eines
Tieres, und dies ist besonders von
HerbertSpencer beleuchtet worden. Wir sehen in den meisten
Fällen, daß eine Tierfamilie
in der Zeit, in welcher
sie den Höhepunkt ihrer
Entwickelung erreicht hat, auch die größten Körpergestalten erzeugt, denn
die Größenvermehrung erlaubt schon
an sich eine größere Feinheit und
Ausbildung der
Gewebe
[* 2] und
Organe.
Daher sind die Anfangsglieder jeder
Gruppe gewöhnlich klein, die Equiden sind seit ihrem ersten Auftreten in fuchsgroßen
Vertretern zur Eocänzeit ständig gewachsen, ebenso die
Dinosaurier der Sekundärzeit, und
Fürbringer meint, daß die ersten
Vögel
[* 3] wahrscheinlich noch viel kleiner waren als
Archaeopteryx, der nur eine mäßige
Größe erreichte.
Eben darum findet man bei kleinern
Tieren in der
Regel primitivere, einfachere und leichter verständliche Verhältnisse, und
deshalb empfiehlt
Fürbringer gerade diese zu phylogenetischen
Studien. Freilich kann die Kleinheit auch
Degeneration bedeuten,
so daß wir dann bei ihnen durchaus nicht mit primitiven
Bildungen zu thun haben, vielmehr mit solchen, die
von einem schon erreichten Höhepunkt wieder herabgestiegen sind. So zeigt eine kleine, nur ein paar
Linien lange Nacktschnecke
(Limapontia) keine
Spur von den oft sehr ausgedehnten und schmuckvollen äußern
Kiemen ihrer nähern Verwandten; sie hat sich
auf bloße
Hautatmung eingeschränkt, obwohl sie durch die große, spiralig gewundene
Schale ihrerJugend
anzeigt, daß sie, wie jene, von
Schnecken
[* 4] mit entwickelten Atmungswerkzeugen abstammt. Die Einfachheit ihrer
Organisation
beruht demnach auf
Ökonomie und ist kein primitives Merkmal.
In der
Regel wird man schließen dürfen, daß jeder nicht physiologisch für ein lebendes
Wesen unmögliche Durchgangszustand
der Embryonen, wenn er in bestimmten
Gruppen regelmäßig auftritt, in gewisser
Weise auf früher wirklich
endgültig bestehende Zustände zurückdeutet. Lehrreich ist dafür beispielsweise die
Bildung des
Cephalopoden-Auges. Es bildet
sich eine kleine
Grube, deren
Rand sich allmählich erhebt, sich zur
Bildung einer
Höhle verengert, dann durch ein Häutchen
schließt, welches sich zur
Linse
[* 5] erweitert, während sich die Rückwand der
Höhle zur
Netzhaut ausbildet.
Jede
Stufe in dieser Entwickelungsreihe bietet physiologisch einen Vorteil und Fortschritt gegen die vorige, aber auch die
einfachsten sind als endgültige
Bildungen noch bei heute lebenden
Mollusken
[* 6] erhalten: die bloße Anfangsvertiefung bei
Solen,
die
Grube mit weiter Öffnung bei den Napfschnecken, diejenige mit verengerter Öffnung, aber noch ohne
Linse, bei
Nautilus.
Endlich kommt die
Linse hinzu, ein Zustand, wie er lebenslang bei den
Schnecken und andern Gastropoden besteht.
Aber bei den
Cephalopoden geht die
Bildung noch darüber hinaus: die
Bildung von Hautfalten, die als
Iris und Augenlider bekannt
sind, sorgt für den bessern
Schutz desAuges und erweist sich als ein deutlicher Fortschritt gegen die
etwas plumpe
Methode des bloßen Zurückziehens bei den
Schnecken.
Es fragt sich nun, ob die ohne
Zweifel am meisten veränderten, aber mit großer Regelmäßigkeit sich wiederholenden Anfangszustände
der
höhern und niedern
Tiere ebenfalls Anspruch auf die Deutung als
Nachbilder der ersten
Schritte der
tierischen
Organisation haben, namentlich die unter den verschiedensten
Formen wiederkehrende
Bildung jenes aus doppelter Zellenwand
aufgebauten
Becherkeims, auf welche
Häckel seine
Gasträa-Theorie begründete.
Marshall, der sich sein lebenlang mit einschlägigen
Studien beschäftigt hat, tritt mit großer
Wärme
[* 7] für eine derartige Deutung ein, und so scheint sich denn nach
so vielen
Jahren von
Kampf und Streit die Überzeugung der Zoologen dieser vor allem prinzipiell wichtigen
Theorie zuzuwenden.
Sogar eine spätere Larvenform, die von
Balfour studierte Pilidium-Larve, von der er die etwas spätere Echinodermenlarve
und die viel weiter verbreitete Trochosphärenlarve herleitete, beginnt in dieser
Richtung die
Aufmerksamkeit auf sich zu
ziehen. Dieser Pilidium-Larve, von der
Balfour alle höhern Tierformen, mit Ausnahme der Krustaceen und
Vertebraten, ableiten
wollte, würde ungefähr ein
Organismus »wie eine
Meduse mit radialer
Symmetrie« entsprechen.
Das Bestreben der jüngsten phylogenetischen
Spekulation geht nun dahin, dies voll anzunehmen und als
Ahnen der
Turbellarien
und aller höhern
Tiere eine
Rippenqualle
[* 8] oder einen
Ktenophoren zu bezeichnen, der, anstatt frei zu schwimmen,
begonnen hat, am Meeresboden umherzukriechen und dadurch die allen höhern
Tieren gemeinsame zweiseitige
Symmetrie zu erwerben.
So hat das vor einem Vierteljahrhundert geschlossene
Bündnis des ontogenetischen mit dem phylogenetischen
Studium schon jetzt
die reichsten
Früchte getragen, und man darf bei aller Schwierigkeit der Deutung von dieser Seite auch
in Zukunft die wertvollsten Aufschlüsse erwarten.
Für die
Frage, an welchen Teil der Zeugungsstoffe die in dem
Kinde zur
Erscheinung kommenden Vererbungstendenzen
der Eltern gebunden seien und wie dieselben in dem Gesamtorganismus desKindes gleichmäßig zur
Wirkung
kommen, haben die neuern Untersuchungen der Befruchtungsvorgänge und der Zellteilung wichtige Aufschlüsse gebracht. Daß,
wie man schon seit langem vermutet hatte, die
Kerne der Geschlechtszellen die
Träger
[* 9] der Vererbungskräfte seien, ist durch
die experimentellen
Versuche, nach denen aus entkernten befruchteten
Eiern Organismen mit lediglich väterlichen
Qualitäten hervorgehen, bewiesen worden. An diesem
Punkte nun setzen die obenerwähnten Untersuchungen ein, um das
Zusammentreffen der väterlichen und mütterlichen Vererbungssubstanzen, ihr gegenseitiges Verhalten im
Ei
[* 10] und ihr
Schicksal
in dem sich entwickelnden neuen
Organismus kennen zu lehren. Bei der
Befruchtung
[* 11] dringt in das
Ei ein Samenkörperchen oder
Spermatozoon ein, dessen vordere Anschwellung
(Kopf) einen kleinen homogenen
Kern (Spermakern a,
[* 1]
Fig. 1)
in sich birgt, der von dem ursprünglichen
Kern des
Eies (Eikern b,
[* 1]
Fig. 1) sehr verschieden zu sein scheint. Denn dieser ist
viel größer und besitzt als
Bläschen mit chroma-
[* 1]
^[Abb.: Fig. 2. Schwellung des Spermakerns a.
¶
mehr
tischem Gerüste den typischen Bau eines ruhenden Zellkerns (s. Zelle).
[* 13] Allein diese Verschiedenheit ist nur eine scheinbare;
es besteht nicht ein prinzipieller Gegensatz zwischen den beiden Kernen, sondern sie befinden sich nur in einem verschiedenen
Zustand. Der Spermakern ist gewissermaßen ein kondensierter Kern; er besteht lediglich aus den zu einem
dichten Klumpen zusammengeballten Chromosomen (s. Zelle), offenbar zu dem Zweck, dem Spermatozoon ein möglichst kleines Volumen
zu verleihen. Sehr bald schon, nachdem der Spermakern in das Eiprotoplasma gelangt ist, schwillt er, während er sich langsam
gegen den Eikern hinbewegt, zu der Größe des letztern an (a,
[* 12]
Fig. 2), und seine chromatische Substanz
geht in den gleichen gerüstformigen Zustand über, so daß sich die beiden Kerne, wenn in an nicht ihre Entwickelung im lebenden
Zustand verfolgt hat, durch aus nicht mehr unterscheiden lassen.
In manchen Fällen verschmelzen nun Ei- und Spermakern miteinander, in andern dagegen, und dies sind die
lehrreichern, vereinigen sie sich nicht. Vielmehr bleibt das Ei bis zur Teilung zweikernig, und Ei- und Spermakern machen, wenn
nun die Vorbereitungen zur Teilung beginnen, jeder für sich jene Metamorphosen durch, welche als karyokinetische Vorgänge
sich bei jeder Zellteilung abspielen (s. Zelle). Das chromatische Gerüst sowohl des männlichen als des
weiblichen Kernes zieht sich in eine Anzahl stäbchen- oder fadenförmiger Chromosomen zusammen
[* 12]
(Fig. 3), die in beiden Kernen
in der gleichen Zahl zum Vorschein kommen; und wie vorher die ganzen Kerne, so sind jetzt diese männlichen und weiblichen
Ehromosomen in Größe, Form und Struktur vollkommen identisch. (Die verschiedene Zeichnung derselben in
[* 12]
Fig. 3-5 soll nichts andres ausdrücken als die verschiedene Abkunft: die schwarzen Stücke vom Vater, die gestreiften von der
Mutter.) In
[* 12]
Fig. 3 sieht man in jedem Kern zwei Chromosomen, ein Fall, wie er sich bei gewissen Würmern verwirklicht
findet; in andern Fällen kommen andre Zahlen zur Beobachtung, so z. B. in jedem der beiden Kerne 9 oder 16 2c. Ist das beschriebene
Stadium erreicht, so lösen sich die Kerne auf, und jedes männliche und jedes weibliche Chromosoma beginnt sich der Länge
nach in zwei Hälften durchzuschnüren. In diesem Zustand
[* 12]
(Fig. 4) werden dieselben
mit dem bei jeder Zellteilung auftretenden zweipoligen Fadenapparat in Verbindung gesetzt, unter dessen Einfluß die beiden
Hälften eines jeden Chromosomas nach entgegengesetzten Richtungen voneinander entfernt werden (s. Zelle), worauf sich das
Eiprotoplasma in der Mitte zwischen den beiden auf diese Weise hergestellten Chromatingruppen durchschnürt. So entstehen
die beiden primären Furchungszellen, deren jede durch den beschriebenen Teilungsprozeß zwei väterliche und zwei mütterliche
Chromosomen erhalten hat
[* 12]
(Fig. 5).
In gleicher Weise teilt sich nun jede von diesen beiden Zellen, und es darf, obgleich dies natürlich nicht
hat beobachtet
werden können, doch mit fast völliger Sicherheit behauptet werden, daß sich die gleiche Kombination
väterlicher und mütterlicher Kernsubstanz bei jeder folgenden Zellteilung auf die entstehenden Tochterzellen und so schließlich
auf alle Zellen, aus denen sich der Organismus aufbaut, forterbt. Die beschriebenen Thatsachen erklären erstens die sowohl
im Tierreich als im Pflanzenreich gemachte Erfahrung, daß die Qualitäten des Vaters in dem Kinde in gleicher
Stärke
[* 14] zum Vorschein kommen können wie die der Mutter, obgleich das Ei dem Spermatozoon an Masse oft um das Millionenfache
und mehr überlegen ist.
Diese Gleichheit an Vererbungskraft rührt eben daher, daß von dem großen Ei nur ein sehr kleiner Teil, nämlich die Chromosomen,
die mütterlichen Anlagen repräsentiert, eine genau ebenso große Chromatinmenge, wie diejenige ist,
die das Spermatozoon in seinem Kern vom Vater her ins Ei einführt. In zweiter Linie klären uns die beschriebenen Vorgänge
darüber auf, wie sich die elterlichen Vererbungstendenzen in jedem Teil des kindlichen Organismus ausprägen können: es
geschieht dies durch den so äußerst sorgfältig arbeitenden karyokinetischen Prozeß, durch welchen
jeder Zelle des neuen Organismus der gleiche Anteil an den väterlichen und mütterlichen Vererbungsträgern und damit auch
die gleiche Mischung der elterlichen Eigenschaften garantiert wird.
Vgl. van Veneden, Recherches sur la maturation de l'oeuf,
la fécondation et la division cellulaire (Gent
[* 15] 1883);