Mittelspersonen beeinflußt und verändert war. Die Macht dieser Ueberlieferung mußte erst durch «Kritik» - die sachliche Prüfung auf die Wahrheit hin - gebrochen werden, die wieder die Befreiung von dem unbedingten «Autoritätsglauben» zu ihrer Voraussetzung hat. Diesen hatte in erster Linie die Kirche zum leitenden Grundsatz gemacht und daher steht das Aufkommen der Kritik im engsten Zusammenhang mit der Erschütterung der kirchlichen Machtstellung.
Naturbetrachtung. Auch die Rückkehr zur Natur, besser gesagt: die Würdigung der sinnlichen Welt, war nur möglich bei einem Bruche mit der von der Kirche vertretenen Anschauung, daß alles Sinnliche durch die Sünde verderbt, ein verwerfliches Uebel sei und nur das Uebersinnliche wahr, gut und schön sein könne.
Allgemeine Zustände seit dem 14. Jahrhundert. - Die Kirche. Zum Verständnis der Grundlage, auf welcher sich die weitere Kunstentwicklung vollzog, ist es notwendig, die allgemeinen Zustände kurz zu kennzeichnen.
Um die Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert hatte die religiöse Begeisterung ihre stärkste Machtentfaltung erreicht, sie erfüllte alle Gemüter, bestimmte alle Handlungen. In den Kreuzzügen - deren letzter in das Jahr 1270 fällt - fand sie ihren deutlichsten Ausdruck. Sie hatte die Allmacht der römischen Kirche begründet, welche nicht nur das geistige, sondern auch das staatliche Leben beherrschte. Diese Herrschaft stützte in der überwiegenden Mehrheit des Volkes das rein Religiöse, der Glaube; die denkenden Geister sollte die scholastische Philosophie in Bann halten. Hier setzte nun die Gegenströmung ein; schon Kaiser Friedrich II. (1212-1250) steht der Kirche feindlich - bis zum Unglauben - gegenüber.
Gefährlichere Folgen, als die geistige Auflehnung Einzelner, hatte jedoch die Verweltlichung der Kirche, welche durch die politische Machtstellung, die Einmischung in alle weltlichen Angelegenheiten, hervorgerufen wurde. Das Papsttum hatte sich von der durch Karl den Großen begründeten Schirmvogtei des Kaisers befreit und dessen Macht völlig gebrochen,
^[Abb.: Fig. 402. Brunellesco: Palazzo Pitti.
Florenz.] ¶
dafür geriet es in die Abhängigkeit von dem französischen Königtum. Der Verlegung des päpstlichen Sitzes nach Avignon
(1305-1378) folgte die Zeit
der Kirchenspaltung (1378 bis 1415), in welcher zwei, ja drei Päpste gleichzeitig herrschten
und einander in den Bann thaten. Niemand wußte, wer der rechte Papst, der wahre Hirt der Kirche sei.
In dieser Wirrnis hielt zwar das rein Religiöse, der fromme Glaube, der breiten Volksmassen Stand, jedoch die Achtung vor der Kirche sank, zumal auch in der Priesterschaft Zuchtlosigkeit einriß. In weiten Kreisen aber riefen diese Zustände Strömungen hervor, welche die kirchliche Macht noch gründlicher erschütterten: einerseits eine bis zum Krankhaften gesteigerte religiöse Schwärmerei, andererseits Unglauben sind die äußersten Grenzen, zwischen welchen die Geister schwankten, und in abgeschwächter Form, aber stärkerer Verbreitung, erscheinen dann diese Gegensätze als Aberglauben und Gleichgültigkeit gegen die Religion.
In letzterer Hinsicht waren allerdings schon im 12. und 13. Jahrhundert die Zustände keineswegs tadellos gewesen, und insbesondere in Sachen der «geschlechtlichen Sittlichkeit» hatte man sehr freien Anschauungen gehuldigt. Der «ritterliche Minnedienst» war weit weniger «ideal», als mancher sich vorstellen mag.
Die Auflösung der Zucht hatte aber doch wieder eine gute Folge: die stärkere und freiere Entwicklung des Persönlichen;
der Einzelne trat mehr aus der Menge hervor, konnte seine Eigenheiten schärfer zur Geltung bringen.
In dieser Zeit
konnte nur der Starke seinen Platz in der Sonne behaupten, und dies zwang jeden, seine Kräfte auszubilden
und zu steigern.
Reformation und Humanismus. Auf dem Boden dieser Verhältnisse keimten zwei geistige Bewegungen, welche von nachhaltiger Bedeutung
für die ganze Folgezeit
wurden. Das im Volke vorhandene reinreligiöse Gefühl führte zur Kirchenerneuerung,
«Reformation», worunter jedoch nicht allein die Spaltung der katholischen
Kirche, sondern auch die Erneuerung der kirchlichen Zucht in dieser selbst - durch das Tridentinische Konzil - zu verstehen
ist. - Früher jedoch trat in Erscheinung jene andere Be-
^[Abb.: Fig. 403. Michelozzi: Hof des Palastes Riccardi.
Florenz.]
^[Abb.: Fig. 404. Alberti: Palazzo Rucellai.
Florenz.] ¶