Thomas von Aquino ihre vollendetste Ausbildung erfahren hatte. Zur selben Zeit aber leiste auch die «Mystik» aus und fand eine empfängliche Stimmung. Sich des Göttlichen im Gemüte bewußt zu werden, wie die Mystik es anstrebte, war für die religiöse Empfindung ansprechender, als der Weg der Scholastiker, welche es durch die Vernunft erkennen wollten und dabei den Zwiespalt zwischen den geoffenbarten Lehren und dem vom Verstande Erfaßbaren nicht aufzulösen vermochten.
Die Scholastik mußte daher zum Zweifeln und damit zur Verwirrung der Geister führen, welche noch gesteigert wurde durch die Mißstände infolge der Verweltlichung der Kirche und deren politischen Abhängigkeit, seit der Sitz des Papsttums nach dem französischen Avignon verlegt worden war. Dabei gewann nun die mystische Strömung an Stärke; indem sie sich an das Gefühl wendete, enthob sie von den Zweifeln. Gleichzeitig führte sie aber auch - entgegen der scholastischen Buchweisheit - zur Natur zurück; sie verherrlichte zwar in erster Linie das Leben der Seele, da aber diese an den Körper gebunden ist, mußte sie auch das Sinnliche mehr beachten, und so ergab sich schließlich der Satz von der schönen Seele im schönen Leibe.
Masaccio. Dies war die geistige Grundlage für die Weiterbildung der Malerei zu Beginn des 15. Jahrhunderts, und auf dieser fußte Masaccio (1401-1429). Den Nachrichten zufolge soll er bei Masolino, Brunellesco und Donatello sich ausgebildet haben, jedenfalls zeigt er sich schon als junger Künstler an Kenntnissen in den baukünstlerischen Formen und in der Perspektive seinen Gildegenossen überlegen. Dies verwertete sein künstlerischer Geist in glücklicher Weise für die Malerei. Die schärfere Beobachtung der Natur und die Schulung durch die bildnerischen Formen setzten ihn in den Stand, seinen Gestalten größere Lebenswahrheit und kraftvolleren Ausdruck zu geben; seinem ausgebildeten Schönheitsgefühl entsprang dann das Wohlgefällige, auf welches nunmehr die Malerei hinzuarbeiten beginnt. Das Großzügige der Anordnung übernahm er von Giotto, fügte aber jetzt auch das rein Ma-
^[Abb.: Fig. 346. Masaccio: Der Zinsgroschen.
Florenz. Kapelle Brancacci.]
^[Abb.: Fig. 347. Fra Giovanni Angelico. Jesus wird von zwei Dominikanern begrüßt.
Florenz. Museum San Marco.] ¶
lerische der Farbenwirkung hinzu und die sorgfältigere Durcharbeitung der Einzelheiten und des Nebensächlichen. Die Gestalten werden körperlicher, haften weniger an der Fläche, und der Raum, in dem sie sich bewegen, wird nicht nur deutlicher sondern auch naturgetreuer gekennzeichnet: die Landschaft hat Luft, und die Bauformen sind nicht blos willkürliche Spiele der Einbildungskraft. Auch die Fertigkeit hat Fortschritte gemacht, die Zeichnung ist richtiger, die Behandlung der Farbe - Abstufung und Tönung - sorgfältiger geworden. Im «Zinsgroschen» und in der «Vertreibung aus dem Paradiese» (Fig. 345 u. 346) zeigen sich diese Vorzüge in deutlicher Weise, und den Fortschritt kann man erkennen, wenn man sie mit einem Bilde Masolinos vergleicht. In beiden ist das Gedankliche in vornehmer Auffassung und mit eindrucksvoller Wahrheit wiedergegeben, dort die Hoheit des Heilands im Zinsgroschen, hier die schmerzvolle Reue des sündigen Menschenpaares. Beachtenswert ist auch die Natürlichkeit der Körperformen, denen der Meister einen Zug von gefälliger Schönheit zu verleihen wußte.
Masaccios Nachfolger. Masaccio hatte den Weg gewiesen, den die Malkunst einzuschlagen hatte, um dem Geiste der neuen Zeit gerecht zu werden. Sein früher Tod mag Ursache gewesen sein, daß er keine eigentliche Schule bilden konnte, auch war er etwas seiner Zeit voraus, um sofort Verständniß zu finden. Was bei ihm einheitlich zusammengefaßt erscheint, wurde jedoch im einzelnen von einigen Zeitgenossen unabhängig von ihm besonders verfolgt: die Richtung zu dem Anmutigen und Gefallsamen, zur schönen Farbenstimmung und Feinheit in den Einzelheiten von Fra Giovanni da Fiesole (1387-1455), jene zur Naturwahrheit, richtigen Zeichnung und bildnerischen Körperlichkeit von Andrea del Castagno (1390-1457) und Paolo Uccello (1397-1475).
Fra Giovanni da Fiesole. Der weltfremde, fromme Mönch knüpft noch an die frühere Zeit an, das Natürliche liegt ihm noch ferner, und die Innigkeit der Empfindung
^[Abb.: Fig. 348. Fra Giovanni Angelico. Die Krönung Marias.
Florenz, Uffizien.] ¶