Strebebogen. In dem Teile zwischen Dachfirst und der Fiale fangen die Strebepfeiler den Seitenschub der Obermauern des Hauptschiffes auf, der ihnen durch die Strebebogen zugeführt wird. Das eigentliche überleitende Glied ist ein Bogenstück nach Art der inneren Gurtungen, doch wird zu seiner Verstärkung noch ein schräges Mauerstück darüber gelagert, das, um nicht zu belastend zu sein, häufig mit Maßwerk durchbrochen wird. Durch eine in seiner oberen Kante eingegrabene Rinne dient dieses Mauerstück zugleich als Ableitung des Regenwassers vom Dache, das dann durch die Wasserspeier auf die Straße fließt.
Das Dach. Es war überhaupt das Bestreben der Baukünstler, dem Regen- und Schmelzwasser einen möglichst schnellen und sicheren Abfluß zu verschaffen. Den meisten Schaden konnte dieses an den Dächern anrichten, deshalb wurden diese, besonders in den nördlichen Gegenden, weit höher und dadurch steiler abfallend angelegt, als es durch die Wölbung des Inneren bedingt war. Dies kommt aber auch wieder der Durchführung des Grundgedankens der Gotik zu Gute, indem durch die steilen und hohen Dächer der Eindruck des Emporstrebens verstärkt wurde.
Die Türme. Die höchste Steigerung erhielt dieses Streben dann durch die Anlage der Türme, die gleichsam die Zusammenfassung des Aufstrebens nach oben sind und dieses am schärfsten ausdrücken. Die Türme stehen meistens zu zweien an der Westseite vor den Seitenschiffen und verdecken dann beim Betrachten von vorn den störenden Anblick der Strebepfeiler und Bogen, oder ein einzelner erhebt sich über der Vorderseite des Mittelschiffes. Vereinzelt kommen auch Turmstellungen über den Abschlüssen der Querschiffe vor - z. B. beim Stephansdom in Wien -, doch sind dies Ausnahmen.
Ueber der Vierung, wo sich beim romanischen Stil häufig die Kuppel erhebt, wurde kein Aufbau angelegt; man begnügte sich meistens damit, die Stelle der Kreuzung der Haupt- und Querschiffsdächer mit einem ganz kleinen Türmchen, dem sogenannten Dachreiter, zu verzieren. Bei dem Aufbau des Turmes war, wie schon angedeutet, die Durchführung des als Grundgedanke der ganzen Bauanlage bezeichneten Emporstrebens die Hauptsache. Die Türme wurden deshalb nicht als wuchtige, bis zur Höhe gleichmäßig aufstrebende Vierkant-Massen gebildet, sondern sie verringerten ihre Masse nach oben mehr und mehr und lösten sich schließlich in ein leichtes Netz von Türmchen und mit Maßwerk durchbrochenen Bogen auf. Der untere Teil wurde am kräftigsten gestaltet und unterscheidet sich von der Vorderseite des Haupt-
^[Abb.: Fig. 287. Die Jacobskirche zu Lüttich.] ¶
schiffes, mit der er auch gleiche Höhe hat, durchaus nicht. Erst bei der Trennung von diesem beginnt das Auflösen, das sich von Stockwerk zu Stockwerk steigert, indem die Mauermassen immer mehr in reines Schmuckwerk, besonders in zahlreiche Fialen verwandelt werden. Sogar dem Dachhelm - häufiger jedoch nur in Deutschland - wird mitunter seine Bestimmung: zu schützen, genommen und er durch reiche Durchbrechungen mit Maßwerk zum reinen Zierstück umgewandelt, während seine eigentliche Aufgabe von einem schlichten Holzgestell im Innern übernommen wird. Es entsprach dies dem Grundsatze, allen aufsteigenden Mauermassen den Anschein des Drückens auf die unteren Teile zu nehmen und die Last durch Auflösen in luftige Gliederungen, so zart wie es der Baustoff nur zuließ, gleichsam zu verflüchtigen.
Die Grundgestalt der Türme ist das Viereck;
diese behalten sie bis zur Scheidung vom Kirchenkörper bei;
die Spitze ist sehr steil, achtseitig, pyramidenförmig;
der zwischen Untergeschoß und Spitze liegende Teil muß zwischen beiden Formen vermitteln, deshalb schrägte man die vier Ecken ab, so daß der eigentliche Turmkörper achtseitig wurde, verdeckte aber die Abschrägung teilweise wieder dadurch, daß man über den Ecken des Grundbaues viereckige hohe Pfeiler - vergrößerte Fialen - aufsteigen ließ.
Die Anlage der Türme, als die für den eigentlichen Zweck der Kirche nebensächlichsten Teile, geschah meist zuletzt. Auf ihre reiche Ausgestaltung wurde großer Wert gelegt, sie sollten gleichsam als Krönung des Werkes alle Schönheiten des Baues zusammenfassen und ein weithin sichtbares Wahrzeichen dieser Schönheit und des Reichtums der Kirche sein. Nun hatte aber der Bau des Hauptkörpers meist schon große Mengen von Geld, Zeit und Arbeitskraft verschlungen, daß man in vielen Fällen froh sein mußte, wenigstens ein brauchbares Inneres erhalten zu haben. Die Vollendung der Türme unterblieb dann ganz oder erstreckte sich in langsamer Arbeit nur auf einen. Spätere Geschlechter erfüllten dann (z. B. am Kölner Dom) die Ehrenpflicht, das Werk der Vorfahren zu vollenden.
Die Schauseite. Portale. Die Schauseite zeigt im wesentlichen die gleiche Anlage, wie bei den reicher ausgestalteten romanischen Kirchen. Der Unterstock wird meist durch drei große Portale durchbrochen, die eine ähnliche Ausgestaltung wie die romanischen erhielten, doch ist natürlich an Stelle des Rundbogens der Spitzbogen getreten und die Säulenstellung an den schrägen Seitenwänden einer der Fensterleibung ähnlichen Gliederung gewichen. Reicher figürlicher Schmuck im Bogenfeld, in den Hohlkehlen der Seitenwände und in den abschließenden Bogen ziert die Portale fast aller größeren Bauten. Bei manchen - so z. B. bei Notre Dame in Paris - zieht sich über den Portalen eine Galerie mit Standbildern hin.
Das Mittelfeld der Schauseite nimmt ein großes rundes Fenster, die Fensterrose, oder ein riesiges Spitzbogenfenster ein, beide sind stets mit reichem Maßwerk geziert.
Schmuckteile. Wimperge. Zu den Baugliedern des Aeußern, bei denen die schmuckhafte Ausgestaltung nur die schöne Zugabe zum reinen Nutzzweck ist, treten noch andere, die nur reinen Zierwert haben oder bei denen doch der letztere überwiegt. Als solche wurden schon vorhin die Fialen genannt, die nicht nur die Strebepfeiler, sondern überhaupt jeden irgendwie dazu geeigneten Teil krönen. Dazu kommen noch, hauptsächlich als Aufsätze auf Fenster und Portale, die Spitzgiebel oder «Wimperge», Mauerstücke, die meist von Maßwerk durchbrochen und an den Kanten mit «Krabben» (Kriechblätter) geschmückt sind, die Spitze wird von der Kreuzblume oder einer Figur bekrönt.
Maßwerk. Die Schmuckmuster, welche das Aeußere fast ganz bedecken, sind überwiegend geometrisch gebildet und bestehen aus dem schon mehrmals erwähnten Maßwerk. Wo Mauerflächen aufgelöst werden sollen, an den Bogenfeldern der Fenster und der Portale, an den Giebelflächen der Wimperge, an Galeriebrüstungen u. s. w. geschieht dieses gleichfalls durch Maßwerk, welches außerdem auch undurchbrochen als bloßer Flächenschmuck auftritt.
Naturformen. Neben dem geometrischen Maßwerk, jedoch in sehr bescheidenem Umfang, kommt auch der Natur entlehntes Schmuckwerk vor und zwar meist im Innern in Gestalt leichter Blätterbekleidung an den Kapitälen und als Blattfriese; auch die Schlußsteine ¶