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Gegenwirkung finden. Wo eine neue Idee oder eine neue Form der Kraft [* 2] im Kulturleben der Menschen umgestaltend und tief eingreifend auftrat, ist es kaum jemals ohne Zuckungen und Geburtswehen abgegangen, aber sie sind auch noch immer bei gegenseitig versöhnlichem Geist ohne dauernde Schädigung des gesamten Organismus überwunden worden. Wir wissen ja, daß man Ströme wechselnder Richtung durch den Kommutator in gleichgerichtete Ströme verwandeln kann. Kämpfe entstehen und vergehen in der Zeit, aber die Ideen bleiben und werden zum dauernden Gemeingut der Menschheit.
Der Redner besprach dann die Arbeiten, welche den Kongreß beschäftigen werden, und mahnte, alles, was in das metaphysische Gebiet übergreife, zu vermeiden. »Freuen wir uns«, schloß er, »daß wir in einem Zeitalter geläuterter Ansichten leben und wirken können, aber vergessen wir nicht, wieviel wir der Nachwelt schuldig bleiben, wieviel und wie Großes noch zu erreichen ist. Lassen Sie uns nicht müde werden in der Arbeit und setzen wir dem demütigenden ignorabimus, mit welchem Vorkämpfer der modernen Naturwissenschaft vor den höchsten Fragen des Daseins resigniert Halt gemacht haben, das aufrichtende laboremus tapfer entgegen.« Nachdem hierauf Oberbürgermeister Adickes von Frankfurt [* 3] namens der Stadt den Kongreß willkommen geheißen, wurde v. Siemens (Berlin) [* 4] zum Vorsitzenden gewählt.
Derselbe schlug die Bildung von vier Sektionen vor:
1) für
Theorie und Meßkunde, 2) für Starkstromtechnik, 3) für Telegraphie,
Signale und Fernsprechwesen und 4) für
Elektrochemie
und besondere Anwendungen des elektrischen
Stromes. Rathenau
(Berlin) beantragte jedoch die
Bildung einer fünften
Sektion zur
Beratung der
Grundsätze für eine elektrotechnische
Gesetzgebung, besonders für das
Verhältnis zwischen Starkstrom- und
Schwachstromanlagen. Er erinnerte an die beiden
Gesetzentwürfe über das Telegraphenwesen und über elektrische
Anlagen und
bezeichnete es als dringende Aufgabe des
Kongresses, die
Grundsätze aufzustellen, nach welchen elektrische
Anlagen gebaut werden
können, ohne jemand zu schaden, während sie doch der Allgemeinheit nützen. Die
Bildung einer solchen
Sektion wurde darauf
beschlossen.
Den ersten Vortrag hielt Kohlrausch (Hannover) [* 5] über den geeignetsten Bildungsgang des Elektrotechnikers. Seine Absicht sei nur, zur Erörterung dieser Frage Anregung zu bieten. Nach einer Schilderung der verschiedenen Gruppen von Studierenden, welche sich auf den Hochschulen mit Elektrotechnik befassen, und des Wissensstoffes, welchen sie zu bewältigenhaben, empfiehlt er größere Berücksichtigung der Physik und Chemie, dagegen eine Einschränkung bei der Maschinenbaukunde. Es sei nicht nötig, daß der Elektrotechniker auch vollständiger Maschinenbauer werde, die Hochschule solle ihm nur die Fähigkeit gewähren, sich nachher auch in der Praxis auszubilden.
Slaby (Berlin) ist dem gegenüber der Ansicht, daß der elektrotechnische Unterricht demjenigen für Maschinenbau angegliedert werden müsse. Erst im letzten Studienjahr solle ein einsemestriger Unterricht im Laboratorium [* 6] erfolgen, vorher aber solle der junge Mann ein Jahr praktisch in einer Maschinenfabrik arbeiten. Siemens (Berlin) will die Elektrotechnik als eine Hilfswissenschaft betrachtet sehen und betont, daß derjenige, welcher sich ihr widmen solle, zuerst irgend ein bestimmtes Fach, sei es Maschinenbau, sei es Chemie 2c., ergreifen und dann die Anwendung der Elektrizität [* 7] auf dieses Fach verstehen lernen müsse. Die Elektrotechnik solle Gemeingut der gesamten
Techniker
sein und es sei dafür zu sorgen, daß der praktisch Vorgebildete sich durch den
Unterricht auch auf die
Höhe der
Wissenschaft erheben könne.
Hartmann
(Bockenheim) empfiehlt den
Eintritt in die
Praxis gleich nach der
Schule,
nicht erst nach dem
Studium; für diese praktische Thätigkeit sei in der
Regel ein Jahr ausreichend. Rathenau
(Berlin) führte
aus, daß nach den
Grundsätzen von
Kohlrausch nur
Elektriker erzogen würden, die Gegenwart aber brauche
Elektrotechniker, namentlich
Konstrukteure, denn der Maschinenbau sei für die jetzigen elektrischen
Anlagen das Wichtigste. Den zweiten
Vortrag hielt Thompson
(London)
[* 8] über
Wechselströme. Er gab die ganze
Entwickelung des Wechselstromsystems von seiner
Entdeckung
durch
Faraday im J. 1831 bis zu seiner neuesten
Stufe, dem
Dreh- oder Dreiphasenstrom, und schloß mit den
Worten: »In der
Wellenlehre der
Elektrizität liegt die zukünftige
Ausdehnung
[* 9] der
Elektrotechnik.«
In der zweiten Sitzung empfahl Löwenherz (Berlin) die Einführung einheitlicher Schraubengewinde in die Elektrotechnik und Feinmechanik. Hospitalier (Paris) [* 10] behandelte die Frage der Benennungen und Zeichen in der Elektrotechnik. Wie für die Mathematik, so wünscht er auch für die Elektrotechnik einheitliche und in allen Ländern gleich verständliche Bezeichnungen. »Drehstrom« erscheint ihm z. B. als ein recht unglücklicher Name, ebenso führten die Worte »Arbeit«, »Leistung«, »Kraft« den Ausländer irre. Im Anschluß daran kam auch die Berechnung der Leistung einer Maschine [* 11] nach Pferdekräften zur Sprache, [* 12] und Engländer, Franzosen und Deutsche [* 13] vereinigten sich in dem Wunsch, daß die Pferdekraft (HP) wie die Pferdestärke (PS) bald verschwinden, und das »Kilowatt« als Einheit eingeführt werden möge.
Zur Beratung der verschiedenen hierbei gemachten Vorschläge wurde ein besonderer Ausschuß gebildet. Zum Schluß sprach May (Frankfurt) über diejenigen Vorschriften, welche vom Standpunkte der Feuersicherheit für elektrische Leitungen zu erlassen wären. Er verlangt für diese jetzt vielfach auseinandergehenden Vorschriften Einheitlichkeit und strenge Durchführung, dagegen sollten sie vermeiden, zu sehr ins einzelne zu gehen. Die Aufstellung allgemeiner Grundsätze hierüber erwartet er von den Beratungen der fünften Sektion.
In der dritten Sitzung berichtete Kittler (Darmstadt) [* 14] über die Beratung der Sektion für elektrotechnische Gesetzgebung. Die Sektion hat es nicht für ihre Aufgabe erachtet, die beiden einschlägigen Gesetzentwürfe einer Kritik zu unterwerfen oder etwa einen neuen Entwurf aufzustellen, sondern wollte sich darauf beschränken, nach gegenseitigem Meinungsaustausch in einer allgemein gehaltenen Erklärung Material für eine künftige Gesetzgebung zu beschaffen.
Diese
Erklärung wurde in der
Sektion und auch in der Hauptversammlung einstimmig angenommen. Sie lautet:
»Der internationale Elektrotechnikerkongreß zu
Frankfurt a. M. im J. 1891 erklärt: 1) öffentliche Vorschriften, welche
die Errichtung und den Betrieb elektrischer
Anlagen betreffen, haben den
Grundsatz zu beachten, daß jede solche
Anlage gegen
den Einfluß andrer
Anlagen geschützt sein soll. Einer grundsätzlichen Unterscheidung zwischen Schwachstrom-
und Starkstromanlagen bedarf es hierbei nicht. 2) Die gegenseitige Beeinflussung elektrischer
Leitungen ist praktisch
nicht gänzlich zu vermeiden. Es muß deshalb als genügend betrachtet werden, diese Einwirkungen so herabzumindern, daß
sie den nutzbaren Betrieb nicht hindern,
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3) Der heutige Stand der Elektrotechnik ermöglicht es, elektrische
Anlagen so herzustellen, daß sie gegen störende Induktionseinwirkungen
genügend gesichert sind.
4) Die Benutzung der Erde als Rückleitung oder die Verbindung einer Leitung mit der Erde kann von elektrischen
Anlagen zur Zeit
nicht gänzlich entbehrt werden. Es darf deshalb eine solche Benutzung der Erde nicht einzelnen Anlagen
oder einzelnen Arten von Anlagen ausschließlich zustehen.
5) Das Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gegenüber elektrischen
Anlagen und Betrieben sowie die Regelung ihrer
technischen Beziehungen untereinander und zu andern öffentlichen Anlagen, ist von Behörden wahrzunehmen, welche an solchen
Betrieben nicht beteiligt sind. Es erscheint erforderlich, daß derartigen Behörden auch technische
Sachverständige als Mitglieder angehören. Im übrigen erheischt jenes Interesse eine Ausnahmestellung für elektrisch?
Anlagen
und Betriebe nicht.
Namens des Ausschusses zur Beratung der Vorschläge für einheitliche Bezeichnungen in der Elektrotechnik erstattete Weber (Zürich) [* 16] Bericht. Hospitalier (Paris) hat ein ganzes System von Bezeichnungsweisen ausgearbeitet, welches nach seiner Ansicht die Bezeichnung der gebräuchlichen physikalischen Größen ohne Verwechselung ermöglicht. Der Ausschuß betrachtet dies System als sehr empfehlenswert, hält aber eine endgültige Beschlußfassung darüber zur Zeit noch nicht für möglich, sondern will dies dem nächsten Kongreß vorbehalten, welcher über zwei Jahre in Chicago zusammentritt.
Inzwischen sollen die Bezeichnungen zusammengestellt und veröffentlicht werden. Die amerikanischen Vertreter hatten beantragt, da Henry der Entdecker der Selbstinduktion sei, die Einheit für die Selbstinduktion mit dem Namen Henry und die Einheit für die Ausmessung magnetischer Felder mit dem Namen Gauß zu bezeichnen. Der Antrag wurde jedoch zurückgezogen, weil darüber keine Verständigung erzielt worden konnte. Die bestimmten Vorschläge, welche der Ausschuß macht, gehen dahin: Es sollen physikalische Konstanten und Winkel [* 17] durch griechische Buchstaben bezeichnet werden, physikalische Größen durch italienische (liegende, Kursivschrift) und die Einheit durch römische Schrift (aufrechte, Antiqua), also A Ampère, C Coulomb, F Farad, J Joule, O Ohm, V Volt und W Watt.
Rühlmann (Hannover) wünschte auch noch die Ersetzung der Pferdekraft durch das Kilowatt und Heister (Iglau) [* 18] schlug statt des vielfach angefeindeten Namens »Drehstrom« die Bezeichnung »Wellenstrom« vor. Die Versammlung lehnte jedoch eine Beschlußfassung hierüber ab und genehmigte nur die Ausschußanträge. Dagegen wurde im weitern Verlauf der Sitzung noch ein Antrag von Uppenborn (Berlin) angenommen, als Bezeichnung für die metrische Pferdekraft (736 Voltampere) nicht das für die englische Pferdekraft (746 Voltampere) gebräuchliche Zeichen HP anzunehmen.
Hierauf sprach Zipernowski (Pest) über den von Ganz u. Komp. in Pest entworfenen und bis ins einzelne ausgearbeiteten Plan einer elektrischen Eisenbahn zwischen Wien [* 19] und Pest. Dieselbe soll dem Schnellverkehr für Personen und Poststücke dienen und zweigeleisig angelegt werden. In kurzen Zwischenräumen würde je ein 4,5 m langer, 40 Personen fassender Wagen abgelassen, welcher die ganze Strecke Zwischen Wien und Pest ohne Aufenthalt mit einer Durchschnitssgeschwindgkeit von 200 km in einer Stunde zurücklegt. Die Baukosten einer solchen Bahn stellen sich allerdings auf das 2,5fache einer gewöhnlichen
Eisenbahn. Der Vortragende hofft aber trotzdem, daß sie ertragsfähig wird, wenn die Fahrpreise niedrig gestellt, die Reisenden also nicht nur schnell, sondern auch billig befördert werden. Diese Studie, wie der Redner seinen durch Pläne und Zeichnungen unterstützten Vortrag nannte, fand lebhaften Beifall, und Thompson (London) sprach den Wunsch aus, die Bahn bald ausgeführt zu sehen, da er den ganzen Plan für äußerst zweckmäßig halte. Hierauf sprach Epstein (Frankfurt) über Stellung und Aufgabe der elektrischen Untersuchungsanstalten.
Der Vortragende ist selbst Leiter einer solchen Anstalt, deren erste 1882 in München [* 20] ins Leben gerufen wurde, und hält es nicht für nötig, ihre Notwendigkeit zu begründen. Wohl aber sei es wünschenswert, auszusprechen, was diese Untersuchungsanstalten nicht thun sollen. Sie sollen nämlich wissenschaftlichen und nicht geschäftlichen Zwecken dienen und sich deshalb von allen Untersuchungen, Gutachtens, fern halten, welche etwa von Erfindern behufs geschäftlicher Ausbeutung gewünscht werden, sonst sei es der Anstalt unmöglich, nötigen Falls auch einmal als Schiedsrichter aufzutreten. Der Vortrag rief eine ziemlich umfangreiche Erörterung hervor, weil Heine (Hannover) meinte, der Gegenstand eigne sich nicht zur Besprechung auf einem internationalen Kongreß, da noch zu wenig Material vorliege, indem erst drei solcher Anstalten in Deutschland [* 21] bestehen. Kohlrausch (Hannover) hob namentlich das überaus verdienstliche Wirken der Reichsanstalt und den Nutzen hervor, den dieselbe der Praxis gewähre.