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Ingenieurkriegsschule, 1 Infanteriejunkerschule (in Moskau) [* 2] mit dem Lehrplan der Kriegsschule, 1 Pagenkorps, 1 finnländisches Kadettenkorps zur Heranbildung der Offiziere aus den Kadetten, mit zusammen 2482 Zöglingen; 8 Infanterie-, 2 Kavallerie-, 3 Kosakenjunkerschulen, mit zusammen 3220 Zöglingen; 1 Militärtelegraphenschule mit 40 Junkern. Ferner die Nikolaus-Generalstabsakademie zu 210 Offizieren für den Generalstab; die Michael-Artillerieakademie für 60 Offiziere; die Nikolaus-Ingenieurakademie für 75 Offiziere und die militär-juristische Akademie für 45 Hörer.
Im J. 1888 wurde der Heereshaushalt auf den Zeitraum von 5 Jahren, bis 1893, berechnet und auf Höhe von 1,058,266,485 Rubel bewilligt. Für 1890 ist das Heeresbudget auf 222,041,314 Rub. veranschlagt; für Umbewaffnung sind an außerordentlichen Ausgaben noch 10½ Mill. Rub. angesetzt.
Flotte. Die Maßnahmen Rußlands zur Befestigung seiner Herrschaft über das Schwarze Meer finden sprechenden Ausdruck in der Stärkung seiner maritimen Streitmacht daselbst, sowohl der offensiven als defensiven, der Kriegsflotte wie der Küstenbefestigung. Ist die Zahl der Schlachtschiffe im Schwarzen Meer auch noch klein, so gehören sie doch zu den besten der heutigen Zeit; 3 Panzerschiffe [* 3] von je 10,800 und eins von 8118 Ton. sind bereits fertig, ein neues von 10,180 T. befindet sich im Bau; diese neuen Schiffe [* 4] haben eine Fahrgeschwindigkeit von 15-17 Knoten und eine starke Geschützarmierung von 30,5 cm Obuchowschen Gußstahlkanonen. 6 Kreuzer von 1224 T. und 20 Knoten Geschwindigkeit sind fertig, 4 dergleichen im Bau.
Der von Schichau in Elbing [* 5] gebaute Torpedokreuzer »Leutnant Kasarsky« von 350 T., 3500 Pferdekräften und 21 Knoten Geschwindigkeit, der 1890 vom Stapel lief, ist so zufriedenstellend ausgefallen, daß bereits 2 gleiche Kreuzer nachbestellt sind, welche im Frühjahr 1892 abgeliefert werden müssen. Das im J. 1890 von Schichau erbaute Torpedoboot Adler [* 6] von 150 T., 2200 Pferdekräften hat mit seinen 26 Knoten Geschwindigkeit großes Aufsehen erregt. Der Hafen von Sebastopol [* 7] soll vom Jahre 1893 ab nur als Kriegshafen dienen, und die dazu noch erforderlichen Bauten sind 1890 in Angriff genommen. In Inkerman wird dafür ein Handelshafen angelegt. Auch in Batum [* 8] wird zum Schutz des Kriegshafens eine große Mole [* 9] mit Panzerbefestigungen erbaut.
[Litteratur.]
»Annuaire statistique de la Russie 1890« (in russ. Sprache); [* 10]
A. Blau, Die Flachsproduktion und der Flachshandel Rußlands (Petersb. 1888, russ.);
Baron Th. Russisches Ungern-Sternberg, Über den Weinbau an der Südküste der Krim [* 11] (das. 1888, russ.);
O. A. Grimm, Fishing and hunting on Russian waters (1886);
»Historische Umschau der 50jährigen Thätigkeit des Domänenministeriums von 1837 bis 1887« (Petersb. 1887, russ.);
N. K. Genko, Die Wälder des europäischen Rußland (1888, russ.);
W. Sudejkin, Die Operationen der Reichsbank (Petersb. 1888, russ.);
Vasili, La sainte Russie (Par. 1889, illustr.);
Dalton, Die evangelische Kirche in Rußland (Leipz. 1890);
Schuler, Dislokationskarte der russischen Armee (Wien [* 12] 1889).
Geschichte.
Obwohl die Ruhe im Reiche 1890 nicht gestört wurde, so fehlte es doch nicht an mancherlei Anzeichen fortdauernder Gärung. So kam es wiederum zu Studentenunruhen, da sich die akademische Jugend durchaus nicht an den unwürdigen Zustand völliger Unfreiheit gewöhnen konnte, welcher auf den russischen Universitäten herrschte, seitdem bei ihnen das Statut vom eingeführt war; dasselbe nötigte den Professoren ein vom Ministerium ausgearbeitetes Lehrprogramm auf und übertrug die Universitätsverwaltung an vom Unterrichtsminister ernannte Beamte, meistens bescholtene, verächtliche Persönlichkeiten.
Als dies Statut auch an der Petrowski-Akademie eingeführt wurde, erhoben die Studenten in einer Versammlung Einspruch, worauf 175 Studenten verhaftet und 30 davon in Strafbataillone eingereiht wurden. Die Studenten der Universitäten Moskau, Petersburg [* 13] und andrer Hochschulen beschlossen darauf Gesuche an den Kaiser um Aufhebung des neuen Statuts und Wiederherstellung der freien Universitätsordnung von 1864; alle Unterzeichner wurden von der Polizei eingesteckt.
Durch einen kaiserlichen Ukas vom wurde die selbständige Thätigkeit der am geschaffenen Semstwos (Landschaftsverwaltungen) erheblich beschränkt, wie es hieß, »damit die genannten Verwaltungen in dem ihnen angewiesenen Wirkungskreis und in gehöriger Übereinstimmung mit den andern Regierungseinrichtungen die ihnen übertragene wichtige staatliche Befugnis mit größerm Erfolg erledigen könnten«. Die Semstwos wurden hinsichtlich ihrer Zusammensetzung und ihrer Beschlüsse ganz von den Gouverneuren abhängig.
Die Finanzen des Reiches gestalteten sich unter der energischen Leitung des Finanzministers Wyschnegradski vorteilhaft, da die letzten Ernten günstig ausgefallen waren. Der Bau der großen Eisenbahn quer durch Sibirien bis zum Stillen Ozean, der 1891 begonnen wurde, versprach große wirtschaftliche Vorteile. Die Lage der bäuerlichen Bevölkerung [* 14] war freilich noch immer kläglich genug, wie auch die erheblichen Steuerrückstände bewiesen. Die Regierung war bemüht, die Landwirtschaft zu heben, doch konnten ihre Maßregel den trägen und beschränkten Bauern wenig helfen.
Deren Haß richtete sich gegen die Juden, und die Regierung kam dem entgegen, indem sie erst die Juden nach den westlichen Provinzen zusammendrängte und ihnen dann auch hier den Aufenthalt in den Dörfern verbot, so daß sie alle in den nicht zahlreichen Städten Zuflucht suchen mußten, wo sie kaum Unterkunft, geschweige denn Lebensunterhalt fanden. Die Erwerbung und den Besitz von Grundeigentum beschloß die Regierung den Juden durch Gesetz zu verbieten. Die Auswanderung war ihnen aber auch erschwert, da Preußen [* 15] seine Grenze gegen sie sperrte und die Vereinigten Staaten [* 16] von Nordamerika [* 17] mittellose Auswanderer nicht mehr aufnehmen. Als 1890 die Auswanderung auch der Bauern, besonders aus Polen, nach Brasilien [* 18] einen großen Umfang nahm, schritt die Regierung mit Waffengewalt dagegen ein.
Die äußere Lage Rußlands blieb unverändert. Der Zar versicherte bei jeder Gelegenheit seine Friedensliebe, und die russische Regierung verzog bei der Vereitelung ihrer Ränke in Bulgarien [* 19] und der Bestrafung der Opfer derselben keine Miene. Dagegen wurden die Rüstungen [* 20] immer fortgesetzt, 1890 auch der Landsturm organisiert. Die Truppenmassen an der Westgrenze, besonders an der Grenze von Österreich-Ungarn [* 21] und Rumänien, erfuhren immer neue Verstärkungen, immer neue Eisenbahnlinien wurden erbaut. Nachdem in Ingermanland im August 1890 zu Ehren des deutschen Kaisers, der den Besuch des Zaren erwiderte, die üblichen Manöver abgehalten worden, wurden im Südwesten bei Rowno 150,000 Mann zusammengezogen, die Anfang September in Anwesenheit des Zaren große Marschübungen und strategische und taktische Operationen ausführten; die zwei Heere, die ¶
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gebildet worden waren, wurden von den Generalen Gurko und Dragomirow befehligt, welche man als die Feldherren des künftigen Krieges ansah. Die Schmeicheleien und Höflichkeitsbezeigungen, in denen sich die Franzosen erschöpfen, nahm man in Rußland gern entgegen. Man gefiel sich in dem Bewußtsein, daß der Friede Europas von dem russischen Belieben abhänge, Die Bestrebungen, alle unter dem Zepter des Zaren stehenden Lande in Kultur, Sprache und Religion mit Rußland zu verschmelzen, wurden rücksichtslos fortgesetzt und sogar auf Finnland (s. d.) ausgedehnt. Die deutschen Kolonisten in Südrußland waren der gewaltsamen Russifizierung wehrlos preisgegeben.
Russische Eroberungen in Zentralasien.
(Hierzu die Übersichtskarte.)
Peter der Große that die ersten Schritte, um Rußland einen Einfluß in Innerasien zu sichern. Er wollte einen Handelsweg nach Indien bahnen, da er schon damals die hohe Wichtigkeit Mittelasiens für Rußland in handelspolitischer Beziehung erkannt hatte. Deshalb richtete er 1714 eine Expedition unter dem Tscherkessenfürsten Alexander Bekowitsch nach Chiwa aus, dessen Chan sich schon 1700 zum russischen Unterthan erklärt hatte. Als aber die Russen sich dem Gebiet Chiwas näherten, fanden sie bewaffneten Widerstand.
Der zu dieser Zeit regierende Chan erkannte das russische Unterthanenverhältnis nicht mehr an. Durch Verrat fanden die russischen Expeditionstruppen ihren Untergang. Einen Erfolg hatte dieser Zug der Russen indessen doch gehabt: die zwischen der Wolga und dem Ural wohnenden Kirgiskaisaken wurden russische Unterthanen. Im J. 1725 lief die Südgrenze Rußlands in Asien [* 23] längs der Flüsse [* 24] Ural und Migas über Kurgan nach Omsk, längs des Irtisch und der Vorberge des Altai zwischen Biisk und dem Jelezkischen See hindurch, an den Quellen des Abakan vorbei nach der jetzigen Grenzlinie mit China [* 25] hin. Das Gebiet aller nach N. sich ergießender Ströme war im Besitz Rußlands; in Mittelasien gehörte ihm aber noch kein Fuß breit Landes. Den Kirgiskaisaken folgten 1732 die Kirgisen der kleinen und mittlern Horde. Die Kaiserin Anna nahm sie in ihren Unterthanenverband auf und erwarb somit die Landstrecke zwischen dem Ural und dem Balchaschsee.
Erst nach einer fast 100jährigen Pause wurden gegen 1820 die mittelasiatischen Angelegenheiten von Rußland wieder aufgenommen. Innerhalb des Gebietes der kleinen und mittlern Horde der Kirgisen wurden befestigte Punkte angelegt; es entstanden Linien zum Schutze der Grenzen [* 26] und zur Erhaltung der Kirgisen in Botmäßigkeit. Dieser Zweck wurde nicht erreicht: Chiwa schürte die Unruhen im russischen Gebiet und bot auch den Rädelsführern eine gesicherte Zuflucht.
Deshalb wurde der General Perowski, Generalgouverneur von Sibirien, zu einer zweiten Expedition gegen Chiwa entsandt. Vorerst legte man an der Emba etwa 400 km südlich Orenburg den Posten Embinsk und 100 km weiter südlich nach dem Ust-Urtplateau den Posten Ak-Bulak an. Das Expeditionskorps bestand aus 4400 Mann mit einem Train von 2012 Pferden, 10,400 Kamelen und 2000 kirgisischen Führern. Am brach man vom Ural auf, im Winter, um in den fast wasserlosen Steppen vor Wassermangel geschützt zu sein.
In dem außergewöhnlich strengen Winter erreichte man bei -32° R. und unter Schneestürmen Emba-Posten und Anfang Februar Ak-Bulak. Ein weiteres Vordringen war unmöglich, 13. Febr. wurde der Rückmarsch angetreten, und nach einem Verlust von 1600 Mann rückte man in Orenburg wieder ein. Dieser Mißerfolg war der Grund eines Aufstandes der Kirgisen, der erst 1842 niedergeworfen wurde. Es entstanden die Posten Uralskoje am Irgis, Orenburgskoje am Turgai und, nachdem auch die große Horde der Kirgisen die Oberherrschaft Rußlands anerkannt hatte, Kopal südöstlich des Balchaschsees. 1847 lief die russische Grenze von dem Alataurücken über den Ili zum Tschu, längs desselben zur Mündung des Sir Darja, wo der Posten Raimskoje angelegt wurde.
Man ging den Sir Darja aufwärts: es entstanden an der Stelle des heutigen Kasala Fort 1 und nach Einnahme des dem Chan von Kokan gehörigen Kosch-Kurgan Fort 2. 1853 wurden die Widerstand leistenden Kokanzen bei Akmetschet geschlagen, wo das Fort Perowski angelegt wurde. 1854 war Rußland im Besitz einer 350 km langen, gut befestigten Strecke des Sir Darja. Durch den Krimkrieg gelähmt, wurde die Sir-Linie erst 1860 durch die Einnahme von Djulek und Jany-Kurgan um weitere 150 km verlängert. Zur Umschließung des nördlich gelegenen Steppengebiets nahm man 1864 von Kopal aus die Festung [* 27] Aulie-Ata, von Djulek aus die Stadt Turkistan und mit den beiden jetzt vereinigten Kolonnen das noch südlicher gelegenen Tschimkent. Es wurden 116,000 QWerst Rußland einverleibt.
Nach Auseinandersetzungen mit England, wobei eine russische Note vom ausführte, daß Rußland die Verpflichtung habe, im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ruhe sowie in Rücksicht auf die Handelsverbindungen eine Oberherrschaft über die benachbarten Nomadenstämme auszuüben, wurde 1865 das neueroberte Land (40,000 QWerst) mit der Sir Darjalinie und den Erwerbungen am See Issi-kul, wo man vom Fort Wiärnoje her bis an den Naryn vorgegangen war, zu dem Grenzbezirk Turkistan verbunden und in russische Verwaltung genommen.
Rußland ging weiter: wurde die Chokand gehörige Stadt Taschkent nach einem dreitägigen Kampfe genommen. Der Chan von Chokand, Alim-kul, fiel. Ebenso kamen Tschinas und Keleutschi in russischen Besitz. Nach dem Tode Alim-kuls hatte sich der Emir von Bochara in den Besitz der Städte Chokand und Chodshent gesetzt. Behufs Grenzregulierung trat der Emir von Bochara mit dem russischen Gouverneur des Grenzgebiets Turkistan, Tschernajew, in Unterhandlungen.
Sie hatten keinen Erfolg: Rußlands Ansehen sank, des Emirs Macht hob und befestigte sich. Tschernajew wurde durch den General Romanowski ersetzt. Letzterer nahm im Frühjahr 1866 die Offensive wieder auf. Der Emir wurde auf der Ebene Irdjar geschlagen; 24. Mai fiel nach einer achttägigen Belagerung Chodshent, der letzte Stützpunkt der Bocharen im Thale des Sir Darja. Ende 1866 war der Kaschgar-Dawanrücken die Südgrenze Rußlands in Mittelasien und wieder 30,000 QWerst gewonnen. Im Frühjahr 1867 wurde Jany-Kurgan, ein Gebiet von 2600 QWerst, dem Emir von Bochara entrissen. Stand bisher das eroberte Gebiet in Mittelasien unter der Leitung des Gouverneurs von Orenburg, so erging der Befehl zur Bildung eines Selbständigen Generalgouvernements Turkistan unter dem General Kaufmann.
Der Emir von Bochara ließ von seinen Feindseligkeiten nicht ab. Er wurde auf den Höhen vor Samarkand von den Russen geschlagen. Samarkand ¶