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aus: »Gamla Stockholm«, [* 2] die er in Verbindung mit Claës Lundin herausgab.
Strindbergs Forderung der Wahrheit in der Dichtung führte ihn zuletzt zu der Ansicht, daß nur die Selbstbiographie Wert habe, da ein Schriftsteller nur das mit voller Wahrheit wiedergeben könne, was er selbst gedacht, gekannt und erlebt habe. In »Tjensteqvinnans son« (1886-87) gab er deshalb eine ziemlich unverhüllte Selbstbiographie voll Einseitigkeit, Ungerechtigkeit und Gehässigkeit, eine sehr schwache Arbeit, welche sich nur aus den schwierigen Verhältnissen erklären läßt, in denen der Verfasser in seiner unfreiwilligen Verbannung lebte. Sein Ansehen richtete er jedoch durch seine vortrefflichen Schilderungen des Volkslebens in »Hemsöborna« (1887) und »Skärkarlslif« (1888) wieder her.
Von 1888 an hat sich eine neue Gedankenrichtung in Strindbergs Schaffen geltend gemacht. Statt der hohen Auffassung vom Weibe tritt jetzt die zu Tage, das Weib sei ein tief unter dem Manne stehendes Wesen und befinde sich in einem Entwickelungsstadium, das er bereits hinter sich habe, auf einer Stufe zwischen Kind und Mann, dem Wilden und dem Kulturmenschen. Die frühere demokratische Lebensauffassung ist einer aristokratischen, der Nietzscheschen ähnlichen gewichen, nach welcher die Menschheit um ihrer meist entwickelten Individuen willen, welche herrschen sollen, da ist, und das frühere Verdammen der Kultur hat solcherweise der höchsten Auffassung derselben Platz gemacht.
Die Konflikte in seinen spätern Werken entstehen durch das, was er »hjärnornas kamp« (Kampf der Gehirne) nennt, d. h. den Kampf, durch den sich der »Übermensch« (Nietzsche) zum Herrn der niedern Individuen macht, seine Ansichten und Lebensanschauungen ihnen eintränkt und sie seinen Zielen dienstbar macht. Diese Ideen hat er durchgeführt in Novellensammlungen, in Schilderungen (»Bland franska bönder«, 1889),
in Romanen (»Tschandala«, 1889; »I hafsbandet« 1890),
in Schauspielen (»Fadern«, »Fröken Jutie«, »Kamraterna«, 1888) etc., in welchen das wirkliche Genie und die Ausartungen des Genies nebeneinander zum Vorschein kommen. In diesen dramatischen Arbeiten will der Verfasser nebenbei eine neue Form für das Schauspiel zur Geltung bringen, die hauptsächlich darin besteht, daß die Exposition fehlt: man wird unmittelbar auf den Höhepunkt der Handlung geführt, und das Ganze entwickelt sich in Einem Akte, ein weiterer Versuch, der Dichtung eine größere Ähnlichkeit [* 3] mit der Wirklichkeit zu geben.
Das Schaffen Strindbergs trägt das Gepräge eines eminenten Talents: Kraft [* 4] und Anschaulichkeit in der Zeichnung und Charakteristik, dramatische Spannung in der Entwickelung der Handlung und große Lebenswahrheit, zu gleicher Zeit aber Mangel an Einheit im ganzen, große Einseitigkeit in den Ansichten, Ungerechtigkeit, ja oft Gehässigkeit gegen andrer Anschauungen und äußerste Rücksichtslosigkeit in der Darstellung, die nicht selten roh und cynisch wird. Manche seiner Arbeiten, in denen die Mängel weniger hervortreten, wie »Mäster Olof«, »Svenska öden och äfventyr« und »Skärkarlslif«, sind doch Meisterwerke.
Neben Bååth und Strindberg war Frau Anne Charlotte Leffler-Edgren, Duchessa Cajanello, die vornehmste Repräsentantin des Realismus, Individualismus und der Problemlitteratur. Sie trat 1882 mit einer Novellensammlung: »Ur lifvet«, auf, welcher mehrere mit gleichem Titel und verschiedene Schauspiele (»Hur man gör godt«, 1885) folgten. Mit großer Wahrheitstreue, mit guter Charakteristik und in einem vorzüglichen Stil hat sie Menschen und Verhältnisse der Gegenwart geschildert und verschiedene soziale Fragen, so namentlich die Frage von den Rechten der Frau und der Ehe, sowie den Gegensatz zwischen Reichtum und Armut behandelt. Im übrigen wird diese Richtung von den größtenteils sehr produktiven Autoren, wie Georg Nordensvan, Gustaf af Gejerstam, Oscar Levertin, Tor Hedberg, Frau Alfhild Agrell, Fräulein Matilda Roos, Daniel Sten (Frau Ina Lange), Ernst Ahlgren (Frau Victoria [* 5] Benedictsson) u. a., vertreten. Einige Schriftsteller, wie Ola Hansson und Stella Cleve, [* 6] gefielen sich in Schilderungen von nervösem und hysterischem Sensualismus. Das Volksleben wurde in der neuen Richtung von einigen der genannten Autoren, wie Gejerstam und Frau Agrell, und außerdem von Henrik Wranér und Johannes Sundblad sowie in ganz vorzüglicher Weise von August Bondeson geschildert.
Die Unreife, welche anfangs die Produkte der neuen Richtung charakterisierte, wich bald einer sehr großen Sicherheit und Anschaulichkeit in der Zeichnung, und in der Mitte der 80er Jahre beherrschte diese Richtung beinahe vollständig die Litteratur. Fleißiges Studium der innern und äußern Verhältnisse des Lebens, ernstes Streben, sich in die verschiedenen Lebenszustände und die unter diesen aufgewachsenen Charaktere zu versetzen, war an die Stelle mehr oder minder freier Phantasiegebilde getreten, und manche soziale und ethische Frage wurde der Gegenwart ans Herz gelegt. In einer reichen Litteratur von Kritiken in Zeitungen, Zeitschriften, Broschüren und Büchern wurden die Ideen der neuen Litteratur entwickelt.
Aber die Mängel dieser Richtung, welche anfangs weniger bemerkt worden, kamen bald zu Tage, als sie die herrschende wurde. Vor allem war es der Mangel an Phantasie und Erfindungsgabe. Dieselben Stoffe, dieselben sozialen und ethischen Fragen kamen immer wieder, und gewisse Charaktere begannen stereotyp zu werden. Das Publikum begann ebenfalls zu ermüden, weil es in diesen Dichtungen nur mit verschrobenen, gedrückten Verhältnissen und verkehrten Charakteren Bekanntschaft machte, und bei dem trostlosen Ton, der meist in den Schilderungen herrschte, sich nach Erhebung und Lebensfreude in der Dichtung sehnte. In demselben Maße, wie die Schriftsteller älter wurden und größere Reife gewannen, erweiterte sich auch ihre eigne Lebensanschauung und sammelten sie größere Lebenserfahrung.
Sie sahen ein, daß vieles von den Mängeln im Leben von allgemein menschlichen Ursachen herrührt und nicht die Folge der Schlechtigkeit der sozialen Institutionen oder der herrschenden Gesellschaftsklassen war; sie bekamen einen klareren Blick für das Bestehende im Leben. Ihre Schöpfungen begannen die scharfe aggressive Form, die sie bisher gehabt, den urteilenden und verurteilenden Ton, der vorher in ihnen geherrscht, zu verlieren. Der Realismus begann für sie das zu werden, was er eigentlich ist, eine Kunstform, und als seine erste Aufgabe begannen sie die Schilderung und Erklärung irgend einer Seite des Lebens aufzustellen. Es war ums Jahr 1888, daß diese Richtung allgemein wurde.
Bååth hatte bereits in seiner Gedichtsammlung »Vid allfarväg« (1884) sich in der vollen Reise seiner Dichterkraft gezeigt und des Lebens bestehende und erhaltende Mächte in größerer Dichtung zur Geltung gebracht. In »Marit Vallkulla« (1887) schildert er auf dem Hintergrund eines Hexenprozesses zu Ende des 17. Jahrh. Natur und Volk Dalekarliens und ¶
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gibt prächtige historische Charakterbilder und Interieurs. Durch eine neue Gedichtsammlung: »På gröna stigar« (1889), geht eine friedvolle Stimmung. Aufopfernde Liebe und Selbstlosigkeit, uneigennütziges Wirken für andre, Arbeitslust und Arbeitsruhe, wie die Glück und Freude des Lebens bringenden und erhaltenden Mächte sind hier in wahrheitstreuen und echten Bildern aus dem Leben mit feinem und wahrem Gefühl gezeichnet. Durch seine letzten Gedichtsammlungen hat sich Bååth einen Platz in der ersten Reihe der jetzt lebenden Dichter erobert, und kein andrer übertrifft ihn an Farbenreichtum und Lebendigkeit der Bilder. Außerdem hat er eine Reihe meisterhafter Übersetzungen und Bearbeitungen altisländischer Sagas herausgegeben. Gegenwärtig arbeitet er an einem längern Dichtungscyklus: »En kärlekssaga från 1600 talet«.
Ein andrer junger Dichter, Edvard Fredin, machte sich anfangs durch seine Gedichte in radikalem Geiste bekannt, erwies sich aber erst als hervorragender Dichter in einer Sammlung von Übertragungen fremder Dichter und später durch einen Gedichtcyklus mit historischem Vorwurf: »Vår Daniel« (1889). Aber zugleich mit dem Erscheinen dieser Arbeit schied der vielversprechende junge Dichter aus dem Leben.
Auf dem Boden der Prosadichtung wurde der Umschlag merkbarer. Frau Victoria Benedictsson (Ernst Ahlgren) läßt in ihrem Roman »Fru Marianne« (1887) die werktägliche Arbeit und den festen Charakter siegreich gegen das ästhetisierende Genußleben, die erschlaffende Selbstanalyse und die soziale Kritik auftreten und zwei sich völlig unähnliche Gatten sich zu richtigem Verständnis und gegenseitiger Achtung durchringen. Sie erwies sich hier und in zwei Novellensammlungen (»Folklif och små berättelser«, 1887, und »Berättelser och utkast«, 1888) als eine Meisterin erster Klasse in der Schilderung des Lebens.
Edler Stil, glänzende Charakterzeichnung, gesunde Auffassung und Frische sowie ein feiner Humor kennzeichnen diese Arbeiten. Aber eine unheilbare Hypochondrie bemächtigte sich ihrer mit immer stärkerer Hand, [* 8] während sie diese lebensfrohen Bilder malte, und 1888 suchte sie die Befreiung davon durch den Tod von eigner Hand. Ihre litterarische Hinterlassenschaft (den Roman »Modern«, zwei Novellensammlungen und einige Schauspiele) hat nach ihrem Tode Axel Lundegård geordnet und herausgegeben, welcher auch nach ihren Briefen und Aufzeichnungen eine sehr interessante Selbstbiographie der unglücklichen Schriftstellerin zusammenstellte.
Die übrigen Autoren begannen ebenfalls in den letzten 80er Jahren von der Problemdichtung sich abzuwenden und jeder seinen eignen Weg zu gehen. In Nordensvans Arbeiten begann ein frischer Humor, eine befreiende Stimmung, zuweilen gewürzt durch eine scharfe Satire, Platz zu greifen; Gejerstam und Frau Agrell widmeten sich mehr der Schilderung des Volkslebens, und der erstere schrieb mit Erfolg Komödien. Levertin vertiefte sich in litterarhistorische Forschungen und hat später tiefglühende, wehmuterfüllte Dichtungen herausgegeben.
Frau Leffler-Edgren-Cajanellos letzte Arbeit (»Kvinlighet och erotik«, 1890) schildert mit nur allzu glühenden Farben die sinnliche Liebe; Tor Hedberg hat sich mehr und mehr und mit Erfolg der psychologischen Analyse zugewendet, Strindberg begann für eine radikale Aristokratie zu kämpfen und »hjärnornas kamp« zu schildern. Gleichzeitig trat ein neuer Schriftsteller, Verner v. Heidenstam, auf, welcher mit Frische, Lebendigkeit und Farbenreichtum in Vers und Prosa das Wort für das Recht der Phantasie und der Lebensfreude (»Från Col di Tenda till Blocksberg«, 1888; »Vallfart och vandringsår«, 1888; »Endymion«, [* 9] 1889) ergriff. Mit Vorliebe stellte er das farblose und mühevolle Arbeiterleben des Westens dem farbenreichen, müßigen Genußleben des Ostens gegenüber. »Endymion«, eine nahezu klassische Dichtung voll Stimmung, Farbe und Poesie, durchweht eine sanfte Wehmut bei dem Gedanken, daß der das Dasein genießende Orient ohne Lebenskraft und daß sein Lebensgenuß mit dem ernsten Arbeitsleben des Occidents unvereinbar sei.
Während der in Frage stehenden Litteraturperiode hatte ein Teil der ältern Schriftsteller mit Herausgabe von neuen Werken fortgefahren. Aber nur die von erstem Range wußten sich über der Zeitströmung zu erhalten. Victor Rydberg gab 1882 eine Sammlung »Dikter« heraus, in denen die uralten Fragen der Menschheit über des Lebens und Todes Geheimnis, des Lebens Zweck und Ziel, Gutes und Böses, Idee und Wirklichkeit in konkreten Bildern und mit idealen Sympathien behandelt sind.
Tief gedacht und edel sind diese Dichtungen nach Inhalt, klassisch vollendet im Stil, klar, klingend und melodiös ist die Form. Kein gleichzeitiger oder früher lebender schwedischer Dichter hat mit größerm Sinn für Schönheit, Harmonie und Gedankenfülle die schwedische Sprache in die Formen des Verses gegossen als er. Karl Snoilsky hat in seinen drei Sammlungen »Dikter« (1881,1886,1887) den Einfluß der Zeitströmung deutlich verraten, sie legen warme Sympathie mit den hart arbeitenden Klassen an den Tag, und sein Stil ist realistischer geworden, ohne darum die Vorzüge einzubüßen, die des Dichters Schöpfungen bis dahin ausgezeichnet hatten. In einer glänzenden Diktion malt er mit wenigen farbenreichen und sprechenden Zügen Bilder aus Schwedens Geschichte, aus der Natur und dem Leben, das uns umgibt. A. T. Gellerstedt, welcher sich früher durch eine kleine Gedichtsammlung einen geachteten Namen gemacht, gab 1881 eine neue Sammlung »Dikter« heraus, die sich durch feinen Natursinn und wahres, edles Gefühl auszeichneten. C. D. af Wirsén, welcher als Kritiker heftig und nicht immer glücklich den Realismus bekämpfte, hat sich hauptsächlich einen Namen als Verfasser von Gedichten zu vaterländischen Festen, Denkfeiern und andern Gelegenheiten erworben.
Verschiedene jüngere Schriftsteller sind in dieser Zeit noch aufgetreten, ohne sich an die herrschende Richtung anzuschließen, obgleich diese nicht ganz ohne Einfluß auf sie geblieben ist: so der Dramatiker Harald Molander, die Novellistinnen Helena Nyblom, Amanda Kerfstedt, Anna Wahlenberg, der Novellist Ernst Lundqvist etc., die Dichter Daniel Fallström, Hugo Tigerschiöld, K. A. Melin etc. Puck Munthe hat mit feinem Humor, großer Ursprünglichkeit und wahrem Gefühl gezeichnete Skizzen in zwei Sammlungen herausgegeben, und Sigurd (Alfred Hedenstjerna) hat mit seinen etwas sentimentalen Novellen, seinen Humoresken und Burlesken große Popularität erlangt, aber nicht in eben dem Maße bei der Kritik sich Ansehen verschafft.
Wissenschaftliche Litteratur.
In der Litteraturgeschichte wurde in dieser Periode fleißig und mit Erfolg gearbeitet. Gustav Ljunggren hat seine umfassende Arbeit »Svenska vitterhedens häfder«, ausgezeichnet durch gründliche Forschung, Zuverlässigkeit in den Angaben, Feinheit in der Analyse und Sicherheit in der Charakteristik, fortgeführt. Vier Bände sind bis jetzt erschienen und ¶