mehr
Messungen beruhend, stimmen unsre Kenntnisse vom täglichen Gang [* 2] der Luftelektrizität miteinander überein. Meistens bemerkte man ein deutliches Maximum am Abend bald nach Sonnenuntergang, ein schwächeres am Morgen, jedoch sind nicht bloß die Beträge der Doppelschwankung sehr verschieden, sondern es kommen auch erhebliche Abweichungen vor. So fand sich in St. Louis nur ein Maximum am Morgen, ebenso in Paris [* 3] und in Wolfenbüttel [* 4] (Elster [* 5] und Geisel). Exner führt Messungen an, welche gleichzeitig in St. Wolfgang und auf dem 1780 in hohen Gipfel des Schafbergs angestellt wurden.
In der untern Station traten beide Maxima ganz deutlich auf, während oben keine Andeutung davon zu bemerken war. Derselbe Forscher konstatierte auf einer Tropenreise, daß dort die tägliche Periode der Luftelektrizität überhaupt nicht deutlich ausgeprägt ist, jedenfalls nicht annähernd so scharf, wie in unsern Gegenden. Am Meer waren zuweilen zwei Maxima und zwei Minima, zuweilen auch gar keine zu bemerken, in Ceylon [* 6] in den Vormittagsstunden mancher Tage ein flaches Maximum.
Neben der im jährlichen Gang ausgeprägten Beziehung zur Temperatur hat man noch sonstige Beziehungen zu meteorologischen Elementen gesucht. Soweit der tägliche Gang der Luftelektrizität die erwähnte zweimalige Schwankung zeigt, ist er vergleichbar mit dem Gang des Luftdruckes. Dies tritt z. B. in den Beobachtungen der schwedischen Polarstation zu Kap Thordsen auf Spitzbergen (1882-1883) mit einiger Deutlichkeit hervor und ist auch an andern Orten bemerkt worden.
Nach Beobachtungen von Quételet in Brüssel [* 7] zeigt ferner die Luftelektrizität im Jahreslauf, die entgegengesetzten Änderungen wie die Häufigkeit der Gewitter und die Stärke [* 8] der Sonnenstrahlung, gemessen im Aktinometer. Auf diese letztere Beziehung macht namentlich Arrhenius aufmerksam, um darauf seine später zu erwähnende Theorie der Luftelektrizität zu stützen. Ein Zusammenhang mit der relativen Feuchtigkeit der Luft scheint nicht zu bestehen. Dagegen hat Exner eine Abhängigkeit der Luftelektrizität von der absoluten Luftfeuchtigkeit herzuleiten gesucht.
Aus 1123 Messungen, welche in Wien, [* 9] St. Gilgen am Wolfgangsee, Bombay, [* 10] Ceylon und Wolfenbüttel (an diesem Ort von Elster und Geisel) in der Zeit von 1885 bis 1890 ausgeführt wurden, ergibt sich eine Abhängigkeit, welche mit zunehmendem Dunstdruck das Potenzialgefälle abnehmen läßt, und umgekehrt. Stellt man diese Abhängigkeit graphisch dar, so erhält man eine Kurve von hyperbolischer Form; eine aus den Beobachtungen von Wien und von Wolfenbüttel hervorgehende Unregelmäßigkeit der Kurve im Sinn vermehrten Potenzialgefälles zwischen 3 und 4 mm Dunstdruck entspricht einer mittlern Temperatur von 0° und kann vielleicht auf Mangelhaftigteit der Psychrometerangaben in der Nähe des Eispunktes oder aus Ansammlung von Wasserdampf in den untern Luftschichten zurückgeführt werden.
Setzt man voraus, daß über einem ebenen Terrain mit freiem Horizont [* 11] und ruhiger Luft der Wasserdampf in horizontalen Schichten von weiter Erstreckung und nach oben hin in normaler Verteilung angeordnet ist, so kann aus der eben erwähnten Beziehung das Potenzialgefälle für jeden beliebigen Wert des Dunstdruckes ausgerechnet werden. Die Konstanten der Formel sind aus den Beobachtungen bestimmt und gestatten noch die folgenden Berechnungen: Ist der Dunstdruck gleich Null, d. h die Luft absolut trocken, so beträgt unter den genannten Voraussetzungen das Potenzialgefälle am Boden 1410 Voltmeter;
die negative Ladung der Erde wird alsdann durch ein Potenzial von -9,109 Volt, die Flächendichte in absoluten elektrostatischen Einheiten durch -0,00388, die Gesamtladung der Erde in denselben Einheiten durch -2,1016 dargestellt.
Einem Dunstdruck von 5, 10, 15, 20 mm entspräche ein Potenzialgefälle von 180, 110, 75, 60 Voltmeter.
Sehr häufig zeigt die Verteilung der atmosphärischen Elektrizität [* 12] Abweichungen von den vorstehend geschilderten normalen Verhältnissen. Solche Störungen können z. B. durch Staub herbeigeführt werden, welcher vom Erdboden negativ geladen emporgeführt wird und das normale positive Potenzialgefälle verringert, oft sogar in negatives umwandet. So erzählt W. Siemens von einer ungewöhnlich starken elektrischen Erscheinung, welche bei Besteigung der Cheops-Pyramide bei Kairo [* 13] 1859 beobachtet wurde.
Durch eine Steigerung in der Stärke des Windes wurde der Wüstenstaub bis zur Pyramidenspitze emporgewirbelt, und sobald dies geschehen, merkte man an einem zischenden Geräusch sowie an einem prickelnden Gefühl in den aufwärts gestreckten Fingern das Vorhandensein kräftiger elektrischer Spannung. An einer gefüllten Weinflasche wirkte der Inhalt mit der Stanniolbekleidung des Kopfes wie die innere Belegung, Etikette und Hand [* 14] des Beobachters wie die äußere Belegung einer Leidener Flasche, [* 15] und es gelang die Ansammlung und plötzliche Entladung erheblicher Elektrizitätsmengen.
Wenn es bei dieser Gelegenheit aus Mangel an Apparaten nicht thunlich war, das Vorzeichen der Elektrizität festzustellen, so konnte man dies ganz sicher in einem andern Fall. Elster und Geisel unternahmen 1890 eine Reihe von Messungen, welche den täglichen Gang des Potenzialgefälles auf dem Hohen Sonnblick in den Tauern (3100 m) und in dem benachbarten Kolm-Saigurn (1600 m ü. M.) sollten erkennen lassen. Auf dem Berggipfel erhielt man auch die erwarteten positiven Werte, welche zwischen 188 und 244 Voltmeter lagen.
Dagegen betrug in Kolm-Saigurn das Potenzialgefälle -300 bis -600 Voltmeter trotz des schönen »normalen« Wetters. Und daß die zahlreichen in das Thalbecken von Kolm-Saiguru herabstürzenden Wasserfälle mit ihren zerstäubt herumfliegenden Tröpfchen die Ursache der Abweichung bildeten, fand man bei Annäherung an einen Wasserfall, wobei das negative Potenzialgefälle auf -1000 Voltmeter stieg, während es an einer gegenüberliegenden und von Wasserfällen freien Thalwand -50 Voltmeter betrug. Endlich beobachtete Exner 1888 am Lido in Venedig, [* 16] daß bei glatter See das Potenzialgefälle im unmittelbaren Bereich der flachen Wellen [* 17] die nämliche Größe hatte, wie 100 m landeinwärts; wenn aber bei bewegter See durch das Überstürzen der Wellen viel Wasserstaub in die Luft kam, so war das positive Potenzialgefälle am Ufer kleiner, als landeinwärts, ein Beweis, daß dieser Wasserstaub negativ elektrisch war.
Ein fernerer Anlaß zu Störungen des normalen Potenzialgefälles zeigt sich in der Bildung von Wolken und Niederschlägen. Dieselben pflegen negativ elektrisch zu sein, so daß das normale positive Potenzialgefälle durch Auftreten von Gewölk vermindert oder in negatives verwandelt wird. Dabei darf aber die Wolke nicht wie ein leitender Körper angesehen werden, denn in einem solchen müßte überall die gleiche elektrische Spannung herrschen, während man im Nebel, also innerhalb einer Wolle, stets ein deutliches Potenzialgefälle beobachten kann. Es muß ¶
mehr
vielmehr die Wolke als Anhäufung vieler leitender und durch nichtleitende Luft getrennter Tröpfchen angesehen werden, welche sämtlich negative Ladung zu haben scheinen. Anderseits ist Nebel meist von hohem positiven Potenzialgefälle begleitet. Bei Gewitter nimmt das Gefälle sehr hohe Werte an, und zwar gewöhnlich anfangs beim Heraufziehen positiv, dann aber, wenn das Gewitter über dem Beobachter steht, negativ. Exner beobachtete bei Gewitter Potenzial gefälle bis zu -8000 Voltmeter.
Bleibt an ganz heitern Tagen das Potenzialgefälle weit unter dem normalen Wert, so ist dies ein Zeichen abnormer Witterungsverhältnisse, und namentlich wenn an normalen Tagen das Potenzialgefälle kontinuierlich sinkt, kann man den Eintritt bewölkten Himmels oder eines Gewitters innerhalb weniger Stunden mit Sicherheit erwarten. Untersucht man die Elektrizität der Niederschläge, indem man diese in einem isolierten Gefäß [* 19] auffängt, so scheint Regen häufiger negatives, starker Schneefall dagegen eher positives Vorzeichen zu haben.
In Begleitung von Gewittern (s. d) tritt auf Bergen [* 20] häufig Elmsfeuer auf, d. h. sichtbares Ausströmen der Elektrizität aus Spitzen, Haaren, emporgehaltenen Fingern u. dgl. Nach Obermayer haben die positiven Elmsfeuer einen deutlich ausgebildeten rötlich-weißen Stiel, an welchen sich strahlenförmig ein Büschel von nicht über 90° Öffnungswinkel und mit Strahlen von 1,5 - 6 cm Länge ansetzt. Die negativen Elmsfeuer sind viel kleiner; sie sitzen auf einem feinen Lichtpunkt und sind so zart, daß man die einzelnen Strahlen nicht unterscheiden kann. Das Büschel hat wenig über 45° Öffnung, und seine Länge beträgt stets weniger als 1 cm. Auf dem Sonnblick hat man beobachtet, daß nach bläulichen Blitzen negatives, nach rötlichen positives Elmsfeuer einzutreten pflegt.
Für die Entstehung der atmosphärischen Elektrizität hat man vielerlei Theorien aufgestellt, ohne daß bisher eine derselben zu allgemeiner Anerkennung gelangt wäre. Reibung [* 21] der Wolken an der Luft oder des Windes an der Meeresfläche, Verdunstung, Ausdehnung [* 22] des emporsteigenden Wasserdampfes, ungleiche Verteilung der Wärme [* 23] in der Atmosphäre, unipolare Induktion [* 24] durch den Erdmagnetismus, Ozonbildung u. a. sind als mögliche Ursachen des vorhandenen elektrischen Zustandes angeführt worden.
Von neuern Theorien seien hier ausführlicher erwähnt die von Arrhenius, Sohncke und Exner. Allen dreien gemeinsam ist die Annahme, daß die Luft im gewöhnlichen Zustand nicht als elektrischer Leiter anzusehen sei. Wenn »feuchte Luft« oftmals in Experimenten als Hindernis bei der Ansammlung größerer Elektrizitätsmenge erscheint, so ist dies nicht der Fortleitung von Elektrizität durch die Luft zuzuschreiben, sondern dem Entstehen eines dünnen leitenden Überzugs von kondensiertem Wasser auf der Oberfläche der festen Körper und der hiermit verbundenen Ableitung der Elektrizität durch die Stützen, welche den Ansammlungsapparat isolieren sollen. Es kann aber nach Arrhenius die Luft zum Leiter werden, und zwar elektrolytische Leitungsfähigkeit erlangen, wenn sie von ultravioletten Strahlen getroffen wird.
Setzt man dies voraus und außerdem das Vorhandensein einer negativen elektrischen Ladung in der Erde, so kann durch die von der Sonne [* 25] bestrahlte Luft Elektrizität den Wolken zugeleitet werden. Daß bei stärkerer Strahlung in der That die negative Elektrizität der Atmosphäre steigt, d. h. das normale positive Potenzialgefälle abnimmt, scheint dieser Theorie günstig zu sein. In neuester Zeit (1891) ist es Elster und Geitel auch gelungen, die unter Einfluß des Lichtes stattfindende Zerstreuung negativer Elektrizität an mehreren Mineralien, [* 26] besonders Flußspat, [* 27] nachzuweisen.
Auf ganz andrer Grundlage beruht die Theorie von Sohncke, nämlich auf der von Faraday experimentell festgestellten Thatsache, daß durch Reibung von Wasser an Eis [* 28] Elektrizität entstehen kann. Hat man verdichtete Luft in einem Gefäß abgesperrt und gestattet ihr durch schnelles Öffnen eines Hahnes mit weiter Bohrung das plötzliche Ausströmen, so kühlt sie sich bei der raschen Entspannung erheblich ab, der ihr beigemengte Wasserdampf verdichtet sich zu Tröpfchen, es tritt Nebelbildung ein, und zwar mit besonderer Leichtigkeit, wenn die Luft Staubteilchen enthält, deren jedes als Ansatzpunkt oder Kern für ein sich bildendes Tröpfchen dient.
Wenn man nun diesen mit kleinsten Wassertröpfchen beladenen heftig hervorbrechenden Luftstrom gegen ein isoliert aufgestelltes Eisstück stoßen läßt, so wird das Eis positiv, das Wasser negativ elektrisch. Der Versuch gelingt nicht, wenn der Luftstrom keine Wassertröpfchen enthält, und auch dann nicht, wenn das Eis im Schmelzen begriffen und also mit einer Wasserschicht bedeckt ist, weil in diesem Fall nicht Wasser an Eis, sondern Wasser an Wasser sich reibt.
Sohncke nimmt nun an, daß ähnliche Reibung in derjenigen Höhe der Atmosphäre stattfindet, wo Wasser- und Eiswolken aneinander grenzen. Es ist eine auf vielerlei Erfahrung begründete Annahme, das die untern Wolken (Cumulus. Stratus) aus Wassertröpfchen, die höhern (Cirrhus) aus kleinen Eiskristallen bestehen. Die Grenze beider Wolkenregionen liegt da, wo die nach oben hin abnehmende Lufttemperatur den Wert 0° erreicht, an der »Isothermfläche Null«. Hier findet durch Wind beständige Reibung zwischen den Wasser- und Eisteilchen der Wolken und demnach positive Elektrisierung der Eiswolken, negative der Wasserwolken statt.
Namentlich ist solche Reibung aber beim Hagel anzunehmen, dessen Eiskörner im Herabfallen durch die mit Wassertröpfchen beladene Luft gerieben und elektrisiert werden. In der Isothermfläche Null ist also der Sitz der Elektrizitätserregung zu suchen, über derselben positive, unter ihr negative Ladung. Sinkt sie bei abnehmender Temperatur (im Winter) herab, so kommt die positive Ladung der obern Eismassen dem Boden näher, und das positive Potenzialgefälle zeigt eine Zunahme. Geht die Temperatur auch am Boden unter 0° herab, so ist nur noch positiv geladenes Eis in der Luft, von dem man allerdings dann annehmen muß, daß es seine früher durch Reibung erlangte Ladung behalten hat. Sohncke nimmt an, daß in dem Elektrisierungsvorgang bei der Reibung von Wasser und Eis die wahre oder doch die hauptsächlichste Quelle [* 29] der elektrischen Erscheinungen in der Atmosphäre aufgedeckt sei.
F. Exner setzt wie Arrhenius die vorhandene negative Ladung der Erde als eine Erfahrungsthatsache voraus und beschränkt sich auf eine Erklärung der Beförderung elektrischer Massen vom Boden in die obern Schichten der Atmosphäre. Diese Beförderung schreibt er dem Wasserdampf zu, welcher beim Verdunsten einen Teil der Ladung aus der Wassermasse, welcher er entsteigt, mit sich nimmt. In diesem Sinn wird die enge Beziehung zwischen dem Potenzialgefälle und dem Dunstdruck, also der in der Luft vorhandenen Menge des Wasserdampfes, gedeutet, welche, wie vorstehend geschildert, an vielen verschiedenen Orten hervorgetreten ist. Das Wasser, welches vor dein Verdampfen einen Teil der leitenden ¶