sind uns nur in Marmornachbildungen erhalten. In der Darstellung des männlichen Körpers in jugendlicher Schönheit und Kraft lag seine Stärke, er bildete auch hauptsächlich Gestalten von Siegern in Wettkämpfen, nur wenige Götterbildnisse; daß er aber auch weibliche Figuren meisterhaft zu behandeln verstand, bezeugen seine Hera und die Amazone, mit welcher er nach Anschauung der Zeitgenossen selbst Phidias übertroffen hatte. Diese weiblichen Gestalten waren jedoch in gewisser Hinsicht männlich aufgefaßt; das Kräftige, nicht das Anmutige wird betont.
Im Gegensatze zu Myron stellt Polyklet seine Figuren nicht in lebhafter Bewegung, sondern in ruhiger Haltung oder doch nur mäßig bewegt dar, immer aber auch lebensvoll. Er giebt sozusagen die «Ansätze» zur Bewegung, z. B. zum Schreiten. Dies erleichterte das Erreichen des Ziels, welchem, wie die Peloponnesier überhaupt, so auch Polyklet nachstrebte: die bis ins Einzelne vollendete Darstellung des Körpers. Darin hat er wohl auch das Höchste erreicht und selbst Phidias wie die Späteren konnten nichts besseres bieten.
Kanon Polyklets. Daß man schon im Altertum dieser Ansicht war, erhellt daraus, daß eine Statue Polyklets - vielleicht der Speerträger (Doryphoros) - der «Kanon» d. h. Regel, also Musterbild genannt wurde, weil sie den «schönen Mustermenschen» (idealen Normalmenschen) darstellte, bei dem alle Verhältnisse künstlerisch zusammengestimmt sind. In einer Schrift hatte Polyklet die Gesetze für diese Verhältnisse der Teile untereinander und zu dem Ganzen dargelegt, und damit auf die ganze Entwicklung der antiken Kunst einen bestimmenden Einfluß geübt. Wohl wich man - ja auch er selbst - im einzelnen von diesem «Kanon» ab, die Hauptsache blieb aber die gewonnene Erkenntnis, daß der Bau des menschlichen Körpers ein gesetzmäßiger sei, und diese Erkenntnis bewahrte die antike Kunst vor dem «Unnatürlichen».
Darin liegt die große Bedeutung Polyklets, daß er klar aussprach und in seinen Werken verdeutlichte: der Menschenkörper ist ein Ganzes, dessen Teile in notwendiger Wechselbeziehung zu einander stehen und in ihrer Wechselwirkung auf einander die Lebenserscheinung bedingen.
Eine Gefahr lag nahe - für den Meister selbst und noch mehr für seine Schüler - nämlich jene, in einseitige Nachahmung des Musters zu verfallen. Davor blieb die griechische Kunst glücklicherweise bewahrt, da die Künstler auf Naturbeobachtung nicht verzichteten, sich zwar von der Gesetzmäßigkeit «im Ganzen» leiten ließen, aber in den Einzelheiten sich Freiheit gestatteten.
Vollendung der Form. Die Darstellung des rein Körperlichen war somit von Myron und Polyklet zur Vollendung gebracht worden, der Erstere hatte den Weg gewiesen,
^[Abb.: Fig. 108. Wettkämpfer mit dem Schabeisen.
Marmornachbildung. Florenz, Uffizien.]
die natürliche Verschiedenheit der Einzelpersönlichkeiten zu beachten und zu kennzeichnen, der Andere das Allgemeingiltige und Gesetzmäßige aufzufassen. Den Ausdruck des körperlichen Lebens hatte man gefunden, sowohl für starke Bewegung wie für gelassene Ruhe. Es fehlte jetzt nur noch, auch das geistige Leben im Menschen zur Erscheinung zu bringen. Dieses höchste Ziel blieb Phidias vorbehalten.
Phidias. Ausbildung des geistigen Ausdrucks. Seine Vorgänger hatten alle Kraft auf die Ausbildung der Form verwendet und diese erschien ihnen daher auch als Hauptsache; die volle Beherrschung der Formgebung ist aber auch eine Vorbedingung für den weiteren Fortschritt der Kunst zur Durchgeistigung und Beseelung, zur Verdeutlichung des inneren Wesens.
^[Abb.: Fig. 109. Drei weibliche Gestalten vom Ostgiebel des Parthenon.
London, British Museum. (Nach Photographie von Bruckmann.)]
^[Abb.: Fig. 110. Zwei Metopen vom Parthenon.
a) Siegreicher Kentaur.
b) Siegreicher Grieche.
(London, British Museum.)]
Geist des Zeitalters. Nicht zu vergessen ist auch, daß ein solcher Fortschritt auch nur in einer Zeit regsten geistigen Lebens stattfinden kann, und eine solche war für Athen das Zeitalter des Perikles, in welchem auch die griechische Dichtkunst zur vollsten Blüte gelangt war und die Wissenschaften nicht mindere Pflege fanden. Damals schuf Sophokles seine Dramen, in welchen er die sittliche Weltordnung darstellte und den Glauben an die Unsterblichkeit der Seele verkündete, damals schrieb Herodot seine Geschichte, und begründete Anaxagoras eine Weltanschauung, welche dem Stoff die geistige Kraft entgegensetzte.
Die religiösen Vorstellungen läutern sich; die erleuchteten Denker und Dichter vertreten die Einheit der Gottheit, Zeus erscheint als der wahre einzige Gott, der alles beherrscht und über die sittliche Weltordnung wacht. Anschauungen, welche später im Christentum zum vollendeten Ausdruck gelangten, treten schon bei den Griechen jener Zeit auf und bestimmen, wenn auch nicht die Masse des Volkes, doch wenigstens die führenden Geister.
Werke des Phidias. In der Kunst mußte dieser Zeitgeist natürlich auch seinen entsprechenden Ausdruck finden. Sie tritt wieder mehr in den Dienst der Religion, die geläutert ist, Phidias ist in erster Linie Götterbildner, und sein bei Zeitgenossen und Nachkommen berühmtestes Hauptwerk ist der Zeus von Olympia, aus Gold und Elfenbein gebildet. (Die Gold-Elfenbeinbildwerke, wie sie mehrfach für Tempel geschaffen wurden, bestanden aus einem inneren Holzkern, auf welchen das gebogene Elfenbein und Goldblech aufgelegt wurden. Die Holzmasse war von kleinen Röhren durchzogen, in welche Oel gegossen werden konnte, um den Einflüssen der Witterung zu begegnen. Die ganze Herstellungsweise - namentlich das Erweichen und Biegen des Elfenbeins - zeugt von der hohen Arbeitsfertigkeit der Griechen.)
^[Abb.: Fig. 111. Liegender Jüngling vom Ostgiebel des Parthenon.
London, British Museum. (Nach Photographie von Bruckmann.)]
Olympia war der geweihte Mittelpunkt, das Volksheiligtum des gesamten Griechenstammes, und daß man Phidias berief und dem Meister dort eine eigene Werkstatt errichtete, beweist wohl am besten, daß er als der «erste» galt. Das Zeusbild kennen wir nur aus Berichten und aus Nachbildungen (auf Münzen), unmittelbare Zeugnisse für die Kunst des Meisters haben wir jedoch in den Bildwerken, mit welchen das (jüngere) Parthenon in Athen geschmückt war. Wohl stammt nicht alles von seiner Hand, aber das Ganze wurde unter seiner Leitung und in seinem Geiste ausgeführt.
Eigenart der Kunst des Phidias. In jeder Hinsicht zeigt sich hier eine wirklich vollendete Kunst: in der Anordnung und Zusammenstellung der Gruppen (Komposition), in dem edlen Maße und dem Einklang der Bewegungen, in der Durchbildung der Körper, und darin, wie sich die Form ganz der Natur des Stoffes anschließt. Als solcher wurde hier Marmor verwendet, und der ganzen Eigenart des Steins entsprach genau die Behandlung. Bei den früheren Marmorwerken merkt man vielfach, daß die Künstler eigentlich an die Formen gewöhnt waren, wie sie Holzschnitzerei und Metallguß erfordern, die also nur auf Stein übertragen wurden; jetzt nützte man die Eigenschaften des Marmors aus, welcher weit größere Feinheiten gestattet, zumal ja auch die Bemalung noch hinzukam. Liegt in diesem Punkte schon ein Fortschritt gegenüber der älteren Kunst, so tritt ein solcher noch bedeutsamer zu Tage in der Darstellung einerseits der Bewegung, andrerseits - und hierin liegt die Hauptsache - des Geistigen, der inneren Vorgänge in den handelnden Gestalten.
Darstellung der körperlichen Bewegung. Myron hatte bereits verstanden, den Körper in der Bewegung «lebendig» darzustellen; er faßt aber dabei einen einzelnen be-
^[Abb.: Fig. 102. Göttergruppe vom Fries des Parthenon.
Athen, National-Museum.]
stimmten Augenblick im Laufe der Bewegung auf; die Kunst des Phidias that den letzten Schritt zur Vollendung, indem sie den Eindruck hervorruft, die Bewegung gehe vor sich. Ich möchte, um dies zu verdeutlichen, etwa sagen: die Archaisten gaben toten Körpern die Haltung, welche einer Bewegung entspricht;
Myron läßt den Körper in einem Augenblick der Bewegung erstarren;
die neue Kunst giebt volle Lebendigkeit. An dem Diskoswerfer Myrons laßt sich dies vielleicht näher erläutern.
Aeltere Künstler hätten nicht vermocht diese Haltung zu geben, welche die Anstrengung der Muskeln und das Atmen dabei zum Ausdruck bringt. Der Jüngling erscheint jedoch in der Stellung, welche dem Wurfe vorangeht; es ist der kurze Augenblick der Ruhe zwischen der Rückwärtsbewegung des Arms zum Schwung und der Vorwärtsbewegung zum Wurfe. Phidias würde, wenn er diesen Vorwurf dargestellt hätte, dagegen jene Stellung gewählt haben, welche diesem Augenblick der Ruhe vorhergeht oder folgt, also das Auslaufen der Schwungbewegung oder den Beginn des Wurfes.
Der Ausdruck der inneren Bewegung. Polyklet brachte in den Köpfen seiner Gestalten zwar auch schon eine gewisse Stimmung zum Ausdruck, immerhin bleibt ihm aber die reine Form die Hauptsache; bei Phidias prägt sich im Antlitz nicht nur der Gedanke aus, welcher dem dargestellten Vorgang entspricht, sondern auch die seelische Eigenart des Dargestellten. Bei den älteren Werken kann man aus der Gestalt allein heraus - wenn nicht äußere Beigaben vorhanden sind - nicht erkennen, ob ein Gott oder ein Mensch dargestellt ist, bei Phidias sind Götter und Menschen in ihrem Wesen scharf gekennzeichnet. - Von beiden Künstlern kennen wir eine Figur eines Diadumenos (Wettkämpfer, der sich die Siegesbinde umlegt, beziehungsweise sie trägt); ein Vergleich dieser beiden Figuren, insbesondere aber der Köpfe, lehrt am besten den Unterschied zwischen den Meistern.
Die Schulen der drei Meister. Die griechische Bildnerei hatte nun die festen Grundlagen gewonnen, auf welchen sich alle weitere Kunstthätigkeit bewegen mußte. Myron hatte die Formgebung, Phidias die geistige Auffassung, Polyklet das Gesetzmäßige zur vollen Ausbildung gebracht. Es ist leicht verständlich, daß in der nächsten Folgezeit Myron eigentlich größeren Einfluß übte, als Phidias; denn das Aeußerliche läßt sich leichter nachahmen und nachlernen, als das Innerliche.
Auch griff man noch vielfach auf ältere archaistische Vorbilder zurück. Als hervorragende Schüler des Phidias erscheinen Alkamenes und Agorakritos; während Lykios, der Sohn Myrons, seinem Vater folgte, ebenso auch Strongylion. Eine selbständige Eigenart bekundete Kresilas, der mit verständiger Ueberlegung und gewissenhafter Sorgfalt seine Werke bildet, aber im geistigen Ausdruck zurückbleibt. Auch Kallimachos, dem die Erfindung des korinthischen Kapitäls zugeschrieben wird, hatte großen Ruf; er war übertrieben im Streben nach Genauigkeit, und der römische Kunstgeschichtsschreiber Plinius führt ihn als warnendes Beispiel an, «daß man auch in der Genauigkeit Maß halten solle». Auf dem Peloponnes blieb die Schule Polyklets von maßgebendem Einfluß, die vorwiegend in Erz arbeitete.
Die Bildnerei zu Ende des 5. Jahrhunderts. Von den meisten erhaltenen Werken aus dem Ende des 5. Jahrhunderts sind die Urheber unbekannt; sie geben aber ein deutliches Bild von der reichen Kunstthätigkeit, welche
^[Abb.: Fig. 103. Apollon in Neapel. (Nach Photographie.)]
damals herrschte. Im Allgemeinen hält man sich an die Grundsätze der großen Meister, aber die Unruhe der Zeit (Kampf zwischen Sparta und Athen) wirkt auch auf die Künstler ein; man liebt es, sehr lebhaft bewegte Figuren darzustellen und flatternde Gewänder; die gewonnene Sicherheit in der Linienführung verleitet zu einem gewissen Uebermaß in Schwung und Fülle der Linien. Dies ruft andrerseits wieder eine «altertümelnde» Gegenströmung hervor, indem absichtlich und bewußt die strenge Herbheit des archaischen Stils nachgeahmt wird.
Einen besonderen Aufschwung nimmt die Flachbildnerei; da man nicht nur in ausgedehntem Maße Grabmäler mit Flachbildwerken schmückte, sondern auch die Sitte aufkam, solche als Weihegeschenke zu stiften, wozu früher fast ausschließlich Standbilder verwendet wurden. Es zeigte sich eben hierin der Zug der Zeit, welcher an dem einfacheren Standbilde kein Genügen mehr fand, sondern das figurenreichere, eine Handlung wiedergebende Flachbildwerk vorzog.
Das Zeitalter nach dem peloponnesischen Kriege. Der Bruderkrieg zwischen Sparta und Athen hatte nicht nur letzteres von seiner politischen Höhe gestürzt, sondern auch alle Verhältnisse tief erschüttert. Die Geister hatten auch die friedliche Ruhe, das innere Gleichgewicht verloren. Die geläuterten religiösen Anschauungen des 5. Jahrhunderts machten jetzt einerseits dem Aberglauben, andrerseits dem Unglauben Platz. Während die Philosophen sich mehr und mehr vom Götterglauben abwandten, kam bei der Masse des Volkes jetzt die eigentliche «Vielgötterei» auf. Die Gottheiten wurden immer mehr vermenschlicht, ihnen in den «Halbgöttern» Uebermenschen zur Seite gestellt. Es ist die Zeit, in welcher dichterische Einbildungskraft die ganze Natur mit «dämonischen» (halbgöttlichen) Wesen erfüllt.
Erweiterung des Stoffkreises. Selbständigkeit der einzelnen Kunstzweige. Für die bildende Kunst lag in diesem Wandel insofern ein Vorteil, als einerseits der Kreis ihrer Vorwürfe sich erweiterte und andrerseits die Verweltlichung der gesamten Geistesrichtung die einzelnen Kunstzweige selbständig und von einander unabhängig machte. Standen früher Bildhauerei und Malerei in engster Verbindung mit der Baukunst und alle in erster Linie im Dienste der Religion, so änderte sich dies jetzt völlig.
Wohl sind noch immer Tempel ein Hauptgegenstand der hohen Baukunst - erst in der Zeit nach Alexander treten die Palastbauten in den Vordergrund -, aber Malerei und
^[Abb.: Fig. 104. Dornauszieher.
Rom, Kapitol.]
Bildhauerei finden Beschäftigung auch in weltlichen Kreisen und richten sich nach deren Geschmack und Anforderungen.
So entwickelt sich die Wandmalerei zur Tafelmalerei, und die Bildhauerkunst schafft nicht mehr allein für die heiligen Stätten Götterbildnisse, Weihgeschenke und Schmuckstücke, sondern schreitet auch zum «Porträt», dem getreuen Menschenbildnisse, fort. Ihre Werke haben jetzt einen Selbstzweck und sind nicht mehr von einem Bauwerk abhängig. Dies bestimmt auch ihre ganze Eigenart.
Weltliche Auffassung. Wir finden nunmehr eine große Mannigfaltigkeit in den dargestellten Gegenständen. An Stelle der wenigen Hauptgottheiten tritt die Menge der Nebengötter, Halbgötter und Dämonen, und dies eröffnet ein weites Feld für die Erfindungs- und Gestaltungsgabe. Die «göttliche Hoheit», welche das Tempelbild erheischte, ist nicht mehr Erfordernis; dies gestattet dem Künstler eine größere Freiheit in der Darstellung, man kann auch Götter wie Menschen handelnd bilden. - In dieser Hinsicht kehrt die Kunst wieder gewissermaßen auf den Standpunkt der altertümlichen zurück, welche Götter und Menschen nicht unterschied. Damals war aber das Unvermögen der Hauptgrund, während jetzt bewußt die Götter auf den menschlichen Standpunkt herabgezogen werden.
Das Weib. Vor allem aber tritt das «Weib» in den Vordergrund, wird vollendete Darstellung des nackten weiblichen Körpers - ein Hauptziel der Bestrebungen, wie jene des männlichen Körpers ein solches der früheren Zeit war, welche ihre weiblichen Figuren bekleidet, höchstens halb entblößt gab.
Ebenbildniskunst. Ich habe schon vorhin angedeutet, daß der Hauptfortschritt der Bildnerei in der «Porträt»-Kunst, in der getreuen Wiedergabe des Menschenbildnisses, zu sehen ist. Dies bedeutet in Wahrheit, daß man zur vollendeten Darstellung des inneren geistigen Wesens, des Seelenausdruckes gelangte.
Auch in der früheren Zeit hatte man solche Ebenbildnisse geschaffen, aber sie gaben nur eine «Aehnlichkeit», nicht die treue Wahrheit; die älteren begnügten sich mit der äußeren Aehnlichkeit der Gesichtszüge, die späteren verleihen ihren Köpfen einen geistigen Ausdruck, der aber auch nur «ähnlich» ist. Die Bildnisse «idealisieren», sie geben den Menschen nach den Vorstellungen des Künstlers veredelt wieder, nicht in seiner wahren Eigenart. Daß dem so war, bezeugen die Urteile der Alten selbst.
Die Meister des Zeitalters. - Skopas. Der neuen Richtung gehören schon Kephisodot (der Aeltere), Silanion und Demetrios an - die beiden letzteren werden insbesondere als «Porträt»-Bildner genannt -, ihre Hauptmeister sind Skopas und Praxiteles (angeblich ein Sohn des Kephisodot).
Skopas, der auch den Tempel zu Tegea erbaute, steht zu Praxiteles in einem ähnlichen Verhältnis wie Myron zu Phidias. Die Jüngeren sind die Berühmteren, aber das
^[Abb.: Fig. 105. Idolino. Bronzestandbild.
Florenz, Archäologisches Museum.]
^[Abb.: Kopf des Hermes, von Praxiteles.
Olympia.]
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Hauptverdienst als Bahnbrecher gebührt doch den Aelteren. Die verständnisvolle Verwertung der Eigenschaften des Marmors ist bei Skopas noch ausgebildeter als bei Phidias und dessen Nachfolgern; er weiß den Stein so zu behandeln, daß man den Eindruck lebendigen Fleisches gewinnt. Doch nicht in dieser mehr äußerlichen Kunstfertigkeit liegt die Bedeutung des Meisters, sondern in der wirkungsvollen Wiedergabe der inneren Seelenvorgänge. Diese prägen sich in den Gesichtern seiner Gestalten mit einer Deutlichkeit aus, wie sie bisher nicht erreicht worden war. Skopas liebte die Darstellung leidenschaftlicher Bewegung und brachte diese nicht nur in den Köpfen, sondern auch in der ganzen Haltung meisterhaft zum Ausdruck.
Praxiteles und seine Werke. In diesem Punkte unterscheidet er sich von Praxiteles, der die Darstellung ruhiger Zustände bevorzugt. Diese erfordert im Grunde eine höhere Kunst, als jene einer lebensvollen Handlung;
der Eindruck einer stark bewegten Gestalt ist unmittelbarer;
es wirkt da alles zusammen, um den Gedanken des Künstlers zu verdeutlichen;
um einen Seelenzustand in ruhiger Haltung dem Beschauer zum vollen Bewußtsein zu bringen, muß der Meister noch feiner und schärfer die entscheidenden Züge herausarbeiten.
Ruhige Klarheit und edles Maß zeichnet die Werke des Praxiteles aus; und seiner künstlerischen Eigenart mußte daher auch die Darstellung des anmutigen, von zarten Gefühlen und sinnlichen Empfindungen bewegten Weibes besonders zusagen.
Das «Weibliche». Praxiteles war der erste, welcher die volle Schönheit des weiblichen Körpers - ob er ihn nun bekleidet oder entkleidet gab - in einer so reinen und keuschen Weise darstellte, daß die sinnliche Erscheinung bei aller Menschlichkeit geadelt und ins Erhabene gerückt erscheint. Die Köpfe seiner Aphroditen sind von einem Liebreiz, welcher das Gemüt tief ergreift, es ist der Ausdruck der reinsten «Weiblichkeit an sich».
Der Zug von Anmut und Lieblichkeit kehrt auch in seinen jungen männlichen Gestalten wieder. Wie Polyklet das «Männliche» auf seine weiblichen Figuren (Amazonen) übertrug, so finden wir bei Praxiteles den umgekehrten Vorgang; er bildet seine Jünglinge aus dem «Weiblichen» heraus. Daß er auch kraftvolle, gereifte Männlichkeit darzustellen vermochte, dafür würden zwei Werke zeugen: Sophokles und der bärtige Dionysos, die ihm zugeschrieben werden, von denen uns allerdings nur Nachbildungen überkommen sind.
Praxiteles kann gewissermaßen als Schöpfer der beiden Urbilder (Typen) der Aphrodite und des Dionysos, des Rein-weiblichen und des Männlich-weiblichen, betrachtet werden, welche in der Kunst der Folgezeit eine so hervorragende Rolle spielen. Auch die Einführung der Geleitschaftszüge (Thiasos) der Götter geht wohl hauptsächlich auf ihn zurück, obwohl schon Skopas einen solchen in der Gruppe geschaffen hatte, welche die Ueberführung Achills nach der Insel der Seligen darstellte. Hier erschien der Gott Poseidon schon mit einem Gefolge von Fabelgestalten, Tritonen und Nereïden. Jedenfalls aber ist es Praxiteles, welcher die dionysische Gefolgschaft der Bacchanten, Mänaden, Satyre und Nymphen als Gegenstände künstlerischer Darstellung zuerst in ausgedehnterem Maße verwertete.
Eigenart der neuen Richtung. Gegenüber Phidias, welcher das Göttlich-Erhabene und Menschlich-Ernste in seinen Werken darzustellen sucht, erscheint Praxiteles als Vertreter der Richtung, welche das Menschlich-Erhabene und die Sinnenfreudigkeit zum Gegenstande der Kunst macht. Darin spricht sich nicht so sehr ein Gegensatz der künstlerischen
^[Abb.: Fig. 116: Betender Knabe.
Bronzestandbild. Berlin, Museum.]
Naturen, als vielmehr jener der Zeiten aus, von denen ja die ersteren auch immer abhängig bleiben.
Diese Richtung blieb auch fernerhin maßgebend; zeit- und naturgemäß geht die Entwicklung dahin, daß das Sinnliche immer mehr in den Vordergrund tritt und zwar in doppelter Hinsicht: das Erhabene, Veredelte wird durch das Streben nach Naturtreue verdrängt, und die Absicht, auf die Sinne zu wirken, tritt zu Tage.
Die Nachfolger des Skopas und Praxiteles. Daß die beiden großen Meister Schüler und Nachahmer hatten, ist wohl selbstverständlich; es zeugt aber von der Stärke und Blüte des griechischen Kunstgeistes, daß neben und nach ihm Künstler wirkten, die ihre selbständige Eigenart bewahren und geltend machen konnten. Wir besitzen aus dem 4. Jahrhundert eine Reihe von Werken, welche im Allgemeinen zwar der künstlerischen Richtung entsprechen, welche in Skopas und Praxiteles ihren vollen Ausdruck fand, die aber in ihrer Eigenart unbeeinflußt von jenen erscheinen. In manchen Einzelheiten zeigen diese Werke auch eine höhere Vollendung, einen wirklichen Fortschritt der Kunstfertigkeit, wenn auch nicht immer in der Auffassung.
Man kann wohl sagen, daß jedes dieser berühmten Stücke irgend einen besonderen Vorzug aufweist;
in ihrer Gesamtheit betrachtet, lassen sie hauptsächlich folgende Punkte erkennen: das Streben nach immer größerer Naturtreue paart sich mit jenem, den Ausdruck der Empfindungen und Leidenschaften recht deutlich wiederzugeben, daher Vermehrung und stärkere Betonung der Einzelzüge;
man begnügt sich nicht mehr mit den einfacheren Mitteln, da die Wirkung gesteigert werden soll;
am meisten kommt dies der Bildniskunst zu statten, welche ganz Vorzügliches leistet.
Lysippos und die peloponnesische Kunstrichtung. Die athenische oder attische Kunst, deren Entwicklung im Vorstehenden kurz gekennzeichnet wurde, hatte seit Praxiteles die Vorherrschaft gewonnen, indessen erstand auch auf dem Peloponnes zu Ende des 4. Jahrhunderts noch ein Meister, der eine besondere Stellung einnimmt und zu bedeutendem Einfluß gelangte.
Es ist dies Lysippos, der Liebling Alexander des Großen, welcher nur von diesem Künstler nachgebildet sein wollte. Lysippos arbeitete ausschließlich in Erz, wie sein Vorbild Polyklet, dem er auch darin gleicht, daß die Darstellung des männlichen Körpers ihn vor allem beschäftigt. Die Durchbildung der Form, also das «Aeußerliche», ist ihm die Hauptsache, auf welcher er allen Fleiß verwendet, auf den geistigen Ausdruck legt er weniger Gewicht. Seine männlichen Gestalten zeichnen sich durch hohe Schönheit der
^[Abb.: Fig. 117. Ruhender Satyr des Praxiteles.
Marmornachbildung. Rom, Kapitol.]
^[Abb.: Apollon Sauroktonos des Praxiteles.
Marmornachbildung. Rom, Vatikan.]
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