bei jeder Aufgabe die dem Zweck am besten entsprechende, also «schönste» Form zu finden. Dennoch weisen nicht nur die Werke der einzelnen Künstler - soweit diese selbstschaffende Geister waren - sondern auch die einzelnen Werke eines und desselben Meisters oft die größten Verschiedenheiten auf.
Es bestand nur ein Gesetz für Grundriß, Aufbau und Ausschmückung: alles sollte unter sich und zu dem Ganzen in schönem Verhältnis stehen, der reinste Einklang der Erscheinungen erreicht werden. Dieses Streben nach «Schönheit der Verhältnisse» ist das
^[Abb.: Fig. 447. Pietro Lombardo: Palazzo Vendramin-Calergi.
Venedig.]
wichtigste Erbe der Antike, viel wichtiger als die schöne Durchbildung der schmückenden Teile - beides zusammen gewährt dann jenen reinen Genuß, welchen uns freilich nur wenige Werke der höchstbegnadeten Künstler bereiten können.
Man hat versucht, den einzelnen Meistern nachzuweisen, nach welchen bestimmten Gesetzen (unter Zugrundelegung mathematischer Formeln) sie ihre Pläne entworfen haben, und hat auch glücklich bei einigen ein «System» entdeckt. Es dürfte aber wohl am richtigsten sein, wenn wir annehmen, daß für die wahrhaft großen Meister im wesentlichen das Gefühl bestimmend war. Dabei ist es gewiß, daß die Künstler bestimmte Verhältnisse, welche sie einmal für schön befunden hatten, gern wieder anwendeten, doch wichen sie ohne Bedenken davon ab, sobald sich irgend ein Zwang bei deren Anwendung fühlbar machte. An feste Regeln ließ sich der frischkräftige und freie Geist dieser Zeit nicht binden. Zuweilen legten die Künstler ihren Bauten auch einfach die Maßverhältnisse von römischen Vorbildern zu Grunde, die sie für mustergiltig befunden hatten. - Während in der Zeit bis zum Ende der Vorherrschaft der Gotik die Kirchenbauten für die Stileigenheiten bestimmend waren, treten jetzt die der weltlichen Bauten in den Vordergrund, ja es werden schließlich Formen derselben, vornehmlich der Paläste, auch auf die Kirchenbauten übertragen, welche ihre besonderen Eigenheiten nur im Grundriß und allgemeinen Aufbau bewahren. Die Einzelheiten werden bei kirchlichen wie bei weltlichen Gebäuden in gleicher Weise durchgebildet. Eine eigene Form des Kirchenbaues brachte die Renaissance zu höchster Entwicklung, nämlich jene der «Zentralbauten», von denen späterhin ausführlicher gesprochen werden soll.
Bei der Durchbildung des Aeußeren wird nun ein ganz anderer Grundsatz befolgt als früher; allerdings ist derselbe nicht ganz in Einklang zu bringen mit einem Hauptgesetze der Schönheitslehre, nach welchem die strenge Stilreinheit von der vollkommenen Einheitlichkeit, dem Zusammenstimmen aller Teile des Inneren und Aeußeren abhängt. Bei den Bauten des romanischen, noch mehr bei jenen des gotischen Stiles gilt das Gesetz, daß das Aeußere dem Innern vollkommen entsprechen müsse. Man sollte sich schon beim Betrachten des Aeußern ein Bild des Innern machen können und selbst die reichste Anwendung von Schmuckwerk durfte nie - Werke «reinen» Stils vorausgesetzt - den in der Baufügung hervortretenden Grundgedanken verdecken und erdrücken.
Die Künstler der Frührenaissance sahen jedoch die Beziehungen des Aeußern zum Innern mit ganz anderen Augen an. Für sie bestand die Hauptsache darin, daß der Bau als Raum-Ganzes, in seiner Gesamterscheinung, wirkungsvoll sei und zwar durch volle Einheitlichkeit der Formen (nicht des Wesens der Bauteile), das heißt also, daß das Bauwerk außen und innen schön in den Raum-Verhältnissen wie im Schmuckwerk erscheine; ob das Aeußere und Innere zusammenstimme, daran lag ihnen nicht viel. Verständlich, wenn auch derb läßt sich dies etwa in der Weise ausdrücken: sie hätten sich nichts daraus gemacht, wenn beispielsweise die Gliederung des Aeußeren einem dreistöckigen, jene des Innern einem zweistöckigen entsprochen hätte. Der Hauptwert wurde eben zunächst auf
^[Abb.: Fig. 418. Lombardo: Palazzo Corner Spinelli.
Venedig.]
augenfällige Schönheit gelegt; die malerische, nicht die folgerichtige Entwicklung des durch die Baufügung gegebenen Grundgedankens wurde zur Richtschnur.
Einzelheiten. Bogen. Stützen. Hinsichtlich der Einzelheiten, die im wesentlichen sich unmittelbar an die antiken Vorbilder anlehnten, ist nicht viel zu bemerken. Die Bogen wurden gern schlank gebildet und um den Eindruck des Leichten und Luftigen zu steigern, häufig überhöht, auch zwischen Bogen und Träger ein würfelförmiges Gebälkstück eingeschoben. Bei den Trägern wurden alle Säulenordnungen des alten Stils angewendet, vornehmlich die korinthische und zwar zunächst in der römischen Umbildung, sodann auch sehr häufig die etruskische oder toskanische, deren Wiedereinführung bemerkenswert ist.
Nach größerer Abklärung ging man zu den strengeren Ordnungen über und benutzte im 16. Jahrhundert mit Vorliebe die ernste dorische Säule. Sehr häufig wechselten die Ordnungen an einem Bauwerk, so daß z. B. der unterste Stock korinthische, der folgende jonische und der dritte dorische Säulen erhielt. Neben den vollen Säulen finden auch die schon an römischen Bauten (Kolosseum-Unterstock) vorkommenden Halbsäulen häufige Anwendung. Zur Säule und dem ebenfalls viel verwendeten Pfeiler, welche beide einen wirklichen Zweck als Träger hatten, trat als bloßes Zierstück der Wandpfeiler (Pilaster), dessen Aufgabe es ist, nur die Wandflächen zu beleben und zu gliedern, wie dies bei den Bauten des romanischen Stils durch die Lisene geschah. Der Pilaster ist ebenfalls der römischen Bauweise entlehnt und entspricht nicht, wie in der Regel die Lisene, einem stützenden Teil im Innern.
Wölbung. Ebenso wenig wie eine eigene Stützenform hat die Renaissance eine eigene oder wenigstens einheitliche Wölbung.
Das Kreuzgewölbe, während der Gotik vorherrschend, tritt in den Hintergrund, und wenn es noch zur Anwendung kommt, werden seine Linien nicht mehr durch kräftige
^[Abb.: Fig. 419. Bramante: Die Cancelleria.
Rom. Vatikan.]
Rippen und Gurten auffallend kenntlich gemacht. Mit Vorliebe werden das römische Tonnengewölbe und das Kuppelgewölbe angewendet und die Kuppel selbst wird zu einer bezeichnenden Hauptform der Baukunst. Mehrfach ließ man bei Anlagen kleinere mit größeren Kuppeln oder Tonnengewölbe mit kleinen Kuppeln abwechseln. Die innere Gewölbeschale wird häufig kassettiert, das heißt mit regelmäßig angeordneten vertieften Feldern versehen.
Fenster und Thüren. Die Fenster und Thüren erhielten meistens gerade, manchmal auch bogenförmige Abschlüsse. In der Regel hatten sie beiderseits eine Umrahmung von Pilastern oder Säulen (auch Konsolen), welche ein kräftiges Gesimse trugen, das mit einem dreieckigen Giebel oder einem Bogenstück bekrönt wurde.
Trennung der Stockwerke. Die einzelnen Stockwerke wurden durch Gesimse getrennt und das oberste durch ein Kreuzgesimse abgeschlossen.
Ausgestaltung des Aeußeren. Bossenwerk. (Rustika.) Eine eigenartige Gestaltung des Aeußeren bei vornehmen Palastbauten gewann die Baukunst der Renaissance durch die Anwendung des Bossenwerks (französisch Bossage, italienisch alla rustica maniere, d. h. nach bäuerlicher Art, daher abgekürzt gewöhnlich Rustica genannt).
Man versteht darunter die Fügung der Mauern aus Quadern, deren Außenfläche rauh, unbehauen ist und bei denen die senkrechten Fugen auf die Mitte der oberen und unteren Quader treffen.
Diese kommt zwar schon vereinzelt bei römischen Bauten vor, die Renaissance übernahm sie jedoch von alten florentinischen Burgbauten und wandte sie dann auch bei städtischen Palästen an, die ja bei den häufigen inneren Kämpfen oft genug als «Festungen» dienen mußten, in welche sich die Anhänger einer Partei zurückzogen. Die äußere Erscheinung der Bauten gewann dadurch den Ausdruck des Kräftigen und Trotzigen.
Indem man das Bossenwerk an den unteren, die ganze Gebäudelast tragenden Teilen kräftiger - größere Quadern, breitere Fugen - als an den oberen bildete, wurde für das Auge die Bedeutung des Erdgeschosses als tragender Teil gegenüber den oberen Stockwerken als getragene gekennzeichnet und durch diese Abstufung die Wirkung des Ganzen nicht unwesentlich erhöht.
Bei früheren Bauten sind die Quadern vielfach ungleich in der Länge, so daß nicht immer Fuge auf Steinmitte trifft. Dies ist erst bei späteren Bauten der Fall, an welchen das Bossenwerk dann vollkommen regelmäßig gebildet wird und auch die Behauung der Quadern eine sorgfältigere ist.
Abänderungen mannigfaltigster Art kommen vor. Es wird die Austiefung der senkrechten Fugen fortgelassen, so daß das Gebäude wagerecht gestreift erscheint, oder es werden nur die Eckkanten in rustica ausgeführt.
^[Abb.: Fig. 420, Bramante: Tempietto.
Rom. Kloster S. Pietro in Montorio.]