Nachdem das antiseptische
Verfahren der
Wundbehandlung in den letzten
Jahren immer weiter ausgebildet, besonders
auch, z. B. durch Aufgeben des sogen.
Sprays, vereinfacht worden ist, geht die moderne
Chirurgie nach dem Vorbild der bakteriologischen
Technik des Sterilisierens darauf aus, nun auch die chemischen
Mittel, welche bisher zur
Desinfektion
[* 5] der
Wunden gebraucht worden
waren, thunlichst beiseite zu lassen und die
Antiseptik möglichst in eine
Aseptik (s.
Aseptisch, Bd. 17)
zu verwandeln.
Diese Änderung des
Verfahrens wird aus dem
Grunde vorgenommen, weil man beobachtet hat, daß dabei der Heilungsverlauf noch
günstiger sich gestaltet, als wenn die
Wunden mit antiseptischen
Flüssigkeiten gespült und mit antiseptisch imprägnierten
Verbandstoffen bedeckt werden. Um aber nun nicht in den Fehler der alten
Chirurgie zu verfallen und die
Wunden durch lebende Infektionskeime zu gefährden, werden in erster
Linie alle Verbandstoffe, desgleichen alle
Tücher, welche
bei der
Operation gebraucht werden, im strömenden
Dampfe unmittelbar vor dem
Gebrauch sterilisiert, die
Instrumente ausgekocht,
die
Hände des Operateurs und der
Assistenten sowie die
Haut
[* 6] des Körperteils, an welchem operiert werden
soll, erst eingeseift (die
Haut des leidenden Teiles sodann rasiert), darauf mit sterilisiertem
Tuche gründlich abgerieben,
um die obersten Zellenlagen der
Haut, in welchen die schädlichen Bakterienkeime sitzen, möglichst zu entfernen; sodann wird
die
Haut mit
Alkohol abgewaschen, um das Hautfett aufzulösen, und endlich noch mit 0,5proz.
Sublimatlösung nachgewaschen, also mit einer nur halb so starken
Lösung, als früher angewandt wurde. Das Auftupfen des
Blutes bei der
Operation geschieht mit sterilisierten (nicht mit antiseptischen
Chemikalien imprägnierten) Mullstücken. Durch
dieses
Verfahren gelingt es, die Ansammlung großer
Mengen von Wundsekreten zu verhindern, es kann die Wunde noch 2
Tage offen
gelassen werden zum Abfluß der im Anfang noch etwas reichlicher fließenden Wundsekrete, dann wird sie erst durch die
Naht
geschlossen, und so kann selbst bei großen
Operationen häufig die
Drainage
[* 7] unterbleiben, was wiederum die völlige teilung
beschleunigt. S. auch
Medizinischer Kongreß, S. 607.
Joseph,
bayr.
Oberstleutnant und Kriegsgeschichtschreiber, geb. zu
Regensburg,
[* 8] trat nach beendetem Universitätsstudium 1843 als
Kadett beim 1. Jägerbataillon in den Militärdienst, ward 1848
Offizier
und wurde seit 1850 eine
Reihe von
Jahren hindurch bei der damals zu
München
[* 9] errichteten
Sanitätstruppe verwendet, in welcher
er, seit 1861
Hauptmann, alsKommandant eines
Feldspitals am
Feldzug von 1866 teilnahm. Den
Krieg von 1870 machte
er als Bataillonskommandeur im 3. Infanterieregiment mit, bis eine
Verletzung, welche er sich in den Dezemberkämpfen an der
Loire zugezogen hatte, ihn zur Rückkehr nötigte. In demselben Jahre zum
Major beim 2. Infanterieregiment befördert, nahm
er 1873 denAbschied, um sich in
München dem
Studium der bayrischen
Kriegsgeschichte u.
Altertumskunde, auf
welchen Gebieten er schon lange thätig gewesen war, zu widmen.
Nach Herausgabe eines
»Bayrischen Militäralmanachs«
(Münch. 1856-59) bereits 1860 in die zum
Zwecke der Herstellung einer
bayrischen
Kriegsgeschichte eingesetzte
Kommission berufen, schrieb er in deren Auftrag die
»Kriegsgeschichte
von
Bayern,
[* 10]
Franken,
Pfalz und
Schwaben, 1347-1506« (das. 1868,2 Bde.)
neben zahlreichen wertvollen Einzeldarstellungen auf demselben Gebiet in verschiedenen
Zeitschriften. Bleibendes
Verdienst
hat er sich außerdem durch die Einrichtung des Armeemuseums zu
München erworben, dessen
Konservator er 1880-85 war. Würdinger starb in
München.
[* 11] Das
Gesetz der allmählichen Übergänge findet nirgends eine reichere Beispielsammlung
als unter den
Würmern, die man schon längst wie eine Art von
Zwischenreich, welches alle andern Tierklassen verbindet, oder
aus dem alle höhern
Tiere hervorgegangen sind, zu betrachten sich gewöhnen mußte. Es finden sich Beziehungen engster Art
zu den niedrigstenTieren wie auch zu den
Echinodermen,
Weichtieren,
Gliedertieren und
Wirbeltieren.
In dem
Würmerreich selbst erhebt sich der
Organismus von einer völlig ungegliederten, frei lebenden Magenröhre, einem einfachen
Freßsack, zu den höchst gegliederten
Formen der höhern
Ringelwürmer, die den
Gliedertieren so nahe stehen, daß manche Zoologen
sie unter dieselben einreihen wollten, während die Sackwürmer zu dem ehrenvollen
Rufe gelangt sind,
den
Ahnen der
Wirbeltiere nahezustehen.
Unter den den innern Zusammenschluß vermittelnden
Gruppen hat in neuerer Zeit diejenige der sogen. Urringelwürmer (Archannelidae)
Aufmerksamkeit erregt, eine
Gruppe von
Würmern, die äußerlich durch den Mangel aller
Gliederung des
Körpers in
Ringe, der Stummelbeine
undBorsten sowie häufig auch der gesonderten
Ganglien des
Bauchmarks ganz von den eigentlichen
Ringelwürmern
verschieden erscheinen. Darum hatte
OskarSchmidt auch einen kleinen, vor bald 50
Jahren von ihm an den
Küsten der Färöerinseln
entdeckten, später auch bei
Ostende
[* 12] und im
Mittelmeer gefundenen, gesellig unter
Steinen lebenden, orange bis ziegelrotenWurm
(Dinophilus vorticoïdes) in die
Nähe der
Strudelwürmer gestellt, bis die Auffindung von fünf
Paar getrennten Nierenkanälen
(Nephridien) durch E.
Meyer ergab, daß es sich hier um Vorbildungen echter
Ringelwürmer wie bei den Riesenregenwürmern (vgl.
Bd. 17, S. 700) handelt. Und zwar zeigte sich in der Verknüpfung mit andern Organsystemen noch obendrein
eine große
Ähnlichkeit
[* 13] des Verhaltens mit demjenigen bei Peripatus (Bd.
17, S. 650), den man als der Urform der
Gliedertiere nahestehend betrachtet.
¶
mehr
Es deutet sich dadurch an, daß die Archanneliden, zu denen man noch die Gattungen Polygordius, Protodrilus und Histiodrilus
rechnet, nicht nur als Ausgangsgruppe der Oligochäten, Polychäten und allenfalls der Gephyreen zu betrachten sind, sondern
auch den Ahnen der Gliedertiere nahe treten.
Eine am andern Ende des Wurmreichs stehende Gattung, der Eichelwurm (Balanoglossus), hatte die wunderbarsten
Schicksale in Bezug auf ihr Umherirren im System erfahren. Sie geht aus einer rädertierartigen Larve (Tornaria) hervor und
besitzt in ausgewachsenem Zustand einen Kiemenkorb, ähnlich demjenigen der Tunikaten
[* 15] und niedersten Wirbeltiere (Amphioxus
u. Neunaugenlarve), und wurde deshalb von Gegenbaur zum Vertreter einer eignen, zwischen Rädertieren und
Tunikaten stehenden Würmerklasse (Enteropneusta) erhoben, worauf sie Huxley mit den Tunikaten zur Gruppe der Pharyngopneusta
verband.
Bisher kannte man von dieser interessanten Gattung nur einige kleine, im Mittelmeer und an der nordamerikanischen
Küste lebende Arten von 10-20 cmLänge, nunmehr hat aber FritzMüller eine weit über meterlange Riesenform an der brasilischen
Küste entdeckt. Er kannte dessen Larve seit mehr als 25 Jahren, ohne daß es ihm gelingen wollte, das erwachsene Tier, welches
in halbmetertiefen mäandrischen Gängen im Meeressand lebt, aufzufinden. Es waren ihm aber am Strande
bei Armaçao zur Ebbezeit große Exkrementhaufen aus gräulichweißem Sande, den menschlichen in Größe und Form ähnlich,
der vielgewundene Kotstrang bis 2 cm dick, aufgefallen, und er vermutete alsbald, daß sie von einem Balanoglossus herrühren
mochten. Nach vieler Mühe gelang es, das Tier zu entdecken und unversehrt den unterirdischen Gängen zu
entwinden. Es hat die für ein in engen unterirdischen Gängen lebendes Tier unverständliche Eigenschaft, zu phosphoreszieren;
vielleicht kommt es des Nachts hervor und läßt sein Licht
[* 16] draußen leuchten.
Unter den zahlreichen neuen Formen von Ringelwürmern, welche die Challenger-Expedition den Forschern gebracht hat, ist wohl
die merkwürdigste die Syllis ramosa, welche von den bisher bekannten Syllis-Arten und von allen andern
Anneliden dadurch abweicht, daß sie nicht wie andre Ringelwürmer (und wie es z. B. auch Syllis prolifera thut) in zwei oder
mehr hintereinander belegene Sproßstücke zerfällt, die dann einen neuen Kopf oder Schwanz oder beides bilden, sondern
vielmehr durch seitlich am Körper heraussprossende und mit demselben vereinigt bleibende Stücke weiter wächst. Es kommt
also dadurch ein verzweigter Wurmstock zu stande, der um so mehr einem pflanzlichen Gewächs ähnlich ist, als die Syllis-Arten
allgemein außer den Fußstummeln mit langen Rückencirren versehen sind und kriechenden, beblätterten Pflanzen gleichen.
Im übrigen muß ein solcher Wurmstock schwer beweglich sein, und er führt wahrscheinlich im Innern
von Schwämmen ein seßhaftes Leben. Aus den Seitensprossen entstehen später sich
loslösende Geschlechtstiere, die frei ausschwärmen
und die Art verbreiten.
Eine solche, zu einer bestimmten Zeit eintretende Vermehrungsweise durch Teilung gibt allem Anschein nach zu dem
in neuerer Zeit vielfach geschilderten massenhaften Auftreten einer verwandten Polychäte der SüdseeAnlaß, des Palolowurmes
(Lysidice viridis), der an ganz bestimmten Novembertagen an den Küsten der Samoa- und Fidschi-Inseln erscheint und von den
Eingebornen als ein besonderer Leckerbissen betrachtet wird. Es ist ein ca. 25 cm langer und 1-2 cm dicker
Borstenwurm, der dadurch ausgezeichnet ist, daß er nur drei Fühler besitzt, nämlich einen unpaaren Stirnfühler und zwei
Seitenfühler, während die verwandten Eunice- und Diopatra-Arten mehr Fühler besitzen.
Die Männchen sind weiß bis ockergelb, die Weibchen indigblau bis grün. Das Merkwürdigste an ihnen ist das plötzliche
Erscheinen des sonst in den Korallenriffen lebenden Tieres an der Oberfläche des Meeres, welches von den
Eingebornen nach astronomischen Kennzeichen berechnet wird. Es tritt mit dem Beginn des letzten Mondviertels im November ein
und zwar kurz vor Sonnenaufgang, am ersten und dritten Tage nur spärlich, am zweiten aber nach Milliarden. Einen Monat früher,
ebenfalls zur Zeit des letzten Mondviertels, erscheinen auch Palolos, aber nur in geringerer Menge. Churchward
hat in seinem Buche »My consulate in Samoa«
[* 17] (Lond. 1888) den einem Volksfest gleichenden Hauptfang in der bevorzugten Nacht mit
lebhaften Farben beschrieben.
Von allen Inseln des Archipels kommen dann Männer und Frauen in ihren Kanoes schon am Abend an den bevorzugten
Stellen zusammen, und es entwickelt sich ein Treiben wie bei einem südlichen Nachtfest. Endlich gegen Anbruch der Morgendämmerung
wird es still, und alles blickt in höchster Spannung auf den vom niedrigen Wasser bespülten, spaltenreichen Saum des Gestades.
Plötzlich steigen wie auf ein gegebenes Zeichen die langen, in den verschiedensten Farben schillernden
Würmer aus allen Rissen und Löchern ringsumher an die Oberfläche, und bald ist der ganze Strand mit einer dicken, wimmelnden
Schicht des Gewürms bedeckt.
Laut jauchzend und sich einander durch Zuruf ermunternd, greift alt und jung in das Gewimmel hinein, hascht, was sich
haschen läßt und füllt die bereit gehaltenen Töpfe. In der That haben sie auch keine Zeit zu verlieren, denn sobald die
Sonne
[* 18] ihre ersten Strahlen über das Meer schickt, stürzen die Tiere, wie von einer dämonischen Macht herabgezogen, wieder
in ihre Löcher und Spalten zurück, und binnen wenigen Minuten sind sie verschwunden. Die Eingebornen aber
rudern, wenn der Fang ergiebig war, in rosigster Stimmung zu ihren Angehörigen zurück. In allen Dörfern werden Feste und Schmäuse
veranstaltet; halten doch die Kanaken den Palolowurm für eine der größten Delikatessen ihrer durch allerlei Meertiere reichbesetzten
Tafel. Sie verzehren die Würmer meist roh, und sie haben einen scharfen, seefischartigen Geschmack und werden,
da die Körper der Weibchen voller Eier
[* 19] sind, einem Wurmkaviar verglichen. Die dort anwesenden Europäer versuchen das vielgerühmte
Gericht dann wohl gekocht, wo es wie grüner Spinat aussieht.
Über die Ursache des auf so kurze und bestimmte Zeit beschränkten massenhaften Auftriebs sind verschiedene
Meinungen ausgesprochen worden; zusammengehalten mit dem Eierreichtum der Weibchen klingt es nicht unwahrscheinlich, daß
sie zum Zweck¶