Ursprungsstätten der Baukunst. Wenn man nur nach den Oertlichkeiten, an denen die Ueberreste der ältesten Denkmale sich vorfinden, auf die Hauptstätten der Entwicklung griechischer Baukunst schließen wollte, so käme man zu der Annahme, daß sie nicht im Mutterlande, sondern in Kleinasien, auf den Inseln und in Italien zuerst Ausbildung fand. Erklärlich würde dies auch insofern sein, als dort die Berührung mit anderen, bereits vorgeschrittenen Kunstkreisen einerseits, der raschere Aufschwung zu Reichtum andererseits Anregungen und Mittel boten. Indessen muß man wohl auch in Betracht ziehen, daß auf dem griechischen Festlande vielfach ältere Bauten in späterer Zeit durch neue ersetzt worden sein mochten. Eines erscheint mir nur sehr wahrscheinlich, daß hier der Holzbau, mindestens die teilweise Verwendung von Holz (Decken und Gebälke) etwas länger währte.
Zeiträume der Entwicklung griechischer Kunst. Eine andere Frage ist, welche Zeitabschnitte in der Entwicklung der griechischen Baukunst zu unterscheiden seien. Je mehr die Untersuchung ins einzelne geht, desto mehr solcher Abschnitte würde man auch aufstellen können; in der Hauptsache aber genügt es, wenn man im Anschlusse an die politisch-geschichtlichen Vorgänge drei Zeiträume unterscheidet.
Erster Zeitraum bis zu Ende der Perserkriege. Der erste reicht bis zum Abschluß der Perserkriege (467 v. Chr.); während desselben hatte sich die Einigung der griechischen Stämme zu einem «Volke» vollzogen, auf Grund gemeinsamer religiöser Anschauungen, Sitten und Ziele, kürzer gesagt: gemeinsamer Kultur. Das «Gefühl der Zusammengehörigkeit» ersetzt das fehlende politische Band, denn Griechenland bleibt in kleine Staaten geteilt, zwischen denen manche Interessengegensätze auftreten.
Zwei dieser Staaten gewinnen eine ausschlaggebende Bedeutung; sie sind Vertreter der zwei Hauptstämme und in ihrer Einrichtung und Eigenart gründlich verschieden. Der eine ist der dorische «Militär-Staat» Sparta mit einer straffen, die Freiheit der Einzelperson beschränkenden und dem Staatsgedanken unterwerfenden Ordnung. Der zweite ist Athen, die jonische Hauptmacht; hier kommt die Freiheit des Einzelnen zur Geltung, entwickelt sich der «Volksstaat». Im Gegensatze zu der spartanischen Einseitigkeit tritt in Athen uns Vielseitigkeit entgegen, der bewegliche jonische Geist bildet alle seine Seelen-
^[Abb.: Fig. 96. Gefallener Krieger vom Ostgiebel des Tempels zu Aegina.
München, Glyptothek. (Nach Photographie von Bruckmann.)] ¶
kräfte aus. Handel, Gewerbe und Kunst gelangen daher hier zu hoher Blüte, und Athen wird zum Mittelpunkt großer Städtebünde. Als Vormacht, welcher sich die große Mehrheit der Griechen in freiwilliger Bundesgenossenschaft anschließt, erscheint dann Athen nach den Perserkriegen als Hauptvertreter des ganzen Volkstums.
Baudenkmale des ersten Zeitraums. Von diesem Zeitraume der aufstrebenden Entwicklung gilt namentlich, was über die Oertlichkeiten vorhin gesagt wurde. Damals entstanden der berühmte Artemistempel in Ephesus, der Tempel von Assos, der Heratempel auf Samos, vor allem die bemerkenswerten Bauten in Sicilien (Selinunt, Syracus, Agrigent) und Unteritalien (Pästum, Metapont). Auf dem griechischen Festlande stammen Tempel in Korinth, auf Aegina, in Rhamnes, der Apollotempel von Delphi und die erste Anlage des Zeustempels in Athen aus dieser Zeit. Die meisten Bauten sind freilich untergegangen, so der delphische Tempel und das alte Parthenon in Athen. Der dorische Stil erreichte seine Ausbildung, aber nicht die Vorherrschaft, denn schon in diesem Abschnitte tritt auch der jonische Stil allenthalben auf.
Zweiter Zeitraum bis Alexander d. Gr. Der folgende Zeitraum reicht von etwa 470 v. Chr. bis zur Unterwerfung Griechenlands unter die makedonische Herrschaft durch Alexander (338 v. Chr.). Er läßt sich in zwei Unterabschnitte teilen: den ersten kennzeichnet die Vorherrschaft Athens bis zum Peloponnesischen Kriege (431-404 v. Chr.), der zweite ist die Zeit der politischen Auflösung, herbeigeführt durch die spartanische Oberherrschaft.
Mit der hohen Machtstellung Athens ist auch die Blütezeit der griechischen Kunst verbunden, im «Zeitalter des Perikles» steht sie auf ihrer Höhe. Der jonische Stil erfährt jetzt seine vollendete Ausbildung. Nach dem peloponnesischen Kriege tritt zwar kein eigentlicher Verfall der Kunst ein, immerhin aber ein Stillstand und ein gewisser Niedergang hinsichtlich der Kunstthätigkeit überall dort, wo die politischen Wirren die Kräfte und Mittel des Volkes aufzehrten.
Baudenkmale des zweiten Zeitraums. Die bedeutendsten Baudenkmale dieser Zeit finden sich selbstverständlich in Athen - Parthenon und Erechtheion, jenes das vollendetste Werk dorischen, dieses des jonischen Stils, der Theseustempel, das Prunkthor der Propyläen -
^[Abb.: Fig. 97. Aristogeiton.
Aus der Gruppe der Tyrannenmörder. Neapel.] ¶