Nachdem die Art und Weise der Färbung und Zeichnung im Tierreich lange Zeit als bedeutungslos und zufällig gegolten,
ist besonders durch Eimer die in der Mannigfaltigkeit der Zeichnungen herrschende Gesetzmäßigkeit und
ihre Bedeutung für die Stammesgeschichte der Tiere nachgewiesen worden. Eimer studierte zunächst die Varietäten der Mauereidechse,
von denen eine gestreifte (striata), gefleckte (maculata), ungezeichnete, oben braungelbe, unten farblose (modesta) und grüne
(elegans) Varietät unterschieden werden; die Übergänge, die sich finden, führen alle zur gestreiften Varietät, so daß
die gestreifte als die Stammform aller andern anzusehen ist; hierfür spricht auch, daß die Jungen aller dieser Eidechsen
mehr oder weniger gestreift sind.
Aus der gestreiften Zeichnung entsteht die gefleckte in der Weise, daß sich die Streifen in Flecke auflösen, und indem sich
die Flecke quer verbinden, entsteht Querstreifung, welche demnach die jüngste, letzt entstandene Form
der Zeichnung ist. In der Umwandlung von einer Zeichnung in die andre schreitet das Männchen voran; unter gestreiften Formen
beobachtet man namentlich bei alten Männchen eine Auflösung der Längsstreifen in Flecke, beim Weibchen dagegen zeigen sich
die Eigenschaften der Stammform länger und deutlicher als beim Männchen.
Mit zunehmendem Alter tritt eine neue Zeichnung zuerst am hintern Ende des Körpers auf, zieht sich von da nach vorn und wird
hinten durch eine neu auftretende wieder verdrängt (Gesetz der wellenförmigen Entwickelung). Am besten läßt sich die allgemeine
Gültigkeit dieses Gesetzes in der Zeichnung der Raubtiere verfolgen; neue Eigenschaften in der Zeichnung
treten hier zuerst an den Seiten auf und ziehen sich nach dem Rücken hin, so daß die Mittellinie des Rückens die alten Eigenschaften
am längsten bewahrt.
Die Stammformen des Katzengeschlechts sind die Zibetkatzen (Viverra);
von ihnen stehen am tiefsten die von Madagaskar;
sie sind
vollkommen längsgestreift und stellen wohl die Urzeichnung aller Raubtiere dar;
bei andern Arten, z. B.
der spanischen Ginsterkatze, haben sich die Streifen in Flecke aufgelöst;
die afrikanische und asiatische Viverre zeigen bereits
eine beginnende Querstreifung.
Die gefleckten Katzenarten, wie Leopard, Panther, Jaguar etc., entstanden aus längsgestreiften
dadurch, daß die Streifen der letztern sich in Flecke auflösten; der Tiger ist vollkommen quergestreift,
er besitzt nächst dem Löwen die am weitesten vorgeschrittene Zeichnung; die Löwen sind erwachsen einfarbig, aber in der Jugend
gezeichnet. Die Hauskatze hat auf dem Rücken Längsstreifen, an den Seiten Querstreifen, die vorn oft noch aus Flecken bestehen;
die Wildkatze hat eine weiter entwickelte Zeichnung, indem die seitlichen Querstreifen weniger zahlreich
und im Schwinden begriffen sind; es scheint demnach, daß die Hauskatze nicht von der Wildkatze
mehr
abstammt, sondern daß sich beide aus der in ihrer Zeichnung der Hauskatze ähnlichen afrikanischen Falbkatze entwickelt haben.
Aus den Zibetkatzen sind außer den Katzenarten auch die Hyänen hervorgegangen. Die Übereinstimmung zeigt sich besonders
bei der gestreiften Hyäne, jedoch ist im allgemeinen die Zeichnung eine vorgeschrittenere; es ist bereits das Schwinden
der Zeichnung vorbereitet, welches bei den Hunden noch weiter gediehen ist, doch sind auch bei den hundeartigen Raubtieren noch
Spuren von Zibetkatzen- und Katzenzeichnung vorhanden, und zwar sind bei allen Teile von solchen Streifen zu erkennen, welche
auch bei den Hyänen besonders entwickelt sind, so daß die Zeichnung der hundeartigen Raubtiere sich wie
ein Überrest jener der Hyänen ausnimmt.
Auch bei andern Säugetieren läßt sich diese Gesetzmäßigkeit in der Zeichnung der Tiere nachweisen. So zeigt das Zebra Querstreifung,
auf der Mittellinie des Rückens aber und auf der Stirn Längsstreifung. Beim Quagga ist hinten schon Einfarbigkeit aufgetreten,
am Hals ist Querstreifung, auf der Stirn noch Längsstreifung. Auch Esel und Pferd haben häufig auf dem
Rücken eine dunkle Längsmittellinie. Unter den hirschartigen Tieren sehen wir beim Damhirsch Längsreihen weißer Flecke, die
beim Weibchen deutlicher erkennbar sind als beim Männchen; in der Jugend haben aber auch Edelhirsch und Reh, die erwachsen
einfarbig sind, Längsreihen von weißen Flecken, und eine ganze Reihe weiterer Tiere, welche im Alter keine
Zeichnung besitzen, trägt solche in der Jugend. So bei den Säugetieren die Jungen vom Tapir, Schwein und Wildschwein; auch bei
der überwiegenden Mehrzahl von Reptilien und Amphibien sind die Jungen längsgestreift, und das Gleiche findet sich
bei vielen Nacktschnecken und jungen Raupen.
Unter den Vögeln zeigen die geschilderte Umwandlung der Zeichnung besonders gut die Raubvögel. Die Jungen fast aller unsrer
einheimischen Raubvögel haben nach Abwerfen der Daunen ein Jugendkleid, welches braun gefärbt und mit schwarzen Längsspritzen
gezeichnet ist, die zuweilen so aneinander gereiht sind, daß sie schwarze Längslinien darstellen, später
aber in längsgestreifte Flecke sich auflösen. Die Weibchen behalten dieses Kleid häufig; zuweilen wird es aber auch bei
ihnen, wenigstens im Alter, in ein quergestreiftes umgewandelt.
Dies ist die Regel beim Männchen schon zur Zeit seiner Reife. Überall überhaupt zeigt sich bei den Vögeln die »Präponderanz
des männlichen Geschlechts«. Bei Amseln, Drosseln oder Würgern behalten die Weibchen das jugendliche Kleid, während die Männchen
selbst nahe verwandter Gattungen und Arten später weit mehr voneinander abweichen. Bei den Vögeln nimmt im Gegensatz zu den
Säugetieren die Rückenseite zuerst die neuen Eigenschaften an. Die Längsstreifung erhält sich am längsten
an der Unterseite.
Wenn sich die Zeichnung verliert, so geschieht dies zuerst auf dem Rücken und zwar wiederum zuerst bei den Männchen. Die
Querstreifung kann wenigstens in Form von Querbinden an der Unterseite des Schwanzes und der Flügel oder an der ganzen Unterseite
bestehen bleiben. Zuletzt wird dann auch die Unterseite einfarbig. Zuweilen trifft man alle Stufen der
Umbildung am Körper eines und desselben Vogels: Kehle längsgestreift, Brust längsgefleckt, nach unten in kurze, abgerissene
Fleckenzeichnung übergehend, welche den Übergang zur Querstreifung bilden, die am Schwanze ausgesprochen ist, während die
ganze Rückenseite schon einfarbig geworden.
Das Gesetz der wellenförmigen Entwickelung ist also auch
hier ausgeprägt. Unter den wirbellosen Tieren
hat Eimer die gesetzmäßige Umbildung der Zeichnung an Schmetterlingen, und zwar zunächst an den dem Segelfalter ähnlichen
Arten der Gattung Papilio, verfolgt. Auch hier zeigt sich der gleiche Entwickelungsgang in der Zeichnung:
1) Längsstreifung, 2) Fleckung durch teilweise Auflösung der Streifen, oft auch nur seitliche Verschmelzung
oder Verkürzung oder teilweises oder völliges Schwinden einzelner Binden, 3) Querzeichnung oder Querstreifung durch seitliche
Verbindung der Flecke oder auch der Längsstreifen, 4) Einfarbigkeit durch fast oder ganz vollständiges Zurücktreten der
Zeichnung oder auch durch Verbreiterung der Querverbindungen und der ursprünglichen Längsbinden, so daß die Grundfarbe
schließlich ganz oder bis auf Reste verdrängt wird.
Auch bei den Schmetterlingen läßt sich ein allmähliches Fortschreiten der Zeichnung von hinten nach vorn, eine postero-anteriore
Entwickelung verfolgen, und es treten auch neue Zeichnungen nur hinten auf. Das Undulationsgesetz jedoch, d. h. das bei den
Wirbeltieren geschilderte wellenförmige Vorrücken der hinten neu auftretenden Zeichnung nach vorn mit
zunehmendem Alter, kann bei den Schmetterlingen nicht in Betracht kommen, da diese die Puppe fertig verlassen.
Die große Mannigfaltigkeit der Zeichnung der Formen, Abarten und Arten wird weniger durch das Auftreten neuer Zeichnungen bedingt,
als durch Umbildung der alten, indem die eine, z. B. ein gewisser Streifen in einer Gruppe, schwindet,
in einer andern sich mehr ausbildet, oder indem beides zugleich vor sich geht, hier Fort-, dort Rückbildung, oder endlich,
indem an Vorder- und Hinterflügel, Ober- und Unterseite die Veränderung nicht in gleichem Maße vor sich geht.
Des weitern wird die Mannigfaltigkeit bedingt durch die Korrelation, indem mit Veränderung einer Zeichnung
häufig noch eine andre oder mehrere zugleich auftreten, z. B. steht mit der schönen Ausbildung der Afteraugenflecke beim
Segelfalter die Ausbildung der blauen Randbinde in Beziehung. Die Ursache kann in der ursprünglichen morphologischen und physiologischen
Gleichwertigkeit der betreffenden Teile liegen, wie auch die Symmetrie von gleicher stofflicher Zusammensetzung
und gleicher physiologischer Thätigkeit der beiden Körperhälften herrührt.
Solche korrelativ vor sich gehende, sprungweise Umbildung ohne Zwischenstufen bezeichnet Eimer als kaleidoskopische Umbildung.
Die Entdeckungen und Beobachtungen Eimers über die gesetzmäßige Aufeinanderfolge der verschiedenen Zeichnungen wurden von
Weismann durch Untersuchungen an den Raupen von Schwärmern bestätigt. Nach diesem Forscher laufen alle
Daten der Entwickelungsgeschichte darauf hinaus, daß von den drei bei Sphingidenraupen vorkommenden Zeichnungsformen, der
Längsstreifung, den Schrägstrichen und den Flecken, die erstere die ältere ist.
Unter den Arten, welche mit Schrägstrichen oder mit Flecken geziert sind, finden sich viele, deren Jugendstadien längsgestreift
sind, das Umgekehrte aber findet sich nicht, niemals zeigt die junge Raupe Flecke oder Schrägstriche,
wenn die erwachsene Raupe nur längsgestreift ist; die erste und älteste Zeichnung der Sphingidenraupe war also die Längszeichnung.
Von Bedeutung ist, daß auch bei den Raupen die neuen Zeichnungen zuerst am hintern Teile des Körpers zu entstehen pflegen.
Durch diese Untersuchungen hat die Art und Weise der Zeichnung eine große Bedeutung für die Beurteilung
der Verwandtschaft der Tiere und für die Systematik gewonnen.