jedoch in überaus geschickter Weise dem älteren Teile angepaßt. 1277 begann dann Erwin von Steinbach mit dem Bau der Stirnseite, eine der geistvollsten Schöpfungen der Baukunst, welche auch deshalb bemerkenswert ist, weil sie französische und deutsche Art vereinigt.
Zur selben Zeit arbeitete man an dem berühmtesten Werk gotischen Stiles in Deutschland, dem Dom zu Köln, zu welchem am der Grundstein gelegt worden war. (Der alte Dom war durch einen Brand teilweise zerstört worden, doch bestand das Langhaus desselben noch bis 1325). Man begann wie üblich mit dem Chore, der 1322 eingeweiht wurde; der Weiterbau vollzog sich dann äußerst langsam, 1437 war die Vorhalle im südlichen Turm vollendet und dieser selbst bis zu einer Höhe von 55 m emporgeführt, seit 1509 stockte der Bau völlig. Erst im 19. Jahrhundert wurde derselbe wieder aufgenommen und seit 1842 thatkräftig gefördert, so daß 1863 der Dom selbst und 1880 die beiden Türme vollendet waren.
An dem Kölner Dome läßt sich die ganze Entwicklung der deutschen Gotik verfolgen. Die unteren Teile des Chores sind noch im strengen Stil gehalten, die oberen Teile, Langhaus und Stirnseite zeigen die allmählichen Fortschritte, die wechselnde Geschmacksrichtung und persönliche Auffassung der verschiedenen Meister im Laufe der langen Bauzeit und sind in der That die prächtigsten Zeugen für die künstlerische Schöpferkraft, die in der Hochgotik wie im Schmuckstil waltete.
Bei den neuzeitlichen Bauteilen hat man sich allerdings an die alten Pläne gehalten, aber in dem Festhalten an Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit zeigt sich der Geist der Neuzeit; es fehlt die Mannigfaltigkeit und Vielgestaltigkeit der Einzelheiten, deren jeder der mittelalterliche Kunstgeist immer eine selbständige Eigenart zu verleihen wußte. Daß durch die sogenannte «Freilegung» des Domes der Eindruck desselben nicht gewonnen hat, ist wohl erklärlich.
Die alten Meister berücksichtigten mit feinem Verständnis stets die ganze Umgebung, und da die gotischen Kirchen meist in enggebauten Städten standen, wurde alles auf die Betrachtung von einem nahen Standpunkte aus berechnet, nur von einem solchen aus erscheinen dem Auge alle Formen in einem richtigen Verhältnis. Wenn daher das Aeußere auf manchen Beschauer nicht die erwartete Wirkung ausübt, so mag er die Gründe in den genannten Umständen suchen. Unvergleichlich großartig ist dagegen der Eindruck des Inneren und von diesem gilt in Wahrheit der Satz, daß der Kölner Dom die vollendetste Leistung der Hochgotik darstellt.
Wie dieser als der vornehmste Vertreter der meistüblichen Gattung - gewölbte Basilika mit höherem Mittelschiff und niedrigeren Abseiten - erscheint, so kann für die Form der Hallenkirchen jenen Rang der Stephansdom in Wien beanspruchen. Allerdings sind die Seitenschiffe nicht genau gleich hoch mit dem Mittelschiffe, doch fällt dies um so weniger ins Gewicht, als
^[Abb.: Fig. 297. Portal der Hauptkirche zu Barcelona.]
dieser Bau überhaupt so viel besondere Eigentümlichkeiten aufweist, daß er als eine der merkwürdigsten Erscheinungen der ganzen gotischen Stilrichtung zu betrachten ist.
Auch bei dem Meißner Dom, dem unter den Hallenkirchen wohl die zweite Stelle gebührt, treten solche Eigentümlichkeiten auf, welche hier vielleicht darauf zurückzuführen sind, daß ursprünglich keine Hallenkirche geplant war.
Unter den norddeutschen - kirchlichen - Backsteinbauten darf man als den bedeutsamsten die Marienkirche zu Danzig hervorheben, bei der namentlich das Innere großartig gestaltet ist, während die Marienkirche zu Prenzlau durch die überaus zierlichen Giebelbildungen an dem Aeußeren des Chores sich auszeichnet. (Zur vollen Entfaltung seiner Eigenart kam dieser norddeutsche Stil in den weltlichen Bauten, von denen später die Rede sein wird.)
Entwicklungsgang der Gotik in Deutschland. Bauhütten. - Wesentlich bezeichnend für die ganze Richtung - insbesondere aber für die Hochgotik - ist es, daß sie die größte Freiheit in der Anwendung der Grundgesetze und Formen gestattete, und daher eine unendliche Mannigfaltigkeit der Erscheinungen zeitigte. Jedes der halbwegs bedeutenden Werke erweist sich von einer gewissen Selbständigkeit und hat irgend etwas Eigentümliches, so daß es fast notwendig wäre, auf alle einzeln einzugehen, um einen vollständigeren Ueberblick über die Gesamtentwicklung zu geben.
Andererseits läßt sich der Gang derselben doch mit einigen allgemeinen Sätzen kennzeichnen, wenn man sich auf die entscheidenden Dinge beschränkt, und ersehen kann man diesen Gang auch an den meisten Hauptwerken, da sich die Formen des reichen (hochgotischen) und des Schmuckstiles (Spätgotik) infolge der langen Bauzeiten an denselben vorfinden. (Seltener ist der strenge Stil vertreten.) Ich will nun versuchen, einige solcher Leitsätze aufzustellen und sodann noch auf einige Beispiele von besonderer Eigenart hinweisen. - Was im 13. Jahrhundert entstanden ist, läßt erkennen, daß jeder Meister noch ganz seiner persönlichen Auffassung folgte, und das, was er gelernt und gesehen, in seinem Sinne zu verarbeiten suchte. Im 14. Jahrhundert finden wir bereits die leitenden Gesetze festgestellt, und die Meister brauchten nicht mehr durch eigene Versuche solche aufzufinden; die Handfertigkeit ist ausgebildet und die Arbeiter sind handwerksmäßig geschult; noch ist aber das eigene Kunstgefühl bei Meistern und Bauleuten lebendig und man wendet die Gesetze frei und in selbständiger Weise an. Mit dem 15. Jahrhundert beginnt die schulmäßige Auffassung die künstlerische Freiheit einzuengen, während die vollentwickelte Arbeitsfertigkeit zu allerlei Künsteleien sowohl in Baufügung, wie in Schmuckformen verleitet. Da im Wesentlichen nichts Neues
^[Abb.: Fig. 298. Aus dem Hofe der Kirche San Juan in Toledo.]
mehr zu ersinnen ist, so sucht sich späterhin die Erfindungsgabe des Einzelnen entweder im Nebensächlichen oder in Uebertreibungen zu bethätigen, bis zuletzt der Kunstgeist ganz erlahmt und nur die Formensprache des Stiles verständnislos nachgeahmt wird.
Hinsichtlich der augenfälligen Erscheinung läßt sich der Werdegang etwa so kennzeichnen: anfänglich wird die Schönheitswirkung zu erzielen gesucht durch einfache und edle Großartigkeit, vornehmlich mittelst der Baufügung, sodann durch Ueppigkeit und feine Ausführung der schmuckhaften Einzelheiten, weiterhin durch wunderliche und seltsame Gestaltungen bei nicht selten gekünstelter Baufügung; zuletzt herrscht Nüchternheit und Kahlheit vor.
Mit der Ausbildung der Bauhütten als geschlossene Gemeinschaften sowohl der Entwerfenden wie der Ausführenden, also der Bau-Künstler und -Handwerker, stand im engen Zusammenhang auch jene der Kunstlehren oder dessen, was man «Theorie» zu nennen pflegt. In weit geringerem Grade jedoch, als man erwarten sollte, ergaben sich daraus sogenannte «Schulen», d. h. Künstlerkreise, die an einer bestimmten, von einem Meister angebahnten Richtung genau festhalten. Eher sind noch zu Beginn des 13. Jahrhunderts Ansätze dazu vorhanden, in der Blütezeit ist freie Selbständigkeit des Einzelnen die Regel. Wohl aber lassen sich einzelne Gruppen unterscheiden, innerhalb deren, infolge übereinstimmender Auffassung, eine gewisse Verwandtschaft besteht. Es ist ja einerseits selbstverständlich, daß die aus einer Bauhütte hervorgegangenen Meister mehr oder weniger gemeinsame Anschauungen hatten, wie andererseits wieder die Geschmacksrichtung der Bauherren nach örtlichen Kreisen entweder durch vorhandene Werke, oder durch Landes- und Stammeseigenart in gleichem Sinne beeinflußt wurde. So ergaben sich beispielsweise für die Rheinlande solche verwandte oder gemeinsame Züge in den Werken, sowohl durch den Einfluß der Kölner und Straßburger Bauhütte, wie infolge der geschichtlichen Entwicklung (Uebergangsstil) und der Herrschaft geistlicher Fürsten; in Westfalen blieb von altersher die Vorliebe für Einfachheit bestehen, während die Bürgerschaft der süddeutschen Reichsstädte zum Prunk neigte. Auf österreichischem Boden hing die Kunst von den Landesfürsten ab, da es an reichen, freien Städten fehlte, neben ihnen treten nur noch die Klöster als Bau-
^[Abb.: Fig. 299. Das Münster zu Straßburg.
Seitenansicht.]
^[Abb.: Das Münster zu Straßburg.]
^[leere Seite]
Herren auf. Die besondere Stellung Norddeutschlands wurde bereits besprochen.
Daß der gotische Stil in Deutschland zu seiner vollsten Blüte gelangte, ist wohl zu erklären. Drei Eigenschaften kennzeichnen den germanischen Kunstgeist: die stete Bereitwilligkeit, jeden neuen Gedanken aufzunehmen und in seinem Sinne zu verarbeiten, sodann die Folgerichtigkeit und Gründlichkeit, mit der dies erfolgt. Aus den von der antik-altchristlichen Richtung übernommenen Grundzügen hatte er den romanischen Stil ausgebildet, in gleicher Weise geschah dies mit den Baufügungsgedanken der Gotik. Eigentlich waren ja diese ziemlich einfach, in letzter Linie betrafen sie die günstigere Verteilung des Druckes lastender Teile und die Gewinnung höherer Innenräume.
(Im gewissen Sinne kann man den Spitzbogen als ein Gegenstück zu der Giebelfügung betrachten. Bei dieser wird die Ueberspannung eines Zwischenraumes anstatt durch einen geraden Balken durch zwei schief gestellte und gegen einander gestemmte vollzogen, dadurch die Wirkung der eigenen Schwere vermindert, die tragende Kraft durch die stützende erhöht, der Druck der Deckenlast besser auf die Stützpunkte geleitet. Durch das Gegeneinanderstemmen zweier Bogenstücke erzielte man die gleiche Wirkung.)
***
Baumeister. Die Thatsache, daß in diesem Zeitraum die persönliche Eigenart der Meister maßgebend hervortritt, rechtfertigt es wohl, wenn ich wenigstens einiger der bedeutendsten noch in Kürze gedenke. Die Nachrichten sind allerdings sehr spärlich, so daß wir von den meisten wenig mehr als die Zeit ihrer Thätigkeit wissen.
Mit der Geschichte des Straßburger Münsters verknüpft sich der Name Erwin von Steinbach, der 1277 den Bau der Schauseite und der Türme begann und bis zu seinem Tode (1318) die Bauleitung behielt. Sein Sohn Johannes setzte den Bau fort (bis 1339), den hundert Jahre später Hans Hültz aus Köln beendete.
Als erster Baumeister am Kölner Dom wird Gerhard von Rile genannt, dessen Thätigkeit in die Zeit von 1254-1295 fällt. Von ihm rührt vielleicht der Gesamtplan dieses herrlichen Bauwerkes her, sicher der Plan zum Chor. Von seinen Nachfolgern sind zu nennen Meister Arnold (thätig 1295-1301), dessen Sohn Johannes (gest. 1330)
^[Abb.: Fig. 300. Hauptportal und Fensterrose des Münsters zu Straßburg.]
und von späteren Andreas von Everdingen (um 1410) und Nikolaus von Buren (gest. 1445).
Aus dem schwäbischen Gmünd stammen zwei sehr angesehene Meister, von denen der eine, Peter, den von Matthias aus Arras begonnenen Dom zu Prag ausbaute (1385), während Meister Heinrich, auch Arler genannt, am Mailänder Dombau beteiligt war. Zu nennen sind außerdem noch Wilhelm von Marburg (gest. 1366), Erbauer der Martinskirche in Kolmar und der Peterskirche in Straßburg; Ulrich von Ensingen, thätig 1390-1429, aus einer angesehenen Baukünstlerfamilie, die hauptsächlich am Ulmer Münster beschäftigt war; und in Oesterreich Meister Wenzel (gest. 1404), der Erbauer des Turmes von S. Stephan in Wien.
Polen und Ungarn. Weit über die Grenzen des politischen und Sprachgebietes hinaus nach Osten und Südosten reichte die Herrschaft der deutschen Kultur und somit auch der Kunst. (Für Böhmen, das ja damals ein Teil des deutschen Reiches war, ist dies selbstverständlich.) Dieser deutsche Einfluß blieb maßgebend in dem ganzen Bereich des katholischen Bekenntnisses, also in Polen und Ungarn, während mit dem griechischen Glaubensbekenntnis
^[Abb.: Fig. 301. Das Münster zu Freiburg.]
der byzantinische Stil verknüpft blieb. Wir finden denn auch in den genannten Ländern einige bemerkenswerte Bauten gotischen Stils, so in Krakau die 1226 gegründete Marienkirche und den Dom (1320-59); auf ungarischem Boden die Hauptkirche in Leutschau, die Michaelskirche und den Dom zu Kaschau, letzterer wurde jedoch von französischen Meistern erbaut. Zu einer besonderen eigentümlichen Stilentwicklung kam es in diesen Ländern allerdings nicht.
Dänemark. Ebenso wenig war dies der Fall in Dänemark, wo schon in dem vorherigen Zeitraume der norddeutsche Backsteinbau Verbreitung gefunden hatte und nun auch die gotischen Formen zur Anwendung kamen. Das Hauptwerk der gotischen Richtung ist hier die Kirche von Odense.
^[Abb.: Fig. 302. Der Dom zu Köln.
Seitenansicht.]
Schweden und Norwegen. Mehr Eigentümlichkeit weisen die skandinavischen Reiche Norwegen und Schweden auf, wo sich deutsche und englische Einflüsse begegneten und auch die volkseigene Bauweise (- die bereits bei dem früheren Zeitraume erwähnten Stabkirchen -) sich in Geltung erhielt. In Norwegen folgte man mehr der englischen Richtung, - der Dom zu Dronthjem (1248-99) und die Königshalle in Bergen (1248-60) sind hervorzuheben - während in Schweden die deutsche überwog. Das bedeutsamste Werk ist hier der Dom zu Upsala (1260-1438).
Italien. Die vorurteilsfreie Aufnahme jedes verwendbaren Gedankens ist bei einem jugendfrischen Volksgeiste etwas natürliches; sie findet aber dort nicht statt, wo Ueberlieferungen eingewurzelt, sozusagen bodenständig sind. Dies war in Italien der Fall, wo die antike Kunst immer noch nachwirkte. Der germanische Bestandteil im italischen Volkstum war in diesem Zeitraume längst überwuchert, und letzteres fühlte sich als «römische» Nachkommenschaft dazu berechtigt, gleich den Vorfahren die Fremden als Barbaren stolz zu verachten. Daß die persönlichen Träger der allbeherrschenden Gewalt der Kirche vorwiegend italische Volksgenossen waren, trug nicht wenig dazu bei. Dem beweglichen südlichen Volksgeist fehlten aber auch jene beiden anderen germanischen Züge, die Gründlichkeit und Folgerichtigkeit in der Behandlung eines künstlerischen Gedankens; ihm lag mehr daran, unmittelbare Wirkung in leichtverständlicher, ausdrucksvoller Weise zu erzielen.
Darin ist der letzte Grund für die Erscheinung zu suchen, daß die gotische Richtung in Italien nur mit Widerstreben aufgenommen wurde und nicht Wurzel fassen konnte. Sie blieb etwas «Fremdes», ja wurde bald als «barbarisch» verschrieen. Die Bezeichnung «gotisch» stammt von den Italienern und sollte ein Schimpfname sein, da ihnen die Goten als die verhaßten Vertreter des Barbarentums galten, welches die römische Kultur zerstört hatte. - Noch einige andere, mehr äußerliche Umstände traten hinzu; in Italien war man
^[Abb.: Fig. 303. Inneres des Domes zu Köln.]
breite Räume gewöhnt, hatte nicht das Bedürfnis nach großen Lichtöffnungen, im Gegenteil nach schattigen, weil kühlen, Innenräumen, auch bestand die Vorliebe für Farbe, welche bei dem gotischen Stile nicht befriedigt wurde.
Gefällig an diesem erschien nur das bildnerische Zierwerk, also das Aeußerliche, und an dem Aeußerlichen blieb daher auch die italienische Gotik haften; dem inneren Wesen brachte man kein Verständnis entgegen. Man konnte sich weder mit der Vorherrschaft der senkrechten Linie, noch mit der Verdrängung der Mauermassen befreunden, ebenso wenig auf die Verwendung antiker Formen verzichten. Die italienischen Bauten gotischen Stils weisen daher immer auch wagerechte Linienführung und Gliederung, sowie große Wandflächen und farbigen Schmuck auf.
In Frankreich und Deutschland hatte sich die Gotik auf vorhandenen Grundlagen entwickelt, in Italien wurde sie «eingeführt», und dies fiel in die Zeit, als Niccoló Pisano in der Bildnerei wieder auf die reineren antiken Formen zurückgriff. Sein eigener Sohn wurde ein Hauptvertreter der neuen Richtung, welche in so starkem Gegensatze zur Antike stand.
Ordenskirchen. Die «Einführung» erfolgte durch einen Deutschen, Meister Jacob, welcher berufen worden war, um die Kirche des hl. Franziskus zu Assisi zu erbauen (1228-53). Sie besteht aus einer Unterkirche mit gewaltigen Kreuzgewölben, über welche sich die Oberkirche erhebt. Bei diesem ersten gotischen Werke ersieht man bereits, wie den italienischen Anschauungen Rechnung getragen wird: einschiffige Anlage, um Breiträumigkeit zu erzielen;
große Wandflächen, die mit Malereien geschmückt wurden;
wagerechte Gliederungen.
Die beiden neubegründeten Orden der Franziskaner und Dominikaner waren es auch, welche die neue Bauweise annahmen und verbreiteten. Die ersteren brachten sie nach Venedig, wo die schöne Kirche S. Maria gloriosa dei Frari entstand (1250-1338), welcher die Dominikaner in der Kirche San Giovanni e Paolo ein ebenbürtiges Werk zur Seite stellten. Beide Bauten wurden Vorbilder für eine Reihe weiterer Kirchen im venezianischen Gebiete. In Toskana war mit San Trinitá in Florenz (um 1250 begonnen) und der Hauptkirche in Arezzo (1277 begonnen) die neue Richtung bereits angebahnt worden; Dominikaner schufen dann den großartigen Bau der Kirche S. Maria Novella (1278 begonnen), deren Plan zwei Ordensmitglieder, Fra Sisto und Fra Ristoro, entworfen hatten, welche auch den Bau begannen. (Ihre Nachfolger in der Bauleitung waren ebenfalls dem Orden entnommen.) Die genannten Mönche gelten auch als Urheber der einzigen gotischen Kirche Roms, S. Maria sopra Minerva (1280 begonnen), ebenfalls eine Dominikanerkirche. Daß in Rom, der Hauptstätte der Antike, die Gotik nicht aufkommen konnte, ist begreiflich.
Obwohl diese gotischen Ordenskirchen im ganzen einfacher und schlichter gehalten waren, als die gleichzeitigen französischen und deutschen Bauten, so lenkten sie doch die Aufmerksamkeit auf
^[Abb.: Fig. 304. Der Stephansdom zu Wien.]
die schmuckhafte Seite der neuen Bauweise. Die Spitzgiebel, die Fialen und Krabben, das Maßwerk, kurz, das anmutend Zierliche, erregten das Gefallen der Italiener, welche darin nur Mittel zur Steigerung der Prunkwirkung fanden.
Städte-Dome. Gleichwie die nordischen, suchten auch die italienischen Städte, welche Unabhängigkeit und Reichtum gewonnen hatten, ihre Macht sichtbar zum Ausdruck zu bringen durch prächtige Bauten, und die Bürgerschaften wetteiferten ehrgeizig, mit solchen ihre Nachbarn und Nebenbuhler zu übertreffen. Diese Prahlsucht, wie man es nennen könnte, ergriff selbst auch kleinere Städte, welche schwere Opfer nicht scheuten, um ebenfalls mit einem großartigen Bau prunken zu können. Darum trifft man in abgeschiedenen, halbverschollenen Bergorten oft herrliche Dome, die mit der heutigen Verkehrsstille und Aermlichkeit einen seltsamen Gegensatz, für die Bewohner aber eine Quelle freudigen Stolzes und Ersatz für die bescheidenen Verhältnisse der Gegenwart bilden.
Siena. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts erscheint als die mächtigste Landstadt Mittelitaliens Siena, damals selbst den Seehandelsplätzen an Reichtum und Kraft ebenbürtig, dem nachbarlichen Florenz überlegen. Hier ist eine der wichtigsten Stätten der Kunstentwicklung; und eine - freilich nur kurze - Zeit hatte es die führende Stelle inne. - Die Bürgerschaft Sienas hatte schon vor 1250 den Umbau des alten Domes begonnen, 1260 wurde ein neuer Plan angenommen, 1264 war die Kuppel vollendet und man begann mit der inneren Ausschmückung. Im Jahre 1284 hatte man Giovanni Pisano berufen und mit der Ausführung der Stirnseite betraut, welche nach seinen Entwürfen begonnen, aber erst nach 1380 vollendet wurde.
Diese Stirnseite gilt als die prächtigste und schmuckreichste Schöpfung der italienischen Gotik; im Innern zeigt der Dom eine Mischung romanischer (rundbogiger) mit gotischen Formen. Auch die Eingänge haben noch Rundbogen, über welche gotische Ziergiebel (Wimperge) aufsteigen. Wie wenig man auf den inneren Zusammenhang der Schmuckformen mit der Baufügung achtete, erhellt daraus, daß der Oberteil der Schauseite drei Giebel enthält, diese aber keineswegs den Abschluß der Dächer darstellen. Schichten aus weißem, rotem und schwarzem Marmor lassen das Aeußere wie das Innere gestreift erscheinen und bringen ebenso wohl die Vorliebe für Farbe, wie jene für die wagerechten Linien zur Geltung.
^[Abb.: Fig. 305. Der Dom zu Meißen.
Blick auf die Schauseite des Seitenschiffes mit vorgebauter Kapelle.]
Florenz. Das aufstrebende Florenz mochte wohl ungern das Lob dieses Prachtbaues hören und als im Jahre 1294 der Neubau der Hauptkirche San Reparata beschlossen wurde, sollte der neue Dom - wie es in einer Urkunde heißt - «reicher und ehrwürdiger werden, als irgend eine andere Kirche in Toscana».
Man berief zu dem Werke den Meister Arnolfo di Cambio, der zur Zeit mit dem Bau der Franziskanerkirche Santa Croce (in Florenz) beschäftigt war, die bei einfacher Anlage durch großartige Raumverhältnisse sich auszeichnet und insofern merkwürdig ist, als sie eine altchristliche Basilika - ohne Gewölbe, mit offenem Dachstuhl - in gotischen Formen darstellt. Nach Arnolfos Plan sollte der Dom an Größe und Breiträumigkeit alle andern übertreffen; die Anlage zeigt eine dreischiffige Gewölbe-Basilika mit einer ganz eigenartigen Anordnung des Chores und Querschiffes.
Diese sind nämlich zu einem achteckigen, mit einer Kuppel überdachten Mittelraum verbunden, welcher an drei Seiten mit Nischenausbauten in Form halber Achtecke ausladet. Die meisterhaft lebendige Verbindung des Centralbaues mit der Basilikaform, der Kuppel mit gotischen Stilformen, die riesenhaften Verhältnisse und die Kühnheit der Baufügung rechtfertigen den Ruf des Domes, der freilich das Auge mehr durch den farbigen Marmorschmuck seines Aeußeren fesselt.
Man findet auch hier wieder die Neigung für das Malerische und die Farbenfreudigkeit, welche für Italien bezeichnend sind. Hatten die Sienesen den berühmtesten Bildner seiner Zeit für ihren Dombau gewonnen, so beriefen nun die Florentiner - nach Arnolfos Tode (1310) und einer längeren Zwischenzeit, in welcher der Bau stockte - den größten Maler, Giotto, zum Obermeister des Baues (1334). In den zwei Jahren bis zu seinem Tode begann er den - nach italienischer Sitte freistehenden - Glockenturm, der einfach viereckig, ohne jede Verjüngung aufsteigend, mit nur wenigen Fensteröffnungen durchbrochen, durch seine farbige Marmorverkleidung ungemein anmutig - malerisch reizvoll - wirkt. (Bemerken muß ich noch, daß die ursprüngliche Stirnseite, wie sie Arnolfo begonnen hatte, unvollendet blieb und 1588 ganz abgetragen wurde; ihre jetzige Gestalt erhielt sie 1875-1887 von de Fabris. - Die Kuppel wurde 1421-1434 von Brunelleschi ausgeführt.) Daß auch hier die wagerechten Linien stark betont, selbst die Spitzgiebel der Fenster und Thüren geradlinig abgekappt sind, brauche ich nicht erst hervorzuheben. Ein an deutsch-gotische Formen gewöhnter Beschauer kann an dem Florentiner Dom am besten den tiefgehenden Unterschied zwischen jener und der echt-italienischen Gotik erkennen.
Umbrien. Die Stirnseite des Sieneser Domes hat ein Seitenstück in jener des Domes zu Orvieto, - von Lorenzo Maitani 1310 begonnen - die durch klare, die senkrechte Linienführung mehr betonende Gliederung sich auszeichnet. Zu dem bildnerischen Schmuck tritt noch Mosaikmalerei. Wenn auch die Formen etwas weichlich sind, so möchte ich fast dem Dom Orvietos den Vorzug vor dem Sieneser geben, er ist «gotischer», nähert sich mehr dem nordischen Stil und trägt doch das Gepräge italienischer Auffassung.
Beachtung verdient auch der Dom von Perugia als Versuch, die Form der gotischen Hallenkirchen in Italien einzuführen. Er ist in großen Verhältnissen angelegt (das Mittelschiff
^[Abb.: Fig. 306. Giebel der Marienkirche zu Prenzlau.]
14½ m, die Seitenschiffe je 6½ m breit), mit welchen die etwas schwachen Formen der Pfeiler nicht in rechtem Einklang stehen. Die Fenster sind in zwei Reihen angeordnet, wie bei der Elisabethkirche in Marburg.
Bologna. Den Ehrgeiz, die größte Kirche Italiens zu besitzen, hatten auch Bolognas Bürger. Im Jahre 1390 beauftragten sie den Meister Antonio, einen Bologneser, das Modell des Domes S. Petronio herzustellen, und dieser entwarf einen Plan von wirklich erstaunlicher Großartigkeit. Wäre derselbe ausgeführt worden, so besäße Bologna wahrscheinlich das vollendetste gotische Bauwerk Italiens. Für die Anlage diente offenbar der Florentiner Dom als Vorbild, doch mit wesentlicher Vergrößerung und auch Verbesserungen, namentlich hinsichtlich der Helligkeit durch reichlichere und günstigere Anordnung der Fenster.
Entlang den Seitenschiffen ist noch eine Reihe von Kapellen angelegt, die niedriger als jene sind, so daß drei Reihen Oberlichtfenster auf jeder Seite (im Mittelschiff, im Seitenschiff und den Kapellen) den Raum erhellen. Diese Kapellenreihen hätten auch das Querschiff und den Chor einrahmen sollen, die Vierung wäre - gleichwie im Florentiner Dom - mit einer auf 8 Pfeilern ruhenden Kuppel überdacht worden. Chor und Querschiff kamen jedoch nicht zur Ausführung, und das Langhaus wurde (1647) mit einer einfachen runden Chornische abgeschlossen. Ebenso blieb auch die Stirnseite, für welche reiche Marmorverkleidung vorgesehen war, unausgeführt. Obwohl der Bau in seiner jetzigen Gestalt fast ruinenhaft aussieht, übt das Innere doch eine bedeutende Wirkung aus.
Lombardei. Bemerkenswert ist die Thatsache, daß die Lombardei, wo doch im Volkstum der germanische Bestandteil am stärksten vertreten war, am zähesten an der romanischen Bauweise festhielt und nur deren Formen, oft ziemlich willkürlich, mit gotischen vermengte. Selbst im 14. Jahrhundert noch, als in Mittelitalien schon der Einfluß der Antike sich wieder regte, bestand die Neigung für den frühmittelalterlichen Stil fort, und so ergaben sich allerlei merkwürdige Bildungen und Formenmischungen, wofür der Dom von Cremona mit seinem Turm (mit 121 m der höchste Italiens,
^[Abb.: Fig. 307. Die Marienkirche zu Danzig.]