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über den angebornen muskulösen Schiefhals. Er ist bereits vor Jahren der von Stromeyer herrührenden Lehre [* 2] von der mechanischen Entstehung des Schiefhalses während der Geburt entgegengetreten und spricht gegenüber den inzwischen gegen seine Auffassung laut gewordenen Stimmen von neuem seine Überzeugung aus, daß es sich um eine während des fötalen Lebens entstandene Anomalie [* 3] handelt. Diese Überzeugung stützt sich vor allein auf die Beobachtung von unzweifelhaft angebornem Schiefhals. Es läßt sich aber auch theoretisch das Zustandekommen der Anomalie durch Verwachsungsvorgänge während des Fötallebens erklären. Rehn (Frankfurt [* 4] a. M.) sprach über Kompression der Cauda equina durch einen Tumor; v. Zoege-Manteuffel (Dorpat) [* 5] über angiosklerotische Gangräne.
In den Sitzungen im Hörsaal der chirurgischen Universitätsklinik fand eine Auseinandersetzung zwischen v. Bergmann und Liebreich über die Wirkung des kantharidinsauren Kalis bei Lupus statt. Ersterer bestritt die Wirkung des Mittels, während Liebreich die Hoffnung aussprach, bald zu einem überzeugendern Bilde der zweifellosen Besserung zu gelangen. Es folgte ein Vortrag von König über osteoplastische Behandlung der angebornen Hüftgelenkluxation.
Vortragender hat versucht, eine dauernde Heilung bei der Operation des Hüftgelenks dadurch zu erreichen, daß er mittels Abspaltung einer Knochenplatte vom Betten eine künstliche Pfanne zur Festhaltung des Gelenkkopfes bildete. Leider ist über den Erfolg nichts Genaueres zu berichten, da von den zuerst operierten Kindern zwei an ansteckenden Krankheiten zu Grunde gingen. Hierauf wurden mehrere Fälle vorgestellt, in denen ein als geheilt angesehener Lupus sich als rückfällig erwies.
Urban (Leipzig) [* 6] zeigte dagegen einen Fall von ausgedehntem Lupus der linken Schläfe, der Wange und des Halses, welcher durch Entfernung der erkrankten Teile mit dem Messer [* 7] und Überpflanzung mit gesunder Haut [* 8] völlig geheilt worden war. Thiersch (Leipzig) knüpfte an den Fall Erörterungen über die von ihm schon seit längerer Zeit ausgeübte Hautüberpflanzung. Je dünner man die Schnitte der von andern Körperstellen zu entnehmenden gesunden Haut macht, desto leichter heilen diese Hautblätter auf, aber ein desto minder gutes Ansehen bekommt auch die verheilte Stelle. Nun hat Thiersch die wichtige Beobachtung gemacht, daß bei jungen, noch nicht ausgewachsenen Personen auch die aufgeheilten Hautlappen und zwar nach der Dicke wachsen, so daß hier selbst nach der kosmetischen Seite die Verwendung der bequemer verwachsenden dünnern Hautschnitte unbedenklich ist.
Sonnenburg (Berlin) [* 9] und Hahn [* 10] (Berlin) stellten hierauf Kranke vor, denen Lungenkavernen bei der Behandlung mit Tuberkulin eröffnet sind. Einer der Sonnenburgschen Fälle ist, soweit die entleerte Höhle in Betracht kommt, als geheilt zu betrachten, die beiden andern sind in fortschreitender Besserung begriffen, bez. der völligen Heilung nahe. Allerdings ist damit nicht gesagt, daß nunmehr bei den Kranken die Tuberkulose völlig beseitigt sei, indessen hat sich doch das Allgemeinbefinden der Leute derartig gehoben, daß mit der Beseitigung des schlimmsten Tuberkelherdes eine allmähliche, gänzliche und dauernde Genesung erwartet werden kann. Hahn hebt hervor, daß eine sehr sorgfältige Auswahl der Fälle die erste Vorbedingung des Gelingens sei. Im ganzen werden nur wenige Fälle zu finden sein. Das Vorhandensein mehrerer Höhlen in der Lunge [* 11] schließt die Aussicht aug günstige Resultate aus. Westphal (Berlin)
zeigte drei Fälle von Gelenktuberkulose, welche sich bei Behandlung nach Koch gebessert hatten. Benda (Berlin) stellte einen geheilten Fall von traumatischer Rindenepilepsie nach ausgedehnter osteoplastischer Trepanation und Abtragung eines Stückes Hirnrinde vor. Der Betreffende hatte sich durch Sturz vom Pferde [* 12] eine Verletzung des Kopfes in der Gegend des linken Scheitelbeins zugezogen, litt später an gelegentlichen Kopfschmerzen, und nach 18 Monaten stellten sich Schwindelanfälle, Ohnmachten und hysterische Erscheinungen, später auch epileptische Anfälle ein, deren Heftigkeit rasch zunahm, und welche regelmäßig eine vorübergehende Lähmung des rechten Fußes zur Folge hatten. Da diese Erscheinungen auf eine Erkrankung der Hirnrinde am motorischen Zentrum des rechten Fußes hindeuteten, so wurde ein handtellergroßes Stück des Schädels unter Beibehaltung einer Ernährungsbrücke losgemeißelt und zurückgeklappt.
Nach Ablösung der dura mater ermittelte man mit dem Poldraht einer galvanischen Batterie eine Stelle von der Größe eines Zehnpfennigstücks, aus welcher durch elektrischen Reiz Zuckungen in der großen Zehe des rechten Fußes hervorgebracht werden konnten. Obwohl an dieser Stelle äußerlich ersichtliche krankhafte Veränderungen nicht bemerkt werden konnten, entschloß man sich zur Abtragung einer Rindenschicht von einigen Millimetern Dicke. Sodann wurde das losgelöste Schädelstück wieder zurückgeklappt 2c. Die Heilung erfolgte anstandslos.
Zunächst blieb eine Lähmung des rechten Beines und des rechten Armes zurück. Dieselbe wich indes bald, der Mann erholte sich und erlangte seine geistigen und körperlichen Fähigkeiten wieder bis auf eine leichte Schwäche im rechten Arm uud einen gewissen Mangel an Ausdauer bei geistiger Arbeit. Schönborn (Würzburg) [* 13] berichtete über erfolgreiche Deckung eines Schädeldefekts nach der Königschen Methode. Ein Schlag hatte bei einem Arbeiter Zersplitterung des Stirnbeins und Zerquetschung darunter liegender Gehirnteile auf einer Fläche von 14x2 bis 4 cm bewirkt.
Nach Abtragung der abgesprengten, resp. zerquetschten Teile trat Heilung und Vernarbung ein, allein die Schutzlosigkeit der betreffenden Stelle, starke Pulsion unter der Narbe und häufiger Kopfschmerz veranlaßte die Ausführung der Königschen Methode. Es wurde aus der weiter hinten liegenden Schädelgegend ein entsprechend großes Haut-Periost-Knochenstück abgelöst und auf die von der Hautnarbe befreite Fehlstelle gebracht, wo sie anstandslos fest einheilte.
Als Ersatz des losgelösten Stückes wurde eine Deckel von überpflanzter Haut benutzt. Nach der Heilung wurde dann das behaarte Hautstück von der Stirn losgelöst und wieder an seine ursprüngliche Stelle gebracht, die Fehlstellen der Stirnhaut dagegen mit überpflanzten Hautlappen gedeckt. Hierdurch ist der Mann, abgesehen von der immerhin auffallenden Stirnnarbe, in eine durchaus befriedigende Verfassung versetzt worden. Die Stirn ist durch völlig festen Knochen [* 14] geschützt, und sonstige Störungen haben sich nicht herausgestellt. v. Eiselsberg (Wien) [* 15] berichtete über einen in der Billrothschen Klinik behandelteni Fall, bei welchem die von Fränkel (Wien) vorgeschlagene Methode der Einheilung einer Celluloidplatte mit bestem Erfolg ausgeführt worden ist. Küster (Marburg) [* 16] sprach dann über Operationen an Prostata und Blase.
In der letzten Sitzung sprach Braatz (Heidelberg) [* 17] über das Verhältnis der klinischen Chirurgie zur chirurgischen Bakteriologie und die Bedeutung der Anaerobiose. Er wies darauf hin, daß ¶
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trotz aller bakteriologischen Studien und aller Tierversuche die Ursachen der menschlichen Wundkrankheiten noch ganz unbekannt sind. Man weiß, daß die pathogenen Bakterien sowohl mit als ohne Sauerstoff leben können, anderseits, daß in den Exsudaten, in Eiter, Lymphe, Galle, Harn, kein Sauerstoff vorhanden ist. Während nun die Pathologen bisher geglaubt haben, daß Sauerstoff nötig sei zur Erzeugung der Bakteriengifte, scheine es vielmehr, daß Zuleitung von Sauerstoff die Entstehung dieser Gifte hemme.
Auch bei akutem Brand bestehen anaerobische Verhältnisse. Schließlich wies Redner auf die Notwendigkeit hin, der Zellenphysiologie seitens der Chirurgen größere Aufmerksamkeit zu widmen. Jordan (Heidelberg) sprach über die Ätiologie des Erysipels und Brunner (Zürich) [* 19] über die Ausscheidung pathogener Kokken durch den Schweiß. Bis letzt hat man geglaubt, daß Mikroorganismen durch die gesunde Haut nicht hindurchzugehen vermögen; durch die Untersuchungen des Vortragenden ist die Hinfälligkeit dieser Ansicht erwiesen worden. Zwei Männer und ein Knabe wurden von Furunkeln befallen, die sie sich wahrscheinlich durch Melken einer Ziege, welche Geschwüre am Euter, bez. an einer Zitze aufwies, zugezogen hatten. Bei dem ältern Mann kam es zu einer Allgemeininfektion, und er starb. Der Eiter des Karbunkels enthielt an Mikroorganismen nur Staphylococcus albus und aureus, und das Blut erwies sich später durchsetzt mit Staphylokokken. Der Kranke erhielt bei der Behandlung schweißtreibendes Phenacetin, und der Schweiß wurde nach sorgfältiger Desinfektion [* 20] der Stirn und Sammeln der Tropfen in kleinen aseptischen Gläsern auf Mikroben untersucht. Dieser sechsmal binnen 8 Tagen wiederholte Versuch ergab stets dasselbe: Staphylokokken im Schweiß. Auf Grund dieses Ergebnisses schritt man zum Tierversuch. Man weiß, daß das Pferd [* 21] am ganzen Körper, das Schwein [* 22] an der Rüsselscheibe, junge Hunde [* 23] und Katzen [* 24] an den Zehenballen Schweiß abzusondern vermögen. Eine junge Katze [* 25] wurde mit Milzbrandbacillen injiziert; durch Eingeben von Pilokarpin brachte man die Zehenballen zur Schweißabsonderung, und im Schweiß fand sich der Milzbrandbacillus. Beim Schwein wurde der Versuch erfolgreich mit Staphylococcus aureus durchgeführt und beim Pferd mit Micrococcus prodigiosus. Selbstverständlich wurde überall die betreffende Hautstelle vor Einleitung des Schweißausbruchs sorgfältig gereinigt und desinfiziert. Die Identität der gefundenen Mikroben stellte man in allen Fällen durch Reinkultur und Verimpfung auf Tiere fest. Diese überraschenden Ermittelungen, deren Bedeutung der Vorsitzende noch besonders betonte, erhielten unmittelbare Bestätigung durch eine Mitteilung v. Eiselsbergs, nach welcher in Wien bei einem Fall von schwerer Pyämie ein Hindurchgehen des Staphylococcus aureus mit dem Schweiß durch die Haut festgestellt ist. Nach einigen Mitteilungen Fischers (Straßburg) [* 26] über die bakteriologischen Befunde bei Lymphangitis der Extremitäten, welche darauf hinauslaufen, daß die Lymphangitis nicht durch einen spezifischen Pilz [* 27] verursacht wird, daß sich vielmehr alle möglichen Kokken bei derselben vorfinden, sprach Reichet (Würzburg) über Immunität gegen den Virus der Eiterkokken. Auf die Erfahrung hin, daß manche Tiere nach einmal überstandener Peritonitis weit widerstandsfähiger als vorher gegen die Infektion der Bauchhöhle sind, hat Vortragender durch methodischen Tierversuch die betreffenden Verhältnisse aufzuklären unternommen. Es erwies sich, daß Hunde anfänglich
kleine Einspritzungen von Eiter des Staphylococcus pyogenes aureus in die Bauchhöhle in rasch steigenden Gaben bis zu 100 ccm fast ohne Beschwer ertrugen, während die nicht vorgeimpften Tiere bei größern Gaben rasch an septischer Peritonitis zu Grunde gingen oder mindestens schwer erkrankten. Es wurde nunmehr die Widerstandsfähigkeit der Tiere gegen das aus Reinkulturen des betreffenden Kokkus gewonnene Ptomain geprüft und gefunden, daß die vorgeimpften Tiere das Ptomain gut vertragen, während wieder die Kontrolltiere demselben erlagen.
Umgekehrt ließen sich Hunde allmählich an große Gaben des Ptomaïns gewöhnen und waren dann widerstandsfähig gegen den Eiter, so daß einerseits die Ansicht Briegers, nach welcher die Giftigkeit der Bakterien durch deren Stoffwechselprodukte bedingt wird, eine wesentliche Stütze erhalten hat, anderseits die Richtigkeit der von Bouchard geäußerten Behauptungen über die gleiche Wirkung der Toxine bei vorgeimpften und nicht geimpften Tieren erheblich erschüttert worden ist.
Ein gegen Einspritzungen von Eiter oder Kokken in die Bauchhöhle unempfindliches Tier reagiert noch lokal gegen subkutane Einspritzungen, so daß also durchaus keine besondere Empfindlichkeit des Bauchfells gegenüber den Geweben angenommen werden kann. Für die Praxis folgt vorderhand aus den Versuchen, daß man beim Tierversuch über Eiterwirkung nicht dasselbe Tier öfter benutzen soll, weil sonst die eintretende Immunität das Ergebnis beeinflussen kann.
Der Vorsitzende bemerkt zu dem Vortrag, Lindwurm (München) [* 28] habe schon vor 30 Jahren auf Grund seiner Beobachtungen als Chirurg behauptet, die menschliche Haut werde mit der Zeit völlig unempfindlich gegen Eiter. Bardeleben erinnerte an Paget, der vor 40 oder 50 Jahren an sich selbst beobachtete, daß Berührung mit Eiter an seinen Händen keine Pusteln und Geschwüre hervorrief, wenn er längere Zeit chirurgisch thätig war, daß sie aber wiederkehrten, wenn er zur Erholung auf dem Lande gewesen war. Auch Thiersch hat Entsprechendes an sich beobachtet.