alles Lebens; dies führte nicht nur zu dem sogenannten «Mutterrecht», nach welchem die Sippe (Verwandtschaft) durch die Abstammung von einer gemeinsamen Mutter begründet war, sondern auch zu der Auffassung, daß die «Gottheit» - die Urheberin alles Seins - weiblicher Natur sein müsse. Später erst beschäftigte auch das «Vergehen des Lebens» den Geist des Naturmenschen, und da kamen dann der Totenkult und der Glaube an die Fortdauer der Seele auf. Diese bezeichnen also schon eine höhere Stufe der Kultur.
Selbständigkeit der vormykenischen Kultur. Die Formen, wie sie in der zweiten Stadt auftreten, bleiben im Allgemeinen auch in der dritten bis zur fünften Schicht in Geltung, zeigen zwar eine sorgfältigere und bessere Ausbildung, aber sonst keine Fortschritte. Die ganze Kunstübung erscheint als eine selbständige und nur in sehr geringem Maße von der Kultur des Ostens beeinflußt.
Da diese Formen - insbesondere die nackten weiblichen Figuren - auch in Cypern und auf den Inseln des ägäischen Meeres und Kreta sich finden, so ist anzunehmen, daß die vormykenische Kultur dem ganzen Gebiete gemeinsam war, was eben wieder auf eine gemeinsame Urbevölkerung schließen läßt, die man als «ägäische» bezeichnen könnte.
Fremde Einflüsse. Wie schon vorhin gesagt wurde, hatte die Vermischung der eingedrungenen Griechen mit dieser Urbevölkerung einen raschen Aufschwung der Kultur zur Folge, der auch dadurch gefördert wurde, daß nunmehr ein regerer Verkehr mit Aegypten und dem Osten, durch die Phöniker vermittelt, entstand. Die mykenische Kultur und Kunstübung zeigt daher bei stark ausgeprägter Eigenart doch auch bedeutsame fremde Einflüsse.
^[Abb.: Fig. 86. Die Vorderseite des Poseidontempels zu Pästum.
(Nach Photographie von Alinari.)] ¶
Diesem Zeitraum der mykenischen Kunstübung gehört die «sechste» Stadt Trojas an. Die Funde aus dieser Schicht, sowie die Ausgrabungen auf dem griechischen Boden selbst - Mykenai, Tiryns u. a. O. - geben ein deutliches Bild von jener Zeit. (S. d. Tafel S. 72).
Mykenische Burgen. Zahlreiche Städte entstanden, deren Fürsten auf Felshügeln Burgen erbauten, mit Mauern aus riesenhaften Blöcken, welche die spätere Zeit als Werke der Kyklopen (Riesen) ansah, da sie für gewöhnliche Menschenkraft zu ungeheuer erschienen. Die Verwandtschaft mit ähnlichen Riesenbauten phönikischer Städte und die Sagen deuten wohl darauf hin, daß fremde Baumeister hierbei thätig waren. Die Anlage folgt jedoch nicht gänzlich den östlichen Vorbildern.
Während in den babylonisch-assyrischen und ägyptischen Palästen der Herrscher sich vom Volke abschließt, sind die mykenischen Burgen auf ein Zusammenleben des Fürsten mit seinen Gefolgsmannen berechnet. Sie erscheinen nur als prunkvoll ausgestattete und gesicherte Gehöfte, wie sie in einfacher Art auch der freie Grundherr hatte. Darin kann man einen Zug der indogermanischen Eigenart erkennen, den wir später auch in den germanischen und skandinavischen Königshallen finden. Wohl aber weist die Ausschmückung der Burgen mit farbigen Wandgemälden, mit Goldplatten, Alabaster-Friesen, Teppichen auf östliche Muster hin.
Kuppelgräber. Noch bemerkenswerter als die Burgen erscheinen die Kuppelgräber, die, aus mächtigen Marmorquadern aufgeführt, auf der Schauseite mit Platten farbigen Marmors, Porphyrs und Alabasters geziert waren. Die Errichtung von 15 m hohen Kuppeln, bei denen Steinmassen bis zu 122000 kg zu Verwendung gelangten, setzt eine ungemein ausgebildete Fertigkeit voraus.
Die Kuppelwölbung wurde durch Vorkragen der einzelnen Steinschichten hergestellt; sie beginnt schon vom Fußboden ab und macht dadurch einen ganz gewaltigen Eindruck. Die vorspringenden Steine waren mit Rosetten aus Bronze geziert. In diesen Grabgewölben hat man reiche Schätze an Gold- und Silbergegenständen gefunden, Becher, Schalen, Ringe, Halsketten, (goldene) Gesichtsmasken, welche das Antlitz der Toten bedeckten. (S. Fig. 74-77, 80-82). Neben den Kuppelgräbern finden sich auch Schachtgräber, welche wahrscheinlich der älteren Zeit angehören.
Bildnerei und Malerei. In den Bauten und den kunstgewerblichen Arbeiten, bei denen die Zeichnung die Hauptsache ist, liegt die Bedeutung der mykenischen Kunstübung. Die Bildnerei und die Malerei
^[Abb.: Fig. 87. Das Innere des Poseidontempels zu Pästum.
(Nach Photographie von Alinari.)] ¶