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einer bestimmten kurzen Entfernung über eine feste Rolle hinweg zu seiner Ausgangsstelle zurückzukehren. Dieses Kabel tritt in Thätigkeit, wenn die Schwungkraft [* 2] des Wagens nicht mehr ausreicht, vor und hinter jeder Haltestelle. Der Wagen, welcher die längere geneigte Strecke hinab der Station zugefahren ist, setzt sich nämlich, ehe er den Gipfel der darauf folgenden Steigung erreicht, bez. wenn er den Vorrat von lebendiger Kraft [* 3] verbraucht hat, mittels eines automatisch wirkenden Greifapparats mit dem endlosen Kabel in Verbindung, das ihn über die Erhöhung hinwegzieht. Bei der Station bringt dann ein Mechanismus durch Loslassen des Kabels und leichtes Bremsen [* 4] den Zug zum Stehen, vor der Abfahrt aber wird infolge einer weitern selbstthätigen Vorrichtung das Kabel von neuem gefaßt und der Wagen auf der nächstfolgenden Strecke emporgezogen, um, oben angelangt und vom Seile abgelöst, hinabzurollen.
Entwickelung des Straßenbahnwesens.
Am waren 25 Jahre seit der Eröffnung der ersten S. in Deutschland [* 5] (Berlin-Charlottenburger Pferdebahn) vergangen. In einem in der Polytechnischen Gesellschaft gehaltenen Vortrag (»Die ersten 25 Jahre der deutschen Straßenbahnbetriebe«, »Polytechnisches Zentralblatt«, 1890) beleuchtet Hilfe die mit den Straßenbahnen in Deutschland bisher gemachten Erfahrungen in technischer und wirtschaftlicher Beziehung. Danach ist die Einführung der Straßenbahnen in Deutschland nicht deutschem Unternehmungsgeist zu danken, vielmehr war der Begründer der ersten deutschen S. ein dänischer Ingenieur Moller, dem es gelang, den Widerstand der Behörden, das Vorurteil der Bevölkerung [* 6] und gewisse Feindseligkeiten derjenigen frühern Fahrbetriebe zu beseitigen, welche durch die Einführung der Pferdebahn ihre eigne Lebens- u. Bestandsfähigkeit gefährdet glaubten.
Die Ausführung geschah, allerdings nach Kopenhagener Vorbild, durch deutsche Techniker, Kulin und Gebr. Büsing. Die Bahn fuhr vom Brandenburger Thore in Berlin [* 7] nach Charlottenburg. [* 8] Die ursprüngliche Genehmigung, die Linie durch die Straße Unter den Linden fortzusetzen, wurde auf Betreiben der Tagespresse, welche das Unternehmen als zu gefährlich hinstellte, wieder zurückgenommen, während es heutzutage von den Tagesblättern vielfach bedauert wird, daß die Straßenbahnen die Linden nicht einmal kreuzen dürfen.
Bezüglich des Schienenweg der Straßenbahnen ging ursprünglich die Ansicht der Behörde dahin, möglichst nur eingeleisige Bahnen zuzulassen, weil sie den Straßenkörper dem übrigen Verkehr weniger entziehen sollten als die zweigeleisigen. Moller machte bereits darauf aufmerksam, daß diese Auffassung irrig sei, daß vielmehr ein eingeleisiger Betrieb wegen der Aufenthalte an den Weichen viel häufiger zu Verkehrsstörungen führen würde; doch ist die letztere Auffassung bei den Behörden erst in der Neuzeit durchgedrungen. Die behördlicherseits an die Straßenbreite gestellten Anforderungen sind beträchtlich herabgegangen (von ursprünglich 11,3 m für eingeleisige und 17,5 m für zweigeleisige Straßenbahnen auf 10, ja sogar bis 6,8 m für zweigeleisige Straßenbahnen).
Die Hochbauten der Straßenbahnen bestehen hauptsächlich in den Depots, d. h. in Gebäuden zur Unterkunft der Pferde, [* 9] Wagen, bez. Lokomotiven. Hier hat sich das Bedürfnis herausgestellt, für möglichst viel Wagen und Pferde möglichst nahe den Hauptverkehrspunkten geeignete Unterkunft zu schaffen. In vielen Städten hat man die Pferdebahndepots mit Rücksicht auf billigern Grunderwerb sehr weit außerhalb des Weichbildes gelegt, jedoch dabei die Erfahrung gemacht, daß die rechtzeitige Versorgung der Innenstadtteile mit Wagen und Pferden auf Schwierigkeiten stößt.
Deshalb sucht man jetzt, z. B. in Berlin, die Depotsanlagen ins Innere der Stadt hereinzuziehen. Weil jedoch da der Grund und Boden sehr teuer ist, so ist man zu der Einrichtung übergegangen, die Pferde in zwei Stockwerken unterzubringen, deren unteres ein halbes Kellergeschoß, und deren oberes gleichsam ein Hochparterre bildet, und welche durch abwärts, bez. aufwärts gehende Rampen zugänglich sind. Der Raum darüber wird zum Unterbringen von Futter benutzt. Auch die Unterbringung von Wagen in zwei Stockwerken findet sich vereinzelt, jedoch dürfte diese nur da zweckmäßig sein, wo man für Sommer und Winter verschiedene Wagen hat, von welchen jedesmal die der Jahreszeit entsprechenden jährlich nur einmal ins obere Stockwerk gehoben, bez. von ihm herabgelassen zu werden brauchen, während des Gebrauchs aber immer zu ebener Erde ein- und ausfahren. In neuester Zeit geht man in Berlin mit der Absicht um, die Wagen in den untern Räumen der Stallungen, im ersten und zweiten Stockwerk die Pferde, und im dritten und vierten die Futtervorräte unterzubringen. Wie gewaltig die Depotanlagen in großen Städten anwachsen müssen, ist z. B. daraus zu entnehmen, daß in den drei Berliner [* 10] Pferdebahnbetrieben 1100 Wagen mit 5500 Pferden gebraucht werden.
Die ersten Wagen wurden nach amerikanischem Vorbild in Hamburg [* 11] gebaut, schwere große Wagen mit Verdecksitzen und kleinen Fenstern. Viele Wagen wurden anfangs aus Amerika [* 12] bezogen, während jetzt der Bedarf an Wagen fast ausschließlich in Deutschland selbst befriedigt wird und zwar hauptsächlich von den Firmen Herbrand u. Ko. in Ehrenfeld bei Köln, [* 13] Wagenfabrik Ludwigshafen, [* 14] Linkesche Fabrik in Breslau [* 15] und in Görlitz. [* 16] In dem Wagenpark der 73 deutschen Straßenbahnen sind mindestens 14-15 Mill. Mk. angelegt.
Gegen Barzahlung pflegen Decksitzwagen 4850 Mk., Zweispänner ohne Deck 3850 Mk. und Einspänner 2900 Mk. zu kosten. Die Wahl der Pferde bei den heutigen deutschen Straßenbahnen hat darauf Rücksicht zu nehmen, ob Zweispännerwagen mit Decksitz oder ohne Decksitz oder Einspännerwagen gezogen werden sollen, außerdem auf die örtlichen Steigungsverhältnisse u. die gebräuchliche Fahrgeschwindigkeit. Beim Zweispännerbetrieb mit Decksitzwagen und beim Einspännerbetrieb sind schwere Pferde erforderlich, die aus Dänemark, [* 17] Mecklenburg, [* 18] Holstein sowie in geringer Zahl aus Frankreich bezogen werden.
Ungarische und russische Pferde werden kaum noch verwendet. Für Zweispännerwagen ohne Decksitze eignen sich bei gewöhnlichen Terrainverhältnissen die ostpreußischen Pferde sehr gut. Im ersten Jahre des deutschen Straßenbahnbetriebes (1865/66) waren vorhanden 19 Wagen und 126 Pferde, befördert wurden 964,512 Personen gegen 246,048 Mk. Fahrgeld auf 67,930 Fahrten mit insgesamt 529,854 Wagenkilometern und auf einer 7800 m langen Schienenstrecke. Demgegenüber wurden im J. 1889 auf 69 von den 73 Straßenbahngesellschaften (vier haben keine Auskunft erteilt) 333,269,504 Fahrgäste befördert, die 40,220,359 Mk. Fahrgeld eingebracht haben, wozu 15,326,517 Fahrten mit 80,725,266 Wagenkilometern zurückgelegt werden mußten und 3962 Wagen mit 133,386 Plätzen, 14,493 Pferde sowie 161 Maschinen erforderlich waren. Die Gesamtlänge der deutschen Straßenbahnstrecken beträgt 1,349,092 m. Auf ¶
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Berlin allein entfallen hiervon 134,400,431 Fahrgäste mit 15,934,551 Mk. Fahrgeld auf 4,643,738 Fahrten zu 27,754,016 Wagenkilometern, zu welchen 1094 Wagen mit 5486 Pferden und 14 Lokomotiven erforderlich waren. Der Umstand, daß eine so gewaltige Menge das Bedürfnis empfunden hat, für die vorzunehmenden Ortsveränderungen sich der Straßenbahnen zu bedienen, und daß die Betriebsunternehmer ihre Leistungen bis zu dem angegebenen Umfang ausgedehnt haben, liefert nach Hilfe den Beweis dafür, nicht allein, daß der Bedarf an Ortsveränderung ein gewaltiger ist, sondern auch, daß die vorher bekannten Verkehrsmittel (Droschken, Omnibus, Thorwagen) zu seiner Befriedigung nicht ausreichten.
Jedoch sind nach der Eröffnung der Straßenbahnbetriebe mehrere Jahre erforderlich gewesen, bevor ihre Nützlichkeit und Wirksamkeit der Bevölkerung zur Erkenntnis kam. In Berlin hatte der Verkehr von 964,512 Personen im J. 1865 nur bis 1,370,860 Personen im J. 1870, also in 5 Jahren etwa nur um 42 Proz., zugenommen, in Hamburg von 1,887,445 im J. 1866 bis 2,231,819 im J. 1870, also in 4 Jahren nur 18 Proz., zugenommen, in Stuttgart [* 20] dagegen von 1,655,298 (1868) bis auf 1,386,272 Personen (1870), also in 2 Jahren um 16 Proz., abgenommen.
Erst von 1872 an begann eine lebhaftere Entwickelung des Straßenbahnwesens. In diesem Jahre erhielten Dresden, [* 21] Frankfurt [* 22] a. M., Hannover [* 23] und Leipzig [* 24] Pferdebahnen, auch wurde die große Berliner Pferdeeisenbahnaktiengesellschaft gegründet, aber erst im folgenden Jahre mit den Linien Rosenthaler Thor-Gesundbrunnen und Hallesches Thor-Potsdamer Thor eröffnet. Es folgten 1873 Danzig [* 25] und Ütersen, 1875 Wiesbaden. [* 26] Von 1876 bis 1889 sind jedes Jahr neue Orte mit Straßenbahnen versehen worden, zuletzt Riesa [* 27] in Sachsen. [* 28] Ferner waren 1890 in Ausführung begriffen Schleswig, [* 29] Bonn, [* 30] Trier, [* 31] Thorn, [* 32] Gotha. [* 33] Überwiegend liegt am nämlichen Orte der Betrieb in Einer Hand. [* 34]
Wo mehrere Gesellschaften zugelassen sind, ist jeder einzelnen ein bestimmtes Betriebsfeld überlassen. Nur ausnahmsweise findet auf Grund gegenseitigen Übereinkommens zwischen verschiedenen Betriebsunternehmern desselben Ortes ein Übergreifen des Betriebes eines Unternehmers auf eine Linie des andern statt, so verkehren z. B. Wagen der Großen Berliner Pferdeeisenbahngesellschaft auf dem Bahnnetz der Berliner und der Neuen Berliner Pferdebahn in gewissem Umfang und umgekehrt.
Eine eigentliche Konkurrenz mehrerer Unternehmer auf einer und derselben Linie zur Erzielung niedriger Fahrpreise ist nach Hilfe deshalb entbehrlich, weil die Straßenbahnen der ortspolizeilichen Regelungsbefugnis unterliegen und ihre Fahrpreise keineswegs willkürlich, sondern nur unter Mitwirkung der Gemeindebehörde und der Ortspolizeibehörde bestimmen dürfen, so daß hierdurch schon das Fahrgeld in den den örtlichen Verhältnissen entsprechenden Grenzen [* 35] gehalten wird.
Ob der Betrieb der Straßenbahnen auf Rechnung der Gemeinde für diese vorteilhafter ist als der meist übliche durch Privatunternehmer, ist fraglich, wenigstens haben unter andern die Gemeinden Rixdorf und Matzendorf bei Berlin schlechte Erfahrungen damit gemacht und ihre Betriebe mit erheblichem Verlust an die große Berliner Pferdeeisenbahn abgetreten. Von den 333,269,504 Personen, welche 1889 im deutschen Straßenbahnbetrieb befördert werden, entfallen 316,623,642 oder 95,02 Proz. auf Pferdebahnbetrieb und nur 16,645,862 oder 4,98 Proz. auf den mechanischen Betrieb.
Unter den mechanischen Betrieben gibt es in Deutschland erst auf zwei Strecken (Offenbach-Sachsenhausen und bei Lichterfelde) elektrischen Betrieb, welcher 1889 den Verkehr von 1,109,902 Personen oder 0,33 Proz. vermittelte. Beide decken die Unkosten noch nicht. Somit sind die bisherigen wirtschaftlichen Ergebnisse der Elektrizität [* 36] als Zugkraft noch ungünstige zu nennen. Auf der Strecke Charlottenburg-Westend der Berliner Pferdeeisenbahngesellschaft ist elektrischer Betrieb versucht, aber sogleich wieder aufgegeben worden.
Dampfbetrieb wird auf deutschen Straßenbahnen in zweifacher Form beobachtet, entweder als reiner Dampfbetrieb, so daß keine andre Betriebskraft daneben verwendet wird, oder als gemischter Betrieb, so daß neben Pferden Dampf [* 37] in Verwendung kommt. Die Zahl der im Dampfbetrieb Beförderten betrug 1889 im ganzen 15,535,960 oder 4,65 Proz. der Gesamtziffer oder das 141fache der Fahrgastzahl des elektrischen Betriebes. Die hierbei benutzten Maschinen sind teils nach dem Kraußschen, teils nach dem Rowanschen System gebaut.
Die Frage, ob der Übergang vom Pferdebahnbetrieb zum Dampf- oder elektrischen Betrieb sowohl zum wirtschaftlichen Nutzen des Unternehmers als zum besten der öffentlichen Ruhe und Sicherheit gereichen würde, wird von Hilfe nach dem Stande der heutigen Erfahrungen verneint. Die heutigen Verteidiger des elektrischen Betriebes in Deutschland stützen sich auf die überraschend günstigen Ergebnisse, die angeblich in Amerika damit erzielt worden seien. Doch sind die Nachrichten aus Amerika allem Anschein nach stark übertrieben gewesen.
Der Dampfbetrieb lohnt sich nur dort, wo eine wirkliche Massenbeförderung stattfinden kann, d. h. gleichzeitig mehrere Wagen von einer Maschine [* 38] fortbewegt werden. Für den Verkehr im Innern von Städten hat sich herausgestellt, daß mit der Vermehrung des Betriebes, d. h. mit der Schnelligkeit der Aufeinanderfolge der Wagen, die Personenzahl zunimmt, so daß es als ein Fehler anzusehen ist, wenn mit großen Wagen zu selten gefahren wird. Deshalb hat der Einspännerbetrieb im Vergleich zum Zweispännerbetrieb stärker zugenommen (in Deutschland laufen 542 Decksitzwagen, 2383 Zweispänner ohne Decksitze und 1037 Einspänner). Dies scheint darauf hinzudeuten, daß auf eine baldige Einführung der Dampfkraft für den innern Stadtverkehr nicht zu rechnen ist.
Die Frage, ob alle Straßenbahngesellschaften ertragreich sind, muß verneint werden. Eine ganze Reihe derselben leidet an chronischer Unterbilanz und Unvermögen einer Gewinnverteilung. Selbst bei denjenigen, welche Gewinnverteilung ermöglichen, ist keineswegs eine stetige Zunahme, nicht einmal ein unverändertes Gleichbleiben bemerkbar, vielmehr öfter ein Gewinnrückgang zu berichten. Nächst Berlin haben bisher die höchsten Erträgnisse die ältere Magdeburger S. mit 10 Proz., die zu Frankfurt a. M. mit 9-10 Proz., die Dresdener mit 6¾-7 Proz., die Leipziger mit 6¼ bis 7 Proz. ergeben.
Die übrigen sind unter 6 Proz. geblieben, zum Teil sehr beträchtlich. Der Betrieb der Straßenbahnen ist also keineswegs unter allen Umständen ein lohnendes Unternehmen, er kann es nur werden unter sehr vorsorglichen und zielbewußten Betriebsleitern. Das schwierigste beim Straßenbahnbetrieb ist das Erforschen des Verkehrsbedürfnisses, das thunlichste Anpassen der Betriebseinrichtung an den Verkehrsbedarf. Die Erforschung ist jedoch für den Ortsverkehr viel schwieriger als für den großen Weltbetrieb. Wer eine Weltreise antritt, dem ist es gleichgültig, ob der Zug 10 oder 20 Minuten früher oder später abgeht. Hat er den abgehenden Zug verpaßt, ¶