vielleicht Anhaltspunkte für Feststellung eines eigentümlichen phönikischen «Stiles» - wenigstens im Kunstgewerbe - gewinnen.
Andererseits kann man freilich auch zweifeln, ob es überhaupt einen solchen von ganz ausgeprägter Art gegeben hat, da die geschäftsklugen Phöniker offenbar zuerst sich nur damit befaßten, fremde Erzeugnisse von Ruf weiter zu verhandeln, andererseits ihre eigene Erzeugung nach dem Geschmacke der Abnehmer einrichteten und das lieferten, was begehrt wurde, wie dies auch heute die Händler üben. Es fehlte ihnen das politische Ansehen und die Macht, um den eigenen Geschmack maßgebend für die Anderen zu machen, wie dies die Griechen seit Alexander d. Gr. und dann die Römer vermochten.
In dem Mangel von ausreichenden Zeugnissen für die phönikische Kunstübung sehe ich eine empfindliche Beeinträchtigung der Kunstgeschichte. Es ist ja immerhin möglich, daß die eigen-phönikische Kunst von geringem Werte war, für wahrscheinlicher halte ich aber, daß sie trotz all der vorhin aufgeführten Umstände einen bedeutenden Einfluß ausgeübt hat, und zwar auch auf die Nebenbuhler im Handel und in der Seeherrschaft, auf die Griechen. Diese Lücke läßt sich aber nicht ausfüllen und so muß man sich mit Vermutungen bescheiden.
Fundstätten. Im phönikischen Heimatlande haben nur zwei Stätten beträchtlichere Ueberreste phönikischer Werke geliefert: Marathus (jetzt Amrith) und Byblos (das biblische Gebal, jetzt Dschebail), aus welchem die Bauleute des Salomonischen Tempels stammten. Die größte und mächtigste Pflanzstadt, welche auch zu politischer Macht und Herrschaft gelangte, Karthago, wurde von den Römern so gründlich zerstört, daß von karthagenisch-phönikischen Bau- oder Kunstwerken wenig auf uns kam.
Die meiste Ausbeute lieferte Cypern, auf dessen Boden die Phöniker mit den Griechen den schärfsten Wettbewerb zu bestehen hatten. Vielleicht trug gerade der Kampf dazu bei, daß hier die Phöniker ihre Eigenart zäher behaupteten. Ein Hauptort war hier Amathus, berühmt durch das Heiligtum seiner Ortsgöttin, eine der semitischen Astarten, die von den Griechen als Aphrodite übernommen wurde. Aus dieser Stadt, dann aus Kurion, Kition (jetzt Larnaka) und einigen anderen Orten (Golgoi, Dali) stammen die bemerkenswertesten Funde, welche den Phönikern zuzuschreiben sind.
Eigenart der phönikischen Kunstdenkmale. Diese Funde lassen erkennen, daß die Phöniker mittelasiatische und ägyptische Art vereinigten, insbesondere aber letztere in ihrer Formgebung bevorzugten. Was für die obgenannten Arten namentlich bei den Bauwerken bezeichnend ist, daß die Arbeitsfertigkeit mehr hervortritt als das Streben nach Formschönheit, findet sich auch hier. Mit der Massigkeit - ungeheure Blöcke und Platten - suchte man den Eindruck zu erzielen.
Als phönikische Besonderheit ist vielleicht nur der Rundbau und die Einführung von Kuppeln zu betrachten, was immerhin einen Fortschritt gegenüber den rechteckigen und Pyramiden-Formen bedeutet. In der Verzierung (Ornamentik) und in der Bildnerei folgten die Phöniker gleichfalls ägyptischen und assyrisch-babylonischen Vorbildern,
^[Abb.: Fig. 69. Zwei Figuren aus Golgoi auf Cypern.] ¶
oder um es kurzweg zu sagen, sie vermengten mehr oder minder geschickt jene beiden «Stile». Vom 6. Jahrhundert an übten auch griechische Formen starken Einfluß und verdrängten allmählich die anderen. Namentlich in Karthago scheint man vorwiegend griechische Künstler beschäftigt zu haben.
Wenn auch die gefundenen Reste für die Phöniker nicht besonders rühmlich sind, so möchte ich doch wiederholen, daß nach diesen wenigen kein endgiltiges Urteil zu fällen sein dürfte. Es ist zu beachten, daß die Funde nicht aus den Hauptsitzen, sondern aus Nebenorten stammen, sowie sich die Einfachheit und verhältnismäßig niedere Stufe der Formen bei den Gefäßen daraus erklären läßt, daß man hier zufällig es zu thun hat mit «gemeiner Marktware» für die Masse, welche ja auch heutzutage an hergebrachten geschmacklosen Formen hängt.
Einen weit besseren Eindruck machen die Schmuckgegenstände, welche in Kurion gefunden wurden. Diese weisen nicht nur eine vollendete Arbeitsfertigkeit, sondern auch eine Mannigfaltigkeit in den Formen und einen ausgebildeten Geschmack auf. Allerdings sind auch bei diesen durchwegs ägyptische und mittelasiatische Muster verwendet und miteinander verarbeitet, so daß man beispielsweise einen Mann in ägyptischer Tracht mit einem assyrischen Flügeltier kämpfend dargestellt sieht.
Vorhin hatte ich Venedig zum Vergleich erwähnt. Auch dieses besaß in den früheren Jahrhunderten keinen «eigenen» Stil, wir sehen den morgenländischen (in der Markuskirche), den romanischen und gotischen in den ältesten Palästen verwendet. Die eigen-venetianische Kunst entwickelte sich erst später; zunächst hielt man sich an das aus der Fremde geholte. Aehnlich erscheinen mir die Verhältnisse bei den Phönikern gewesen zu sein. Daß sie über die Verwendung der fremden Stilformen nicht hinaus und zu einer - für uns erkennbaren - Selbständigkeit gelangten, lag darin begründet, daß ihnen die politische Selbständigkeit und eigene Herrschaft fehlte und sie auf die Vermittlerrolle angewiesen blieben. Hierzu mag aber noch der Umstand kommen, daß der semitische Geist zwar ungemein regsam und scharfsinnig auftritt, aber diese Eigenschaften vorwiegend auf dem Gebiete der Arbeitsthätigkeit und des Denkens äußert, die schöpferische Einbildungskraft dagegen nicht in gleichem Maße zur Geltung kommt.
Kleinasien. Den Boden Kleinasiens hatten in den ältesten Zeiten Stämme besiedelt, welche einem besonderen Volkstum angehörten, das nicht semitisch war. Genaueres hat sich bisher darüber nicht feststellen lassen. Im 16. Jahrhundert v. Chr. hatte eines dieser Völker, die Cheta oder Hethiter, ein großes Reich gegründet, das sich über das nördliche Syrien ausdehnte und dabei mit den Aegyptern in harte Kämpfe geriet. Die Urbevölkerung wurde vielleicht schon in frühester Zeit von indogermanischen Stämmen durchsetzt; nachweisbar erscheint freilich nur die Einwanderung der Thraker, welche von der Balkanhalbinsel herunterkamen und das nordwestliche Kleinasien besetzten.
Später folgten den Thrakern Stämme der Griechen, welche sich an der Westküste festsetzten. Zwischen 1500-1000 v. Chr. vollzog sich nun eine Vermischung dieser Bestandteile dahin, daß die Randlandschaften Kleinasiens mit jenen der Balkanhalbinsel und den Inseln des ägäischen Meeres ein Kulturgebiet bildeten, in dem die griechische Eigenart herrschte. Der östliche Teil Kleinasiens und das Innere wurden dagegen von der semitischen (babylonisch-assyrischen) Kultur beeinflußt, die auf diesem Wege nach Westen vordrang.
Die Eigenkultur der kleinasiatischen Urbevölkerung wurde so von zwei Seiten her überwältigt. Daß eine solche bestanden habe, ist mit hinlänglicher Begründung nachgewiesen. Auch eine selbständige Kunstübung erscheint bezeugt durch verschiedene Denkmale, insbesondere durch riesige in Felsen eingehauene Flachbildwerke, Gestalten von Kriegern, Göttern und Tieren, darstellend.
Von irgendwelcher Bedeutung ist diese alte Eigenkunst Kleinasiens nicht, dessen weiteres Kunstleben im untrennbaren Zusammenhang mit dem griechischen sich entwickelt. ¶