in ernst-nüchtern-wohlwollender
Weise »Labour and life of the people« geschrieben hat und,
frei von dem hysterischen Gebaren
seines Namensvetters, Grundlagen für ernste Reformbestrebungen darbietet.
Inzwischen hat W. J.
^[WilliamJohn] Loftie in
»London
[* 2]
City: its history, streets, traffic, buildings, people« ein umfassendes
illustriertes
Bild der Weltstadt geliefert.
Andre Städtebilder werden in dem Sammelwerk »Historic
towns« gegeben, welche dieses Jahr uns
»Boston«
[* 3] und
»New York« liefert, jenes von
HenryCabot Lodge, dessen zweiter Vorname die
Abstammung von dem großen Seefahrer
GiovanniCaboto verkündet, dieses von
Theodor Rosevelt.
Die Übersetzungen sind, wie gewöhnlich, sehr zahlreich. Wir nennen: des
FeldmarschallsMoltke
»Franco-German War«,
in welcher
Arbeit zahlreiche Übersetzungsfehler nachgewiesen sind;
ebenso dessen »Letters to his mother and his brothers«;
des neapolitanischen
Professors Diodato Liory »Philosophy of right«, von
W. Hastie, in welchem gelehrten Werk sich der Verfasser nicht immer genau erweist, wenn er von englischen
Institutionen spricht.
Hier sei auch des
BudapesterProfessorsAugustPulszky mit seiner »Theory of law and civil society« gedacht. In vorliegender
Übersicht haben bereits mehrere
Beispiele gezeigt, daß
Ausländer in zunehmender Zahl sich der englischen
Sprache
[* 4] für litterarische
Arbeiten bedienen; in dieser
Richtung sei ferner erwähnt: »The evolution of property«, vonPaul Lafargue.
Dem
Tagebuch der
Marie Bashkirtseff, dessen Übersetzung wir im Vorjahr (s. Bd. 18, S. 249) zu verzeichnen hatten,
sind nun auch ihre ebensowenig erfreulichen »Letters« gefolgt, diesmal
in der Übersetzung von
MarySerrano, woran sich wieder
MathildeBlind mit »A study of
Marie Bashkirtseff« anschließt.
Die Sammlung der »Sacred Books of the
East«, welche unter
MaxMüllers Leitung erscheint, bringt in ihren
Bänden 39 u. 40 »The
texts of Täosm«, aus dem
Chinesischen von
JamesLegge.
Die große
Faksimile-Ausgabe der alten Quartausgaben
Shakespeares ist nun in 43 Nummern vollendet. Das große
Wörterbuch der
englischen
Sprache, welches die Philologische
Gesellschaft entworfen und angefangen, und das, jetzt von
Murray herausgegeben,
seit 1884 erscheint, ist im ersten Teil des dritten
Bandes von E bis Every gelangt; bis dahin hat es 6842 Grundwörter, 1565 abgeleitete, 786 »besondere
Kombinationen«, im ganzen 9193 aufgezählt, wovon 25 Proz. als veraltet und 4 Proz.
als fremdsprachig oder nicht vollständig eingebürgert bezeichnet werden.
JohnFosterKirk hat
Allibones »Dictionary of
English
litterature« vervollständigt. In seinen beiden Ergänzungsbänden führt er nicht weniger als
37,000 Verfasser auf. Des großen »Dictionary of
National Biography« haben wir
oben gedacht. - In diesem Zusammenhang darf
schließlich auch ein deutsches Werk genannt werden, welches der großen anglo-germanischen Völkerfamilie als brauchbares
Verständigungsmittel zu dienen bestimmt ist: das seit Anfang 1891 in
Berlin
[* 7] erscheinende encyklopädischeenglisch-deutsche
und deutsch-englische
Wörterbuch von
Ed.
Muret (ein
Parallelwerk zu dem bekannten franz.-dtsch.
Sachs-VillatteschenWörterbuch),
das für
Deutschland
[* 8] zuerst die Ergebnisse des obenerwähnten Murrayschen
Wörterbuches sowie des 1888-92 in
New York erschienenen
»Century Dictionary« in mustergültiger
Weise verwertet und demzufolge alle bisher erschienenen engl.-dtsch. Wörterbücher
an Reichhaltigkeit weit überflügelt.
Takeaki, japan. Staatsmann, Verwandter der Tokugawafamilie, wurde 1863 vom
Bakufu (der Tokugawa-Shôgunatregierung) nach
Holland geschickt, um dort das Marinewesen zu studieren, kehrte 1867 am
Bord
des in
Holland für das Bakufu erbauten
Kriegsschiffes Kayo-Maru zurück und wurde darauf im Marinedepartement des Bakufu angestellt.
In dem 1868 ausbrechenden
Krieg, der die Wiederherstellung der kaiserlichen Macht zum
Ziel hatte, zeichnete
sich Enomoto Takeaki als eifrigster Anhänger der Shôgunatpartei aus, mußte sich aber schließlich nach der
InselJeso zurückziehen,
wo er
Hakodate besetzte und sich als
Präsident der
RepublikJeso proklamierte.
Ein von ihm an die kaiserliche
Regierung gerichteter
Vorschlag,
Jeso den Tokugawa-Anhängern zu überlassen,
welche dieses »nördliche
Thor« des
Reiches gegen alle fremden Eindringlinge schützen würden, wurde abgelehnt;
Hakodate wurde
endlich im Juni 1869 von den Kaiserlichen eingenommen und Enomoto Takeaki mit seinen Anhängern als Gefangene nach
Jedo (jetzt
Tokio)
[* 9] gebracht, doch bald begnadigt und freigelassen. In der
Folge söhnte er sich mit der neuen
Lage der
Dinge aus und gelangte bald zu hohen
Stellungen. 1875-78 war er Gesandter in
Petersburg,
[* 10] 1882 ging er als Gesandter
nach
China.
[* 11] 1885 wurde er zum
Viscount gemacht und erhielt das
Portefeuille des
Verkehrs; nach der Ermordung
Moris 1889 wurde
er dessen Nachfolger als Unterrichtsminister; seit 1891
ist erMinister des Äußern.
[* 12] Die
Lehre
[* 13] von der
Rekapitulation in der Entwickelungsgeschichte, das von
FritzMüller entdeckte und von
Häckel formulierte
sogen.
biogenetische Grundgesetz, nach welchem jedes junge
Wesen die Formenzustände seiner
Ahnen durchlaufen und »seinen eignen
Stammbaum erklettern« muß, hat in den letztenJahren zahlreiche
Angriffe, namentlich von seiten
KarlVogts,
erfahren, die sich vorzugsweise gegen die Unterlehre von der nachträglichen
¶
mehr
Veränderung (Cenogenesis oder Fälschungsgeschichte) des Keimlebens richteten. Aber in einer glänzenden Rede, mit welcher
Marshall die biologische Sektion der britischen Naturforscherversammlung 1890 eröffnete, hat derselbe gezeigt, daß dieser
Theorie an Fruchtbarkeit für die Wissenschaft kaum eine andre an die Seite gestellt werden kann, und daß die Schwierigkeiten
derselben sehr wohl erklärt und begriffen werden können. Daß die Bildungen der lebenden Wesen nicht
ohne ihre Entwickelungsgeschichte verstanden werden können, zeigen besonders auffallend die abweichenden Formen, wie Seitenschwimmer unter den
Fischen, deren Auge
[* 15] wir aus der normalen Lage nach der Oberseite wandern sehen, oder die Napfschnecken (Patella-Arten), deren
unter den Genossen ganz fremdartige Schale sich als spätere Errungenschaft dadurch verrät, daß der
Embryo ein spiraliges Gehäuse hat wie alle andern Schnecken.
[* 16]
Die abweichende Bildung innerer Organe wird oft nur durch die Entwickelungsgeschichte klar verständlich, so z. B.
die seitliche Lage der Sehlappen beim Vogelgehirn, denn vor dem Ausschlüpfen aus dem Ei
[* 17] liegen sie, wie
bei allen andern Wirbeltieren, an der dorsalen Fläche. Dies gilt nicht nur für die höhern Formen, sondern ebenso für die
niedern, und gerade bei einer jetzt lebenden Foraminifere (Orbitolites tenuissima) konnte Carpenter nachweisen, daß sie in
ihrem Wachstum die Stadien älterer und einfacher gebauter Foraminiferen in allen Einzelheiten genau rekapituliert,
also denselben Vorgang, den Würtenberger an den fossilen Ammonitengehäusen nachwies, darbietet.
Diese Verfolgung wird besonders wichtig für das Verständnis der rudimentären Organe, die, wie schon Darwin bemerkte, am
Embryo meist von relativ oder sogar absolut größerm Umfang als beim erwachsenen Wesen sind, da der Embryo dasjenige Stadium
des Stammbaums zurückruft, in welchem sie noch funktionell thätig waren. Durch ihre vollendete Rückbildung
kann das erwachsene Tier manchmal kleiner werden, als seine Larve war, z. B. beim sogen. Fisch- oder Trugfrosch (Pseudis paradoxa)
von Surinam, der zur Sage, ein Fisch verwandle sich in einen kleinen Frosch,
[* 18] Veranlassung gab.
Zugleich wird es erst durch genauere Verfolgung der Entwickelungsgeschichte verständlich, weshalb
solche den Ahnen eines Tieres schon vor vielen Jahrtausenden verloren gegangene Organe (z. B. die Kiemenspalten bei Säugetieren)
immer wieder erscheinen, weil sich nämlich andre, noch jetzt im Gebrauch befindliche Organe aus ihrem Material oder in inniger
Beziehung zu demselben bilden. Dadurch liegt auch, wie Kleinenberg in seiner Arbeit über Lopadorhynchus
gezeigt hat, die wahrscheinliche Ursache der ganzen Erscheinung.
Man hatte schon gegen Darwin die Einwendung gemacht, neue Organe könnten nicht durch die Zuchtwahl hervorgebracht werden, da
ihre Anfänge nutzlos wären. Nun entstehen aber neue Organe fast immer durch die Umbildung und den Funktionswechsel
andrer schon vorhandener, z. B. die Lunge
[* 19] der Luftwirbeltiere aus der Schwimmblase der Fische,
[* 20] die Füße, Fühler und Kiefer der
Artikulaten aus Seitenanhängen, die früher eine andre Thätigkeit hatten. Damit nun in der Entwickelung des Individuums die
neuen Organe gebildet werden können, müssen aber die frühern, aus denen sie entstanden sind, wenigstens
in den Anfängen angelegt werden, damit der fortwirkende Reiz, die entsprechende Gliedkette nicht fehle, da sich jede Vollendung
durch nicht zu überspringende Stufen vollzieht.
Wieviel hier noch zu entdecken sein wird, läßt sich leicht aus der Thatsache erkennen, daß man bei sehr vielen
Tieren noch
nicht einmal den Anfang gemacht hat, die Entwickelungsgeschichte zu studieren, um dadurch Anhaltepunkte
für die Stammesgeschichte zu erhalten. So z. B. fehlt uns, trotz der großen Fortschritte
der Neuzeit, ein klarer Einblick in die Stammesgeschichte der Säugetiere, so viele fossile Überreste wir auch von ihnen
kennen. Aber das ist nicht zu verwundern, da wir nicht einmal von einem einzigen unsrer Haustiere die
vollständige, unschwer festzustellende Entwickelungsgeschichte kennen.
Diejenige des Pferdes z. B. hat vollständig aus den fossilen Überresten rekonstruiert werden können,
und die neuern Arbeiten am lebenden Tier, z. B. die Untersuchungen Klevers am Pferdegebiß, haben dieselbe wertvoll ergänzt,
aber dieses günstige Ergebnis war nur dadurch möglich, daß die Pferde
[* 21] in allen ihren Vorstufen große
Herden in den gemäßigten Zonen gebildet haben, so daß verhältnismäßig zahlreiche Reste von ihnen gefunden wurden, wie
dies bei andern seltenen Tieren nicht der Fall ist.
Hier wird die Untersuchung am lebenden Tier also noch viel zu ergänzen haben, weil sie ja einerseits
gewissere Ergebnisse als die Paläontologie gibt, wenn ihre Deutung nur nicht oft allzu schwierig wäre. Denn nicht immer
liegt der Fall so einfach wie bei den Vögeln, unter denen der Archaeopteryx in allen wesentlichen Punkten den Zustand der Skelettbildung
eines noch nicht ausgebrüteten Vogels unsrer Zeit zeigt. Die Übereinstimmung der heutigen embryonalen
Formen mit ausgewachsenen fossilen hatte schon der ältere Agassiz mit seinen Mitarbeitern erkannt, denn er verkündete die
Erkenntnis, »daß die Entwickelungsphasen aller lebenden Tiere der Reihenfolge ihrer ausgestorbenen Vertreter in den vergangenen
geologischen Perioden entsprechen«, aber es ist leider nicht erlaubt, ihn zum Entdecker der darin gegebenen
wissenschaftlichen Erkenntnis zu erheben, denn gerade er sowie sein Mitarbeiter KarlVogt haben nie aufgehört, diesen merkwürdigen
Parallelismus verkehrt zu deuten.
Die größte Schwierigkeit für die Benutzung des abgekürzten Berichtes der Stammesgeschichte, welche die persönliche Entwickelungsgeschichte bietet,
wird durch den Umstand hervorgebracht, daß sie nicht immer eine unveränderte Wiedererscheinung (Palingenese)
genannt werden kann, weil vielfach nachträgliche Veränderungen eingetreten sind, die den regelrechten Entwickelungsgang
fälschten. Diese von Häckel zuerst klar dargelegte Fälschungslehre hat die unglaublichsten Angriffe erfahren, weil die Natur
eine Fälscherin genannt wurde, oder vielmehr, weil die Angreifer nicht einsehen konnten oder wollten, worauf sich der Ausdruck
Fälschungsgeschichte (Cenogenesis) bezog, nämlich auf die nachträgliche Abänderung des ursprünglichen,
treuen Entwickelungsganges, der oft bei ganz nahestehenden Formen erhalten ist. In vielen Fällen können wir die Ursachen dieser
nachträglichen Veränderungen sehr wohl erkennen, z. B. bei dem westindischen Laubfrosch (Hylodes martinicensis), der das
Kaulquappenstadinm überspringen muß, weil es auf seinen vulkanischen Heimatsinseln nicht immer Wassertümpel
gibt, in denen er seine Kaulquappenzeit durchmachen könnte. Wäre nun bloß diese Froschart übriggeblieben, so würden wir
nicht wissen, daß die Frösche
[* 22] durch ein molchartiges Stadium hindurchgehen müssen, in denen sie mit Kiemenspalten versehen
sind und mit Kiemen atmen, wie es fast alle andern Frösche thun. Wir haben also alle Ursache, diese unter
Umständen für uns im höchsten Grade irreführende Verdunkelung als eine Fälschung der getreuen Überlieferung, wie
¶