antiken Ueberlieferung zu den reinen Grundsätzen der Antike in neuzeitlicher Auffassung. Daher ist im Norden die Bildnerei noch in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts besser entwickelt als die Malerei, in Italien steht letztere höher und gewinnt den bestimmenden Einfluß. Dort bevorzugt man die bildnerischen Formen, weil die Baukunst auf sie hinweist, im Süden zeigt auch letztere selbst den Hang zum Malerischen.
Französische Bildnerei. Unter den nordischen Gruppen hielt Frankreichs Bildnerei bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts an einer gewissen altertümelnden Richtung fest - die Körper sind übermäßig lang, die Gewandfalten gleichlaufend gebildet -; dann gewöhnt man sich immer mehr an richtigere Verhältnisse, die Haltung der Gestalten wird ausdrucksvoller, die Bewegung lebendiger, die Behandlung des Gewandes anmutig. Jedoch besteht eine gewisse Abhängigkeit von den baukünstlerischen Formen, an welche die Bildnerei mehr als nötig sich anpaßt.
Eine unbefangen frische Auffassung, sichere Linienführung, die den Wechsel von Licht und Schatten verständnisvoll berücksichtigt und ein lebhaftes Gefühl für würdevolle Schönheit zeigt sich insbesondere in den Arbeiten des 13. Jahrhunderts. Das Streben nach größerer Natürlichkeit hatte in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts einen Rückschlag zur Folge, das volle Verständnis für die Natur war noch nicht gewonnen und so verfiel man einesteils in eine überfeinerte, andererseits steife und nüchterne Darstellungsweise.
Niederlande. Jener Zug nach dem Natürlichen war auch den Niederländern eigen, welche ihn mit weit besserem Geschick auszubilden verstanden. Daher erlangen nun die niederländischen Bildner zu Ende des 15. Jahrhunderts die führende Stellung auch in der französischen Kunst; und ihren Reihen gehört einer der bedeutendsten Meister des Zeitraumes an, Claux Sluter, der mit vollendeter Fertigkeit ebenso trefflich die rein körperliche Erscheinung, wie den seelischen Ausdruck zu bilden weiß.
Mosesbrunnen. Grab Philipps. Seine Hauptwerke sind der Mosesbrunnen in der Karthause zu Dijon (Fig. 324) und das Grabmal Philipp's des Kühnen ebendaselbst (Fig. 325). Bei dem Brunnen sehen wir sechs alttestamentliche Gestalten, Moses, David, Daniel, Jesaias, Jeremias, Zacharias, in Lebensgröße dargestellt. Die Körper sind etwas kurz und erscheinen in den breitfaltigen Gewändern noch gedrungener, die Köpfe jedoch sind großartig in ihrer Naturwahrheit und scharf bezeichnenden Eigenart, ebenso vorzüglich sind die Hände behandelt. Beachtenswert ist auch der verschiedenartige Schmerzens-Ausdruck bei den Engeln. Bei dem Grab-
^[Abb.: Fig. 327. Kopf Kaiser Heinrichs II.
Vom Dome zu Bamberg.] ¶
mal Philipp's ruht auf einem Sockel aus schwarzem Marmor der Steinsarg, welcher mit spitzbogigen Bogengängen aus weißem Marmor umzogen ist. Unter diesen bewegt sich ein Zug von 40 Trauernden, zierliche Gestalten aus weißem Alabaster, bei denen die Mannigfaltigkeit der Bewegungen und des Ausdruckes der Trauer ebenso bewundernswert ist, wie die Lebenstreue, welche auch das Bildnis Philipp's selbst auszeichnet.
England. Hier wurde die Bildnerei noch im 12. Jahrhundert wenig geübt, und was geschaffen wurde, erscheint ziemlich schwerfällig und roh. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts trat infolge Berufung französischer Künstler eine jähe Wendung ein. Die Bildnerei wurde nunmehr mit Vorliebe zum Schmuck der Bauwerke verwendet und zwar zog man hierfür die Flachbildwerke vor. Der letztere Umstand gab der englischen Bildnerei die Richtung auf das Feine und Zierliche; während eine zweite Hauptaufgabe derselben, die Herstellung von Grabdenkmälern mit den Ebenbildern der Verstorbenen den Zug nach Naturwahrheit begünstigte.
Eine Eigentümlichkeit der englischen Grabsteinbildwerke des 13. Jahrhunderts ist die häufige Darstellung der Gestalten in schreitender Bewegung, welche durch Kreuzung der Beine ausgedrückt ist. Die französischen Einflüsse treten bei den Werken im ersten Viertel des 13. Jahrhunderts noch stark hervor, bald aber entwickelten sich auch die heimischen Künstler und damit jene eigen-englische Kunstweise, deren Stärke in den kleinen Schmuckarbeiten lag; insbesondere meisterhaft ist die Bildung der Köpfe an den Figürchen, mit denen Säulenknäufe, Gewölb-Zwickel, Bogenstellungen u. s. w. geziert wurden.
Die englische Bildnerei tritt mit ihrer anmutigen Zierlichkeit in einen Gegensatz zu der Bauweise, welche mehr trocken verständig ist; sie schlägt eben hier zu Lande bereits ihre eigenen Wege ein und erscheint als eine selbständige Schmuckkunst. Ihre Blütezeit fällt in die Mitte des 14. Jahrhunderts, dann trat ein rascher Verfall ein; die Gestalten werden entweder steif oder übertrieben weichlich, also leblos gebildet, das Geradlinige wird wie in der Baukunst bevorzugt, man will die Wirklichkeit nachbilden und verliert dabei das Gefühl für Schönheit. Diese Wandlung zeigt
^[Abb.: Das jüngste Gericht.
Dom zu Bamberg. Flachbild im Bogenfeld des Südportales.] ¶