bewegung weit lebhafter, die Zahl der starken, selbständig hervortretenden Persönlichkeiten größer erscheine. Wenn man jedoch hier wie dort den Durchschnitt der Menge betrachtet, so wird man finden, daß die Deutschen nicht hinter den Italienern zurückstehen, ja sie in Gedanken- und Empfindungstiefe übertreffen. Wohlgemerkt, dies gilt vom Durchschnitt, oder sagen wir vielleicht verständlicher: die mehr handwerksmäßigen Maler - zweiten und dritten Ranges - sind in Deutschland besser als in Italien, weil sie meist gewissenhafter arbeiteten. Der deutschen Malerei fehlen die einzelnpersönlichen Züge, sie erscheint als Erzeugnis einer Gesamtheit, sozusagen als Niederschlag der malerischen Empfindung des ganzen Volkes. Dies erklärt sich zumeist aus dem zünftigen Wesen, welches ein allzustarkes Heraustreten aus dem Rahmen des Gemeinsamen nicht zuließ. In Italien vollzog sich der Fortschritt «stoßweise», indem bald hier, bald dort einzelne Künstlernaturen emporschossen und ihre Umgebung dann mithoben; in Deutschland hob sich der ganze Kunstboden langsam und gleichmäßig, von der ganzen Volkskraft getragen. So erklärt sich, daß im 16. Jahrhundert die deutsche Kunst in Dürer und Holbein auf einer Höhe erscheint, welche jener der italienischen gleich ist, ohne daß man darauf durch aufsehenerregende Vorläufer jener Meister vorbereitet worden wäre.
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Die Niederlande. Zur selben Zeit, da in Italien Masaccio Kraft und Schönheit in naturwahrer Erscheinung auszudrücken sucht, die deutschen Schulen in bedächtiger Ruhe auf dem Wege zur Stimmungsmalerei und zur richtigen Farbenkunst fortschreiten, wurde in den Niederlanden der folgenreiche Schritt zur vollen Naturwahrheit und Wirklichkeits-Treue gethan. Der Bruch mit der überlieferten Kunstweise erfolgt so gründlich, daß er fast unvermittelt erscheint, obwohl er einigermaßen vorbereitet war. Wohl begreiflich ist das Aufsehen und der nachhaltige Erfolg dieser neuen Kunstweise, welche darin bestand, daß man malte, was und wie man es sieht. Sie trat auch in Verbindung mit einer Arbeitsweise auf, welche zwar nicht neu und unbekannt war, aber hier eine verständnisvolle Anwendung und
^[Abb.: Fig. 387. Holbein der Aeltere: Die hl. Barbara und die hl. Elisabeth.
München. Pinakothek. (Photographie B.-A. Bruckmann.)]
^[Abb.: Fig. 388. Holbein der Aeltere: Der hl. Sebastian.
München. Pinakothek.]
Ausbildung fand, so daß sie wie eine neue Erfindung wirkte: nämlich die Verwendung der Oelfarben.
In der niederländischen Bevölkerung, in welcher der rein-deutsche, wie der französische Zweig des germanischen Volkstums ihre Eigenheiten austauschten, trat der Sinn für das Wirkliche und eine frohsinnige Auffassung des Lebens schon im 13. Jahrhundert hervor; für das, was man «Idealismus» nennt - die Richtung auf das rein Gedankliche, das Uebersinnliche - hatten die Niederländer weniger Neigung, als die Deutschen, und die Vorherrschaft des Bürgertums ließ auch die höfisch-vornehme Art, wie sie in Frankreich sich geltend machte, nicht aufkommen. Die niederländischen Miniaturen weisen schon diesen Zug auf, die sinnliche Natur, die derbe Wahrheit des wirklichen Lebens namentlich mit seinen zur Heiterkeit und Spott reizenden Erscheinungen wiederzugeben. Es ist daher nicht überraschend, daß auf niederländischem Boden Meister auftraten, welche der bisher mehr in der Kleinkunst bethätigten Neigung auch in der hohen Kunst zur Herrschaft verhalfen. Ebenso erklärlich ist, daß ihre Kunstweise allenthalben von Einfluß werden mußte, wo man sich wieder der Natur zuwandte. Fast gleichzeitig in drei Gauen kam diese niederländische Kunstweise auf: in Flandern, Brabant und in Holland. Es sind durchwegs Gebiete deutschen Volkstums und eigentlich ist die niederländische Kunst nur als ein Zweig der deutschen zu betrachten.
Flandern. Es sind somit auch die gleichen Ursachen und so ziemlich die gleichen Umstände, welche die äußerliche Entwicklung der niederländischen Tafelmalerei bestimmten, die in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts schon eifrig betrieben wurde. Die Frühwerke sind außerhalb ihrer Heimat begreiflicherweise wenig bekannt; im Ganzen unterschieden sie sich nicht viel von den gleichzeitigen deutschen, wie solche die Prager und Kölner Schule lieferte.
Ich möchte auch einen vom Mittelrhein ausgehenden Einfluß annehmen, der sich hauptsächlich auf die Anordnung der Darstellungen erstreckt, während die lebhafte Farbengebung ebenso der niederländischen Eigenart entsprang, wie die sorgfältige Ausführung des Nebensächlichen. Jener eben erwähnte Wesenszug des niederländischen Volkstums, die Freude an der sinnlichen Natur, brach erst vollkommen durch in den Werken der Brüder van Eyck, und zwar in einer Weise, welche der Kunst auf diesem Boden einen gewaltigen Vorsprung vor der deutschen verschaffte.
Die Brüder van Eyck. Das Auftreten dieser beiden Meister brachte einen Umschwung hervor, der vielleicht noch höher war als jener, der sich an Giottos Persönlichkeit knüpfte. Sie schufen eine neue Auffassung und eine neue Malweise. Genau genommen war freilich weder das eine noch das andere vollkommen neu, aber sie erregten den Eindruck des Neuen, weil sie zielbewußt mit voller Schärfe und Bestimmtheit die erstere offenbar machten und die andere folgerichtig und geschickt ihren Zwecken anpaßten. Wie ich bereits mehrmals zu bemerken veranlaßt war, ist die Oelmalweise von den Eycks zur durchgreifenden Geltung gebracht worden; sowohl Deutschland wie Italien sind in dieser Hinsicht
^[Abb.: Fig. 389. Schongauer: Geburt Christi.
München. Pinakothek. (Photographie B.-A. Bruckmann)]