In
Frankreich werden verschiedene Interessenkreise durch besondere gesetzliche
Organe vertreten, welche
nicht allein
Gutachten abgeben, sondern einen wahrnehmbaren Einfluß auf
Verwaltung und
Gesetzgebung ausüben, wie der
Conseil
supérieur du commerce et de l'industrie und der
Conseil supérieur de l'agriculture. Es wurde nun neuerdings als eine
Forderung
der
Gerechtigkeit bezeichnet, daß auch zur
Pflege der
Interessen der
Arbeiter eine derartige Vertretung
im
Ministerium des Innern geschaffen werde.
Durch
Dekret vom ist denn auch ein oberster Arbeitsrat ins
Leben gerufen worden. Derselbe besteht aus 50 Mitgliedern, welche
durch
Dekret auf
Antrag des
Ministers für
Handel und
Industrie ernannt und den Mitgliedern der Deputiertenkammer,
aus der
Reihe von
Industriellen, Arbeitern, Mitgliedern der Syndikatskammern der Unternehmer, der Arbeiterassociationen, der
korporativen
Gruppen, der gewerblichen
Schiedsgerichte
(Conseils des prud'hommes) entnommen und überhaupt unter den Männern,
die in wirtschaftlichen und sozialen
Fragen hervorragend bewandert sind, ausgewählt werden.
Außerdem sind noch 10 imGesetz näher bezeichnete höhere Beamte ständige Mitglieder. Der Arbeitsrat versammelt
sich je nach Einberufung des
Ministers für die von dem letztern bestimmte Zeitdauer. Der
Minister kann auch eine permanente
Kommission bilden, welche aus dem
Schoß des obersten Arbeitsrats entnommen wird. Der
Rat kann mit Zustimmung des
MinistersEnqueten
einleiten und alle
Personen vernehmen, die er für geeignet hält, ihn über die ihm unterbreiteten
Fragen
aufzuklären. In Arbeiterkreisen findet die neue Einrichtung aus dem
Grunde keine Billigung, weil der Arbeitsrat mehr Unternehmer
als
Arbeiter unter seinen Mitgliedern zähle, mithin als Vertretung der letztern nicht zu betrachten sei.
Leopold. Über der Grabstätte von Arends auf dem
Kirchhof der französischen
Gemeinde zu
Berlin
[* 3] ist 1889 von seinen Anhängern ein Denkmal mit der Kolossalbüste des Verstorbenen errichtet worden. Da die Fortbildung des
Arendsschen Stenographiesystems durch den
Widerstand großer Teile seiner
Schule sehr erschwert war, haben sowohl der
LehrerPütter (1889) als der
Verein »Apollobund« in
Berlin (1890) selbständig Änderungen am
System vorgenommen
und dadurch den Anstoß gegeben, daß die Arendssche
Schule einen
Ausschuß zur
Prüfung der Systemfortbildung eingesetzt hat.
In der
Rede, mit welcher der
Präsident Pellegrini den argentinischenKongreß eröffnete, wußte er auch nichts
zu sagen, als daß die
Regierung jeder neuen
Ausgabe von
Papiergeld entschieden abgeneigt sei und eine eingehende
Untersuchung der thatsächlichen
Lage der
Banken vorschlage, um sowohl ohne Einschreiten der
Regierung als ohne
Auflösung der
Banken eine Neugestaltung derselben zu ermöglichen; infolge der Einführung des
Silbers als
Münzfuß würden wichtige Änderungen
in der
Organisation des
Finanzwesens notwendig sein. Gleichwohl beschloß der
Kongreß im
September mit großer
Mehrheit die
Ausgabe von 45 Mill.
Papiergeld und die Einführung des
Zwangskurses. Um das Unglück voll zu machen, wurde Argentinien 1891 auch
noch von einer verheerenden Heuschreckenplage heimgesucht. Bereits im
Oktober sah sich der
Kongreß genötigt, seine Beschlüsse
zurückzunehmen, um den Staatskredit nicht völlig zu untergraben.
Das
Altertum kannte unter dem
Namen des Aristoteles
Beschreibungen von 158
Staatsverfassungen griechischer und barbarischer
Völker, die sogen. Politien. Von diesen wurde am meisten benutzt die »Politeia
der
Athener«, wie die zahlreichen
Citate alter Schriftsteller aus derselben zeigen, zu denen ein zuerst 1881 veröffentlichtes,
von
Th.
Bergk mit glänzendem
Scharfsinn als dieser
Schrift angehörig erkanntes Bruchstück aus einem
Berliner
[* 15]
Papyrus kam (vgl.
Diels in den Abhandlungen der
BerlinerAkademie, 1885).
Fast das ganze Werk ist in allerneuester Zeit auf der Rückseite von
vier aus
Ägypten
[* 16] stammenden
¶
mehr
Papyrusrollen des BritischenMuseums, deren Vorderseiten aus dem 11. Regierungsjahr des Vespasian (78/79 n. Chr.) datierte Rechnungen
tragen, entdeckt und von Kenyon herausgegeben worden (Oxford
[* 18] 1891). Auf Grund des von demselben bald darauf veröffentlichten
Faksimiles (»Facsimil of Papyus CXXXI in the British Museum«, Oxf. 1891) gaben die Schrift in wesentlich verbesserter
Gestalt heraus Kaibel und v. Wilamowitz-Möllendorff (2. Aufl., Berl.
1892) und van Herwerden und Leeuwen (Leiden
[* 19] 1891). Eine vortreffliche deutsche Übersetzung, die bereits in 2. verbesserter
Auflage vorliegt, gaben kurze Zeit nach dem Erscheinen von Kenyons Ausgabe Kaibel und Kießling (Straßb. 1891); eine andre
deutsche Übersetzung ist von Polland (Berl. 1891); auch Übersetzungen ins
Französische und Italienische sind inzwischen erschienen.
Diese Entdeckung ist als ein litterarisches Ereignis zu bezeichnen; seit den Tagen der Poggio, Sozomeno, Landriani ist kein
Fund von gleicher Bedeutung aus dem Gebiete der antiken Litteratur gemacht worden. Die Schrift, welche, wenn von Aristoteles selbst
herausgegeben, nach gewissen erwähnten Thatsachen nicht lange vor seinem Tode 322 die vorliegende Gestalt
erhalten haben muß, zerfällt in zwei ungleiche Teile: der erste, größere, dessen Anfang in der Handschrift fehlt, gibt
eine sich mehrfach zu einer Erzählung der Ereignisse erweiternde historische Darstellung der athenischen Verfassungsentwickelung
von den ältesten Zeiten bis zur Restauration nach Thrasybulos (403);
der zweite, statistische, dessen Schluß
infolge der Zerstörung der letzten Rolle nur trümmerhaft erhalten ist, schildert die zur Zeit des Verfassers geltenden athenischen
Einrichtungen.
Daß die Schrift mit der im Altertum unter dem. Namen des Aristoteles gelesenen identisch ist, erweist die Übereinstimmung
mit den Citaten der alten Schriftsteller; auch darf für sicher gelten, daß das Altertum, welches zwischen
authentischen und nicht authentischen Politien des Aristoteles unterschied, gerade diese für authentisch gehalten
hat. Allerdings wäre dies kein ausreichender Beweis für die Abfassung durch Aristoteles selbst, da man nachweislich gleich nach seinem
Tode begonnen hat, ihm Schriften seiner Schüler und Freunde beizulegen. Von den Politien hatte schon früher
V. Rose (»Aristoteles pseudepigraphus«, Leipz.
1863) überhaupt nacharistotelische Entstehung behauptet, und es sind auch gleich nach der Veröffentlichung der athenischen
Politie Zweifel erhoben worden, ob sie wirklich von Aristoteles herrühren könne, so von J. ^[Julius] Schvarcz (»Die Demokratie«, II.
1, Leipz. 1891),
Diese Zweifel gründen sich weniger auf den Stil, der in auffälligem Gegensatze zu den sonst
erhaltenen Schriften des Aristoteles fast elegant ist und die rhetorischen Kunstmittel der Zeit maßvoll benutzt, denn das
Vorhandensein durch fließenden Stil ausgezeichneter Schriften des Aristoteles ist ja ausdrücklich bezeugt; sie gründen sich vielmehr
auf Mängel in der Komposition des Werkes, einzelne Widersprüche gegen anderwärts vorgetragene Ansichten
und Angaben des Aristoteles, auch einzelne offenbare Irrtümer u. a., was man einem Aristoteles nicht zutrauen zu dürfen glaubt.
Aber selbst wenn die Schrift nicht von dem großen Stagiriten selbst, sondern von einem Angehörigen des unter seinem
Einfluß
stehenden Kreises abgefaßt sein sollte, ist sie doch von sehr hohem Werte. Der Stoff ist aus den besten,
damals noch vorhandenen Quellen gesammelt und chronologisch festgestellt, die Darstellung mit erlesenem Urkundenmaterial ausgestattet,
das ganze Werk im Hinblick auf Herodot, Thukydides und Xenophon geschrieben und daher für diese Schriftsteller, neben denen
es als Quelle
[* 22] für die athenische Geschichte fortan einen Ehrenplatz einnehmen wird, nicht nur eine Kontrolle,
sondern auch ein wesentliches Korrektiv, zumal es gerade die dunklern Partien aufhellt, die bei jenen lückenhaft dargestellt
sind.