Zweite Abtheilung.
Abriss der allgemeinen Chemie.
Einleitung.
Durch unsere Sinnesorgane erhalten wir Nachricht von dem Vorhandensein der Gegenstände in der Aussenwelt, wir nehmen deren Eigenschaften und Veränderungen wahr.
Was wir wahrnehmen und mit den Dingen vor sich gehen sehen, nennen wir Erscheinungen;
dieselben können zweierlei Art sein, physikalische oder chemische.
Das Fallen eines Steines, das Tönen einer Glocke, das Anziehen eines Magnetes oder einer geriebenen Siegellackstange, die durch ein Brillenglas bewirkte Vergrösserung sind Erscheinungen, wobei die verwendeten Gegenstände keine Veränderung erleiden.
Wenn Schwefel in einem Probirglase vorsichtig erwärmt wird, so schmilzt er zu einer dunkelgelben Flüssigkeit, welche nach dem Erkalten und Erstarren sich als unveränderter Schwefel mit allen früheren Eigenschaften erweist.
Gleiches ergiebt sich beim Schmelzen und Erstarrenlassen von Zinn, Blei.
Eisen etc. Alle diese Erscheinungen, bei welchen nur vorübergehend der Zustand der Körper verändert wird, sind physikalische.
Mischt man Schwefelblumen und Eisenpulver innig unter einander, so erhält man eine graugrüne Masse, welche ganz gleichmäßig aussieht und etwas Neues zu sein scheint;
betrachtet man sie aber mit dem Vergrösserungsglase, so erkennt man leicht, wie gelbe Schwefeltheilchen und graue Eisentheilchen unverändert neben einander liegen.
Auch kann dem Gemenge mit einem Magnet alles Eisen, oder durch Auflösen in Schwefelkohlenstoff aller Schwefel leicht und unverändert entzogen werden.
Das Mischen hat also keine wesentliche Veränderung dieser Stoffe bewirkt;
eine solche tritt aber ein, wenn etwas von dem Gemenge in einem Probirglase erwärmt wird.
Unter heftigem Glühen vereinigen sich die beiden Stoffe zu Schwefeleisen, einem neuen Körper mit neuen Eigenschaften.
Diesem neuen Körper kann das Eisen nicht durch den Magneten und der Schwefel nicht durch Schwefelkohlenstoff entzogen werden, und unter dem Vergrösserungsglase erscheinen alle Stäubchen desselben einander ¶
vollkommen gleich. Aehnlich ist es, wenn Eisen in feuchter Luft zu rothbraunem Rost, brennendes Magnesium zu weissem Pulver, Holz zu Kohle Wein zu Essig wird etc. Alle Erscheinungen, bei welchen durch stoffliche Veränderung (Zersetzung, Umsetzung, Vereinigung) neue Körper mit neuen Eigenschaften entstehen, sind chemische.
Chemie ist die Wissenschaft von der stofflichen Verschiedenheit der Körper.
Wenn rothes Quecksilberoxyd stark erhitzt wird, erhält man blankes metallisches Quecksilber und ein Gas (Sauerstoff);
es hat dabei eine chemische Zerlegung oder Zersetzung stattgefunden.
Durch Vereinigung von Quecksilber und Sauerstoff kann aber auch wieder Quecksilberoxyd hergestellt werden.
Ebenso kann man, wenn auch auf Umwegen, aus Schwefeleisen wieder Schwefel und Eisen erhalten.
Die Ermittelung der Bestandtheile eines Körpers nennt man Analyse, während die Darstellung chemischer Verbindungen aus einfacheren Stoffen Synthese heisst.
Eine Untersuchung, welche bezweckt, nur festzustellen, aus welchen Stoffen ein Körper besteht, heisst qualitative Analyse, aber eine solche, bei welcher die Menge der Bestandtheile ermittelt wird, nennt man quantitative Analyse.
Solche Stoffe wie Quecksilber, Schwefel, Sauerstoff etc. in verschiedene Bestandtheile zu zerlegen, ist bis jetzt nicht gelungen: man nennt sie Elemente (Grund- oder Urstoffe), im Gegensatz zu den zerlegbaren oder zusammengesetzten Körpern.
Ein Element ist ein solcher Körper, der als Bestandtheil zusammengesetzter Körper auftritt und aus denselben abgeschieden werden kann, aber selbst einer Zerlegung in einfachere Bestandtheile nicht mehr fähig ist.
Die Zahl der bisher bekannten Elemente beträgt etwa 70. (S. Tab. S. 367.)
Nach der Häufigkeit und Menge ihres Vorkommens ergiebt sich die, Reihenfolge: O, Si, Al, Fe, Ca, Mg, Na, K, H, Ti, C, Cl, Br, P, Mn, S, Ba, N, Cr etc.
Als chemische Zeichen (Symbole) benutzt man den ersten, oder wo es nöthig ist, um Verwechselungen zu vermeiden, noch einen zweiten Buchstaben des lateinischen Namens eines Elementes.
Chemische Verbindungen werden durch eine Formel bezeichnet, indem die Zeichen ihrer Elemente neben einander gesetzt werden, z. B. FeS (Schwefeleisen), KJ (Jodkalium), NaOCl (unterchlorigsaures Natrium), CNH (Cyanwasserstoff), CNOH (Cyansäure) etc. Sind mehrere Atome ein und desselben Elementes in der Verbindung vorhanden, so schreibt man sie meist nicht einzeln (HHO), sondern setzt ihre Anzahl als Faktor hinter das Atomzeichen, z. B.: H2O , NH3 , SO2 , P205 ^[P2O5], CHCl3 .
Steht eine Zahl vor einer Formel, so bezieht sie sich auf sämmtliche Elemente derselben, z. B. 2 CO2 heisst: CO2 + CO2 .
Jedes Element denkt man sich zusammengesetzt aus gleichartigen kleinsten, nicht weiter zerlegbaren Theilchen, welche man Atome nennt. ¶