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Budgeteinnahme für 1889 | Veranschlagte Einnahme für 1890 | |
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Reichseinnahmen | ||
1) Gewöhnliche Einnahmen. Steuern: direkte | 85687769 | 87129984 |
indirekte und Gebühren | 478345600 | 491259268 |
Regierungsregalien | 32330371 | 34665053 |
Staatseigentum | 55998228 | 83766234 |
Loskaufszahlungen | 96067669 | 95802089 |
Verschiedene Einnahmen | 103883584 | 96275423 |
2) Durchgehende Einnahmen | 4149744 | 2593257 |
3) Außerordentliche Einnahmen | 9378786 | 15869465 |
4) Zur Deckung des Fehlbetrags aus der Reichsrentei | 20320059 | 40508466 |
Einnahmen im ganzen: | 895161810 | 947869239 |
Reichsausgaben | ||
1) Ordentliche Ausgaben. Staatsschuld: a) Anleihen | 205848211 | 203254765 |
b) Eisenbahnobligationen | 66720628 | 62891427 |
Oberste Regierungsinstitutionen | 2033695 | 2025313 |
Ressort des Heiligen Synod | 11174659 | 11197315 |
Ministerium des Kaiserl. Hofes | 10560000 | 10560000 |
Ministerium des Auswärtigen | 4507193 | 4833883 |
Kriegsministerium | 215569510 | 22041314 |
Marineministerium | 39383129 | 239193553 |
Finanzministerium | 112053369 | 14413569 |
Ministerium d. Reichsdomänen | 24119597 | 124526997 |
Ministerium des Innern | 75533660 | 77154875 |
Ministerium d. Volksaufklärung | 22068597 | 22908625 |
Minister. der Verkehrsanstalten | 34918763 | 55089857 |
Justizministerium | 21783787 | 23205236 |
Betriebskontrolle | 3527835 | 4024783 |
Reichsgestüte | 1131551 | 1135770 |
Deckung d. Mehrausgaben durch die voraussichtliche Preissteigerung für Proviant etc. | - | 3000000 |
Unvorhergesehene Ausgaben | 6000000 | 6000000 |
Ordentliche Ausgaben zus.: | 856934184 | 887457282 |
2) Durchgehende Ausgaben | 4149744 | 2593257 |
3) Außerordentliche Ausgaben | 34077882 | 57818700 |
Ausgaben im ganzen: | 895161810 | 947869239 |
Im Reichsbudget für 1891 sind Einnahmen wie Ausgaben auf 962,300,000 Rub. veranschlagt; und zwar betragen die gewöhnlichen Einnahmen 897,1 Mill., die durchgehenden 3,5 Mill., die außerordentlichen 13,7 Mill., und aus dem Barbestand der Reichsrentei sollen 47,7 Mill. entnommen werden. Von den Ausgaben entfallen auf die ordentlichen 895,3 Mill., die durchgehenden 3,5 Mill. und die außerordentlichen 63,4 Mill. Rub.
Heerwesen.
Die Dienstzeit im stehenden Heer beträgt seit 18 Jahre, davon 5 Jahre bei der Fahne, 13 Jahre in der Reserve, darauf Übertritt in die Reichswehr. Die Reservisten sind zu zwei sechswöchentlichen Übungen verpflichtet. Die Transkaukasier und Fremdvölker des Kuban- und Terekgebiet dienen 3 Jahre bei der Fahne und 15 Jahre in der Reserve. In Finnland, wo die allgemeine Wehrpflicht seit besteht, beträgt die Dienstzeit bei der Fahne 3, in der Reserve 2 Jahre.
Die Dienstzeit bei der Fahne verkürzt sich bei Ausgehobenen mit dem Abgangszeugnis von den Universitäten, Realschulen und Gymnasien auf 2, von den Stadt- und Kreisschulen auf 3, von den Volksschulen auf 4 Jahre, aber entsprechend länger in der Reserve. Die freiwillig mit dem Abgangszeugnis von Universitäten, Gymnasien und Realschulen eintreten, dienen nur 1 Jahr bei der Fahne, 12 Jahre in der Reserve, und die andrer Lehranstalten, welche eine Prüfung bestehen, 2 Jahre aktiv und 12 Jahre in der Reserve. Es werden jährlich 241,000 Rekruten in die Armee, 14,000 in die Flotte, Grenzwache und Konvoikommandos eingestellt.
Unter den Ausgehobenen befanden sich 1888: 70 Proz. Analphabeten. Die Armee wird eingeteilt in 1 Gardekorps, 1 Grenadierkorps, 17 Armeekorps, 1 kaukasisches Korps; zum Gardekorps (Petersburg), [* 2] Grenadierkorps (Moskau), [* 3] 1. Armeekorps (Petersburg) und kaukasischem Korps (Tiflis) gehören je 3, zu allen übrigen Armeekorps je 2 Infanteriedivisionen, zum Gardekorps 2, zu allen übrigen Korps 1 Kavalleriedivision, das 1., 13., 16. und 17. Korps hat keine Kavalleriedivision, das kaukasische Korps 2 Kosakendivisionen; zu jedem Korps gehören so viel Feldartilleriebrigaden wie Infanteriedivisionen, deren Nummer sie auch führen.
Die Stabsquartiere der übrigen Armeekorps sind: 2. Wilna, [* 4] 3. Riga, [* 5] 4. Minsk, 5. und 6. Warschau, [* 6] 7. Sebastopol, [* 7] 8. Odessa, [* 8] 9. Kiew, [* 9] 10. Charkow, 11. Schitomir, 12. Kiew, 13. Moskau, 14. Lublin, 15. Warschau, 16. Witebsk, 17. Nishnij Nowgorod. Demnach bestehen 48 Infanteriedivisionen (darunter 3 Garde-, 4 Grenadier-), 18 Kavalleriedivisionen (darunter 2 Garde-, 2 kaukasische Kosakendivisionen). In Polen standen Mitte 1890 mehr als 160,000 Mann, unter diesen 22 Kavallerieregimenter, so daß auf 3 Infanteristen 1 Kavallerist kommt, während in der ganzen Armee auf 7,09 Infanteristen erst 1 Kavallerist entfällt.
Von den Reiterregimentern stehen 3 unmittelbar an der deutschen
Grenze, 6 bis zu 15 km, 3 bis 20,4 bis 30,4 bis 42, die übrigen
bis 60 km von derselben entfernt. Zunächst der
Grenze sind die Kosakenregimenter untergebracht, denen die Aufgabe des ersten
Einbruchs in deutsches Gebiet nach ausgesprochener
Kriegserklärung zufallen soll. Die
Feldartillerie zählt 280 fahrende, 19 Gebirgsbatterien
(im
Kriege 22), zusammen 302
Batterien mit 2416
Geschützen, die
Batterie zu 8
Geschützen; 86 fahrende
Batterien
haben bereits im
Frieden 8
Geschütze
[* 10] bespannt; ferner 31 reitende
Batterien zu 6
Geschützen, 3 Feldmörser
regimenter mit je 4
Batterien
zu 6
Geschützen (15
cm
Mörser) (das
erste in
Dünaburg, das zweite in Bialocerkiew, das dritte wurde Ende 1890 in
Nowogeorgiewsk
errichtet). Zu den Ingenieurtruppen gehören auch 4 Torpedokompanien, 2 baltische und 2 des
Schwarzen
Meeres, zur
Verteidigung der Häfen dieser
Meere mittels
Torpedos
[* 11] sowie 4 im
Sommer 1890 in
Warschau,
Nowogeorgiewsk,
Brest-Litewsk
und
Iwangorod errichtete Festungstelegraphensektionen.
Der Kriegsminister, welcher nur dem Kaiser verantwortlich ist, hat die Oberleitung und Oberaufsicht sämtlicher Truppen, Militärverwaltungsbehörden und Militäranstalten und das Recht, dieselben jederzeit zu besichtigen; in wirtschaftlicher Beziehung ist er jedoch von den Beschlüssen des Kriegsrats abhängig, dessen Vorsitz er führt. Die Heeresverwaltung hat sich in neuerer Zeit mit Erfolg bemüht, den Bildungsdurchschnitt des Offizierersatzes zu heben, der aus allen Schichten der Bevölkerung [* 12] hervorgeht und deshalb sehr große Verschiedenheit in Erziehung und Bildung aufweist.
Ihrer Vorbildung nach zerfallen die Offiziere in Zöglinge der Kriegs- und der Junkerschulen;
erstere ergänzen sich fast ausschließlich aus Kadetten, letztere aus Freiwilligen und ausgehobenen Mannschaften, jene werden vorzugsweise der Garde und den Spezialwaffen, diese den übrigen Truppen zugeteilt. Es bestehen 21 Kadettenkorps mit 7260 Internen zur Vorbereitung für die Kriegsschulen;
2 Militärschulen zur Vorbereitung schlecht beanlagter Kadetten für die Junkerschulen;
3 Infanterie-, je 1 Kavallerie-, Artillerie- und ¶
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Ingenieurkriegsschule, 1 Infanteriejunkerschule (in Moskau) mit dem Lehrplan der Kriegsschule, 1 Pagenkorps, 1 finnländisches Kadettenkorps zur Heranbildung der Offiziere aus den Kadetten, mit zusammen 2482 Zöglingen; 8 Infanterie-, 2 Kavallerie-, 3 Kosakenjunkerschulen, mit zusammen 3220 Zöglingen; 1 Militärtelegraphenschule mit 40 Junkern. Ferner die Nikolaus-Generalstabsakademie zu 210 Offizieren für den Generalstab; die Michael-Artillerieakademie für 60 Offiziere; die Nikolaus-Ingenieurakademie für 75 Offiziere und die militär-juristische Akademie für 45 Hörer.
Im J. 1888 wurde der Heereshaushalt auf den Zeitraum von 5 Jahren, bis 1893, berechnet und auf Höhe von 1,058,266,485 Rubel bewilligt. Für 1890 ist das Heeresbudget auf 222,041,314 Rub. veranschlagt; für Umbewaffnung sind an außerordentlichen Ausgaben noch 10½ Mill. Rub. angesetzt.
Flotte. Die Maßnahmen Rußlands zur Befestigung seiner Herrschaft über das Schwarze Meer finden sprechenden Ausdruck in der Stärkung seiner maritimen Streitmacht daselbst, sowohl der offensiven als defensiven, der Kriegsflotte wie der Küstenbefestigung. Ist die Zahl der Schlachtschiffe im Schwarzen Meer auch noch klein, so gehören sie doch zu den besten der heutigen Zeit; 3 Panzerschiffe [* 14] von je 10,800 und eins von 8118 Ton. sind bereits fertig, ein neues von 10,180 T. befindet sich im Bau; diese neuen Schiffe [* 15] haben eine Fahrgeschwindigkeit von 15-17 Knoten und eine starke Geschützarmierung von 30,5 cm Obuchowschen Gußstahlkanonen. 6 Kreuzer von 1224 T. und 20 Knoten Geschwindigkeit sind fertig, 4 dergleichen im Bau.
Der von Schichau in Elbing [* 16] gebaute Torpedokreuzer »Leutnant Kasarsky« von 350 T., 3500 Pferdekräften und 21 Knoten Geschwindigkeit, der 1890 vom Stapel lief, ist so zufriedenstellend ausgefallen, daß bereits 2 gleiche Kreuzer nachbestellt sind, welche im Frühjahr 1892 abgeliefert werden müssen. Das im J. 1890 von Schichau erbaute Torpedoboot Adler [* 17] von 150 T., 2200 Pferdekräften hat mit seinen 26 Knoten Geschwindigkeit großes Aufsehen erregt. Der Hafen von Sebastopol soll vom Jahre 1893 ab nur als Kriegshafen dienen, und die dazu noch erforderlichen Bauten sind 1890 in Angriff genommen. In Inkerman wird dafür ein Handelshafen angelegt. Auch in Batum [* 18] wird zum Schutz des Kriegshafens eine große Mole [* 19] mit Panzerbefestigungen erbaut.
[Litteratur.]
»Annuaire statistique de la Russie 1890« (in russ. Sprache); [* 20]
A. Blau, Die Flachsproduktion und der Flachshandel Rußlands (Petersb. 1888, russ.);
Baron Th. Russisches Ungern-Sternberg, Über den Weinbau an der Südküste der Krim [* 21] (das. 1888, russ.);
O. A. Grimm, Fishing and hunting on Russian waters (1886);
»Historische Umschau der 50jährigen Thätigkeit des Domänenministeriums von 1837 bis 1887« (Petersb. 1887, russ.);
N. K. Genko, Die Wälder des europäischen Rußland (1888, russ.);
W. Sudejkin, Die Operationen der Reichsbank (Petersb. 1888, russ.);
Vasili, La sainte Russie (Par. 1889, illustr.);
Dalton, Die evangelische Kirche in Rußland (Leipz. 1890);
Schuler, Dislokationskarte der russischen Armee (Wien [* 22] 1889).
Geschichte.
Obwohl die Ruhe im Reiche 1890 nicht gestört wurde, so fehlte es doch nicht an mancherlei Anzeichen fortdauernder Gärung. So kam es wiederum zu Studentenunruhen, da sich die akademische Jugend durchaus nicht an den unwürdigen Zustand völliger Unfreiheit gewöhnen konnte, welcher auf den russischen Universitäten herrschte, seitdem bei ihnen das Statut vom eingeführt war; dasselbe nötigte den Professoren ein vom Ministerium ausgearbeitetes Lehrprogramm auf und übertrug die Universitätsverwaltung an vom Unterrichtsminister ernannte Beamte, meistens bescholtene, verächtliche Persönlichkeiten.
Als dies Statut auch an der Petrowski-Akademie eingeführt wurde, erhoben die Studenten in einer Versammlung Einspruch, worauf 175 Studenten verhaftet und 30 davon in Strafbataillone eingereiht wurden. Die Studenten der Universitäten Moskau, Petersburg und andrer Hochschulen beschlossen darauf Gesuche an den Kaiser um Aufhebung des neuen Statuts und Wiederherstellung der freien Universitätsordnung von 1864; alle Unterzeichner wurden von der Polizei eingesteckt.
Durch einen kaiserlichen Ukas vom wurde die selbständige Thätigkeit der am geschaffenen Semstwos (Landschaftsverwaltungen) erheblich beschränkt, wie es hieß, »damit die genannten Verwaltungen in dem ihnen angewiesenen Wirkungskreis und in gehöriger Übereinstimmung mit den andern Regierungseinrichtungen die ihnen übertragene wichtige staatliche Befugnis mit größerm Erfolg erledigen könnten«. Die Semstwos wurden hinsichtlich ihrer Zusammensetzung und ihrer Beschlüsse ganz von den Gouverneuren abhängig.
Die Finanzen des Reiches gestalteten sich unter der energischen Leitung des Finanzministers Wyschnegradski vorteilhaft, da die letzten Ernten günstig ausgefallen waren. Der Bau der großen Eisenbahn quer durch Sibirien bis zum Stillen Ozean, der 1891 begonnen wurde, versprach große wirtschaftliche Vorteile. Die Lage der bäuerlichen Bevölkerung war freilich noch immer kläglich genug, wie auch die erheblichen Steuerrückstände bewiesen. Die Regierung war bemüht, die Landwirtschaft zu heben, doch konnten ihre Maßregel den trägen und beschränkten Bauern wenig helfen.
Deren Haß richtete sich gegen die Juden, und die Regierung kam dem entgegen, indem sie erst die Juden nach den westlichen Provinzen zusammendrängte und ihnen dann auch hier den Aufenthalt in den Dörfern verbot, so daß sie alle in den nicht zahlreichen Städten Zuflucht suchen mußten, wo sie kaum Unterkunft, geschweige denn Lebensunterhalt fanden. Die Erwerbung und den Besitz von Grundeigentum beschloß die Regierung den Juden durch Gesetz zu verbieten. Die Auswanderung war ihnen aber auch erschwert, da Preußen [* 23] seine Grenze gegen sie sperrte und die Vereinigten Staaten [* 24] von Nordamerika [* 25] mittellose Auswanderer nicht mehr aufnehmen. Als 1890 die Auswanderung auch der Bauern, besonders aus Polen, nach Brasilien [* 26] einen großen Umfang nahm, schritt die Regierung mit Waffengewalt dagegen ein.
Die äußere Lage Rußlands blieb unverändert. Der Zar versicherte bei jeder Gelegenheit seine Friedensliebe, und die russische Regierung verzog bei der Vereitelung ihrer Ränke in Bulgarien [* 27] und der Bestrafung der Opfer derselben keine Miene. Dagegen wurden die Rüstungen [* 28] immer fortgesetzt, 1890 auch der Landsturm organisiert. Die Truppenmassen an der Westgrenze, besonders an der Grenze von Österreich-Ungarn [* 29] und Rumänien, erfuhren immer neue Verstärkungen, immer neue Eisenbahnlinien wurden erbaut. Nachdem in Ingermanland im August 1890 zu Ehren des deutschen Kaisers, der den Besuch des Zaren erwiderte, die üblichen Manöver abgehalten worden, wurden im Südwesten bei Rowno 150,000 Mann zusammengezogen, die Anfang September in Anwesenheit des Zaren große Marschübungen und strategische und taktische Operationen ausführten; die zwei Heere, die ¶