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rischen Gemälden großen Stiles zn begeistern. Daß die Geschichtsmalerei aber nur da gedeihen kann, wo eines Landes in ununterbrochenem Zusammenhang mit der Gegenwart geblieben ist oder wo die Malerei zum Ausdruck politischer Wünsche und Hoffnungen dient, lehrt uns außer den Spaniern auch der Blick auf die übrigen kunstübenden Nationen Europas. Ein Volk, das sich in der Gegenwart stark und selbstbewußt fühlt, hat nicht so sehr das Bedürfnis, sich an den Großthaten der Vergangenheit zu begeistern, wie eine zerrissene, geknechtete oder in ihren politischen Forderungen unbefriedigte Nation.
Ein charakteristisches Beispiel dafür sind die aus Polen stammenden Maler, die froH ihrer Zerstreuung über die vornehmsten Kunststädte Europas, München, [* 2] Wien, [* 3] Rom und [* 4] Paris, [* 5] durch das Band [* 6] leidenschaftlicher Vaterlandsliebe, durch die Erinnerung an die verlorene politische Selbständigkeit zusammengehalten werden. Nach dem Vorgang Matejkos, dessen Werkstatt in Krakau [* 7] für viele Künstler polnischer Nationalität die erste Etappe ihrer Entwickelung ist, wird die Geschichtsmalerei eifrig betrieben, wenn auch noch keiner der jüngern Matejko gleichgekommen ist, der in Berlin [* 8] mit mehreren geschichtlichen Genrebildern und einen: großen Gemälde vertreten war, das die den Untergang Polens prophezeiende Predigt Skargas vor dem Landtag in Gegenwart des Königs Siegmund III. darstellt. Im Bildnis und in der Schilderung des heimischen Volkslebens in Gegenwart und Vergangenheit hatten die Polen die künstlerisch wertvollsten Leistungen auszuweisen, darunter solche, die, wie z.V. die Herren- und Damenbildnisse der in Paris lebenden Anna Bilinska, die männlichen Porträte [* 9] des in Krakau gebildeten Kasimir Pochwalski (s. d.), die Händler aus Tiflis und der Tfcherkessentanz von Michael G. Wywiorski in München, das höchste Maß von Kraft [* 10] und Wahrheit der Charakteristik, von engstein Anschluß an die Natur und von technischem Können darstellen, das die moderne Malerei bisher ^u erreichen im stände war. In Theodor Rygicr in Krakau besitzen die Polen auch einen Bildhauer von urwüchsiger Kraft, der direkt auf die Natur losgeht und namentlich in Bronzefiguren und -Büsten große Wirkungen, freilich unter Anwendung von starken malerischen Mitteln, zu erzielen weiß.
Auch Nngarn ist ein Land voll starker Nationalitätstriebe, die sich aber nicht so sehr in Bildern aus seiner Geschichte, als in Darstellungen aus seinem gegenwärtigen Volksleben und in Schilderungen der heimatlichen Natur äußern. Die wenigen Geschichtsbilder, die in Berlin zu sehen waren, unterschieden sich sogar insofern von allen übrigen, als sie einen akademischen Zug trugen, als ob sie mehr dem Verstand als dem .herzen entsprossen wären, während sich in Bildnissen, Genrebildern, Einzelfiguren, Landschaften und Tierstücken volle Hingabe an den Stoff und volles Mitempfinden kundgaben.
Selbst ein Künstler wie Munkacsy, der in seinen Bildnissen von Damen der vornehmen Welt in kokett ausgestatteten Boudoirs immer die neueste Pariser Mode widerspiegelt und die letzte Blüte [* 11] raffinierter Maltechnik bietet, gibt sich in seinen Bildern aus dem ungarischen Volksleben einfach und wahr. Seine ursprüngliche Neigung zur Schwarzmalerei hat übrigens auf seine Landsleute keinen Einfluß geübt. Ein frischer, gesunder Ton, der ebensowenig von der Schwarzmalerei wie von der mehligen Hellmalerei der modernen Naturalisten etwas wissen will, ist vielmehr für alle in Berlin ausgestellt gewesenen Bilder charakteristisch.
Unter den Genremalern, die Stoffe aus dem modernen Volks- und Gesellschaftslebeir behandeln, sind Alexander Vihari (f. d.) mit seinen: Dorflump und der Szene vor dem Stuhlrichter, Tihamer von Margitay (die Flitterwochen), O.v.Baditz (ein Verhör), Julius Agghazy (Dorfklatsch), Otto Koroknyai, Ludwig Ebner (Auferstehungsprozession in Ungarn [* 12] und Heinikehr der Schnitter), Heinrich Pap (Rekrutierung am 1. Oktober) und Paul Vago durch Kraft und Wahrheit der Charakteristik und durch koloristische Virtuosität besonders hervorragend. Letztere erstreckt sich bei den Ungarn so gleich'm Wg auf alle Gattungen der Malerei, wie bei keiner andern Nation, wobei freilich nicht außer acht zu lassen ist, daß in Berlin eine sorgfältige Auswahl aus den besten Schöpfungen der ungarischen Malerei geboten worden war, und daß die Mehrzahl der ungarischen Maler ihr technisches Können nicht in der Heimat, sondern, von Stufe zu Stufe fortschreitend, in Wien, München und Paris erworben hat. Aus solchen Stildien auf den Hauptplätzen der Kunstübung sind auch diejenigen Meister hervorgegangen, die neben Munkacsy den Höhepunkt der ungarischen Malerei bezeichnen: der Bildnismaler Leopold Horovitz (s.d.), dessen Porträte von Dmmn der Aristokratie in Pest, Wien und Berlin den besten Schöpfungen van Dycks gleichkommen, der Schilderer orientalischen Volkslebens Franz Eisenhut (s. d.), der in München gebildete Landschaftsmaler Vela von Svanyi und der Tiermaler Bela Pallik, dessen Ställe mit Schafen und Lämmern alles übertreffen, was die Schafmaler Iacaue, Brendel und Gebler geleistet haben. Zu den hervorragendsten ungarischen Malern ist auch Arpad von Feszty zu zählen, dessen trauernde Frauen am Grabe Christi die ergreifende Wirkung eines echten Andachtsbildes mit vollkommener Wahrheit in Charakteristik und Farbengebung verbinden. Zu einer geschlossenen, auserlesene Schöpfungen umfassenden Gruppe hatten sich auch die in Paris lebenden, aus Nordamerika [* 13] gebürtigen 'Maler englischer und deutscher Abstammung vereinigt.
Sie werden durch kein gemeinsames, nationale) Band zusammengehalten, sondern sie spiegeln zumeist nur die in den Pariser Ateliers herrschenden guten und schlechten Lehrgrundsätze und Launen wider. Aber es gibt unter ihnen einige starke Talente, deren eigenartige Physiognomie bereits unter der Nachahmung zum Durchbruch gelangt ist. Das bedeutendste und kräftigste ist Lord Edwin Weeks, dessen Architekturlandschaften und architektonische Innenräume mit Figuren aus Ostindien [* 14] (Gebet' stunde in der Perlenmoschee in Agra, Restaurant in: Freien und ein Radscha von Jodhpur) an Energie und Wärme [* 15] des Kolorits, an Lebendigkeit und Mannigfaltigkeit der Charakteristik alle ähnlichen Darstellungen seiner Vorgänger, insbesondere die Wereschagins, weit übertreffen.
Frederick Arthur Bridgmcm, der seine orientalischen Studien in Algier macht, Henry Mosler (Genrebilder aus dem Leben der Bauern in der Bretagne), Gari Melchers, Walter Mac Ewens und Charles Sprague Pearce, alle drel Nachahmer der französischen tzellmaler und Naturalisten, Karl Gutherz, H. Humphrey Moore sind die andern hervorragenden Spitzen der nordamerikanischen Malerkolonie in Paris. Daß auch die Malerei Rußlands ihren Angelpunkt in Paris sieht, ist unter den gegenwärtigen politischen Verhältnissen so zweifellos, daß die für Berlin arrangierte, zumeist aus kaiserlichem Besin und aus der Galerie der Petersburger Kunstakademie ¶
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zusammengebrachte Eliteausstellung über den wirk: liehen Stand der russischen Kunst nicht täuschen konnte. Die absterbende Richtung geht noch im Fahrwasser der deutschen Akademien alten Stiles, wo ihre Vertreter (A. Bogolubow, Nikolaus Gue, Nikolaus Swertschkow, Aiwasowski u. a.) ihre Ausbildung erhalten haben. Die jüngern, die sich fast ausnahmslos mit Schilderungen aus dem russischen Volksleben der Gegenwart, mit Darstellungen der neuern russischen Kriegsgeschichte oder von festlichen Ereignissen beschäftigen, wie z. B. Wladimir Makowski.
Alexis Kiws'chenko, Elias Repin (Abschied des Rekruten), Konstantin Sawitzki (die Abreise der Reservisten), Alexander Beggrow, haben sich zuzument in Paris ihren letzten Schliff geholt, einige freilich, nachdem sie zuvor einige Zeit in München gearbeitet. Ein völlig französisches, von Bastien-Lepage und seinen Nachahmern beeinflußtes Gepräge tragen die Bildnisse und Naturstudien der im jugendlichen Alter verstorbenen Marie Baschkirtschew, die nach ihrem Tode durch die Herausgabe ihres Tagebuches auch als Schriftstellerin bekannt geworden ist.
Der größte Techniker unter den russischen Malern der Gegenwart ist Stephan Vakalowitsch, dessen altrömisches, mit Kunstwerken reich ausgestattetes Vorzimmer, worin Klienten auf den Empfang durch den Patron warten, in der täuschenden Wiedergabe aller Steine, Metalle und Stoffe das höchste Maß der Illusion erreicht. Die englische Malerei war bei weitem nicht so glänzend vertreten, wie auf der Jubiläumsausstellung von 1886, was sich zum Teil aus dem Rückgang der englischen Kunst erklärt, der seit einigen Jahren durch die einheimischen Ausstellungen immer deutlicher wird.
Dieser Rückgang zeigte sich geradem den Werken derjenigen Künstler, die den Ruf der englischen Malerei im Ausland begründet haben, bei Fr. Leighton, I. E.Millais, Poynter, W. B.Nichmond, Alma-Tadema, G. F. Watts, John Gilbert, W.W. Ouleß am meisten, während Herkomer in der Dame in Schwarz und in dem ländlichen Idyll: Unser Dorf, zweien seiner besten Schöpfungen aus den letzten Jahren, seine hohe Stellung als Bildnis- und Genremaler behauptete. In der Malerei Belgiens, Hollands und Dänemarks gewinnt die naturalistische, von Frankreich eingeführte Richtung immer mehr Anhänger, unter denen jedoch wirkliche Talente selten sind. In Belgien [* 17] bildet die altflandrische Tradition noch das stärkste Gegengewicht gegen den Naturalismus, während sich die Wege der holländischen Malerei immer weiter von ihrer Glanzzeit im 17. Jahrh, entfernen.
Ein Gegengewicht bildet in Belgien auch die Plastik, die selbst bei den gewagtesten naturalistischen Experimenten immer noch in höherm Grade an die Form gebunden ist als die Malerei, und die inmonumentalen Schöpfungen den poetischen Schwung, den heroischen Zug und das edle Feuer des wallonischen Volkscharakters nicht verleugnet. In van der Stappen, Paul de Vigne und Julian Dillens besitzt die belgische Bildhauerkunst [* 18] drei Künstler von stark ausgeprägten: Gefühl für das! Monumentale.
In der Genre- und Porträtplastik! sind Leon Mignon (.Reiterbildnis König Leopolds II. ^ und belgische Militärtypen in vortrefflichen Bronze-! güssen von höchster Lebendigkeit), Hippolyte le Roy, ! Guillaume Charlier und Jules Weyns die hervor- z ragendsten. Den äußersten Naturalismus vertritt! Constantin Meunier, der in der Gruppe einer Mutter, ! die an der Leiche ihres bei einem Grubenunglück getöteten Sohnes wehklagt, dem Pietämotiv die Meyers Konv.'Lc Mn, 4. Aufl,, XIX.
Bd. stärksten Wirkungen abgewonnen hat. Derjenige unter den Malern Dänemarks, der im Auslande die höchsten Auszeichnungen erhält, ist Peter Kröyer. In der Wahl seiner Motive und seiner Beleuchtungseffekte hat er eine gewisse Verwandtschaft mit Menzel. Aber er erreicht ihn weder in seiner Eisengießerei, [* 19] noch in seinem Konzert im Atelier bei Lampen- und Kerzenlicht. Einen imponierenden Eindruck im ganzelt wie im einzelnen machte die sehr sorgfältig zusammengestellte österreichische Abteilung, in der die Porträt-, Genre-, Landschafts- und Stilllebenmalerei gleich glänzend vertreten war, während die Geschichtsmalerei großen Stiles nur zwei hervorragende Werke in Julius v. Payers Tod Franklins und in dem Fenstersturz in Prag [* 20] 1618 von dem in Paris lebenden Böhmen [* 21] Vacslav Brozik aufzuweisen hatte.
Die Wiener Landschaftsmaler I. E. Schindler, R. Ruß, H. Tarnaut und W. Bernatzik bezeichnen mit ihren reifsten Werken den höchsten Stand der Entwickelung, den die moderne Stimmungsmalerei bis jetzt erreicht hat. Auf gleicher Höhe steht die österreichische Plastik, die besonders glänzend durch R. Weyr (Reliefs zum Grillparzer-Denkmal in Wien), Arthur Strasser (s. d.), I. Benk und den Medailleur Scharff (s. d.) vertreten war. Da der Schwerpunkt [* 22] der Ausstellung auf die Beteiligung der fremden Nationen gelegt war, traten die deutsch en Künstler, die sich auch eine räumliche Beschränkung gefallen lassen mußten, in den Hintergrund.
Den günstigsten Eindruck machten die Ausstellungen von Düsseldorf, [* 23] München und Karlsruhe, [* 24] die eine Auswahl der besten Schöpfungen aus den letzten 3-4 Jahren geboten hatten. Am empfindlichsten war der Mangel an Gemälden großen Sales. Doch ist dieser Mangel keineswegs charakteristisch für die neuere deutsche Malerei, da gerade im letzten Jahrzehnt eine ungewöhnlich große Zahl von monumentalen Gemälden entstanden ist, die selbstverständlich in einer Ausstellung nicht vorgeführt werden können.
Dafür entschädigte reichlich die deutsche Bildhauerkunst, die in ihren Einzelleistungen auf dem Gebiete der monumentalen, Bildnis- und Genreplastik denen aller andern Nationen nicht nur ebenbürtig ist, sondern sie an Vielseitigkeit noch übertrifft. Das Gleiche gilt von der deutschen Architektur, in welcher Phantasie der Erfindung und praktische Lösung großer Aufgaben immer mehr zu glücklichem Ausgleich gelangen. Das materielle Ergebnis der Berliner [* 25] Ausstellung besteht in einem Überschuß von 110,000 Mk. und in einem Umsatz von 800,000 Mk. für verkaufte Kunstwerke.
Von dieser Summe kamen 426,557 Mk. auf Arbeiten Berliner Künstler, 119,000 auf die Spanier, 109,000 auf die Italiener, 81,000 auf Düsseldorf und 75,000 Mk. auf München. II. Die Münchener Jahresausftellung. Im Gegensatze zu der Ausstellung von 1890, auf der die Glasgower Maler mit ihrer eigentümlichen Art, die Natur anzuschauen und in Farben wiederzugeben, zum erstenmal aus ihrer örtlichen Abgeschlossenheit und Verborgenheit in die europäische Kunstbewegung eintraten, fehlte der dritten Münchener Ia hresausstellung der beherrschende Mittelpunkt und überhaupt jeder irgendwie charakteristische Grundzug, obwohl die Zahl der eingesendeten Kunstwerke die der frühern Jahre noch übertroffen hatte. Trotz der Konkurrenz von Berlin zählte der Münchener Katalog rund 2500 Nummern auf, wozu noch die in einem abgeschlossenen, tempelartig dekorierten Raume vereinigten Ehrengaben (meist Aquarelle U.Zeichnungen, 30 ¶