und nahmen in den Ländern der Fürsten von Bayern, der Herzoge von Österreich, der Markgrafen von Brandenburg und Baden und der Grafen von Wirtenberg ihre Nebenbuhler auch von Adel gefangen, führten sie nach Ulm und gaben ihnen die verdiente Strafe. Und es gab keinen Fürsten, der gewagt hätte, ihnen Krieg anzusagen. Daher suchten auch manche Orte, die in den Ländern der Fürsten unter dem Schutze der Fürsten nicht sicher waren, den Schutz der ulmer nach, so z. B. das Kloster Medingen von unserem Orden bei Laugingen wählte die Ulmer zu seinen Schutzherren.
Während aber die Ulmer sich so nach Außen vergrößerten, nahmen sie auch innen in der Stadt auf wunderbare Weise zu und alles vervielfachte sich, nämlich die Leute von Adel, Reiche und Arme, Handwerker, Ordensleute, Geistliche, Scholaren und Geschäfte aller Art. Denn weil die Gemeine durch die angekauften Herrschaften reich geworden war und viele Reichtümer der Stadt zufloßen, so mußten sich notwendig auch die Menschen vermehren. Wie denn der Prediger im fünften sagt 1): wo viel Guts ist, da sind auch viel, die es essen; und Matth. im vierundzwanzigsten 2): wo ein Aas ist, da sammeln sich die Adler.
Und wo viele Menschen sind, da ist auch viel Handel und Handwerk. So sind denn noch mehrere von den Alten aus der Welt, die sich erinnern, daß nicht der dritte Teil von Menschen und Handwerken in Ulm gewesen ist, als jetzt. Denn vor 70 Jahren waren kaum 2 Bäcker, wo es jetzt 20 sind;
nicht 2 Goldschmiede, wo jetzt 20 sind;
2 Bartscheerer, wo jetzt 10 sind;
1 Wirt, wo jetzt 20 sind;
2 Tuchscheerer, wo jetzt 20 sind;
1 Arzt, wo jetzt 30 sind;
1 Priester, wo jetzt 10 sind.
Und vor der Vermehrung der Universitäten waren so viele fremde junge Scholaren, als jetzt Angehörige auf einer Universität sind, und war eine große und bekannte Bachantenschule in Ulm. Und kurzum alle Künste und Handwerke sind heute dreimal größer (pag. 146) als vor 70 Jahren und sie nehmen von Tag zu Tag zu, weil sie nicht nur für die Bürger arbeiten, sondern für ganz Schwaben, und die Waren und Werke der Ulmer nach weit entfernten Gegenden gebracht werden. Aber zwei unverhältnismäßig bedeutende und fast für nichts geachtete Kunstbetriebe finden in Ulm statt, deren Produkte weithin verbreitet werden, nämlich das Abendmahlsbrot und die Spielkarten.
Denn viele bereiten Hostien und bringen sie bis in die Alpen bis nach Innsbruck 3), Bozen und Trient. So gibt es in Ulm auch so viele Kartenmacher und Kartenmaler, daß sie in Fässern die Karten nach Italien, Sizilien und nach den entferntesten Inseln des Meeres und in jede Gegend schicken. Ich schweige von den Barchetstücken und mehrerem anderen, was von Ulm in die äußersten Gegenden der Welt gebracht wird. Es gibt also in Ulm so viele und so bedeutende Menschen als in manchen doppelt so großen Städten, nicht weil die Gegend um Ulm gut und fruchtbar. wäre, so daß sie von den Gewächsen des Landes sich nährten, sondern es sind 5 Punkte, die zu dieser großen Menge beitragen.
Das Erste ist, daß. die Stadt und die Gemeine an sich reich ist, wie aus dem früheren erhellt, und in Folge davon auch die Bürger reich sind. Deshalb können auch mehr Menschen hier sich nähren. - Das Zweite ist, daß dem Armen und Elenden Gerechtigkeit zu Teil wird, wie dem Reichen und Vornehmen. Denn das wurde den alten Ulmern laut und öffentlich
1) Prediger 5, 10.
2) Matth. 24, 28.
3) Pontinum wird wohl Innsbruck sein, das sonst Pons Oeni heißt. ¶
nachgerühmt; so habe ich von einem alten Mann gehört, daß einst einer gegen einen andern einen Prozeß halte, der durch die Ulmer Richter und den Gemeinen Rat nach Anhörung der Parteien entschieden werden sollte. Am Tage vor dem Urteil aber führte der eine von diesen bei mehreren Häusern der Ratsherren, Richter und Zunftmeister ein gemästetes Schwein herum, indem er es jedem anbot, damit er beim Urteil auf seiner Seite wäre, aber alle wiesen ihn mit seinem Schwein ab. Und so führte dieser das Schwein nach Ursperg 1) zurück, wo er her war, und erhielt ohne diese Bestechung sein Urteil. Wegen dieser berühmten Gerechtigkeit fanden auch einst Reichstage, Versammlungen und Verhandlungen der Fürsten, Adeligen und Städter vor den Ulmern statt, und ihrem Urteil und Spruch (pag. 147) gehorchten sie. So soll das Rottweiler Gericht in Ulm stattgefunden haben, worüber man im Kloster Herwartingen 2) Schriftliches hat. - Das Dritte, warum Ulm so viele Einwohner hat, ist die Freiheit. Denn es gibt hier keine schweren Lasten, sondern leicht kann jeder Arme hier bestehen. - Das Vierte ist die Allgemeinheit der Geschäfte; denn alle Geschäfte werden hier getrieben. Deswegen können nicht nur Erwachsene, sondern Kinder von Armen täglich einen Denar oder zwei verdienen. - Das Fünfte ist die Ergötzlichkeit und das Vergnügen; denn wenn ein Mensch sich am Gottesdienst, an Religion und am Anhören des Wortes Gottes ergötzt, an Orgelspiel und Zierat, am füßen Gesang der Scholaren oder der lieblichen Melodie, an langem oder kurzem Gottesdienst, so wird er alles täglich in Ulm in der Nähe finden.
Wenn aber jemand an irdischen und weltlichen Dingen sich ergötzt, so wird er es in Ulm in jeder Art im weitesten Maße finden. Hier gibt es Spiele, hier Schaustellungen, hier Gesellschaften, hier kann man einen Rausch trinken, hier gibts schöne und geschmückte Frauen, hier übermäßigen Luxus, hier irdische und weltliche Vortrefflichkeit, hier Müßiggang, hier emsige Arbeit, hier vernimmt man die Tagesneuigkeiten von Osten und von Westen mehr als in irgend einer andern Stadt Schwabens; hier herrscht Freude und Trauer, hier Leben und Tod, hier Tugend und Laster, was Ulm mit andern gemein hat.
Aus diesem allem erhellt eine Zunahme der Stadt Ulm, worin sie bis zu dieser Stunde fortfährt, und man braucht es nicht als eine Abnahme zu rechnen, daß die Ulmer in neuerer Zeit durch allerlei Übermut der Bayern geplagt werden, die vom Jahr des Herrn 1478 bis zur Gegenwart, wo sie können, Ulm quälen und tribulieren; denn wenn sie auch hiedurch unmerklich geschädigt zu werden scheinen, so nehmen sie dagegen zu an Kraft, Erfahrung, Tüchtigkeit und innerem Frieden. Klüglich aber haben die Ulmer dies bis jetzt zum Schein mit Geduld hingenommen und die gewaltsame und ganz ungerechte Plünderung des Ihrigen ertragen, um größeren Schäden zu begegnen und später mit um so kühnerem Mute das Ihrige mit Gewinn zurückzunehmen.
Wie denn Augustinus de civitate dei lib. 3, cap. 5, sagt, Rom sei mehr zur Zeit des Friedens als der Kriege zugrunde gerichtet worden. Denn zur Zeit des Friedens gaben sie sich der Sinnenlust und den Lastern hin (pag. 148), erregten innere Kämpfe und gerieten so in den äußersten Verfall. Dies alles verhindern die Kriege. Denn obwohl die Ulmer schon mehrere Jahre durch die Bayern geplagt worden sind und einen ziemlichen Verlust ihrer Macht ausgehalten und viele Beeinträchtigungen ertragen haben, so ist doch niemals das Ulmer Gemeinwesen höher an Reichtum, stärker an Bevölkerung, kühner an Mut, mächtiger an Waffen,
1) Veesenm.: Ursberg, Abtei südlich von Burgau, an der Mindel, westl. von Tannhausen.
2) Veesenm.: Herbrechtingen, Augustinerkloster an der Brenz, zwischen Heidenheim und Giengen. ¶