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Fleischsaft in die Kochflasche, verschloß und versiegelte sie und setzte sie erst dann der Siedetemperatur aus. Der Erfolg zeigte die Nichtigkeit seiner Annahme, der Fleischsaft blieb frei von Organismen. Da sich nun an diesem Experiment nichts aussetzen ließ, mußten diejenigen Forscher, welche an der Urzeugung bei den Bakterien festhielten, zu sehr unwahrscheinlichen Erklärungen ihre Zuflucht nehmen. So trat beispielsweise Treviranus mit der Ansicht auf, daß sowohl der Fleischsaft selbst als auch die Luft in der Flasche [* 2] durch das Kochen in einer Weise verändert würden, daß sie nicht mehr im stände seien, Organismen hervorzubringen. Da machte 1836 Franz Schultze die wichtige Entdeckung, daß man den gekochten Stoffen auch frische Luft zuleiten könnte, ohne daß eine Entwickelung von Bakterien stattfände, sobald nur die Luft infolge von Durchleiten durch konzentrierte Schwefelsäure [* 3] von allen Keimen befreit wird, und bald darauf zeigte Schwann, daß auch geschmolzene Metalle an Stelle der Schwefelsäure verwendet werden können.
Noch wichtiger und für die Entwickelung der Bakteriologie von hoher Bedeutung war die Entdeckung von Schröder und von Dusch im J. 1854, daß man die Luft einfach durch einen Wattepfropf als Filter von Keimen befreien könne. Schließlich zeigten Hostmann und Pasteur beinahe zu gleicher Zeit, daß nicht einmal ein Wattepfropf nötig sei, sondern daß man den Flaschenhals nur in eine lange gebogene Röhre auszuziehen brauche, um den Inhalt keimfrei zu erhalten, da sich die Bakterien aus der Luft, dem Gesetz der Schwere folgend, in dem gebogenen Teil der Röhre ablagerten und nicht bis zu der organischen Substanz in der Flasche gelangten.
Noch eine Frage in Bezug auf die Urzeugung blieb ungelöst und wurde erst in einer Arbeit Cohns, welche dem zweiten Abschnitt der Geschichte angehört, aufgeklärt, nämlich das doch hin und wieder eintretende Mißlingen der genannten Experimente. Cohn zeigte, wie wir schon hier erwähnen wollen, daß manche Bakterienarten Dauerformen von außerordentlicher Widerstandsfähigkeit bilden, und daß diese letztern selbst Siedehitze eine Zeitlang zu ertragen fähig sind. Hierdurch war die Thatsache erklärt, daß sich selbst in fest verschlossenen und versiegelten und lange Zeit gekochten Gefäßen dennoch hin und wieder Bakterien entwickelten.
Die Lehre [* 4] vom contagium vivum stammt bereits aus dem Altertum und fand ihren prägnantesten Ausdruck in den Worten des Marcus Terentius Varro: »An sumpfigen Orten entwickeln sich gewisse sehr kleine Tiere, welche man nicht mit dem Auge [* 5] wahrzunehmen vermag, welche aber mit der Luft durch Mund und Nase [* 6] in den Körper gelangen und dort schwere Krankheiten hervorrufen.« (De re rustica I, 12.) Später tauchte diese Ansicht wiederholt auf, wurde jedoch niemals in einer sichern Weise begründet.
Als jedoch im J. 1837 Latour und Schwann entdeckten, daß die Hefezellen lebende Organismen seien und die Gärung hervorriefen, schenkte man auch den und ihrer Biologie wieder mehr Aufmerksamkeit. Im gleichen Jahre fand übrigens auch die Entdeckung Bassis statt, wodurch zum erstenmal in einem Pilz [* 7] (Botrytis Bassiana) die Ursache einer Krankheit (die Muskardine der Seidenraupe) erkannt wurde. Hieran schlossen sich die mit überzeugender Anschaulichkeit vorgetragenen Lehren [* 8] Henles, welcher mit außerordentlicher Schärfe den Beweis führte, daß nur in lebenden Organismen der Ansteckungsstoff epidemischer Krankheiten gesucht werden könnte.
Trotzdem er selbst in seinen Untersuchungen, die er mit dem größten Eifer viele Jahre hindurch ausführte, vom Glück nicht begünstigt war, hielt er an seiner Überzeugung von der Lehre vom contagium vivum fest und stellte mit dem größten Scharfsinn und weitsehendem Blick die drei Grundsätze auf, welche für die gesamte Entwickelung der Lehre von den pathogenen Mikroorganismen von fundamentaler Bedeutung gewesen sind. Um einen Organismus als spezifisch für eine bestimmte Krankheit ansehen zu können, verlangte er das konstante Vorkommen desselben bei der betreffenden Krankheit, die Trennung von dem erkrankten Körper und die Beobachtung dieser getrennten Organismen. Bei seinen Mißerfolgen im Suchen nach den Krankheitserregern geriet er schließlich in Zweifel, ob man überhaupt jemals würde im stande sein, die Krankheitserreger nachzuweisen, da die bis dahin bekannten Methoden wenigstens zu keinem Ziel führten.
In der Erforschung der Biologie der Bakterien wurde zunächst durch Louis Pasteur ein großer Erfolg dadurch errungen, daß er für die verschiedenen Gärungen organischer Substanzen auch spezifisch verschiedene Gärungserreger nachweisen konnte. Er zeigte, daß die verschiedenen Krankheiten des Weines und Bieres auf morphologisch gut unterscheidbare Organismen, Hefe- und Bakterienarten, zurückzuführen seien, und er konnte nachweisen, daß die Lehre Béchamps, welche die bei Gärungen auftretenden Organismen nicht als Ursache, sondern als Produkte der Gärung auffaßte, experimentell zu widerlegen war.
Auch von andrer Seite wurde der Nachweis geführt, daß die Gärung durch lebende Organismen bedingt wird. Lemaire setzte gärenden Substanzen Karbolsäure zu und fand, daß die Gärung aufhörte. Da er nun die verheerende Wirkung der Karbolsäure Tieren und Pflanzen gegenüber kannte, so schloß er daraus, daß das Aufhören der Gärung auf der Vernichtung der gärungserregenden Organismen durch die Karbolsäure beruhe. Diese Versuche gaben weiter Veranlassung zu einer der wichtigsten Errungenschaften auf dem Gebiete der Heilkunde dadurch, daß Lister seine Methode der antiseptischen Wundbehandlung auf den Konsequenzen der Lemaireschen Entdeckungen aufbaute.
Nachdem er schon eine Reihe von Jahren seine Methode versucht hatte und ihre Brauchbarkeit nicht mehr bezweifeln konnte, trat er 1868 damit an die Öffentlichkeit. Sie besteht einfach darin, bei allen Operationen das Eindringen und die Entwickelung von Bakterienkeimen durch fäulniswidrige Mittel, wie Karbolsäure, zu verhindern. Die phänomenalen Erfolge dieser Methode verschafften der Lehre vom contagium vivum einen sichern Boden, welcher noch durch die Entdeckung Pollenders und Davaines von Stäbchen im Blut milzbrandkranker Tiere wesentlich an Festigkeit [* 9] gewann. Diese Stäbchen zeigten eine so ausfallende Ähnlichkeit [* 10] mit den unter der Gattung Vibrio beschriebenen Bakterien, daß sich über ihre Natur zwischen verschiedenen Forschern ein lebhafter Streit entspann. Die Entscheidung desselben wurde jedoch erst sehr viel später durch Robert Koch herbeigeführt, auf dessen Schrift wir weiter unten noch eingehend zurückkommen werden.
So weit war man in der Erkenntnis der Lebensgeschichte der Bakterien gekommen, als durch Cohns klassische Untersuchungen eine neue Epoche in der Bakteriologie herbeigeführt wurde. Gewissermaßen als Vorläufer dieser Arbeiten erschien im J. 1872 eine Abhandlung Schröters über die farbstofferzeugenden in Cohns »Beiträgen zur Biologie der Pflanze«. Es ¶
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wurde hier, wenn auch sehr vorsichtig, zum erstenmal im bewußten Gegensatz zu Halliers Anschauungen die Ansicht ausgesprochen, daß die verschiedenen Farbstoffe auch durch verschiedene Arten von Bakterien, die sich auch morphologisch unterscheiden ließen, erzeugt würden. Hierauf folgte nun in den nächsten Jahren eine Reihe wertvoller Arbeiten Cohns, welche dieser unter dem Titel »Untersuchungen über in seinen Beiträgen zur Biologie namentlich in den Jahren 1870 bis 1875 veröffentlicht hat.
Sein wichtigstes und größtes Verdienst war der Versuch, die bis dahin bekannten oder von ihm entdeckten Bakterienarten nach morphologischen oder, wenn diese nicht ausreichten, biologischen Merkmalen voneinander zu unterscheiden und in leicht erkennbare, durch die Form charakterisierte Gruppen zu bringen. Zunächst wandte er für die ganze Gruppe dieser bisher als Spaltpilze bezeichneten Organismen den Namen an, welcher früher schon, aber in sehr viel weiterer Fassung von Hoffmann in die Wissenschaft eingeführt worden war.
Die Bakterien teilte er nun weiter in vier große Tribus: Sphaerobacteria, Kugelbakterien, mit der Gattung Micrococcus;
Microbacteria, Stäbchenbakterien, mit der Gattung Bacterium;
Desmobacteria, Fadenbakterien, mit den Gattungen Bacillus und Vibrio, und Spirobacteria, Schraubenbakterien, mit den Gattungen Spirillum und Spirochaete.
Mit den damaligen optischen und technischen Hilfsmitteln ließ sich eine schärfere Trennung von Gattungen und Arten nicht erreichen, doch sind bereits die Gattungen so scharf umschrieben, daß sie im großen und ganzen noch heute beibehalten werden. In Bezug auf die Arten dagegen hat sich herausgestellt, daß sie nicht den natürlichen Arten entsprachen, sondern in den meisten Fällen Kollektivspezies darstellten. Sein System hat zwar in der Folgezeit mancherlei Abänderungen und Verbesserungen erfahren, bildet jedoch noch heute die Grundlage aller praktisch brauchbaren Systeme, auch selbst derjenigen, deren Autoren sich im vollen Gegensatz zu Cohn zu befinden glauben.
Der einzige Versuch, eine Systematik der Bakterien auf entwickelungsgeschichtliche Thatsachen zu begründen, rührt von de Bary und van Tieghem her, denen sich später Hüppe und andre anschlossen. Sie teilen nämlich die in endospore und arthrospore ein, je nachdem sich die Sporen im Innern der Zellen entwickeln, oder indem sich die ganzen Zellen in Dauerzustände umbilden. Indes ist die Arthrosporenbildung noch nicht in allen Punkten genügend aufgeklärt, um ihr eine hinreichende Wichtigkeit als systematisches Merkmal zulegen zu dürfen, und außerdem kennt man bei der großen Mehrzahl der Bakterien die Sporenbildung überhaupt noch nicht.
Nicht bloß die Systematik wurde durch Cohn in wesentlicher Weise gefördert, sondern auch die Entwickelungsgeschichte [* 12] der Bakterien erhielt durch seine Entdeckung der Bildung und Keimung von Sporen beim Heubacillus, die er lückenlos verfolgen konnte, eine wesentliche Erweiterung. Auf dem Gebiete der Ernährung der Bakterien waren besonders diejenigen seiner Untersuchungen von Wichtigkeit, durch welche er nachwies, daß sich viele auch dann kultivieren lassen, wenn ihnen Stickstoff und Kohlenstoff in Form von organischen Salzen angeboten wurden.
Den Anschauungen Cohns traten jedoch eine Anzahl Forscher entgegen, mit der Lehre, daß es unter den Bakterien nur sehr wenige oder auch vielleicht gar nur eine einzige Art gäbe, welche morphologisch außerordentlich vielgestaltig und in biologischer Hinsicht ebenfalls außerordentlich verschiedenartige Prozesse auszulösen im stande sei. Durch verschiedene äußere Bedingungen könnte diese eine Art bald in der Form von Kokken, bald in der von Schrauben [* 13] oder Stäbchen auftreten, bald Milchsäuregärung, bald Pigmentbildung, bald Typhus oder Cholera herbeiführen. Daß diese Lehre von der Inkonstanz der Arten, welche weniger schroff von manchen Autoren als Polymorphismus der Bakterienarten aufgefaßt wird, der Wirklichkeit nicht entspricht, hat sich in der Folgezeit herausgestellt; vertreten wurde sie wesentlich durch Lister, Billroth, Nägeli, Buchner und Zopf.
Den ersten sichern Beweis davon, daß gewissen Erscheinungen auf dem Gebiete der ansteckenden Krankheiten auch bestimmt unterscheidbare, konstante Bakterienarten entsprechen, zugleich ein Beweis für die Nichtigkeit der Lehre vom Contagium vivum und der Konstanz [* 14] der Bakterienarten, lieferte Robert Koch 1876 durch seine Entdeckung des Milzbrandbacillus. Wie bereits erwähnt, waren die Stäbchen in dem Blute milzbrandkranker Tiere schon längst gesehen worden, indes erst Koch stellte in seiner grundlegenden Arbeit: »Die Ätiologie der Milzbrandkrankheit, begründet auf die Entwickelungsgeschichte des "Bacillus Anthracis", unzweifelhaft die Rolle fest, welche diese Stäbchen bei der Milzbrandkrankheit spielten, indem er die ganze Entwickelungsgeschichte dieses Organismus lückenlos verfolgte.
Die Entdeckung andrer Krankheitserreger ließ nun nicht lange mehr auf sich warten, doch scheiterte die genaue Sicherstellung der Pathogenität sowie der Spezifität der gefundenen Organismen an der Unmöglichkeit, die einzelnen Arten voneinander zu trennen und jede für sich in Reinkulturen fortzuzüchten. Kochs Verdienst war es wiederum, diesem Mangel einer geeigneten Kulturmethode durch Zuführung gelatinierender Substanzen zu den gebräuchlichen Nährflüssigkeiten abgeholfen zu haben.
Dadurch, daß man eine geringe Menge des bakterienhaltigen Materials mit der zuvor verflüssigten Nährgelatine vermischte und auf sterilisierte Glasplatten ausgoß, konnte man erreichen, daß die einzelnen Bakterienkeime räumlich voneinander getrennt und durch das Erstarren der Gelatine auch voneinander getrennt fixiert wurden. Da nun die nach Kochs Verfahren hergestellte Gelatine auch zugleich ein vorzüglicher Nährboden für die Bakterien war, so wuchsen die einzelnen Keime auf der Platte zu kleinen Kolonien aus, welche ebenso viele kleine Reinkulturen von Bakterien darstellten.
Hierdurch war das Problem der Isolierung der Bakterienarten gelöst und dem weitern Ausbau der Bakteriensystematik der Weg gebahnt. Es stellte sich nun zwar freilich gar bald heraus, daß diese Kulturmethode nicht in allen Fällen verwendbar sei, sondern daß man vielmehr für bestimmte Arten gewisse Abänderungen daran vornehmen müßte. So mußte man bei denjenigen Arten, welche nur bei Blutwärme wachsen, an Stelle der sich bei dieser Temperatur verflüssigenden Gelatine das Agar-Agar oder auch Blutserum verwenden etc. Es folgten nun rasch eine große Anzahl hochwichtiger Entdeckungen auf dem Gebiete der pathogenen Bakterien, namentlich durch Koch selbst, welcher 1884 den Organismus der asiatischen Cholera, den Kommabacillus, und den Tuberkelbacillus auffand. Das Auffinden des letztern ist noch besonders deshalb von großer Bedeutung, weil der Wert der Färbemethoden hierbei besonders in die Augen springt. Als Erreger von Krankheiten sind zur Zeit Bakterien bekannt bei Aktinomykose, Wundinfektionskrankheiten, Osteomyelitis, Erysipel, Puerperalfieber, Tetanus, ¶