deren Kultur allmählich sich zu eigen machten. Unter diesen Nahuavölkern waren es vornehmlich die Zapoteken, bei welchen auch die ältere Kunst wieder erweckt wurde, und später die Azteken, die sie zu einer gewissen Blüte brachten, ohne dabei wesentlich über die bereits von den Mayas erreichte Stufe hinaus zu gelangen. Ihre Hauptstadt Tenochtitlan-Mexico hatte im ganzen dieselbe Eigenart, wie die Maya- und die älteren Nahuastädte, unter denen Xochicalco bemerkenswert war, wie die erhaltenen Reste beweisen. Wie weit es die Azteken im Zeichnen gebracht haben, läßt sich aus der Probe (Fig. 73 c) ersehen.
Die Zerstörung des Aztekenreiches durch die Spanier machte auch der Selbständigkeit der Kultur in Mittelamerika ein Ende.
Peru. Im zweiten südlichen Kulturgebiet gelangte die Kunst nicht einmal zu der gleichen Entwicklung wie im Norden. Es ist ja schon bezeichnend, daß in dem jüngsten und mächtigsten Reiche des Gebiets, in dem peruanischen Inkareiche, die Schrift unbekannt war. Noch aus der Zeit vor den Inkas stammen die Denkmale von San Agustin und Tiahuanaco. Die Baukunst erscheint ziemlich einfach, ja es scheint, daß man es bis zur Herstellung von größeren geschlossenen Gebäuden gar nicht gebracht hatte; bemerkenswert sind nur die Steinthore.
Peruanische Bildnerei. Eine größere Vervollkommnung zeigt dagegen die Bildnerei: Pfeiler mit Menschenformen und Götterbilder, welche ziemlich sorgfältig ausgeführt sind und das Streben nach Naturtreue erkennen lassen. Da in der Religion der Inka die Verehrung der Sonne und des Mondes die Hauptrolle hatte, welche durch große goldene und silberne Scheiben mit menschlichen Gesichtszügen dargestellt wurden, ferner die Schutzgeister des Feldes und Hauses blos in eigentümlich geformten Steinen oder Fetischen versinnlicht waren, so erfuhr die ältere Bildnereikunst keine weitere Ausbildung. (Die kleinen Götzenbilder aus Peru gehören sicher den unterworfenen Stämmen an.)
Peruanische Bauten. Im Bauwesen erreichten die Inka-Peruaner wohl eine große Fertigkeit im Bearbeiten und sorgfältigen Zusammenfügen ungewöhnlich großer Steine, aber zu irgend welcher Gliederung oder Anwendung gefälliger Bauformen kamen sie nicht. Ihre Bauten bestanden aus ungemein langen, massigen Mauern von geringer Höhe, nur selten mit Fenstern versehen; Thüren sind immer trapezförmig gestaltet, das Dach wurde aus Rohr und Stroh hergestellt, und der äußere Schmuck beschränkte sich darauf, daß die Wände mit Platten aus Gold und Silber behängt wurden.
Kunstgewerbe. In den Erzeugnissen der Töpferei - Gefäße und Thonfiguren -, der Metallarbeit und der Weberei giebt sich eine größere Fertigkeit kund. Erstere sind vielfach bemalt und mit Zeichnungen versehen, welche auch Vorgänge des Lebens darstellen.
Ende der amerikanischen Kunstentwicklung. Das war der Stand der «Kunst» auf amerikanischem Boden um die Zeit von 1520-30 n. Chr. Es ist wohl eine müßige Frage, ob die amerikanische Rasse, wenn sie nicht «entdeckt» worden wäre, aus Eigenem auch eine so hohe Stufe wie die antike «alte Welt» erreicht hätte. Der Kreis der
^[Abb.: Fig. 72. Mexikanische Steinfigur.
Die sog. Maisgöttin.] ¶
dortigen Kulturvölker war damals nicht einmal so klein gegenüber der großen Masse reiner Naturvölker; in der «alten Welt» war das Verhältnis eigentlich zur Zeit der gleichen Kulturentwicklung viel ungünstiger. Daß für die letztere - und somit auch für die Kunst - eine lebhafte Völkerbewegung und Völkermischung notwendig sei, lehrt auch Amerika; vielleicht konnte man sogar noch den weiteren Schluß ziehen, daß, je größer die Verschiedenheit der Rassen und Stämme ist, welche zusammenstoßen, um so kräftiger und rascher die Entwicklung vor sich gehe.
***
Besprechung der Abbildungen. Die Zahl der Abbildungen zu den Abschnitten Indien-Amerika ist etwas eingeschränkt worden zu Gunsten der griechischen Kunst, deren Bedeutung es wünschenswert erscheinen ließ, den Entwicklungsgang durch möglichst viel Bilder veranschaulichen zu können.
In Fig. 51 und 52 sind die zwei wichtigsten indischen Tempelformen, eine Stupa (vergl. S. 49) und
das Innere eines Grottentempels, des Tempels von Karli wiedergegeben. Bei diesem mache ich besonders auf
die Säulen aufmerksam. Auf dem gedrungenen, unten stufenförmigen, oben glockenförmig ausgebauchten Säulenfuß ruht der
pfeiler
artige Schaft. Das Kapitäl ist eine umgekehrte Wiederholung des Säulenfußes und wird von Elephanten, auf denen Menschen
reiten, gekrönt. Im Hintergrund ist der Reliquienschrein sichtbar; die Form desselben ist der Stupa (Fig.
51) nachgebildet, und die Verzierung dem umgebenden Steinzaun. Fig. 55 zeigt
eine andere reiche Kapitälform, die sich aus dem korinthischen Kapitäl entwickelt hat. - Die Flachbilder aus dem Tempel
von Karli veranschaulichen das eigentümlich weichliche und rundliche, das die Indier den menschlichen Formen zu geben liebten,
die Körper erscheinen dadurch wie knochenlos.
Fig. 54 zeigt die Verwilderung der späteren indischen Kunst, die sich in einer Ueberhäufung der Bauglieder mit bildnerischem Schmuck und in wunderlich phantastischen Menschen- und Tiergestalten, die willkürlich verbunden sind, äußert. Die Abbildungen Fig. 56-59 lassen den starken Einfluß der griechischen Kunst und die Aufnahmefähigkeit der Inder für die fremden Formen erkennen. Der griechische Einfluß äußert sich nicht nur in der
^[Abb.: Fig. 73. Altamerikanische Malerei und Zeichenkunst.
a) Krieger mit Schild, Spieß und Keule, aus einer Handschrift der Nahua. b) Altperuanische Vase mit Kriegerfiguren bemalt. c) Zwei Krieger, aus einer farbigen Zeichnung der Azteken.] ¶