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schon so vielfach vorhandenen Elemente des Mißtrauens in der Arbeiterwelt gegen die staatliche Ordnung noch ansehnlich verstärken. Die Bestrafung der öffentlichen Aufforderung zum Kontraktbruch aber sei eine Ungerechtigkeit gegen die Arbeiterklasse, widerspreche dem Geist unsrer Strafgesetzgebung und würde nur die Folge haben, daß eine geschickte Agitation im geheimen das leisten würde, was öffentlich verboten sei, dagegen die Verbitterung der Arbeiterkämpfe sich steigern müsse, wenn man »die vielfach von den besten Beweggründen beseelten Führer für eine im einzelnen Fall vielleicht übereifrige Agitation mit Strafen belege, deren Nahmen das Strafmaß für zahlreiche gemeine Vergehen ansehnlich übersteige«. Man hat sich im Reichstag auch nicht zu einer anderweitigen Änderung des § 153 veranlaßt gesehen, und so sind § 152 und 153 in ihrer bisherigen Fassung noch heute in Geltung.
Die neuen Schutzbestimmungen im besondern.
Die neuen Schutzbestimmungen sind folgende:
1) Die neue Regelung der Sonn- und Festtagsarbeit der Arbeiter (§ 105 a. -105 i). Die berechtigte Forderung, die Sonn- und Festtagsarbeit in gewerblichen Unternehmungen nur da zu gestatten, wo sie aus technischen Gründen oder ohne schwere Schädigung berechtigter Interessen nicht vermieden werden kann, diese Ausnahmefälle aber gesetzlich, resp. im Wege der Verwaltung zu bestimmen und für einen Schichtwechsel der Sonntags beschäftigten Arbeiter zu sorgen, ist jetzt erfüllt.
Die Sonn- und Festtagsarbeit (Bestimmung der Festtage durch die Landesregierungen) ist im Betrieb von Bergwerken, Salinen, Aufbereitungsanstalten, Brüchen und Gruben, von Hüttenwerken, Fabriken und Werkstätten (auch hausindustriellen), von Zimmerplätzen und andern Bauhöfen, von Werften und Ziegeleien sowie bei Bauten aller Art verboten (Ruhezeit für jeden Sonn- und Festtag mindestens 24, für zwei aufeinander folgende Sonn- und Festtage 36, für das Weihnachts-, Oster- und Pfingstfest 48 Stunden; die Ruhezeit ist von 12 Uhr [* 2] nachts zu rechnen und muß bei zwei aufeinander folgenden Sonn- und Festtagen bis 6 Uhr abends des zweiten Tages dauern; in Betrieben mit regelmäßiger Tag- und Nachtschicht kann sie frühstens um 6 Uhr abends des vorhergehenden Werktags, spätestens um 6 Uhr morgens des Sonn- oder Festtags beginnen, wenn für die auf den Beginn der Ruhezeit folgenden 24 Stunden der Betrieb ruht). Im Handelsgewerbe dürfen Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter am ersten Weihnachts-, Oster- und Pfingsttage gar nicht, an andern Sonn- und Festtagen nicht länger als 5 Stunden beschäftigt werden; die Gemeinde oder der Kommunalverband kann jedoch für alle oder einzelne Handelsgewerbe die Beschäftigung auf kürzere Zeit einschränken oder ganz untersagen; für die letzten 4 Wochen vor Weihnachten sowie für einzelne Sonn- und Festtage, an welchen örtliche Verhältnisse einen erweiterten Geschäftsverkehr erforderlich machen, kann die Polizeibehörde die Beschäftigung bis zu 10 Stunden zulassen.
Das generelle Verbot erstreckt sich nicht: a) auf Arbeiten, welche in Notfällen oder im öffentlichen Interesse unverzüglich vorgenommen werden müssen; b) auf Arbeiten zur Durchführung einer gesetzlich vorgeschriebenen Inventur für einen Sonntag; c) auf die Bewachung der Betriebsanlagen, auf Arbeiten zur Reinigung und Instandhaltung, durch welche der regelmäßige Fortgang des eignen oder eines fremden Betriebs bedingt ist, sowie auf Arbeiten, von welchen die Wiederaufnahme des vollen werkthätigen Betriebs abhängig ist, sofern nicht diese Arbeiten an Werktagen vorgenommen werden können; d) auf Arbeiten, welche zur Verhütung des Verderbens von Rohstoffen oder des Mißlingens von Arbeitserzeugnissen erforderlich sind, sofern auch diese Arbeiten nicht an Werktagen vorgenommen werden können; e) auf die Beaufsichtigung des Betriebs, soweit er nach a-d an Sonn- und Festtagen stattfindet. (Dauern die Arbeiten zu c und d länger als 3 Stunden, oder hindern sie die Arbeiter am Besuch des Gottesdienstes, so muß jeder Arbeiter entweder an jedem dritten Sonntag volle 36 Stunden oder an jedem zweiten Sonntag mindestens von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends von der Arbeit freigelassen werden; Ausnahmen durch die untere Verwaltungsbehörde unter gewissen Voraussetzungen zulässig.) Der Bundesrat kann aber die Sonn- und Festtagsarbeit gestatten für bestimmte Gewerbe, insbesondere für Betriebe, in denen Arbeiten vorkommen, welche ihrer Natur nach eine Unterbrechung oder einen Aufschub nicht gestatten, sowie für Betriebe, welche ihrer Natur nach auf bestimmte Jahreszeiten [* 3] beschränkt sind, oder welche in gewissen Zeiten des Jahres zu einer außergewöhnlich verstärkten Thätigkeit genötigt sind (aber für alle Betriebe derselben Art gleichmäßig und unter Berücksichtigung der vorstehenden Bestimmungen über die Freilassung an jedem zweiten, bez. dritten Sonntag).
Weitere Ausnahmen von dem Verbot sind zulässig durch die höhern Verwaltungsbehörden für Gewerbe, deren vollständige oder teilweise Ausübung an Sonn- und Festtagen zur Befriedigung täglicher oder an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung [* 4] erforderlich ist, sowie für Betriebe, welche ausschließlich oder vorwiegend mit durch Wind oder unregelmäßige Wasserkraft bewegten Triebwerken arbeiten müssen, und durch die untern Verwaltungsbehörden für bestimmte Zeit, wenn zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens ein nicht vorherzusehendes Bedürfnis der Beschäftigung von Arbeitern an Sonn- und Feiertagen eintritt. Durch kaiserliche Verordnung kann mit Zustimmung des Bundesrats das Verbot der Sonn- und Festtagsarbeit auch auf andre Gewerbe ausgedehnt werden. Der Zeitpunkt, an welchem diese Bestimmungen ganz oder teilweise in Kraft [* 5] treten, wird durch kaiserliche Verordnung bestimmt.
2) Neu geregelt ist der Schutz der Arbeiter gegen Gefahren für Leben, Gesundheit u. Sittlichkeit bei der Arbeit. Statt der frühern allgemeinen und unzulänglichen Vorschrift (Gewerbe-Ordnung § 107, später § 120, Abs 3) sind jetzt in zweckmäßiger Weise bestimmte gesetzliche Anforderungen an die Betriebsanlagen und -Einrichtungen und Grundsätze aufgestellt, über deren Erfüllung die Behörden zu wachen haben, und die Polizei-, resp. Verwaltungsbehörden können zur Durchführung der Grundsätze für einzelne Anlagen die erforderlichen Maßnahmen anordnen; außerdem sind der Bundesrat und allenfalls die Landesbehörden ermächtigt, weitere Ausführungsverordnungen zu erlassen (§ 120a-120e).
Die Gewerbeunternehmer sind gesetzlich verpflichtet, die Arbeitsräume, Betriebsvorrichtungen, Maschinen und Gerätschaften so einzurichten und zu unterhalten und den Betrieb so zu regeln, daß die Arbeiter gegen Gefahren für Leben und Gesundheit so weit geschützt sind, wie es die Natur des Betriebs gestattet; insbesondere ist für genügendes Licht, [* 6] ausreichenden Luftraum und Luftwechsel, Beseitigung des bei dem Betrieb entstehenden Staubes, der dabei entwickelten ¶
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Dünste und Gase [* 8] sowie der dabei entstehenden Abfälle Sorge zu tragen; ebenso sind diejenigen Vorrichtungen herzustellen, welche zum Schutz gegen gefährliche Berührungen mit Maschinen oder Maschinenteilen oder gegen andre in der Natur der Betriebsstätte oder des Betriebs liegende Gefahren, namentlich auch gegen die Gefahren, welche aus Fabrikbränden erwachsen können, erforderlich sind; endlich sind diejenigen Vorschriften über die Ordnung des Betriebs und das Verhalten der Arbeiter zu erlassen, welche zur Sicherung eines gefahrlosen Betriebs erforderlich sind.
Die Gewerbeunternehmer sind ferner verpflichtet, diejenigen Einrichtungen zu treffen und zu unterhalten und diejenigen Vorschriften über das Verhalten im Betrieb zu erlassen, welche erforderlich sind, um die Aufrechterhaltung der guten Sitten und des Anstandes zu sichern;
insbesondere muß, soweit es die Natur des Betriebs zuläßt, bei der Arbeit die Trennung der Geschlechter durchgeführt werden, sofern nicht die Aufrechterhaltung der guten Sitten und des Anstandes durch die Einrichtung des Betriebs ohnehin gesichert ist;
in Anlagen, deren Betrieb es mit sich bringt, daß die Arbeiter sich umkleiden und nach der Arbeit reinigen, müssen ausreichende, nach Geschlechtern getrennte Ankleide- und Waschräume vorhanden sein;
die Bedürfnisanstalten müssen so eingerichtet sein, daß sie für die Zahl der Arbeiter ausreichen, daß den Anforderungen der Gesundheitspflege entsprochen wird, und daß ihre Benutzung ohne Verletzung von Sitte und Anstand erfolgen kann.
Werden Arbeiter unter 18 Jahren beschäftigt, so müssen bei der Einrichtung der Betriebsstätte und bei der, Regelung des Betriebs diejenigen besondern Rücksichten auf Gesundheit und Sittlichkeit genommen werden, welche durch das Alter dieser Arbeiter geboten sind. Die Polizeibehörden können namentlich auch anordnen, daß den Arbeitern zur Einnahme von Mahlzeiten außerhalb der Arbeitsräume angemessene, in der kalten Jahreszeit geheizte Räume unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden.
Aber den bei Erlaß des Gesetzes bereits bestehenden Anlagen gegenüber können, solange nicht eine Erweiterung oder ein Umbau eintritt, nach diesen Normen Anforderungen nur gestellt werden, welche zur Beseitigung erheblicher, das Leben, die Gesundheit oder die Sittlichkeit der Arbeiter gefährdender Mißstände erforderlich oder ohne unverhältnismäßige Aufwendungen ausführbar erscheinen. — Außerdem ist der Bundesrat ermächtigt worden, und das ist eine auch prinzipiell wichtige Neuerung, für solche Gewerbe, in welchen durch übermäßige Dauer der täglichen Arbeitszeit die Gesundheit der Arbeiter gefährdet wird, für alle Arbeiter Dauer, Beginn und Ende der zulässigen täglichen Arbeitszeit und der zu gewährenden Pausen vorzuschreiben und die zur Durchführung dieser Vorschriften erforderlichen Anordnungen zu erlassen. Diese Bestimmung ermöglicht es, in solchen Gewerbszweigen, in welchen es im Interesse der Arbeiter wünschenswert, bez. geboten ist, allgemein eine Maximalarbeitszeit vorzuschreiben; die in der Kommission und im Reichstag gestellten Anträge, nach dem Vorgang der Schweiz [* 9] und Österreichs allgemein einen gesetzlichen Maximalarbeitstag von 11, bez. 10 Stunden einzuführen, wurden in der Kommission und im Reichstag mit Recht abgelehnt.
3) Obligatorisch ist gemacht für Fabriken und diesen gleichgestellte (§ 154) Betriebe (Hüttenwerke, Zimmerplätze und andre Bauhöfe, Werften, ferner Ziegeleien, über Tage betriebene Brüche und Gruben, welche nicht bloß vorübergehend oder in geringen: Umfang betrieben werden), sofern in ihnen in der Regel mindestens 20 Arbeiter beschäftigt werden, der Erlaß einer Arbeitsordnung, welche die Rechte und Verbindlichkeiten der Arbeiter bestimmt; zugleich ist in zweckmäßiger, allen berechtigten Anforderungen der Arbeiter entsprechender Weise der notwendige und zulässige Inhalt derselben, die Art ihres Erlasses und die Kontrolle durch Behörden, ob die Arbeitsordnung den gesetzlichen Vorschriften entspricht, gesetzlich geregelt worden.
Die neuen Bestimmungen, die diesen Gegenstand besser regeln, als es in andern Staaten, welche eine solche Regelung haben (Schweiz, Österreich, [* 10] Ungarn), [* 11] geschehen ist, sind im einzelnen folgende: Für jede der betreffenden Unternehmungen ist innerhalb 4 Wochen nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes (1. April 1892) oder nach der Eröffnung des Betriebs eine Arbeitsordnung zu erlassen. Für die einzelnen Abteilungen des Betriebs oder für die einzelnen Gruppen der Arbeiter können besondere Arbeitsordnungen erlassen werden.
Der Erlaß erfolgt durch Aushang. Die Arbeitsordnung muß den Zeitpunkt, mit welchem sie in Wirksamkeit treten soll, angeben und von demjenigen, welcher sie erläßt, unter Angabe des Datums unterzeichnet sein. Abänderungen ihres Inhalts können nur durch den Erlaß von Nachträgen oder in der Weise erfolgen, daß an Stelle der bestehenden eine neue Arbeitsordnung erlassen wird. Die Arbeitsordnungen und Nachträge zu denselben treten frühstens 2 Wochen nach ihrem Erlaß in Geltung (§ 134 a). Die Arbeitsordnung muß Bestimmungen enthalten: a) über Anfang und Ende der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit sowie der für die erwachsenen Arbeiter vorgesehenen Pausen; b) über Zeit und Art der Abrechnung und Lohnzahlung; (c) sofern es nicht bei den gesetzlichen Bestimmungen bewenden soll, über die Frist der zulässigen Aufkündigung sowie über die Gründe, aus welchen die Entlassung und der Austritt aus der Arbeit ohne Aufkündigung erfolgen darf; d) sofern Strafen vorgesehen werden, über die Art und Höhe derselben, über die Art ihrer Festsetzung, und, wenn sie in Geld bestehen, über deren Einziehung und über den Zweck, zu welchem sie verwendet werden sollen; e) sofern die Verwirkung von Lohnbeträgen nach Maßgabe der Bestimmung des § 134 (s. unten) durch Arbeitsordnung oder Arbeitsvertrag ausbedungen wird, über die Verwendung der verwirkten Beträge.
Strafbestimmungen, welche das Ehrgefühl oder die guten Sitten verletzen, dürfen in die Arbeitsordnung nicht aufgenommen werden; Geldstrafen dürfen die Hälfte des durchschnittlichen Tagesarbeitsverdienstes nicht übersteigen; jedoch können Thätlichkeiten gegen Mitarbeiter, erhebliche Verstöße gegen die guten Sitten sowie gegen die zur Aufrechterhaltung der Ordnung des Betriebs, zur Sicherung eines gefahrlosen Betriebs oder zur Durchführung der Bestimmungen der Gewerbeordnung erlassenen Vorschriften mit Geldstrafen bis zum vollen Betrag des durchschnittlichen Tagesarbeitsverdienstes belegt werden; alle Strafgelder müssen zum Besten der Arbeiter der Fabrik verwendet werden; das Recht des Arbeitgebers, Schadenersatz zu fordern, wird durch diese Bestimmung nicht berührt. Dem Besitzer der Fabrik bleibt überlassen, neben den unter a—e bezeichneten noch weitere die Ordnung des Betriebs und das Verhalten der Arbeiter im Betrieb betreffende Bestimmungen in die Arbeitsordnung aufzunehmen. ¶