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380 . über deren zulässige Verunreinigung zu gewinnen.
Besondere Reinigungsanlagen für diese Abwässer vor deren Einleitung in den Fluß sind nur dann zu fordern, wenn durch spezielle örtliche Untersuchungen ermittelt ist, daß die selbstreinigende Kraft [* 2] des Flusses nicht ausreicht." - Pettenkofer - München [* 3] führte hierauf folgendes aus: Die Hygiene stehe wie andre Zweige der Medizin teils auf exaktem wissenschaftlichen, teils auf empirischem Standpunkte.
Beide Standpunkte seien für das Handeln maßgebend.
Wie man mit Chinin Wechselfieber heilen könne, dabei aber Fälle finde, in denen das Mittel nicht anschlage, so sei es auch mit der Flußreinigung.
Sielwasser schade im Fluß in der Regel nichts, aber es gebe Fälle, in denen Flüsse [* 4] bis zur Unerträglichkeit verunreinigt werden.
Während Seine und Themse Unreinigkeiten aufweisen, schade der Elbe seit Jahrhunderten der Zufluß von städtischen Abgängen nicht.
Daß es Flüsse gebe, denen man den Unrat ungestraft übergeben könne, habe sich in München zur Evidenz erwiesen, in München, das in neuerer Zeit infolge seiner Assanierungsarbeiten nahezu eine typhusfreie Stadt geworden sei.
Mit Recht spreche man von der Selbstreinigung der Flüsse, wobei teils einfache chemische und physikalische, teils biologische Wirkungen eine Rolle spielen. So diene der Sauerstoff im Flußwasser der Oxydation, so spiele die physikalische Adhäsion und die Kapillarattraktion im Wasser eine Rolle.
Nasch fließendes Wasser reinige sich schneller als langsam fließendes.
Der wesentlichste Grund für die Selbstreinigung der Flüsse sei in der Wasservegetation zu erkennen.
Medner - Dresden [* 5] teilte aus den in Dresden gemachten Untersuchungen des Elbwassers mit, daß dasselbe am unreinsten an der böhmischen Landesgrenze war, und daß es eine Meile unterhalb Dresdens, wie seine gesamten Bestandteile organisierter und chemischer Art darthun, reiner gewesen sei als auf dem ganzen Lauf der Elbe von der Grenze bis Niederwartha.
Die Elbe besitzt ein großes Selbstreinigungsvermögen.
Delius - Siegen [* 6] teilte mit, daß sich in 6 km langem Laufe der Sieg der Keimgehalt des Wassers um 63 Proz. vermindert habe.
Baumeister -Karlsruhe formulierte die von Pettenkofer aufgestellten beiden Momente der Wassermenge und Geschwindigkeit mit Rücksicht auf die Einwohnerzahl in bestimmte Zahlen, die beispielsweise für Paris [* 7] die Ziffer 3, für Linz [* 8] an der Donau 1200 ergaben, und forderte die Aufstellung einer gewissen Grenzzahl der Sicherheit bei Prüfung der Reinheit der Flüsse.
Die Versammlung nahm hierauf den gestellten Antrag an. - Zum Schluß sprach Hermann - Braunschweig [* 9] über die Schulspiele der deutschen Jugend. Er gab einen geschichtlichen Überblick über die Leibesübungen in Bezug auf die Bewegungsspiele und wies darauf hin, daß das Turnen nicht Zweck, sondern Mittel zum Zwecke sein müsse, wie der Turnplatz nicht nur zur Erzielung von Gewandtheit, Kraft und Gesundheit dienen, sondern auch eine Stätte sein solle, wo mit den Spielen ein Übergang zum wirklichen echten Volksleben geboten werde. Nm die Leibesübungen zu einer Volkssitte zu gestalten, müssen die Schulspiele gepflegt werden, und für diesen Satz treten denn auch die Turnlehrer mit allem Eifer auf.
Von dem Spielleben der deutschen Jugend seien gegenwärtig 81 Städte (davon 7 verbindlich) belebt. Es sei außer allem Zweifel, daß die Jugendspiele ein Mittel seien, die der Turnsache noch fernstehenden Kreise [* 10] heranzuziehen.
Die Gründe, welche die Schulspielfrage zu einer höchst wichtigen machen, lassen sich dahin fest stellen, daß die Jugend nach dem Sitzen sich in reine Luft und Sonnenschein begeben, daß eine Belebung des ganzen Stosswechsels stattfinden müsse.
Dafür treten die Schnelligkeitsübungen als äußerst wirksam in den Bewegungsspielen auf.
Ihr Mittelpunkt liegt vor allem in dem großen Ball, der die weitgehendste und vielseitigste Bewegung gestattet.
Auch der hohe soziale Wert der Jugendspiele wurde von dem Vortragenden gerühmt und ebenso die charakterbildende Wirkung der Schulspiele.
Zum Schlüsse seiner Ausführungen gelangte Referent zu folgenden Sätzen:
1) Die Schulspiele sowohl der Knaben als der Mädchen sind eine notwendige Ergänzung des Turnunterrichts.
2) Sie sind nicht nur von großem Werte für die Entwickelung und Erhaltung der Gesundheit und Körperkraft der Jugend, sondern auch für Zucht und Pflege des Charakters.
3) Ferner ist ihre Einrichtung das hervorragendste Mittel für Bekämpfung der Frühreife unsrer Jugend und für Hebung [* 11] der Gesittung des deutschen Volkslebens überhaupt.
4) Das Jugendspiel ist deshalb in sämtlichen Knaben- und Mädchenschulen als wichtiges Erziehungsmittel sorgfältig zu pflegen und zu einer dauernden Schuleinrichtung zu machen.
Die Teilnahme daran ist für alle, soweit nicht der Arzt sie verbietet, allgemein verbindlich zu machen.
5) Die Anlage genügender Spielplätze, welche sowohl den Knaben als den Mädchen Gelegenheit bieten, täglich zwei Stunden Bewegungsspiele zu treiben, wird zur dringenden Notwendigkeit.
Der deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege empfiehlt den deutschen Städten eine kräftige Förderung der Jugend- und Volksspiele und freut sich der Thätigkeit des Zentralausschusses für das deutsche Turnwesen zum Zwecke der Förderung dieser Angelegenheit.
II. Der 7. internationale Kongreß für Hygiene und Demographie tagte vom 11.-15. Aug. 1891 in London. [* 12]
Als 1876 im Anschluß an die Brüsseler Ausstellung für Hygiene und Rettungswesen der internationale Kongreß zum erstenmal tagte, bezeichnete König Leopold II. denselben als den Vereinigungspunkt für alle, welche sich nach Beruf oder Neigung für die Förderung der Gesundheitspflege interessieren und welche ihr Wissen und ihre Erfahrung dieser guten Sache zuwenden wollen, die wert ist, die allgemeine Aufmerksamkeit und Sympathie auf sich zu lenken, da sie aus alle sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Menschheit tief eingreifend zurückwirkt.
Nur dann könne ein solcher Kongreß für das Leben Bedeutung, .gewinnen, wenn sich an seinen Arbeiten außer den Ärzten auch Vertreter der verschiedensten Zweige der Naturwissenschaft und technischer Fächer, [* 13] Rechtsgelehrte und Verwaltungsbeamte, Industrielle und Landwirte und andre Menschenfreunde beteiligen, deren Verhältnisse ihnen gestatten, dem edelsten und humansten Beruf zu dienen, der Armut und dem Elend hilfreich unter die Arme zu greifen.
Diese Grundsätze haben auf den spätern Kongressen in Paris, Turin, [* 14] Genf, [* 15] im Haag [* 16] mehr oder weniger den Ausschlag gegeben und sind in Wien [* 17] zur vollsten Geltung gekommen.
Sie bildeten auch das Leitmotiv der Reden in der Eröffnungssitzung des diesjährigen Kongresses.
Leider war derselbe kaum als ein internationaler zu bezeichnen, er reichte in seiner Zusammensetzung nicht entfernt an den internationalen Berliner [* 18] medizinischen Kongreß heran, und der Wegfall aller gemeinsamen Sitzungen ließ die Berührungspunkte unter den Vertretern der verschiedenen Fächer völlig verschwinden. ¶
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Der Kongreß zerfiel in zehn Spezialversammlungen, die gleichzeitig tagten, und deren Teilnehmer mithin auf alles übrige verzichten mußten.
In der ersten Sektion wurde zuerst das Thema der internationalen Seuchenabwehr behandelt.
Die drohende Ausbreitung der großen Wanderepidemien, in erster Linie der Cholera, von Asien [* 20] aus über den Occident haben den ersten Anstoß zu zielbewußtem i Handeln im Sinne unsrer heutigen Gesundheitslehre gegeben. Es lag nahe, daß man zuerst dazu griff, in der Erinnerung an gewisse analoge Ereignisse im Mittelalter durch Absperrungsmaßregeln gegen den Einbruch der Seuche einen Schutz zu errichten, und so deutlich man bald erfahren mußte, daß dadurch dem Weiterschreiten der Seuche kein Einhalt gethan wurde, hat man bis zu den Zeiten der jüngsten, noch frisch in unsrer Erinnerung liegenden Epidemien der 80er Jahre sich an den Gedanken festgeklammert, durch Landquarantänen und Sanitätskordons einzelne Länder und Landesteile vor dem Hereinbrechen der Cholera schützen zu wollen.
Man ist dann an der Hand [* 21] der greifbaren Erfahrungen von. theoretischen Erwägungen mehr und mehr zu der Überzeugung von der Notwendigkeit einer internationalen Seuchenprophylaxe gelangt und hat diesen Gedanken durch die Einrichtung des internationalen Sanitätsrates in Alexandrien und die periodische Einberufung internationaler Sanitätskonferenzen praktisch zu verwirklichen gesucht.
Die nächste Etappe auf diesen: Entwickelungsgang wird dann durch Pettenkofers Lehre [* 22] von der örtlichen Disposition bezeichnet, die darauf hinführt, unser Bestreben nicht so sehr auf die Verhinderung der Einschleppung der Seuche wie darauf zu richten, der etwa eingeschleppten Seuche die Bedingungen zu ihrer Weiterverbreitung zu entziehen, d. h. solche hygienische Zustände zu schaffen, daß der Einbruch einer Seuche keine Quelle [* 23] der Gefahr mehr in sich schließt.
England mit seinen großartigen hygienischen Einrichtungen, seiner weitgehenden Fürsorge für Reinhaltung des Bodens und Beschaffung guten Trinkwassers ist auf diesem Wege den übrigen Nationen vorangeschritten, die dann eine nach der andern, von der Notwendigkeit dieser Maßnahmen durchdrungen, dem Beispiel gefolgt sind.
Der Hauptredner zu der Frage, Cuningham, vertrat den stets von den Engländern verteidigten Standpunkt: keine Landquarantänen, keine Seequarantänen.
Auch dem System der ärztlichen Überwachung des Seeverkehrs schreibt er nur teilweisen Nutzen zu, insofern dadurch eine sofortige sachgemäße Behandlung der das Schiff [* 24] verlassenden Kranken gewährleistet wird;
eine Einschleppung der Seuche verhindert auch dies System nicht.
Von wirklich praktischer Bedeutung ist nur die Schaffung guter hygienischer Zustände im Lande selbst, die eine Weiterverbreitung des eingeschleppten Krankheitskeims verhindert.
Einen ganz ähnlichen Standpunkt nahm der zweite Redner, Lawson, ein, der, ein Gegner der kontagionistischen Theorie, ebenfalls der Beseitigung örtlicher Schädlichkeiten das Hauptgewicht beimißt.
Der abweichende deutsche Standpunkt, der sich auf die Ergebnisse der neuern Bakteriologie stützt, kam, da an der Diskussion sich fast ausschließlich Engländer beteiligten, nicht zum Ausdruck. In der zweiten Sektion wurde die Frage der Immunität eingehend verhandelt.
Roux (Paris), Buchner (München) und Hankin (Cambridge) eröffneten die Diskussion, an der sich viele Forscher beteiligten, deren Namen auf diesen: Gebiet seit langem einen guten Klang haben.
Buchner gab einen allgemeinen Überblick über das Thema.
Über die angeborne, natürliche Immunität wissen wir nichts, die künstliche wird erreicht durch Präventivimpfung mit dem spezifischen, künstlich abgeschwächten Krankheitserreger oder mit sterilisierten Kulturen der spezifischen Krankheitserreger.
Hierher gehören die Hühnercholera- und Milzbrandimpfungen Pasteurs, die neuern Versuchs bei Diphtherie von Fränkel und Brieger etc. Ferner erzielten Behring und Kitasato Immunität gegen Tetanus durch Vorbehandlung mit Jodtrichlorid und gegen Diphtherie durch Vorbehandlung mit Wasserstoffsuperoxyd;
Büchner selbst hat auf die Möglichkeit hingewiesen, durch die eiweißartigen Bestandteile des plasmatischen Inhalts der Bakterienzelle, die von Nencki sogen. Proteine, eine Immunisierung herbeizuführen.
Über die Art, in welcher alle diese Stoffe wirken, wissen wir noch sehr wenig.
Erfolgt die Immunisierung durch abgeschwächte spezifische Krankheitserreger, so scheint der Vorgang im wesentlichen eine abgeschwächte Kopie des spezifischen Krankheitsprozesses zu sein.
Bei gewissen Infektionen scheint eine fieberhafte Reaktion zur erfolgreichen Immunisierung zu gehören. In andern Fällen fehlt das Fieber und namentlich bei der Immunisierung durch sterilisierte Kulturen jede ausgesprochene Reaktion.
Die Immunität hat man zu erklären versucht durch eine Verhinderung der Vermehrung eingedrungener Krankheitserreger infolge Entziehung von nährenden Stoffen.
Diese Hypothese ist verlassen.
Aber auch gegen Metschnikows Phagocytenlehre sind bald gewichtige Einwände erhoben worden, nach welchen die Phagöcytose mehr als ein sekundärer Vorgang nach Analogie der übrigen Resorptionsvorgänge erscheint, nachdem bereits andre Wirkungen stattgefunden haben.
Eine dritte Theorie geht von dem Vorhandensein schützender Stoffe in den tierischen Gewebssäften aus.
Neuere Untersuchungen von Buchner, Fodor, Behring, Nissen u. a. haben ergeben, daß Blut und Serum der verschiedensten Tierarten und auch von Menschen auf verschiedene Bakterienarten tötend einwirken, ebenso auch entzündliche bakterienfreie Exsudate und Transsudate sowie endlich der ausgepreßte Muskelsaft verschiedener Tierarten.
Dabei ist aber die Wirkung stets nur eine bedingte, relative;
jede Art von Blut und Serum wirkt nur auf eine beschränkte Zahl von Bakterienarten, oft in ganz spezifischer Weise, und zeigt sich außerdem abhängig von quantitativen Verhältnissen.
Die bakterienfeindliche Wirkung des Blutes muß durch gelöste Stoffe bedingt sein, welche im Serum, überhaupt in den Gewebssäften, unabhängig von der Gegenwart zelliger Elemente vorkommen, und deren Zusammenhang mit der natürlichen und erworbenen Immunität nach allen bisherigen Erfahrungen sicher angenommen werden zu können scheint. Es dürfte sich dabei um Eiweißstoffe von sehr labiler Beschaffenheit handeln, für die Büchner den Namen Alexine vorschlägt. Am zweiten Sitzungstag wurde in der ersten Sektion über Diphtherie verhandelt, und namentlich Bergerons Vortrag über die Verbreitung der Diphtherie in Europa [* 25] während der letzten 50 Jahre brachte viele interessante Einzelheiten.
In der zweiten Sektion brachten Laverau (Paris) und Celli (Rom) [* 26] erwähnenswerte Mitteilungen über die Ätiologie der Malaria. Am dritten Tage verhandelte die erste Sektion über den Alkoholismus und Influenza, in der Schlußsitzung über Einrichtung von Krankenhäusern.
Die zweite Sektion verhandelte am dritten Tage gemeinsam mit der dritten Sektion über die Tuberkulose und gelangte, ¶