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gegen den Liberalismus und mit etwas mystischem Anstrich, wenn auch sonst talentvoll, ist der Roman »Der dunkle Weg« von Kot Murlyka (Kater Murr, Pseudonym für Prof. N. Wagner). Aus der Gruppe derjenigen Schriftsteller, die dem Lesebedürfnis der Menge in mehr oder weniger guter belletristischer Form entgegenkommen, sind zu nennen: A. Michailow (A. Scheller) mit seinem Roman »Am Abgrund«; W. Nemirowitsch-Dantschenko, ein sehr fruchtbarer, lebendig schreibender und vielgelesener Erzähler, mit den Romanen: »In eiserner Faust«, »Sumpfflammen« und »Das Leben, wie es ist«;
Jassinskij, ein jüngerer begabter Erzähler, mit den Romanen: »Tragiker«, »Irinarch Plutarchow«, »Der Schatz«.
Manche treffliche Sittenschilderungen aus dem eigentümlichen sibirischen Leben bot D. Mamin in einigen Erzählungen und in dem Roman »Die Ader«. Eine Reihe jüngerer litterarischer Kräfte bewegte sich mit Vorliebe in der engern Form der Skizzen und Studien, so vor allem A. Tschechow in seinen beiden Sammlungen: »Erzählungen« und »In der Dämmerstunde«, in welchen neben vielem Richtigen auch manch scharf erfaßtes Lebensbild bei warmem Sinne für die Natur und für die Menschen sich findet.
Durch viel Wärme [* 2] mit pessimistischer Grundstimmung zeichnen sich die Skizzen von K. Baranzewitsch, »Kleine Erzählungen«, aus. Über das Skizzenhafte kommt trotz verschiedener Anläufe auch Wladimir Korolenko in seinen »Skizzen und Erzählungen« nicht hinaus, in denen die Einfachheit und der künstlerische Sinn der Darstellung angenehm den Leser berühren. Hingegen wirkt bei Matschtett in den »Novellen und Erzählungen« und »Silhouetten« bei guter Beobachtungsgabe und lebensvoller Schilderung störend eine gewisse Effektsucht.
In den »Erzählungen und Skizzen« M. Albows bildet den Hauptreiz die meist fein ausgearbeitete psychologische Analyse. Karonin (Petropawlowskij) zeigt in seinen »Erzählungen« realistische Schärfe, aber auch die unglückliche Neigung, von dem angeblich gesunden »Dorf« die Heilung für die »kranke« Intelligenz zu erwarten; so ziemlich dieselbe Richtung hält auch Gljeb Uspenskij in vielen seiner ermüdend weitschweifigen Erzählungen ein. Das Gebiet der historischen Erzählung pflegte mit Geschick G. Danilewskij (gest. 1890) in »Moskau [* 3] in Flammen« u. »Das schwarze Jahr«; Graf E. Sailhias hat auch mehrere historische Erzählungen: »Die Kammerjungfer«, »Araktschejews Sohn«, geschrieben, die jedoch hinter seinen frühern Werken bedeutend zurückbleiben. D. Mordowzews Roman aus den Zeiten der Kaiserin Katharina und Rasins Aufstand, »Für wessen Schuld?«, sowie andre historische Erzählungen desselben Verfassers sind recht lebendig, aber sehr gedehnt geschrieben. In dem Roman »Zwei Brüder« schildert N. Polewei die beiden interessanten Figuren aus der Zeit Peters d. Gr.: Fürst Wassili und Fürst Boris Golizyn.
Lyrik und Drama.
Das Gebiet der Lyrik wird gegenwärtig in Rußland recht eifrig gepflegt. Auf demselben hat sich auch ein fürstlicher Dichter hervorgethan, der unter den Initialen K. Russische [* 4] (Konstantin Romanow) schreibende Großfürst Konstantin Konstantinowitsch, ein Vetter des Zaren, Sohn des Großfürsten Konstantin Nikolajewitsch. Seine »Gedichte« (2 Bde.) zeichnen sich durch Gefühl und Stimmung, graziöse Form und geschmeidigen Vers aus. Ein nicht unbedeutendes lyrisches Talent entfaltete der zeitweilig in einem Irrenhaus gewesene K. Fofanow in seinen »Gedichten«, in denen eine frische, bilderreiche Phantasie sich in künstlerischer Weise mit warmer Empfindung und tieferm Gehalt verbindet.
Etwas schwerfälliger ist die lyrische Dichtung Minskijs (Nikolai Wilenkin),
durch dessen »Gedichte« ein stark pessimistischer Zug hindurchgeht, zum Teil hervorgehend aus den Klagen um die Schicksale seines Vaterlandes, das sich nicht zu Freiheit und Licht [* 5] hindurch zu kämpfen vermag; seine Dichtung ist, ein reicheres Stoffgebiet umfassend, oft von schönem, poetischem Schwung. Ähnlich verhält es sich auch um die »Gedanken und Lieder« von S. Frug, der gern hebräische Motive verarbeitet, und dessen Lyrik ein grüblerischer Ernst eigen ist.
Der Reiz der »Gedichte« von A. Apuchtin beruht hauptsächlich auf der einfachen künstlerischen Grazie seines melodischen Verses und seiner weichen elegischen Stimmung, welche in den »Gedichten« von S. Andrejewskij in oft verzweiflungsvolle Schwermut über das Vergängliche alles Irdischen übergeht. Des 1887 verstorbenen Nadsson »Gedichte« spiegeln mit innigem Wahrheitston Erlebtes und Empfundenes, sind aber in der Form oft zu wenig durchgebildet, was zuweilen auch bei Andrejewskij vorkommt.
Unter den ältern russischen Lyrikern haben namentlich Jakob Polonskij und Apollonius Maikow in verschiedenen Journalen einzelne gute Gedichte veröffentlicht (letzterer unter anderm das schöne Poem »Brunhilde« im »Russki Westnik«); ferner haben zwei Lyriker von Talent, Graf A. Golenistschew-Kutusow und Fürst D. Zertelew, sich durch viele stimmungsvolle Gedichte hervorgethan, und letzterer auch durch eine sehr getreue und geschickte Übersetzung vieler Szenen aus Goethes »Faust«. Gute Übersetzungen von Gedichten Goethes, Schillers und Heines hat auch L. Michailow in seinen »Gedichten« geliefert. Die satirischen Gedichte W. Burenins: »Pfeile«, richten sich mit manchem treffenden Schlage gegen verschiedene Erscheinungen des Tages.
Auf dramatischem Gebiet hat des Grafen L. Tolstoi Trauerspiel »Die Macht der Finsternis« das meiste Aufsehen gemacht. Es ist ein Werk naturalistischen Gepräges, das einige packende dramatische Szenen hat, aber künstlerisch unverarbeitet ist, mit grausen Effekten operiert und direkt didaktische Zwecke der Volksunterweisung verfolgt. Die Ausführung desselben ist in Rußland verboten. Noch deutlicher als in diesem Drama hat Graf Tolstoi seinen kulturfeindlichen Tendenzen in dem Lustspiel »Die Früchte der Aufklärung« Ausdruck gegeben, in welchem der Hypnotismus als eine Frucht der Aufklärung verspottet wird, wobei verschiedene Seitenhiebe gegen moderne Wissenschaft und Kultur überhaupt gerichtet werden; das Stück ist stellenweise witzig, aber ganz formlos und besteht nur aus aneinander gereihten Szenen ohne innern Zusammenhang.
Das hohe Drama fand sehr geringe Pflege; es sind nur zu nennen zwei mittelmäßige Dramen von Buren in: »Der Tod der Agrippina« und »Theodora«. Unter den Werken, die durch die Bühne bekannt geworden sind, gibt es auch nur wenige, die einigermaßen litterarischen Wert haben. Im allgemeinen bewegt sich die russische Bühnendichtung ganz in den Bahnen der französischen Theaterstücke, hauptsächlich nur die aus ehelichen Mißverhältnissen hervorgehenden Konflikte behandelnd, und zwar in ausgesprochen realistischer Richtung. So A. Tschechow in seinem Trauerspiel »Iwanow«, in welchem der Titelheld jenem Kreise [* 6] der halt- und charakterlosen Vertreter der russischen Gesellschaft entnommen ist, die an der eignen Unklarheit und Unbestimmtheit zu Grunde gehen, ¶
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nachdem sie Frau wie Geliebte unglücklich gemacht. Nach seinem Roman »Die Umwälzung« hat Markewitsch ein recht wirkungsvolles Bühnenstück, »Olga Ranzew«, verfaßt, dessen Heldin, die ihrem Gatten mehrmals die Treue gebrochen, schließlich von allen verlassen wird und stirbt. In dem Drama »Tatjana Repina« zeichnet A. Suworin eine begabte, leidenschaftliche Schauspielerin, die sich aus Verzweiflung über einen ungetreuen Liebhaber auf der Bühne vergiftet. Als dramatische Sittenbilder sind Viktor Krylows Schauspiele: »Eine Familie« und »Der Zwiespalt« zu erwähnen. Überhaupt aber ist es im modernen Rußland, welches gegenwärtig keinen einzigen dramatischen Dichter von Ruf und Bedeutung hat, um die dramatische Produktion sehr schwach bestellt.
Litteratur- und Kunstgeschichte.
Die litterarhistorische Forschung ist in Rußland im letzten Jahrzehnt an Umfang und Bedeutung beträchtlich gewachsen und hat eine Reihe bemerkenswerter Beiträge aufzuweisen. In zwei Bänden: »Untersuchungen zur russischen Litteratur und Aufklärung« bietet der Akademiker M. Suchomlinow wertvolles Material zur Charakteristik der Stellung der Litteratur in den Zeiten Alexanders I. u. Nikolaus' I., unter anderm auch die bisher dunkle Episode der Ausweisung des deutschen Dichters Ernst Raupach aus Rußland im J. 1820 urkundlich beleuchtend.
Eine sorgsame und gewissenhafte Arbeit hat W. Maikow in seinen »Skizzen aus der Geschichte der russischen Litteratur des 17. und 18. Jahrhunderts« geliefert, und A. Neseljonow eine interessante Untersuchung über »Die litterarischen Richtungen unter Katharina II.« geboten. In den »Skizzen zur Geschichte des russischen Dramas« hat O. Morosow ein reiches Material zur Entwickelungsgeschichte [* 8] des russischen Theaters zusammengetragen, während Prof. A. N. Wesselowskij in dem Werke »Aus der Geschichte des Romans und der Erzählung« Erzeugnisse der russischen Dichtung vom Standpunkt der vergleichenden Litteraturgeschichte beleuchtet.
Eine mehrbändige Untersuchung, welche vielfach charakteristisches Material für die neuere russische Litteratur 1885-90 beibringt, hat Prof. N. Barssukow »Pogodin und seinen Werken« gewidmet. Die neueste russische Litteratur 1885-90 analysiert K. Arssenjew in seinen »Kritischen Studien zur russischen Litteratur«, und Prof. Orest Müller hat in seinem gänzlich umgearbeiteten Werke: »Die russischen Schriftsteller nach Gogol«, eingehend die Werke der hervorragenden russischen Belletristen (Turgenjew, Dostojewski etc.) erläutert. Als ein wichtiges Hilfsmittel zur Orientierung über die umfassende Puschkin-Litteratur (einschließlich der in andern europäischen Sprachen über denselben erschienenen Schriften, Artikel, Übersetzungen) ist Meshows bibliographisches Werk »Puschkiniana« zu nennen. In neuer Auflage ist Alexander Pypins wichtige Untersuchung: »Charakteristik der litterarischen Strömungen in den 20er bis 50er Jahren« erschienen.
Auch für Kunst und Kunstgeschichte entfaltet sich ein regeres Interesse. Von großem Wert auch für die europäische Kunstforschung ist die von dem Grafen I. ^[Ivan] Tolstoi und Prof. Kondakow unternommene Herausgabe »Russischer Altertümer in Denkmälern der Kunst«. Bis jetzt sind drei Lieferungen, Abbildungen und Text, erschienen, von denen die erste die in Rußland gefundenen griechischen Altertümer, die zweite die skythisch-sarmatischen und die dritte Altertümer aus den Zeiten der Völkerwanderung enthält.
Die Ausgabe ist ungemein sorgsam und kostbar. Ferner sind von allgemeinem Interesse: W. Stassows Werk über »Das orientalische und slawische Ornament« und die noch im Erscheinen begriffene »Sammlung altbyzantinischer und altrussischer Ornamente« [* 9] des Fürsten G. Gagarin. Die Monographie von W. Susslow: »Skizzen zur Geschichte der altrussischen Architektur« ist ein wertvoller Beitrag auf einem noch wenig erforschten Gebiet, ebenso wie Martynows Prachtausgabe der »Alten Baudenkmäler in der Umgebung von Moskau«.
Von Bedeutung ist D. Rowinskijs »Katalog russischer gravierter Porträte«, [* 10] in 6 Bänden die Beschreibung (nebst Abbildungen) von 10,000 Porträten enthaltend. Sehr fleißig und ausführlich ist von Prof. Somow ein neuer »Katalog der italienischen und spanischen Schulen der kaiserlichen Eremitage« zusammengestellt worden. In dem Werk »Unsre Künstler« hat Th. Bulgakow ein biographisches Werk russischer Künstler mit Porträten derselben herausgegeben, doch sind die darin enthaltenen Abbildungen recht mittelmäßig.
Für Unterhaltung und Ausbreitung des allgemeinen Kunstinteresses sorgt seit 1885 mit Erfolg die Monatsschrift »Westnik isjáschnych isskússtw« (»Bote der schönen Künste«),
herausgegeben von der Petersburger Akademie der Künste. Das wachsende Interesse für Kunst und Kunstgeschichte zeigt sich auch darin, daß mehrfach kunsthistorische deutsche Werke ins Russische übersetzt worden sind, so unter anderm Lübkes »Grundriß der Kunstgeschichte«, des Professors Knackfuß Werk über Rembrandt, und andre Schriften.