Grabstele erscheint die Kunstentwicklung in den aus verschiedenen Gräbern und Schatzhäusern stammenden Metallarbeiten, wie in der goldenen Gesichtsmaske (Fig. 76) und den Diademen aus Goldblech (Fig. 77 u. 80) mit schönen erhabenen und vertieften Linienverzierungen. Noch besser in der Dolchklinge, mit der eingelegten Darstellung einer Löwenjagd (Fig. 81), und am vollendetsten in der getriebenen Darstellung einer weidenden Stierheerde, auf einem goldenen Becher aus Vafio (Fig. 82), deren Wiedergabe eine überraschend natürliche ist. An der Grenze der hohen Kunst steht die Bronzeplatte aus Olympia (Fig. 83) mit Darstellungen einer geflügelten Artemis, die zwei Löwen an den Hinterfüßen hält, darüber ein Schütze, der einen Kentaur verfolgt, und Greifen und Adler. Noch näher steht der hohen Kunst das Flachbild des Löwenthores zu Mykenai (Fig. 84), mit zwei Löwen, die mit den Vorderfüßen auf einem Sockel stehen, auf dem sich eine Säule erhebt. Fig. 84 zeigt zugleich eine Eigenart der mykenischen Baukunst, die in dem Zusammenfügen großer Steinblöcke bestand. Das letzte Bild der Tafel S. 72 und Fig. 78 und 79 geben ein paar Beispiele der Vasenbemalung des mykenischen, des Dipylon- und des korinthischen Stils.
Beispiele der Baukunst. Die griechische Baukunst versuche ich an einigen noch jetzt in einigermaßen wohl erhaltenem Zustande befindlichen Bauwerken zu zeigen. Auf Wiedergabe von Rekonstruktionen habe ich verzichtet; die Einzelheiten, die die verschiedenen Stile kennzeichnen, die Säulen, Kapitäle usw. findet man in den Erläuterungen unter «Stilvergleichung» und unter den einzelnen Schlagworten wie z. B. die Grundrisse der wichtigsten Tempelarten unter «Tempel».
^[Abb.: Fig. 131. Standbild der Hera.
Rom, Vatikan.]
^[Abb.: Fig. 132. Die sog. Hera Farnese.
Neapel, Museo Nazionale.]
Der Poseidontempel zu Pästum. Als Beispiel des vollständig entwickelten dorischen Stils gebe ich in Fig. 85-87 den Poseidontempel zu Pästum in Unteritalien, ein Bauwerk aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. Der Tempel ist 64 m lang und 24 m breit. Die Säulenreihe an den Längsseiten besteht aus vierzehn, die der Vorder- und Rückseite aus sechs Säulen. In der Zella, deren Umfassungsmauer zerstört ist, stehen in zwei Reihen je sieben Säulen, auf deren Gebälk (nach Art der auf S. 91 geschilderten Hypäthraltempel) kleinere Säulen ruhen, die das Dach stützten.
Noch deutlicher läßt sich vielleicht der Aufbau des dorischen Tempels an den Resten des Tempels zu Agrigent (Fig. 88) erkennen.
Das Erechtheion. Ein schönes Beispiel des jonischen Stils ist das Erechtheion zu Athen, dessen Reste in Fig. 89 u. 90 abgebildet sind. Beim Vergleich mit den gegenüberstehenden dorischen Tempelresten läßt sich leicht der große Unterschied der beiden Stilarten erkennen. Das Erechtheion ist nicht sehr groß, das Hauptgebäude, der eigentliche Tempel - der Athena Polias und dem Poseidon Erechtheus geweiht - mißt etwa 20 m in der Länge und etwa 11 m in der Breite. Das Hauptgebäude ist fast ganz zerstört, besser erhalten blieb eine östliche Vorhalle mit sechs Säulen - Fig. 89 links - und eine westliche - rechts - die sogen. Jungfrauenhalle, deren Name daher rührt, daß an Stelle von Säulen sechs Jungfrauengestalten - Karyatiden - das Dach stützen.
Denkmal des Lysikrates. Als Beispiel des korinthischen Stils gebe ich in Fig. 91 wieder ein noch jetzt erhaltenes Bauwerk, welches das Zierhafte des späteren Stiles vortrefflich zeigt. Das Denkmal des Lysikrates ist ein Erinnerungszeichen für einen im Wettkampfe errungenen Sieg. Auf einem vierseitigen Unterbau ruht ein von Halbsäulen mit korinthischen Kapitälen umschlossener Rundbau; der Fries zwischen den Kapitälen und dem Dache ist mit Flachbildern geschmückt. Auf der Mitte des Daches erhebt sich ein kandelaberartiger Sockel, auf dem der Siegespreis, ein silberner Dreifuß, aufgestellt wurde.
Die Bildnerei. Ich wende mich nun zu den Abbildungen, die die Entwicklung der Bildnerei veranschaulichen sollen, und beginne mit
^[Abb.: Fig. 133. Marmorstandbild einer Wettläuferin.
Rom, Vatikan.]
^[Abb.: Fig. 134. Fliegende Nike des Paionios.
Olympia.]
den Werken, die dem ersten Zeitraume der griechischen Kunst angehören, also im 7.-6. Jahrhundert v. Chr. entstanden sind, mit den Metopen von Selinunt. An diese schließen sich Abbildungen, die die Entwicklung der Darstellung des männlichen Körpers veranschaulichen sollen, auf die dann Beispiele des bekleideten und nackten Weibes folgen.
Metopen von Selinunt. Ueber den Stil dieser Werke ist schon auf S. 101 gesprochen worden, deshalb beschränke ich mich auf die Erklärung des Sinnes. Die erste stellt die Tötung der Medusa durch Perseus dar. Die Gestalt rechts von Perseus ist Athene, das Pferd, welches die Medusa im Arme hält, der Pegasus, welcher ihrem Blute entspringt. Die zweite Darstellung zeigt uns Herkules, welcher die gefesselten Kerkopen (Kobolde, die den Wanderern auflauerten) davonträgt.
Apoll von Tenea. Der Apoll von Tenea soll hier nun die Reihe der Darstellungen des nackten männlichen Körpers eröffnen, welche ich als erste Art gewählt habe. Die Entwicklungsgeschichte auf S. 102 giebt auch hier das Nähere; ich muß deshalb immer auf diese verweisen, wenn ein richtiges Bild der jeweiligen Zeit gewonnen werden soll. Hier kann ich nur auf das einzelne Kunstwerk aufmerksam machen. Jünglingsgestalten dieser
^[Abb.: Fig. 135. Verwundete Amazone.
Berlin, Museum.]
^[Abb.: Fig. 136. Verwundete Amazone.
Rom, Vatikan.]
Art sind in verschiedenen Teilen Griechenlands gefunden worden, die abgebildete ist eine der besten. Die Bezeichnung als «Apoll» ist unrichtig, es handelt sich hier um ein Weihegeschenk oder um eine Grabbeigabe. Im Allgemeinen erinnert die Figur an ägyptische Standbilder, doch ist das Bestreben, möglichst naturwahr zu sein, schon bemerkbar. Man vergleiche z. B. die Durchbildung des Unterkörpers und der Arme mit dem in der Haltung ähnlichen Renefer auf S. 30. Auch den Unterschied in der Haltung zeigt dieser Vergleich deutlich; diese ist beim «Apoll» bei aller Starrheit doch so kraftvoll, daß die Stütze, welche beim Renefer notwendig ist, fortfallen kann.
Mit Ueberspringung der attischen Bildwerke dieser Zeit, welche z. T. bei den Flachbildern und der Besprechung der Frauenbilder behandelt werden, wende ich mich gleich zu einer Reihe höher entwickelter Werke, welche, wie der Apoll, dem dorischen Kunstkreise angehören. Es sind dieses die Giebelfiguren vom Tempel zu Aegina.
Tempelschmuck von Aegina. Etwa hundert Jahre später als der besprochene Jüngling entstanden, zeigen sie deutlich den gewaltigen Fortschritt, welchen die Kunst in dieser Zeit gemacht hat. Ost- und Westgiebel des Tempels waren mit Darstellungen geschmückt, welche die Kämpfe der Griechen und Trojaner zum Vorwurf hatten. Beide Giebel dürften zur selben Zeit entstanden sein, doch zeigen die Figuren am östlichen eine größere Vollkommenheit, so daß man jetzt dafür einen etwas vorgeschrittenen Künstler annimmt.
Den Mittelpunkt der Gruppen bildet die schützende Athene, welche in ihrer starren Ruhe der wirksamste Gegensatz zu den Kämpfenden ist und die Bewegtheit derselben noch lebhafter erscheinen läßt. Vor ihr liegt ein Gefallener, um dessen Leichnam gekämpft wird. Zwei Gestalten rechts und links der Athene sind bis auf kleine Bruchteile verloren. Aus den besser erhaltenen Resten ähnlicher Gestalten vom Ostgiebel ersieht man, daß diese versuchten, den Gefallenen auf ihre Seite zu ziehen. Auf diese «Zugreifer» folgten wieder rechts und links die sog. Vorkämpfer, auf diese Bogenschützen und knieende Speerwerfer. Den Beschluß bildeten Gefallene, welche sich bemühten, den tötlichen Pfeil aus der Wunde zu ziehen.
Die Dreiecksform des Giebels zwang zu dieser Anordnung. Wir werden später bei den Giebelfiguren des Parthenons und des Zeustempels zu Olympia eine ähnliche Aufgabe finden. Abb. Fig. 94 zeigt die Athene, den Gefallenen und den von links kommenden Vorkämpfer. Zum Vergleich gebe ich in Fig. 95 u. 96 einen Bogenschützen und Gefallenen vom Ostgiebel. Die Ausführung ist eine sehr sorgfältige und läßt darauf schließen, daß die Künstler hauptsächlich in Bronze gearbeitet hatten und die bei dieser notwendige
^[Abb.: Fig. 137. Eirene mit dem Plutosknaben.
München, Glyptothek. (Nach Photographie von Bruckmann.)]
feine Ueberarbeitung auf den Marmor übertrugen. Die Steifheit der Athene läßt sich dadurch erklären, daß die Darstellung dieser, als einer Göttin, an bestimmte Regeln gebunden war. Bei der Athene ist die sorgfältige Ausarbeitung des Gewandes zu beachten, dasselbe fällt in zierlichen Falten bis zu den Füßen. Allen Köpfen des Westgiebels ist der lächelnde Zug gemeinsam, welcher bei denen des Ostgiebels fast ganz verschwunden und einem der Handlung mehr entsprechenden Ausdruck gewichen ist.
Die Tyrannenmörder (Fig. 97 u. 98). Das Streben, die Körper in lebhafter Bewegung darzustellen, finden wir in einem attischen Werke, den Tyrannenmördern. (Harmodios und Aristogeiton töteten im Jahre 514 v. Chr. den Hipparch und gaben dadurch den Anstoß zur Vertreibung der Tyrannen durch die Athener). Die beiden Jünglinge muß man sich zu einer Gruppe ergänzt denken, und zwar so, daß der eine, Harmodios, der den tötlichen Streich führt, durch Aristogeiton mit dem vorgestreckten Arm gedeckt wird.
Die ursprüngliche Bronzegruppe, die ungefähr 510 v. Chr. durch Antenor geschaffen wurde, fiel in die Hände der Perser. Deshalb erhielten Kritios und Nesiotes den Auftrag, dieselbe durch eine Nachbildung zu ersetzen. Die letztgenannten Künstler gehören dem 5. Jahrhundert v. Chr. an, deshalb sind einige feinere Durchbildungen des Körpers auf diesen Umstand zurückzuführen; die Haltung dürfte jedoch genau nachgebildet worden sein. Der Kopf des Aristogeiton ist zwar antik, doch aus späterer Zeit und gehört nicht zur Figur.
Zeustempel zu Olympia. Die Zeit nach den Perserkriegen hat uns in den Resten des Zeustempels zu Olympia einen Schatz hinterlassen, welcher es uns ermöglicht, an den ursprünglichen Werken selbst den Stand der Kunstübung dieser Zeit zu erkennen. Ich gebe hier (S. 98 u. 99) neben einer Gesamtansicht des Westgiebels noch ein Bruchstück «Jungfrau und Kentaur» und eine Metope.
Der Schmuck des Westgiebels schildert den Kampf der Lapithen gegen die Kentauren, welche bei der Hochzeit des Peirithoos und der Deidameia die Lapithenfrauen zu rauben suchen. Wie beim Giebel des Aeginatempels nimmt die Mitte eine Gottheit ein, hier Apoll, welcher in gebietender, doch ruhiger Haltung dasteht.
Der Ostgiebel schildert den Ursprung der olympischen Spiele. Im Gegensatze zu der lebhaften Bewegung am Westgiebel ist die Darstellung von größter Ruhe. Der Wettkampf zwischen Oinomaos und Pelops soll erst beginnen. Da im wesentlichen keine Stilunterschiede zu bemerken sind, habe ich von einer Abbildung dieser Bildwerke abgesehen. Die Darstellungen der zwölf Metopenreliefs sind der Heraklessage entnommen. Unsere Probe
^[Abb.: Fig. 138. Demeter von Knidos.
London, British Museum.]
stellt die Uebergabe der Hesperidenäpfel durch Atlas dar. Herakles trägt die Erdkugel (nur das Kissen sichtbar), eine Nymphe sucht ihn zu unterstützen.
«Diskoswerfer» und «Marsyas» des Myron (Fig. 102, 103). Die Stärke der myronischen Kunst liegt in der Darstellung von Bewegungserscheinungen, welche in Augenblicken großer Kraftentfaltung oder plötzlicher Bewegungsänderungen hervortreten. Die beiden Werke, welche uns in Nachbildungen erhalten sind, der «Diskoswerfer» und der «Marsyas», womit ich nun die Reihe der Werke der hohen Kunst eröffne, veranschaulichen uns dieses sehr deutlich. Vom Diskoswerfer sind zahlreiche Nachbildungen erhalten, die beste im Palazzo Lanzellotti in Rom. Es ist der Augenblick gewählt kurz vor dem Fortschleudern der Wurfscheibe. Der Körper ist zusammengezogen und alle Kraft in den rechten Arm verlegt. Die Muskeln sind deutlich und vor allem richtig gebildet. Die Unsicherheit in der richtigen Wiedergabe, welche den Künstlern der älteren Zeit wegen der Unkenntnis der Veränderung der Muskeln durch die Bewegung anhaftet, ist ganz überwunden.
Der Marsyas ist durch die falsche Ergänzung der Arme in einen tanzenden Faun verwandelt worden. Der wahre Sinn ist durch aufgefundene Nachbildungen auf einer Vase und Münze erkannt worden. Ursprünglich gehörte er wahrscheinlich zu einer Gruppe, welche kurz den folgenden Inhalt hatte: Marsyas, welcher im Begriff ist, die von Athene im Zorn über die Gesichtsentstellung fortgeworfene Flöte aufzunehmen, wird von der Göttin zurückgeschreckt. Die Bewegung des raschen Zugreifens wird durch das erschreckte Zurückwerfen des Körpers, in welchem noch die Nachwirkung des raschen Laufes steckt, plötzlich aufgehoben. Die Arme muß man sich zu einer nach vorn greifenden Bewegung ergänzt denken. Hier ist also der plötzliche Wechsel, von dem ich vorhin sprach, zu finden. Die Urbilder beider Werke waren in Bronze ausgeführt, die Baumstämme sind Zuthaten des Marmornachbildners.
Der «Speerträger» des Polyklet und andere Wettkämpferbilder. Den «Kanon» Polyklets (s. S. 106) glaubt man in dem folgenden Werke, dem Speerträger (Doryphoros) wieder zu erkennen. Ich eröffne damit eine Reihe Männergestalten, welche meist Wettkämpfer darstellen und das Ideal des kraftvollen ruhigen, männlichen Körpers wiedergeben sollen, im Gegensatz zu jenen später zu besprechenden, weicher gebildeten Jünglingsbildern, welche häufig weiblichen Formen stark genähert sind.
Die Nachbildungen des Speerträgers bieten sicher nicht
^[Abb.: Fig. 139. Niobe mit Tochter. Marmorgruppe. Florenz, Uffizien.]
alle Reize des ursprünglichen Bronzewerkes, und doch kann man sich danach ein Bild von der Größe der polykletischen Kunstweise machen. Gedrungene Verhältnisse im Körper und eine gewisse Strenge der Auffassung sind das Eigentümliche dieses Bildwerkes. Im Vergleich damit erscheinen die Formen des Diskoswerfers (Fig. 105) weicher, so daß mir die Zuweisung desselben an einen Meister der Phidias-Schule, vielleicht Alkamenes, berechtigter erscheint, als die Annahme eines polykletischen Nachfolgers, als welcher Naukydes genannt wird. Dieser Diskoswerfer ist das gerade Gegenteil vom Myronschen. Dort der Augenblick höchster Anspannung vor dem Wurf, hier noch völlige abwägende Ruhe. - Etwas strenger sind die Formen des folgenden Werkes, eines Wettkämpfers, welcher aus einem in der rechten Hand gehaltenen Fläschchen Oel in die linke gießt. Der Körper ist sehniger und weniger gedrungen, als ihn Polyklet zu bilden liebte. Man weist ihn deshalb besser der Nachfolge Myrons zu. Die Stellung ist sehr geeignet, die volle Schönheit des ruhigen Jünglingskörpers sichtbar zu machen, ebenso das Anziehen des linken Fußes, welches dem Körper im Verein mit der geneigten Kopfhaltung eine schöne Linie giebt.
(Das gleiche bei der Amazone Fig. 136.) - Auch bei dem nächsten Werke, dem sog. «Diadumenos» bestehen Zweifel, welchem Meister man es geben soll. Für uns genügt es, wenn ich es hier als wahrscheinlich der attischen Richtung zugehörig bezeichne. Vielleicht ist es eine Nachbildung eines Phidiasschen Werkes, während eine ähnliche, jedoch weniger natürlich in der Haltung, auf Polyklet zurückgeführt wird. Der Jüngling ist im Begriff, sich eine Binde, die Siegesauszeichnung, um den Kopf zu legen. (Fig. 107.)
Als letzter dieser Reihe folgt dann in Fig. 108 der «Schaber» (Apoxyomenos) des Lysippos, ein Wettkämpfer, der sich mit dem Schabeisen vom Staube der Arena reinigt. Lysippos weicht in vielem von den überkommenen Regeln ab. Er bildet seine Gestalt leichter, zierlicher und sucht durch schlankeren Bau und kleineren Kopf, Hand- und Fußbildung eine andere Schönheit als Polyklet zu erreichen. Die Durcharbeitung, besonders des Kopfes, ist feiner, so daß der Schaber, gleich dem Speerträger, wieder einen Grenzstein in der Entwicklung der Darstellung des nackten Manneskörpers bildet. - Alle diese Jünglingsgestalten waren keine ähnlichen Bildnisse,
^[Abb.: Fig. 140. Fliehende Tochter der Niobe.
Rom, Vatikan.]
^[Abb.: Fig. 141. Aphrodite des Praxiteles.
Sog. Knidische Aphrodite. Rom, Vatikan.]
sondern ideale Darstellungen von Siegern in Wettspielen, welche an allen Feststätten Griechenlands zur dauernden Erinnerung und zur Ehrung des Siegers errichtet wurden. Durch ihre öffentliche Aufstellung wirkten sie auch erzieherisch, indem sie die Schönheit des durch Uebung in den Leibeskünsten gekräftigten Körpers als erstrebenswertes Vorbild hinstellten.
Die Ausschmückung des Parthenon. Bevor ich mich zur Besprechung der zweiten Gruppe von Kunstwerken, an welchen ich den Entwicklungsgang veranschaulichen möchte, wende, will ich eine Reihe von Werken erwähnen, die für die Kunstentwicklung und unsere Kenntnis derselben von größter Wichtigkeit sind. Es sind dies die Bildwerke, welche den künstlerischen Schmuck des Parthenon bildeten. Von Phidias konnte ich in der vorigen Gruppe, wie auch in der folgenden, nichts aufführen, da uns von seinen männlichen Gestalten nichts Sicheres überkommen ist. Auch bei den Parthenonbildwerken ist die eigenhändige Arbeit des Phidias nicht nachweisbar, doch können wir annehmen, daß dieselben mindestens nach seinen Entwürfen und unter seiner Leitung entstanden sind.
Wie in den Tempelbildern von Aegina und Olympia haben wir keine Nachbildungen aus späterer Zeit, sondern die ursprünglichen Werke vor uns und zwar in weit größerer Zahl als von diesen. Nicht nur die Giebel und Metopen waren geschmückt, sondern auch die Wände der Cella, um welche sich ein 160 m langer, 1 m hoher Flachbilderfries zog. Der Parthenon (Jungfrauengemach) war der jungfräulichen Athene geweiht, und ihre Verherrlichung bildet den Inhalt der Darstellungen.
Der Parthenon wurde 1647, während der Belagerung Athens durch die Venezianer zerstört, und es wäre unmöglich, über die ursprüngliche Gruppierung der Giebelfiguren und deren Sinn Genaueres zu wissen, wenn nicht kurz vorher der französische Maler Carrey Zeichnungen der meisten Bildwerke aufgenommen hätte. - Im Ostgiebel stellte die Mittelgruppe (schon im 17. Jahrhundert verloren) die Geburt der Athene aus
^[Abb.: Fig. 142. Kopf der Aphrodite des Praxiteles.
Berlin, Sammlung R. v. Kaufmann. (Nach Photographie von Bruckmann.)]
dem Haupte des Zeus dar, in der linken Ecke tauchte Helios (Sonnengott) mit seinem Gespann empor, rechts versank Selene (Mondgöttin) mit dem ihren.
Der Westgiebel schilderte den Streit der Göttin mit Poseidon um die attischen Länder. Die Bedeutung der einzelnen Gruppen ist nicht sicher festgestellt, weshalb ich hier jede nähere Bezeichnung unterlasse. Uns genügt es, die Schönheiten erkennen zu dürfen, auch ohne den Namen des Einzelnen zu wissen. Die Frauengruppe vom Ostgiebel (Fig. 109) dürfen wir als das Schönste, was uns die Zeit des Phidias an bekleideten Gestalten hinterlassen hat, betrachten. Ungezwungen und doch mit höchster künstlerischer Vollendung, schmiegen sich die Gewänder den Körpern an, welche der Form des Giebels folgend, aus der sitzenden Stellung ohne jeden Zwang in die liegende übergehen.
Damit ist die Aufgabe, welche schon beim Aeginäischen Tempel vorlag, auf das glücklichste gelöst. Vom Westgiebel gebe ich einen liegenden Jüngling (Fig. 111), welcher uns die gleiche Vollendung wie die Behandlung des Gewandes in der Darstellung des Nackten zeigt. Wir haben darin einen Vertreter des kraftvollen Jünglingskörpers, welcher die oben besprochene Gruppe der Jünglinge durch den Phidiasschen Typus ergänzt. An älteren Metopen, welche Kämpfe der Athener unter dem Schutze ihrer Göttin gegen die Kentauren darstellen, finden wir das Nackte nicht so vollendet und auch sehr ungleich. Es rührt dies daher, daß die Metopen am frühesten entstanden und von verschiedenen Händen gearbeitet sind.
Ich gebe zwei Beispiele in Fig. 110, das erste zeigt noch eckige Formen und eine ungelenkere Darstellungsweise, das zweite ist vollendeter und nähert sich schon den Giebelgestalten. Der Fries dürfte zuletzt entstanden sein. Sein Inhalt schildert das größte Fest: Panathenäen (Fest für alle Athener), welches die Athener zu Ehren ihrer Göttin alljährlich, besonders prunkvoll aber jedes fünfte Jahr feierten. Ich kann hier leider nur eine Probe aus der Göttergruppe geben, doch zeigt diese, wie herrlich die künstlerischen und technischen Fähigkeiten entwickelt waren. Fleisch und Gewand, beides gleich schön in edler Natürlichkeit.
Die Parthenonbildwerke gaben nach ihrem Bekanntwerden erst den wahren Begriff von der Größe der antiken Kunst und auch ihrer Darstellungsgrenzen, für welche früher, zur Zeit des Klassizismus, die richtige Schätzung nicht vorhanden war.
Apollon von Neapel und Olympia. Der Apollon des Neapeler Museums und der Apollon vom Westgiebel des Zeustempels zu Olympia vertreten die Zeit der Ueberwindung der Steifheit des archaischen Stiles. Bei dem ersten ist es
^[Abb.: Fig. 143. Körper einer Aphrodite.
Neapel, Museo Nazionale.]
^[Abb.: Fig. 144. Mediceische Aphrodite.
Florenz, Uffizien.]
^[Abb.: Aphrodite von Melos.
Paris, Louvre. (Nach Photographie von Braun u. Clement.)]
^[leere Seite]
allerdings zweifelhaft, ob das Urbild wirklich aus so früher Zeit stammt und die erhaltene Nachbildung nicht ein sogenanntes archaistisches (d. h. ein solches, welches alte Formen nachahmt oder im alten Geiste gehalten) Gebilde ist. Doch dieses ist nicht so wichtig, der Typus paßt in diese Zeit, und so können wir ihn auch als Vertreter derselben gelten lassen. Im rechten Arm hielt der Gott die Leier, in der linken Hand ein Instrument zum Schlagen derselben.
Der Apollon aus Olympia ist ein sicheres Originalwerk. Er nahm im Giebelfelde eine ähnliche Stellung wie die Athene vom Tempel in Aegina ein. Auch um ihn tobt der Kampf, doch ist er nicht nur Schützer wie jene, sondern er streckt den rechten Arm gebietend aus. Am Körper fällt die feinere Modellierung und im Gesicht ein größerer Ausdruck als bei den archaischen Werken auf. (S. in der Mitte der Fig. 99.)
Dornauszieher. Der kapitolinische Dornauszieher, obwohl noch kein Jüngling von der Reife des eben besprochenen Apolls, scheint mir hier am besten Erwähnung zu finden. - Die Behandlung des Fleisches, die Strenge in den Gesichtszügen, die Art wie das Haar gearbeitet ist, lassen die Annahme, daß das Werk zum mindesten in die Nähe des Myron gehört, als richtig erscheinen.
Von Polyklet kann man ein in diese Reihe gehöriges Werk nicht erwarten, da sein Streben auf kraftvollere Gestaltung gerichtet war und selbst seine weiblichen Gestalten (Amazone a. S. 130) einen mehr männlich-kräftigen Ausdruck haben.
Idolino. Aus der Nähe des Polyklet stammt das Werk eines unbekannten Meisters, der sog. Idolino. Es bildet gleichsam eine Vermittelung zwischen Polyklet und der weicheren attischen Kunstweise. Die Glieder sind weicher, geschmeidiger als z. B. beim Diadumenos. Da das lebensgroße Bronzebild eines der wenigen griechischen Urwerke ist, erscheint es für die Kunstgeschichte von größter Wichtigkeit. Die Haltung ist ganz ungezwungen. In der rechten Hand hielt er vielleicht die Opferschale, der linke Arm hängt nur leise gebogen herab. Die Fußstellung ist die der größten Ruhe. Das einzige Strenge an ihm ist der Kopf und die fest anliegenden Haare.
Was Phidias an Jünglingsgestalten schuf, wurde bei den Parthenon-Bildwerken erwähnt; deshalb wende ich mich gleich zu dem Werk, welches mir als schönstes dieser Art gilt.
^[Abb.: Fig. 145. Körper einer Aphrodite.
Syrakus.]
^[Abb.: Fig. 146. Aphrodite von Capua.
Neapel.]
Jünglingsbilder des Praxiteles (S. 115). Es ist dies Apollon Sauroktonos, der Eidechsentöter des Praxiteles. Mit diesem Werk löst Praxiteles eine neue Aufgabe, welche auch bei den beiden folgenden Werken wiederkehrt. Die bisher besprochenen Gestalten ruhen im Stehen, d. h. die Körper befinden sich in einer Stellung, welche das Ausspannen aller Muskeln, so weit sie nicht zum Stehen nötig waren, ermöglichte.
Die Bewegung der Arme ist selbst beim Apollon von Olympia trotz der gebietenden Geberde nur lässig und bringt den übrigen Körper nicht aus seiner Ruhe. Praxiteles geht nun noch einen Schritt weiter, indem er dem Körper einen seitlichen Stützpunkt giebt. Der Körper schwebt zwischen zwei Stützen und bekommt dadurch eine ungemein weiche Linie, welche wunderbar zu der zarten Behandlung der ganzen Gestalt paßt. Die Last ist auf den linken Arm und den rechten Fuß verteilt.
Die schwache Bewegung des rechten Armes, in dessen Hand er den Pfeil hält, um damit die den Stamm hinaufkletternde Eidechse zu treffen, ist so lässig, daß ein ernstlicher Tötungsversuch gar nicht gedacht scheint. Das leicht seitwärts geneigte Haupt, der ruhige Gesichtsausdruck, der leise angezogene linke Fuß und die Krümmung der Finger der linken Hand vollenden das Bild gemächlicher Ruhe. Die störende Stütze mußte bei der Marmornachbildung als notwendiges Uebel angebracht werden, beim Bronzeoriginal fehlte diese.
Ruhender Satyr (Fig. 117). In über 70 Nachbildungen erhalten, finden wir den angelehnt ruhenden Satyr in vielen Sammlungen Europas wieder. Eine der besten dieser Wiederholungen ist hier abgebildet. Auch diesem liegt ein Praxitelessches Vorbild zu Grunde. An die Schönheit des Apoll reicht er nicht hinan, und doch ist er in seiner Art als Satyr wieder eine Idealfigur.
Wenn ich eine Reihenfolge aufstellen soll, so müßte ich diesen vor dem folgenden Hermes und dem Apoll aufführen, da bei ihm das Schweben zwischen zwei Stützpunkten noch nicht so stark zum Ausdruck kommt. Die Körperlinie zeigt noch nicht so ausgeprägt die schöne Biegung. Der Körper des Satyr ist derber, fleischiger wie der des Apoll, der Kopf weniger fein, aber doch von großem Reiz.
Der Hermes. Als drittes Werk des Praxiteles folgt der Hermes mit dem Dionysosknaben. Es wurde am in Olympia bei den deutschen Ausgrabungen des dortigen Festplatzes wieder zu Tage gebracht. Wie schön auch die beiden vorhergehenden
^[Abb.: 147. Zeus von Otricoli.
Rom, Vatikan.]
^[Abb.: Fig. 148. Seneca.
Neapel, Museo Nazionale.]
^[Abb.: Fig. 149. Homer.
Neapel, Museo Nazionale.]