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Neuübergetretenen ein gewöhnliches Vorkommnis. Dieselben Vorgänge haben sich seit dem Beginn unsrer Zeitrechnung öfters wiederholt. Im 3. Jahrh. n. Chr. hat sich die jüdische Bevölkerung [* 2] der südöstlich von Babylonien gelegenen persischen Provinz Chusistan mit der dort einheimischen Bevölkerung aufs innigste vermischt, und derselbe Prozeß der Rassenkreuzung durch geschlechtliche Vermischung hat sich damals in der Stadt Machuza (am Tigris) vollzogen. Im 8. Jahrh. n. Chr. kam es in der Krim [* 3] zu jener Vermischung der J. mit dem tatarischen Stamme der Chasaren, aus der die Karaim hervorgegangen sind. Noch im 13. Jahrh. ist in Ungarn [* 4] die Zahl der zwischen J. und Christen abgeschlossenen Ehen eine sehr beträchtliche gewesen. Bekannt ist auch, daß die Judenverfolgungen in Spanien [* 5] und Portugal, indem sie den zeitweiligen scheinbaren Übertritt zahlreicher J. zum Christentum bewirkten, der Vermischung der spanisch-portugiesischen J. mit fremden Rassenelementen Vorschub geleistet haben.
Bezüglich gewisser außerhalb Europas lebender J. ist es wahrscheinlich, daß dieselben nur dem Namen und der Religion, nicht aber der Abstammung nach zum Judentum zu rechnen sind. Dahin gehören zunächst die 200,000 Falascha in Abessinien, welche die Agausprache reden und zu den nubischen Völkerschaften gerechnet werden müssen. Auch die schwarzen J. oder Hesodia an der Malabarküste Vorderindiens sind wahrscheinlich nur der Religion nach J., ihrer Abstammung nach aber Hindu; auch bezüglich der Daggatouns (schwarze J. der Sahara) und der Mavamba (schwarze J. der Loangoküste) ist es zweifelhaft, ob in denselben semitisches Blut enthalten ist.
Nicht der Religion, aber ihrer Abstammung nach sind zu den J. noch die Chetas oder Annussim der Balearen (Nachkommen von J., welche aus Spanien nach jener Inselgruppe flüchteten und, um Verfolgungen zu entgehen, dort den christlichen Glauben annahmen), ferner die Maiminen von Salonichi (Nachkommen von Anhängern des jüdischen Mahdi) und die Gdid al Islam (zur Annahme des mohammedanischen Glaubensbekenntnisses gezwungene J.) von Chorasan zu rechnen. Bezüglich der zwei großen Abteilungen, in die man die Masse der J. zu trennen pflegt, nämlich der Sephardim (spanisch-portugiesische J.) und der Aschkenasim (deutsch-polnische J.), hat Bertin behauptet, daß erstere aus einer Vermischung des semitischen Elementes mit der Urbevölkerung Armeniens, letztere aus einer angeblich in Ägypten [* 6] stattgehabten Kreuzung der Stämme Israels mit dort ansässigen Negern und den nichtsemitischen Stämmen Kanaans hervorgegangen seien.
Wenn aber auch zugestanden werden muß, daß die Sephardim den ursprünglichen semitischen Typus wohl in etwas größerer Reinheit bewahrt haben als die Aschkenasim, so ist ein durchgreifender Unterschied in der körperlichen Bildung der spanisch-portugiesischen J. einerseits und der deutsch-polnischen J. anderseits doch nicht mit Sicherheit festzustellen; jene Einteilung beruht mehr auf der Verschiedenheit der Aussprache des Hebräischen, als auf der Verschiedenheit der körperlichen Merkmale.
Wenn Karl Vogt zwei verschiedene jüdische Typen unterscheidet, nämlich einen hauptsächlich im Norden [* 7] (Rußland, Polen, Deutschland [* 8] und Böhmen) [* 9] sich findenden Stamm mit oft roten Haaren, kurzem Bart, etwas aufgeworfener Stumpfnase, kleinen grauen, listigen Augen, gedrungenem Körperbau, rundem Gesicht [* 10] und breiten Backenknochen (einen Typus, der im allgemeinen gewissen slawischen Stämmen ähneln soll) und einen zweiten jüdischen Typus, der im Orient, in der Umgebung des Mittelmeeres und in Holland besonders verbreitet ist, durch langes schwarzes Kopf- und Barthaar, große, mandelförmig geschlitzte, schwarze Augen mit melancholischem Ausdruck, längliche Gesichtsform und stark gekrümmte Nase [* 11] charakterisiert wird, so läßt sich auch diese Einteilung kaum aufrecht erhalten.
Wenn die unter Virchows Leitung vorgenommenen statistischen Erhebungen über die Farbe der Augen und Haare der [* 12] Schulkinder Deutschlands [* 13] einen Durchschnitt von 11,2 Proz. blondhaariger und blauäugiger Judenkinder ergeben haben, und wenn auch sonst in den verschiedensten Ländern Europas sowie in Nordafrika, Kleinasien, Kurdistan etc. blonde J. ziemlich zahlreich angetroffen werden, so ist diese Erscheinung nicht etwa auf eine in neuerer Zeit stattgehabte Rassenkreuzung, sondern mit größter Wahrscheinlichkeit auf jene obenerwähnte Vermischung der J. im alten Palästina [* 14] mit der daselbst ansässigen indogermanischen Bevölkerung (Amoriter) zurückzuführen.
Daß bezüglich der Kopfform, Gesichtsbildung (Form der Nase, des Kinnes, der Lippen, der Unterkiefergegend, Abstand der Backenknochen etc.), der Länge der Extremitäten, der Klafterweite (Entfernung der Mittelfingerspitzen voneinander bei horizontal ausgestreckten Armen), der Hüftenbreite und andrer Körpereigenschaften unter den J. sehr bedeutende Verschiedenheiten nachgewiesen wurden, erklärt sich ohne Schwierigkeit aus der obenerwähnten Vermischung des jüdischen Stammes mit fremden Rassenelementen. So findet z. B. die Geringfügigkeit des Bartwuchses, wie sie im Gegensatze zu den J. andrer Länder die J. der Krim (Karaim) aufweisen, ihre Erklärung in der daselbst stattgehabten Kreuzung des jüdischen Stammes mit tatarischen Rassenelementen (vgl. oben). Blondheit, Blauäugigkeit, Langschädelform, gerade Nasen und regelmäßige, an das Profil griechischer Statuen erinnernde Gesichtszüge sind ebenso wie bei den J. Europas, so auch bei den J. der nordafrikanischen Küstenländer, der Levante und andrer Gebiete kein seltenes Vorkommnis.
Wo genügende statistische Unterlagen vorhanden sind, haben sich die biotischen Verhältnisse des jüdischen Stammes häufig günstiger gezeigt als jene der Völker, unter denen er lebt. Bereits 1843 wies M. Hoffmann nach, daß die rasche Zunahme der J. durch das Übergewicht der Geburten über die Sterbefälle bedingt ist, ein Übergewicht gegenüber den Bekennern andrer Religionen in Deutschland, das wiederum durch die Heiraten in frühem Lebensalter, durch geringere Zahl der unehelichen Kinder und geringere Kindersterblichkeit hervorgerufen wird. De Neufville hat für Frankfurt [* 15] a. M., Körösi für Budapest, [* 16] Schimmer für Österreich, [* 17] v. Fircks für Preußen [* 18] diese den J. günstigen Verhältnisse dargethan.
Ferner fällt auch ins Gewicht die durchschnittlich bedeutende Wohlhabenheit der J. in Deutschland und in Österreich-Ungarn, [* 19] die hierdurch mögliche und geübte Sorge für Nahrung und Wohnung, für rationelle Behandlung der Schwangern und Kinder und die geringere oder fast ganz fehlende Beteiligung der J. an schweren körperlichen, das Individuum aufreibenden Arbeiten. Die strenge Regelung der geschlechtlichen Beziehungen trägt ebenfalls dazu bei, die jüdischen Frauen in guter Gesundheit zu erhalten; dieser Umstand bewirkt es auch, daß nur ein ganz geringer Prozentsatz der jüdischen Kinder totgeboren wird. Da, wo die J. dicht beisammenwohnen, wie in Galizien, Polen, Westrußland [* 20] etc., und nachteilige soziale und moralische Einwirkungen zur Geltung ¶
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kommen, sind auch die biotischen Verhältnisse weniger günstig, wie denn z. B. in Niederösterreich unter den jährlich gebornen jüdischen Kindern nur 3,5 Proz. uneheliche (bei der Gesamtbevölkerung 30,9 Proz.!), in der Bukowina dagegen 44,8 Proz. uneheliche sich befinden. Hinsichtlich der unehelichen Geburten der J. in Galizien und der Bukowina ist allerdings zu bemerken, daß dieselben von der dortigen jüdischen Bevölkerung als solche nicht betrachtet werden, indem letztere ihre Eheschließungen nicht nach staatlichen, sondern rituellen Vorschriften vornimmt, daß die Judenehen in diesen Gebieten ungemein frühzeitig geschlossen werden, daß nahezu kein jüdisches Mädchen daselbst ledig bleibt und uneheliche Geburten nach jüdischer Auffassung daselbst so gut wie gar nicht vorkommen (s. Illegitimität, S. 468).
Gewisse körperliche Eigentümlichkeiten der heutigen J. sind zurückzuführen auf ehemalige ungünstige Existenzbedingungen. Die niedrige Statur und der relativ geringe Brustumfang der meisten J. sind aufzufassen als eine durch die gesundheitlichen Nachteile des Ghettolebens bedingte Wachstumsverkümmerung, die selbst bei den unter günstigern Verhältnissen lebenden Enkeln und Urenkeln der solchen Einflüssen ausgesetzten J. noch zur Geltung kommt. Die Häufigkeit des Plattfußes und andrer Mißbildungen der untern Extremitäten bei den J. steht wohl auch im Zusammenhang mit jenen gesundheitlichen Mißständen vergangener Generationen, welche durch Vererbung übertragene Abnormitäten erzeugt haben.
Gewisse andre körperliche Mängel der J. (wie z. B. das relativ häufige Vorkommen von Taubstummheit und Farbenblindheit) beruhen wohl im wesentlichen auf der relativen Häufigkeit der Verwandtschaftsheiraten; das verhältnismäßig häufige Vorkommen von Geisteskrankheit bei J. ist vielleicht auf Rechnung jener geistigen Anstrengungen und Aufregungen zu setzen, welche bei dem leicht erregbaren jüdischen Temperament das seelische Gleichgewicht [* 22] stören.
Eine Immunität der J. gegen Lungenschwindsucht und andre Krankheiten, die man früher angenommen und als Rassenmerkmal hingestellt hat, ist in Wirklichkeit nicht vorhanden. In Russisch-Polen sind beispielsweise 1877-80 von den dortigen Rekruten mosaischen Glaubens nicht weniger als 4 Proz. wegen Tuberkulose für militäruntauglich befunden worden. Ebenso wie die J. Europas im Mittelalter durch den »schwarzen Tod« zu Tausenden weggerafft wurden, und ebenso wie die J. des Orients beim Auftreten der Pest in den von ihnen bewohnten Ländern niemals verschont bleiben, ebenso haben die J. Deutschlands, Österreichs, Frankreichs und andrer europäischer Staaten bei Gelegenheit der während der letzten Jahrzehnte in den betreffenden Ländern grassierenden Cholera-Epidemien von dieser Seuche nicht weniger zu leiden gehabt, als ihre christlichen Mitbürger. Ebenso unerwiesen ist es, wenn man behauptet, daß der Jude sich in tropischen Ländern leichter akklimatisiert, als der Arier; höchstens kann zugestanden werden, daß die dem J. eigentümliche Mäßigkeit im Genuß von geistigen Getränken demselben eine größere Widerstandsfähigkeit gegenüber den klimatischen Einflüssen verleiht. Ein der jüdischen Rasse eigentümlicher Geruch (foetor Judaicus) ist nicht vorhanden.
Daß, abgesehen von der Umgestaltung der Körperbildung, die Eigenart der J. durch die Kreuzung mit fremden Rassenelementen gewisse Veränderungen erleiden mußte, ist zweifellos. Daß die J. zu einer Zeit, wo bei ihnen die Polygamie noch allgemein gebräuchlich war, durch die Anerkennung einer Frau als Herrscherin im Hause doch bereits eine Hinneigung zur Monogamie bekunden, beruht nach Lippert auf der Vermischung mit Indogermanen, bei denen schon in früher Zeit die Monogamie eine hochgeschätzte Institution bildete. Auf denselben Umstand sind wohl auch gewisse in der vorjahvistischen Religion (jener Religion, die dem ausschließlichen Jehovahdienst der J. vorausging) enthaltene Anklänge an den indogermanischen Kultus zurückzuführen.
[Sprache, Namen.]
In Bezug auf die Sprache sind die J. unter teilweiser Beibehaltung ihrer eignen hebräischen als einer heiligen Sprache [* 23] das am meisten kosmopolitische aller Völker geworden; sie nahmen im allgemeinen die Sprache des Volkes an, unter dem sie gerade lebten. Das Hebräische wurde noch bis in die Zeiten der Makkabäer gesprochen und geschrieben, war aber namentlich seit der babylonischen Gefangenschaft mehr und mehr dem Chaldäischen (Ostaramäischen) gewichen, und Christus wie seine Jünger bedienten sich bereits des aramäischen Dialekts, der bis ins 10. Jahrh. das litterarische Idiom der J. blieb.
Seit den Zeiten Alexanders d. Gr. begann sich das Griechische bei den J. einzuwurzeln, und in den ersten Jahrhunderten nach der Zerstörung Jerusalems bildeten die J. sich äußerlich nach der griechischen Weise, während Religion und heilige Schriften ihre innere Einheit bewahrten. Aber die Sprache wurde griechisch, und durch die Übersetzung der Heiligen Schrift in das Griechische (Septuaginta) wurde das Judentum in die Weltlitteratur eingeführt. Als dann der erobernde und zerstörende Islam sich über die Länder am Mittelmeer und bis gen Persien [* 24] hin ergoß, nahmen die zerstreuten J. von Karthagos Trümmerstätte bis nach dem Euphrat hin die arabische Sprache an und schrieben in derselben, während sie im christlichen Abendland, wo die Litteratur darniederlag, hebräisch weiterschrieben, für den Umgang aber sich der Landessprache bedienten.
Dies gilt im allgemeinen auch heute noch für die J., doch sind bei denjenigen, welche Europa [* 25] bewohnen oder die aus Europa stammen, namentlich zwei Sprachen zur Geltung gelangt: die spanische und die deutsche. Die spanisch-portugiesischen J. werden als Sephardim bezeichnet, nach Obadja 20, wo eine Gegend, nach welcher die Exilierten gebracht wurden, Sepharad genannt ist, worunter die Rabbinen im Mittelalter konventionell die Pyrenäische Halbinsel verstanden. Nach der Vertreibung der J. aus Spanien und Portugal (im 15. Jahrh.) nahmen die Flüchtlinge nach Nordafrika, Italien, [* 26] der Türkei, [* 27] Kleinasien, Holland die spanische und portugiesische Sprache mit, ja bis Surinam drang dieselbe vor. Im Laufe der Zeit ist dieselbe allerdings entartet und mit Zuthaten aus den Landessprachen verunreinigt worden, gilt aber heute noch ganz oder teilweise bei den J. der genannten Länder. Im Gegensatze zu den Sephardim benennt man mit Aschkenasim die deutsch redenden J., nach Askenas (1. Mos. 10, 3),. welcher Ausdruck nach der jüdischen Überlieferung die Germanen, bei spätern Rabbinen die Deutschen im heutigen Sinne bezeichnet.
Von Deutschland aus trugen im 16. Jahrh. die J. die ganz eigentümlich verunstaltete Sprache nach Polen, Litauen, Wolhynien und später weiter bis Sibirien. Dieses Judendeutsch zeigt eine eigentümliche Vereinigung der hebräischen und deutschen Sprache, welche, wild und unordentlich durcheinandergewürfelt, auf dem schmutzigen Boden entstand, auf welchem die Hefe [* 28] des Volkes mit dem Judentum sich zusammenfand. Es ist somit keine gewordene, sondern eine gemachte Sprache, ein Sprachmosaik, ¶