Zierwerk blieb Gehilfen überlassen, der Meister führte nur die Hauptzeichnungen aus. Die gesteigerte Nachfrage nach Büchern, die mit Miniaturen geziert waren, förderte natürlich dieses «Illuminatorengewerbe», wie sie andrerseits auch dieses bestimmte, sich dem Geschmacke der Kunden anzupassen und Leichtverständliches, Gefallsames zu liefern. Die strenge Ernsthaftigkeit, welche im vorigen Zeitraume noch vielfach zu finden war, verliert sich gänzlich, Anmut und Lebendigkeit kommen zur Alleinherrschaft. Immer mehr strebt man auch Naturwahrheit an und sucht die Gegenstände treulich zu schildern; man wendet sich nicht ausschließlich an die Einbildungskraft des Beschauers, sondern will durch Erinnerung an die Wirklichkeit die Stimmung erzeugen, welche für das Erfassen des Inhaltes der Darstellung nötig ist.
In Sauberkeit und Sicherheit der Ausführung steht die französische Miniaturmalerei an erster Stelle; freilich zeigen ihre Arbeiten auch jene Gleichmäßigkeit und Glätte, welche dem Gewerbebetrieb eigen ist, der die künstlerisch-persönliche Eigenart zurückdrängt. An feiner Schönheit und dichterischer Auffassung werden die französischen Werke dagegen von den englischen übertroffen; die Handfertigkeit ist geringer, dafür entschädigt aber die selbständigere Auffassung. Die deutschen Miniaturen haben den Vorzug der leichten, schwungvollen Zeichnung, bei ihnen tritt die Richtung auf das Zarte, fast Weichliche besonders hervor.
Glasmalerei. Deutschland war auch die Hauptstätte der Glasmalerei, welche hier die eifrigste Pflege und schönste Entwicklung fand; stand sie ja in engster Beziehung zu der Baukunst. Die gotischen Kirchen erhielten allenthalben farbige Fenster, fast durchwegs von prächtiger Ausführung. Die älteren Werke zeichnen sich durch besondere Leuchtkraft der Farben - die dunkleren wurden bevorzugt - und deren schöne Zusammenstimmung aus, während auf die Zeichnung weniger Gewicht gelegt wird. Später nimmt man hellere Farben, zeichnet auch richtiger und giebt den Gestalten größere Verhältnisse; man begnügt sich nicht mehr mit der bloßen Farbenwirkung, sondern strebt unter dem Einflusse der Tafelmalerei eine wirklich malerische Behandlung an, d. h. sucht in den Glasmalereien die Eigenart eigentlicher Gemälde wiederzugeben.
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Umwälzungen auf dem Gebiete der Kunst. In der Zeit vom 11. bis zum 14. Jahrhundert vollzogen sich jene großen Umwälzungen, welche für die «Gesamtheit der Kunst» von entscheidender Bedeutung wurden. Zur Erläuterung muß ich hier einige kurze «allgemeine» Sätze einschalten. - Das höchste Ziel aller Kunst ist, innere Vorgänge (Gedanken, Empfindungen) zum Ausdrucke zu bringen, also unsichtbare, richtiger gesagt: sinnlich nicht wahrnehmbare Dinge durch die Sinne erfaßbar zu machen. Da die feinsten Regungen des Seelenlebens am vollkommensten auszudrücken nur die Musik im stande ist,
^[Abb.: Fig. 336. Duccio di Buoninsegna. Christus erscheint den Jüngern.
(Teilstück). Siena. Dom-Museum.] ¶
so gebührt ihr unter den Künsten die erste Stelle; sie ist die reinste Form aller «Dichtung», d. h. des schöpferischen Gestaltens innerer Vorgänge. Die Dichtungsformen dienen eben dazu, das den Sinnen Undeutliche zu verdeutlichen, und demnach beruht jeglicher Kunstfortschritt in dem Bestreben nach erhöhter Deutlichkeit. Von den darstellenden Künsten vermag die Bildnerei nur bis zu einem gewissen Grade Innerliches zu verdeutlichen; sie erfordert daher auch ein höheres Maß von Kunstfertigkeit, um das Höchste zu leisten, was ihre Ausdrucksmittel überhaupt gestatten. Der Malerei sind die Grenzen weiter gesteckt; sie kann weit mehr und viel deutlicher Innerliches ausdrücken; die Farbendichtung kommt der Tondichtung am nächsten. Die Bildnerei ist die schwierigere, die Malerei aber die höhere Kunst. - Wenn ich nun darauf hinweise, daß um die Mitte des 11. Jahrhunderts (nach dem Auftreten Guido von Arezzos, des Begründers der Notenschrift) die Mehrstimmigkeit (Harmonie) in der Musik erfunden und damit für letztere erst die Grundlage zur völligen Entwicklung geschaffen wurde, ferner daß im 12. Jahrhundert das Schrifttum und die Kunst-Wortdichtung im ganzen christlich-germanischen Völkerkreise - insbesondere auch bei den Deutschen - zur Blüte gelangte, endlich daß im 13. Jahrhundert die Malerei aus ihrer untergeordneten Stellung heraustritt und im 14. Jahrhundert unter den darstellenden Künsten den Vorrang gewinnt, - so dürfte der oben aufgestellte Satz von den großen Umwälzungen, welche die «neue Zeit» der Vollendung der höheren Künste einleiten, genugsam begründet sein.
Entwicklung der Malerei. Im besonderen sind noch etliche Bemerkungen über den Entwicklungsgang der Malerei notwendig. Anfänglich sind «Zeichnung» und «Färbung» von einander getrennt; erstere beschränkt sich auf Umrißzeichnungen, welche die Einbildungskraft des Beschauers ergänzen muß, letztere stellt Farben zusammen, welche durch ihren Einklang das Auge reizen und ergötzen sollen. Weiterhin treten beide in engere Verbindung und werden als etwas Zusammengehöriges be-
^[Abb.: Fig. 337 a. Giotto: Der hl. Franziskus.
Assisi. Hochaltar der Unterkirche.]
^[Abb.: Fig. 337 b. Giotto: Allegorie der Armut.
Assisi. Hochaltar der Unterkirche.] ¶