Luca Signorelli. Eine umfangreiche Thätigkeit entfaltete der bereits genannte Luca Signorelli (1441-1523), dessen Bilder in äußerer Kunstfertigkeit jenen der anderen nicht nachstehen, sie an Lebendigkeit und geschickten Einfällen übertreffen, aber einigermaßen Tiefe der Empfindung vermissen lassen. Er ist oberflächlicher, und wenn daher auch die Formenschönheit zu ihrem Recht kommt, so ist sie doch nicht innerlich beseelt; es fehlt ihm ebenso wohl an Leidenschaftlichkeit, wie an abgeklärter Gemütsruhe, und so erscheinen seine Werke zwar mit vortrefflicher Kunst und leichter, sicherer Hand «gemacht», aber nicht als Ergebnis einer das ganze Wesen des Künstlers erfüllenden künstlerischen Stimmung. Seinen Ruhm begründeten die Wandgemälde in der Capella Nuova des Domes zu Orvieto, von welchen hier das Stück «die Seligen» gegeben wird. Die ganze Reihe behandelt das «jüngste Gericht» in großartiger Auffassung des gedanklichen Inhalts, die nur von einem Michelangelo übertroffen werden konnte.
Es war das Verhängnis all dieser Meister - Ghirlandajo, Perugino, Signorelli - daß sie zeitlich und örtlich zu nahe den «Großen» standen, welche der Kunst des 16. Jahrhunderts mit ihren gewaltigen künstlerischen Persönlichkeiten ihr Gepräge gaben. So mußten sie sich denn mit der Rolle von «Vorläufern» begnügen, anstatt als Führer angesehen zu werden.
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Venedig und Padua. In dieser Hinsicht günstiger gestellt war der Künstlerkreis Venedigs, das sich als ein für sich abgeschlossenes Kunstgebiet behauptete, daher auch seine besonderen Wege zur Entwicklung einschlagen konnte. Daß im 14. Jahrhundert dort
^[Abb.: Fig. 362. Gentile da Fabriano: Madonna.
Rom. Galerie Colonna.] ¶
die Malerei auf ziemlich tiefer Stufe geblieben war, habe ich an früherer Stelle bemerkt. Die Schule von Murano, wo die ganze Malthätigkeit vereinigt war, gelangte über die «griechische Weise» lange nicht hinaus und lieferte unentwegt ihre steifen und harten Bilder weiter, denen jeder höhere Ausdruck fehlt. Erst um 1450 kam durch die Brüder Vivarini und einen Deutschen - Giovanni d'Alemania - ein frischerer Zug in dieses Malhandwerk. Man bemühte sich, die Formen freier und richtiger zu geben, die Fesseln der Ueberlieferung abzustreifen und die Natur sehen zu lernen. Auch ließ sich der venezianische Stolz herbei, das nahe Padua zu beachten, wohin schon Giotto, dann Uccello und Donatello die florentinische Kunstweise gebracht hatten, und das sogar auch eine eigene «Schule» besaß.
Ein rühriger Geschäftsmann, Francesco Squarcione, - man würde ihn heute «Konfektionär» nennen, damals hieß er Schneider und Sticker - eröffnete nämlich auch eine Malerwerkstätte, die er (ganz nach Art unserer früheren Kunstschulen) mit Gipsabgüssen antiker und anderer Bildwerke ausstattete, damit Gehilfen und Schüler danach arbeiten konnten. Den letzteren wurde dadurch wenigstens mittelbar einiges Verständnis für Naturwahrheit beigebracht, und gegenüber der byzantinischen Unnatur war es sicher ein Fortschritt, wenn man sich die bildnerische Formgebung eines Donatello zum Muster nahm. Es scheint, daß Squarciones Schule einem «tiefgefühlten Bedürfnisse» entgegengekommen war und daher reichliche Erfolge hatte, denn eine ziemlich beträchtliche Anzahl von Malern ging aus ihr hervor, welche freilich völlig in der bildnerischen Richtung befangen blieben und über das Handwerksmäßige nicht viel hinauskamen.
^[Abb.: Fig. 363. Perugino: Die Kreuzabnahme.
Florenz. Galerie Pitti.] ¶