§. 1. DiejenigeBewegung des Willens, wobei er sich zu einer Sache neigt. S.
Begehren.
§. 2. Die Begierden sind 1) natürlich, welche der Mensch theils mit dem Vieh gemein,
z. B. das Verlangen zu essen und zu trinken, den Schlaf, die Lust zum Beischlaf etc., theils für sich allein hat, z. B.
die Begierde zur menschlichen Gesellschaft, zur
Erkenntniß der Wahrheit, und zur höchsten Glückseligkeit;
2) willkürlich. Diese sind entweder a) ordentliche, welche sich beständig in dem Gemüth
des Menschen befinden, und insgemein die Neigungen genannt werden; oder b) außerordentlich, welche zu gewissen Zeiten
entstehen, und wieder vorüber gehen, und, wenn sie stark und heftig werden, Affecten heißen.
§. 3. Vor dem kläglichen Sündenfall waren die Gemüthsneigungen
alle in der besten Ordnung,
Pred. 7, 30. Siehe aufrichtig
III. Nach dem
Fall sind sie gleichsam wie Rosse und Maulthiere, denen man Zaum und Gebiß ins Maul legen muß,
Ps. 32, 9. Sie
sind in lauter Unordnung gerathen: Das Fleisch gelüstet wider den Geist,
Gal. 5, 17. und liegen wie Feinde gegen einander
zu Felde. Daher
sind sie entweder gut und heilig; oder böse. Diese unreine Lust,
2 Petr. 2, 10. ist
zweierlei: die Erblust, und die wirkliche Lust, welche aus jener entspringt, und bei den Menschen in Wollust, Geiz und Ehrsucht,
oder wie es
1 Joh. 2, 16. heißt, in Fleischeslust,
Augenlust und hoffärtiges Leben ausschlagen kann.
Die bösen Begierden können auf etwas gehen, was an sich selbst böse und verboten ist, oder auf etwas, was wir unter gewissen
Umständen nicht begehen dürfen, oder, wenn wir es auch dürften, werden sie böse, wenn wir es auf unrechtem Wege zu erlangen
suchen, oder mit einer unmäßigen Heftigkeit verlangen.
Potiphars Weib, bei Joseph zu schlafen,
1 Mos. 39, 7. u. dgl.
§. 6. Wenn sich in unsern Herzen böse Lüste und Begierden, welchen wir in der heil. Taufe abgesagt, regen, so sind
wir schuldig, dieselben zu dämpfen, und auf alle Art und Weise niederzudrücken,Röm. 8, 12.
Matth. 18, 9. Es verbinden
uns dazu 1) GOttesBefehl.
1 Mos. 4, 7.
2 Mos. 20, 17.
5 Mos. 5, 21.
Röm.6, 12.
Col. 3, 5. GOtt der
reine und heilige will nicht bloß äußerlich reinen Wandel, sondern auch reine Herzen; und unreine Begierden bestehen nicht
mit Liebe zu GOtt,
Matth. 5, 8. 2) ChristiLeiden, 1 Petr. 4, 1. Wer diesem angehört, kreuzigt
sein Fleisch,
Gal. 5, 24. 3) der Schade, welcher daraus erwächst (§. 5.). Sie sind die Quelle aller bösen Thaten;
kein Verbrechen, dem nicht die böse Begierde vorherginge: sie schänden und würdigen den Menschen herab vor sich und vor
Andern;
sie sind wahre Plagegeister sowohl vor als nach ihrer Befriedigung: sie ziehen GOttes Horn zu,Col. 3, 5. und den ewigen Tod,Röm. 8, 6. 13.
§. 7. Um böse Begierden abzuwehren, oder zu vertilgen, ist nöthig, daß wir gleich die ersten Regungen, den Keim,
unterdrücken, das Feuer im ersten schwachenBeginnen löschen; - daß wir ihnen alle Nahrung, z. B. verführerische
Gesellschaft oder Lectüre entziehen; stets über uns wachen, vornehmlich aber bessre Begierden, die Liebe zu GOtt und allem
Göttlichen in uns erwecken, jede unreine Begierde durch eine correspondirende heilige Begierde (z. B. Wollust durch Lust
an GOtt, Ehrgeiz durch Verlangen noch GOttes Beifall) bekämpfen, das lebendige Andenken an GOtt und
an Christi Kreuz in uns erhalten, in GOttes Gegenwart wandeln und ohne Unterlaß
beten.
§. 8.
Ach wollte GOtt! es würden alle fleischlichen Sinne und Begierden in uns durch den heiligen Geist getödtet, auf daß
GOtt in uns leben und wirken möge. Wir müssen hiebei nicht vergessen, was Augustinus sagt:
Ach lieber
Herr, ich will recht in mir sterben, aus daß du in mir lebest.
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Ich will selber ganz in mir schweigen, daß du in mir redest. Ich will auch selber ganz in mir ruhen, auf daß du in mir
wirkest.