damals herrschte. Im Allgemeinen hält man sich an die Grundsätze der großen Meister, aber die Unruhe der Zeit (Kampf zwischen Sparta und Athen) wirkt auch auf die Künstler ein; man liebt es, sehr lebhaft bewegte Figuren darzustellen und flatternde Gewänder; die gewonnene Sicherheit in der Linienführung verleitet zu einem gewissen Uebermaß in Schwung und Fülle der Linien. Dies ruft andrerseits wieder eine «altertümelnde» Gegenströmung hervor, indem absichtlich und bewußt die strenge Herbheit des archaischen Stils nachgeahmt wird.
Einen besonderen Aufschwung nimmt die Flachbildnerei; da man nicht nur in ausgedehntem Maße Grabmäler mit Flachbildwerken schmückte, sondern auch die Sitte aufkam, solche als Weihegeschenke zu stiften, wozu früher fast ausschließlich Standbilder verwendet wurden. Es zeigte sich eben hierin der Zug der Zeit, welcher an dem einfacheren Standbilde kein Genügen mehr fand, sondern das figurenreichere, eine Handlung wiedergebende Flachbildwerk vorzog.
Das Zeitalter nach dem peloponnesischen Kriege. Der Bruderkrieg zwischen Sparta und Athen hatte nicht nur letzteres von seiner politischen Höhe gestürzt, sondern auch alle Verhältnisse tief erschüttert. Die Geister hatten auch die friedliche Ruhe, das innere Gleichgewicht verloren. Die geläuterten religiösen Anschauungen des 5. Jahrhunderts machten jetzt einerseits dem Aberglauben, andrerseits dem Unglauben Platz. Während die Philosophen sich mehr und mehr vom Götterglauben abwandten, kam bei der Masse des Volkes jetzt die eigentliche «Vielgötterei» auf. Die Gottheiten wurden immer mehr vermenschlicht, ihnen in den «Halbgöttern» Uebermenschen zur Seite gestellt. Es ist die Zeit, in welcher dichterische Einbildungskraft die ganze Natur mit «dämonischen» (halbgöttlichen) Wesen erfüllt.
Erweiterung des Stoffkreises. Selbständigkeit der einzelnen Kunstzweige. Für die bildende Kunst lag in diesem Wandel insofern ein Vorteil, als einerseits der Kreis ihrer Vorwürfe sich erweiterte und andrerseits die Verweltlichung der gesamten Geistesrichtung die einzelnen Kunstzweige selbständig und von einander unabhängig machte. Standen früher Bildhauerei und Malerei in engster Verbindung mit der Baukunst und alle in erster Linie im Dienste der Religion, so änderte sich dies jetzt völlig.
Wohl sind noch immer Tempel ein Hauptgegenstand der hohen Baukunst - erst in der Zeit nach Alexander treten die Palastbauten in den Vordergrund -, aber Malerei und
^[Abb.: Fig. 104. Dornauszieher.
Rom, Kapitol.] ¶
Bildhauerei finden Beschäftigung auch in weltlichen Kreisen und richten sich nach deren Geschmack und Anforderungen.
So entwickelt sich die Wandmalerei zur Tafelmalerei, und die Bildhauerkunst schafft nicht mehr allein für die heiligen Stätten Götterbildnisse, Weihgeschenke und Schmuckstücke, sondern schreitet auch zum «Porträt», dem getreuen Menschenbildnisse, fort. Ihre Werke haben jetzt einen Selbstzweck und sind nicht mehr von einem Bauwerk abhängig. Dies bestimmt auch ihre ganze Eigenart.
Weltliche Auffassung. Wir finden nunmehr eine große Mannigfaltigkeit in den dargestellten Gegenständen. An Stelle der wenigen Hauptgottheiten tritt die Menge der Nebengötter, Halbgötter und Dämonen, und dies eröffnet ein weites Feld für die Erfindungs- und Gestaltungsgabe. Die «göttliche Hoheit», welche das Tempelbild erheischte, ist nicht mehr Erfordernis; dies gestattet dem Künstler eine größere Freiheit in der Darstellung, man kann auch Götter wie Menschen handelnd bilden. - In dieser Hinsicht kehrt die Kunst wieder gewissermaßen auf den Standpunkt der altertümlichen zurück, welche Götter und Menschen nicht unterschied. Damals war aber das Unvermögen der Hauptgrund, während jetzt bewußt die Götter auf den menschlichen Standpunkt herabgezogen werden.
Das Weib. Vor allem aber tritt das «Weib» in den Vordergrund, wird vollendete Darstellung des nackten weiblichen Körpers - ein Hauptziel der Bestrebungen, wie jene des männlichen Körpers ein solches der früheren Zeit war, welche ihre weiblichen Figuren bekleidet, höchstens halb entblößt gab.
Ebenbildniskunst. Ich habe schon vorhin angedeutet, daß der Hauptfortschritt der Bildnerei in der «Porträt»-Kunst, in der getreuen Wiedergabe des Menschenbildnisses, zu sehen ist. Dies bedeutet in Wahrheit, daß man zur vollendeten Darstellung des inneren geistigen Wesens, des Seelenausdruckes gelangte.
Auch in der früheren Zeit hatte man solche Ebenbildnisse geschaffen, aber sie gaben nur eine «Aehnlichkeit», nicht die treue Wahrheit; die älteren begnügten sich mit der äußeren Aehnlichkeit der Gesichtszüge, die späteren verleihen ihren Köpfen einen geistigen Ausdruck, der aber auch nur «ähnlich» ist. Die Bildnisse «idealisieren», sie geben den Menschen nach den Vorstellungen des Künstlers veredelt wieder, nicht in seiner wahren Eigenart. Daß dem so war, bezeugen die Urteile der Alten selbst.
Die Meister des Zeitalters. - Skopas. Der neuen Richtung gehören schon Kephisodot (der Aeltere), Silanion und Demetrios an - die beiden letzteren werden insbesondere als «Porträt»-Bildner genannt -, ihre Hauptmeister sind Skopas und Praxiteles (angeblich ein Sohn des Kephisodot).
Skopas, der auch den Tempel zu Tegea erbaute, steht zu Praxiteles in einem ähnlichen Verhältnis wie Myron zu Phidias. Die Jüngeren sind die Berühmteren, aber das
^[Abb.: Fig. 105. Idolino. Bronzestandbild.
Florenz, Archäologisches Museum.] ¶