Die Geschichte der Bakteriologie läßt sich in zwei große
Abschnitte teilen, von denen der erste von ihrer
Entdeckung bis zum Anfang der 70er Jahre dieses
Jahrhunderts reicht, zu welcher Zeit durchCohn dieSystematik
der Bakterien sowie ihre
Biologie zum erstenmal in eingehender
Weise zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung gemacht wurde. Der
zweite
Abschnitt umfaßt diese Untersuchungen
Cohns und reicht bis zur Gegenwart; er wird wiederum durch die
Entdeckung der
Gelatinekultur, welche für den
Ausbau der gesamten Bakteriologie von der größten Bedeutung war, in zwei
kleinere
Abschnitte geteilt.
Aus früherer Zeit finden wir bereits einzelne Andeutungen, welche sich auf das Vorhandensein kleinster, dem menschlichen
Auge
[* 4] unsichtbarer Organismen beziehen, besonders in
Verbindung mit dem
Gedanken, daß durch dieselben die ansteckenden
Krankheiten
bedingt würden. Diese
Lehre
[* 5] vom contagium vivum, dem lebenden, fortpflanzungsfähigen, organisierten Ansteckungsstoff, gab
zunächst den Anstoß, immer wieder nach dem Vorhandensein der kleinsten
Wesen zu forschen. Da gelang
es im J. 1675 dem berühmten Mikroskopiker Antony van
Leeuwenhoek, im faulenden Regenwasser außerordentlich kleine Organismen
zu entdecken, welche er in einer Anzahl
Briefe an die
Royal Society in
London
[* 6] beschrieb;
im J. 1683 teilte er der
gleichen
Gesellschaft seine
Entdeckung von kleinsten, lebenden Organismen im Zahnschleim mit und erläuterte diese
Entdeckung
durch eine Anzahl so vorzüglicher Abbildungen, daß man an der
Natur der entdeckten Organismen nicht wohl zweifeln kann;
es waren Bakterien. Auf
LeeuwenhoeksEntdeckung folgte ein langer Zeitraum, in welchem für die wissenschaftliche
Ausbildung der
Naturgeschichte der Bakterien nichts Wesentliches mehr geschah;
erst am Ende des 18. Jahrh. versuchte der dänische Zoologe
OttoFriedrichMüller in seinem großen Werk »Animalcula infusoria« die von ihm beobachteten
Bakterienarten unter den
Gattungen Vibrio und
Monas in systematischer
Weise zu beschreiben;
Die einzelnen
Arten werden jedoch in so ungenauer
Weise beschrieben, daß sie sich mit wenigen Ausnahmen heutzutage
nicht mehr wiedererkennen lassen.
Dujardin stellte die Bakterien ebenfalls zu den
Tieren und behielt auch die Ehrenbergschen
Namen
bei, veränderte aber die Begrenzung der
Gattungen, ohne dabei einen wesentlichen Fortschritt gegenüberEhrenberg
zu erreichen. Durch
Pertys Werk »Zur Kenntnis kleinster Lebensformen« wurde zunächst zum
erstenmal die tierische
Natur der in
Frage gestellt, und durch
Cohns erste hierauf bezügliche
Arbeit: »Untersuchungen über
die
Entwickelungsgeschichte
[* 7] der mikroskopischen
Algen
[* 8] und
Pilze«
[* 9] (1854), war die pflanzliche
Natur derselben fest begründet.
Cohn bringt in dieserArbeit die in nahe Beziehung zu den
Algen, während sie
Nägeli drei Jahre später
allein auf
Grund der physiologischen Merkmale den
Pilzen zuweist. Bisher war man im wesentlichen der
Ansicht, daß sich unter
den Bakterien ebenso wie unter den übrigen Organismen einzelne
Gattungen und
Arten mit Sicherheit voneinander würden abgrenzen
lassen, sobald man nur in dem
Studium dieser kleinsten
Wesen weit genug würde gekommen sein und namentlich durch bessere
Instrumente
zur
Aufklärung schwer erkennbarer Einzelheiten besserausgerüstet sein würde. Im
Gegensatz zu dieser
Anschauung lehrte
Hallier
in den 60er
Jahren dieses
Jahrhunderts, auf ungenaue
Methoden und falsche Schlußfolgerungen gestützt, daß die
Bakterien nur Entwickelungszustände von gewissen
Schimmelpilzen seien, und daß es überhaupt nur wenige, aber sehr vielgestaltige
Pilzarten gäbe, in deren
Kreis
[* 10] unter andern auch die
Hefepilze und Bakterien gezogen werden müßten. Das Unhaltbare dieser Auffassung
zeigte sich sehr bald, und es ist namentlich
DeBarysVerdienst, dieselbe erfolgreich widerlegt zu haben.
Hatte die systematische Erforschung der Bakterien bis zum Ende des ersten
Abschnitts ihrer Geschichte nur wenig Fortschritte und
zuletzt sogar
Rückschritte gemacht, so war man auch auf andern Gebieten der Bakteriologie nicht wesentlich weiter gekommen.
Zu der
Lehre des Contagium vivum trat noch eine andre
Idee, welche dasInteresse an der
Biologie dieser Organismen
wach hielt. Man glaubte in den Bakterien diejenigen niedersten Organismen gefunden zu haben, welche sich direkt aus
der organischen
Substanz entwickeln könnten, also durch
Urzeugung entstünden.
Statt überzeugender
Experimente waren es jedoch mehr
Spekulationen, durch welche verschiedene Naturforscher zu der
Idee der
elternlosen
Zeugung bei den Bakterien gelangten, und wo
Experimente angestellt wurden, ließen sie an Fehlerhaftigkeit
und Ungenauigkeit nichts zu wünschen übrig. So stand es auch mit dem berühmten
Versuch Needhams, welcher Fleischsaft kochte
und ihn in einer wohl verschlossenen
Flasche
[* 11] aufbewahrte. Der Fleischsaft ging in
Fäulnis über, und es entwickelten sich
in ihm zahllose Bakterien verschiedenster Art. Aus diesem
Experiment folgerte Needham, da doch alles
Lebende durch
das
Kochen getötet sein mußte und von außen nichts in die fest verschlossene
Flasche dringen konnte, daß die Bakterien durch elternlose
Zeugung aus der organischen, aber toten
Materie des Fleischsaftes selbst entstanden seien.
SchonBonnet wies darauf hin, daß es doch wohl Organismen geben könnte, welche die Siedehitze zu überleben
vermöchten, und daß es auch nicht unmöglich wäre, daß sehr kleine Organismen durch den Verschluß der
Flasche nicht gehindert
seien, von außen in die
Flasche einzudringen.
Da er jedoch keine hierauf bezüglichen
Experimente anstellte, blieben seine
an sich sehr richtigen
Anschauungen ohne weitern Einfluß auf die
Lehre von der
Urzeugung. Erst durch Spalanzani wurde der
Beweis
geliefert, daß bei exakter Ausführung eines entsprechenden
Experiments keine Organismen in dem Fleischsaft entstünden.
Er betonte, daß auch die
Wände des Glasgefäßes, welches den Fleischsaft aufnehmen sollte,
Keime und Organismen
enthielten, und daß diese letztern ebenfalls vollkommen vernichtet werden müßten, um ihre
Entwickelung zu vermeiden. Er
brachte den
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mehr
Fleischsaft in die Kochflasche, verschloß und versiegelte sie und setzte sie erst dann der Siedetemperatur aus. Der Erfolg
zeigte die Nichtigkeit seiner Annahme, der Fleischsaft blieb frei von Organismen. Da sich nun an diesem Experiment nichts aussetzen
ließ, mußten diejenigen Forscher, welche an der Urzeugung bei den Bakterien festhielten, zu sehr unwahrscheinlichen
Erklärungen ihre Zuflucht nehmen. So trat beispielsweise Treviranus mit der Ansicht auf, daß sowohl der Fleischsaft selbst
als auch die Luft in der Flasche durch das Kochen in einer Weise verändert würden, daß sie nicht mehr im stände seien, Organismen
hervorzubringen. Da machte 1836 FranzSchultze die wichtige Entdeckung, daß man den gekochten Stoffen auch
frische Luft zuleiten könnte, ohne daß eine Entwickelung von Bakterien stattfände, sobald nur die Luft infolge von Durchleiten durch
konzentrierte Schwefelsäure
[* 13] von allen Keimen befreit wird, und bald darauf zeigte Schwann, daß auch geschmolzene Metalle an
Stelle der Schwefelsäure verwendet werden können.
Noch wichtiger und für die Entwickelung der Bakteriologie von hoher Bedeutung war die Entdeckung von Schröder
und von Dusch im J. 1854, daß man die Luft einfach durch einen Wattepfropf als Filter von Keimen befreien könne. Schließlich
zeigten Hostmann undPasteur beinahe zu gleicher Zeit, daß nicht einmal ein Wattepfropf nötig sei, sondern
daß man den Flaschenhals nur in eine lange gebogene Röhre auszuziehen brauche, um den Inhalt keimfrei zu erhalten, da sich
die Bakterien aus der Luft, dem Gesetz der Schwere folgend, in dem gebogenen Teil der Röhre ablagerten und nicht bis zu der organischen
Substanz in der Flasche gelangten.
Noch eine Frage in Bezug auf die Urzeugung blieb ungelöst und wurde erst in einer ArbeitCohns, welche dem zweiten Abschnitt der
Geschichte angehört, aufgeklärt, nämlich das doch hin und wieder eintretende Mißlingen der genannten Experimente. Cohn
zeigte, wie wir schon hier erwähnen wollen, daß manche Bakterienarten Dauerformen von außerordentlicher
Widerstandsfähigkeit bilden, und daß diese letztern selbst Siedehitze eine Zeitlang zu ertragen fähig sind. Hierdurch
war die Thatsache erklärt, daß sich selbst in fest verschlossenen und versiegelten und lange Zeit gekochten Gefäßen dennoch
hin und wieder Bakterien entwickelten.
Die Lehre vom contagium vivum stammt bereits aus dem Altertum und fand ihren prägnantesten Ausdruck in
den Worten des MarcusTerentius Varro: »An sumpfigen Orten entwickeln sich gewisse sehr kleine Tiere, welche man nicht mit dem
Auge wahrzunehmen vermag, welche aber mit der Luft durch Mund und Nase
[* 14] in den Körper gelangen und dort schwere Krankheiten hervorrufen.«
(De re rustica I, 12.) Später tauchte diese Ansicht wiederholt auf, wurde jedoch niemals in einer sichern
Weise begründet.
Als jedoch im J. 1837 Latour und Schwann entdeckten, daß die Hefezellen lebende Organismen seien und die Gärung hervorriefen,
schenkte man auch den und ihrer Biologie wieder mehr Aufmerksamkeit. Im gleichen Jahre fand übrigens auch
die Entdeckung Bassis statt, wodurch zum erstenmal in einem Pilz
[* 15] (Botrytis Bassiana) die Ursache einer Krankheit (die Muskardine
der Seidenraupe) erkannt wurde. Hieran schlossen sich die mit überzeugender Anschaulichkeit vorgetragenen Lehren
[* 16] Henles, welcher
mit außerordentlicher Schärfe den Beweis führte, daß nur in lebenden Organismen der Ansteckungsstoff epidemischer Krankheiten
gesucht werden könnte.
Trotzdem er selbst in seinen Untersuchungen,
die er mit dem größten Eifer viele Jahre hindurch ausführte, vom Glück nicht
begünstigt war, hielt er an seiner Überzeugung von der Lehre vom contagium vivum fest und stellte mit dem größten Scharfsinn
und weitsehendem Blick die drei Grundsätze auf, welche für die gesamte Entwickelung der Lehre von den pathogenen
Mikroorganismen von fundamentaler Bedeutung gewesen sind. Um einen Organismus als spezifisch für eine bestimmte Krankheit
ansehen zu können, verlangte er das konstante Vorkommen desselben bei der betreffenden Krankheit, die Trennung von dem erkrankten
Körper und die Beobachtung dieser getrennten Organismen. Bei seinen Mißerfolgen im Suchen nach den Krankheitserregern
geriet er schließlich in Zweifel, ob man überhaupt jemals würde im stande sein, die Krankheitserreger nachzuweisen, da
die bis dahin bekannten Methoden wenigstens zu keinem Ziel führten.
In der Erforschung der Biologie der Bakterien wurde zunächst durch LouisPasteur ein großer Erfolg dadurch errungen, daß
er für die verschiedenen Gärungen organischer Substanzen auch spezifisch verschiedene Gärungserreger nachweisen konnte.
Er zeigte, daß die verschiedenen Krankheiten des Weines und Bieres auf morphologisch gut unterscheidbare Organismen, Hefe- und
Bakterienarten, zurückzuführen seien, und er konnte nachweisen, daß die Lehre Béchamps, welche die bei Gärungen auftretenden
Organismen nicht als Ursache, sondern als Produkte der Gärung auffaßte, experimentell zu widerlegen war.
Nachdem er schon eine Reihe von Jahren seine Methode versucht hatte und ihre Brauchbarkeit nicht mehr bezweifeln konnte, trat
er 1868 damit an die Öffentlichkeit. Sie besteht einfach darin, bei allen Operationen das Eindringen und die Entwickelung von
Bakterienkeimen durch fäulniswidrige Mittel, wie Karbolsäure, zu verhindern. Die phänomenalen Erfolge dieser
Methode verschafften der Lehre vom contagium vivum einen sichern Boden, welcher noch durch die Entdeckung Pollenders und Davaines
von Stäbchen im Blut milzbrandkranker Tiere wesentlich an Festigkeit
[* 17] gewann. Diese Stäbchen zeigten eine so ausfallende Ähnlichkeit
[* 18] mit den unter der Gattung Vibrio beschriebenen Bakterien, daß sich über ihre Natur zwischen verschiedenen Forschern
ein lebhafter Streit entspann. Die Entscheidung desselben wurde jedoch erst sehr viel später durch RobertKoch herbeigeführt,
auf dessen Schrift wir weiter unten noch eingehend zurückkommen werden.
So weit war man in der Erkenntnis der Lebensgeschichte der Bakterien gekommen, als durch Cohns klassische Untersuchungen eine neue
Epoche in der Bakteriologie herbeigeführt wurde. Gewissermaßen als Vorläufer dieser Arbeiten erschien
im J. 1872 eine Abhandlung Schröters über die farbstofferzeugenden in Cohns »Beiträgen zur Biologie der Pflanze«. Es
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