erstaunlichsten Vorkommnissen des
Spiritismus u. dgl. die transcendentale
Freiheit der
Seele vom Kausalgesetz, ihre organisatorische
(den Leib bildende)
Kraft
[* 2] und ihre individuelle
Unsterblichkeit ableiten (hierzu vgl. die
Zeitschrift
»Sphinx«;
[* 3] die
Schriften
von du
Prel:
»Philosophie der
Mystik«, Leipz. 1885; »Monistische
Seelenlehre«, das. 1888;
»Studien aus dem Gebiete der Geheimwissenschaften«,
das. 1890). Solche, einem Glaubensbedürfnis entsprungene
Spekulationen gehören kaum mehr der Erfahrungswissenschaft
Psychologie, sondern vielmehr einer
12)
Philosophie der an. Ebenso nämlich wie alle Erfahrungswissenschaften schließlich auf einen
Punkt angelangen, wo das philosophische
Nachdenken in
Hypothesen, welche über die
Erfahrung hinausgehen, einen systematischen Zusammenschluß wagt, ebenso setzt sich
an die Psychologie, nachdem sie die psychischen Vorgänge beschrieben und auf
Gesetze zurückgeführt hat, eine
Erwägung über die tiefern
Gründe dieser
Gesetze an. Es gibt keine rationale oder spekulative Psychologie, sondern nur eine
Philosophie
der Psychologie. In Verkennung dieses einfachen
Thatbestandes wähnen noch heute die Hegelianer, daß sie Psychologie treiben, wenn sie
das
Wesen der
Seele aus dem
Verhältnis des
Geistes (Ideenwelt) zur eigentlich auch geistigen
Materie (Erfahrungswelt) herausdefinieren
oder eine Geschichte der
Seele schreiben, d. h. die Geschichte einer allmählichen Selbstbefreiung der geistigen
Substanz aus den
Fesseln der unorganischen
Natur, zunächst zu organischen
Trieben, hernach zu
Empfindungen und Begehrungen, endlich
zu intellektueller, moralischer und ästhetischer Thätigkeit (vgl.
Rosenkranz, Psychologie, 3. Aufl.,
Leipz. 1863;
Michelet,
Anthropologie und Psychologie, das. 1840;
Schaller, Psychologie, das. 1860). In Wirklichkeit dürfen erst am
Schluß
der empirischen Psychologie die
Fragen nach
Existenz,
Einheit,
Immaterialität und Fortdauer einer
Seele erhoben werden (über diese
Fragen
vgl.
Lotze,
Mikrokosmos, 4. Aufl., Leipz. 1885). Dann kann
auch, wie bereitsFries ahnte, die Psychologie als
Wissenschaft aller
Wissenschaften nachgewiesen werden, indem die äußern
Objekte und
ihre philosophischen Ergänzungen lediglich als innere Zuständlichkeiten betrachtet werden, die aus bestimmten psychologischen
Gesetzen entstanden sind.
Vgl.
Ballauff, Die Grundlehren der Psychologie (2. Aufl.,
Köthen
[* 4] 1890);
Eine exakte Untersuchung dieser Verhältnisse ist auf die beiden Außenglieder,
Reiz und
Empfindung, angewiesen, da
der mittlere Vorgang der nervösen Thätigkeit sich der
Beobachtung entzieht; die Psychophysik erforscht daher die
Gesetze, nach denen
die
Empfindung sich mit ihrer mittelbaren
Ursache, dem Sinnesreiz, ändert. In noch engerm
Sinn, und zwar mit Rücksicht auf
die historische Entstehung und bisherige Bearbeitung unsrer
Disziplin, läßt sich Psychophysik definieren als
Wissenschaft
von den Beziehungen zwischen der
Stärke der
Reize und der
Intensität der
Empfindungen. Dabei werden aber zwei unbewiesene Voraussetzungen
gemacht:
1) daß zwischen der
Empfindung und dem ihr direkt vorangehenden nervösen Vorgang eine strenge
Korrespondenz besteht, und
2) daß den Intensitätsunterschieden der
Reize reine Intensitätsunterschiede der
Empfindungen entsprechen.
E. H.Weber nahm zuerst das
Problem in
Angriff. Wir haben die Fähigkeit, die Verschiedenheit von Reizintensitäten
zu beurteilen
(Unterschiedsempfindlichkeit), sobald die Verschiedenheit eine gewisse
Größe (Unterschiedsschwelle) übersteigt.
Die
Unterschiedsempfindlichkeit ist aber für die Vergleichung von zwei schwachen wie von zwei starken
Reizen nicht die gleiche,
die Unterschiedsschwelle bleibt bei schwachen wie starken
Reizen nicht dieselbe, denn während man z. B. 9 g
und 13 g auf der
Hand
[* 13] als verschieden empfindet, merkt
man es nicht, wenn zu 9 kg 4 g hin zugefügt werden.
Die Unterschiedsschwelle ist von der
Stärke des ersten
Reizes abhängig; zu einem
Reize r muß, damit die
von ihm erregte
Empfindunga in eine noch eben merklich davon verschiedene b übergehe, ein um so größerer
Zuwachs x hinzugefügt
werden, je größer r selbst schon ist.
WebersGesetz lautet demnach dahin, daß zur eben merklichen Verstärkung
[* 14] einer
Empfindung
ein relativer (nämlich durch die wechselnde
Größe des erstenReizes jedesmal bestimmter)
Zuwachs erforderlich
ist.
Dieses
Prinzip findet in vielen alltäglichen
Erfahrungen seine Bestätigung, unter anderm auch darin, daß ein
Reicher 1000 Mk.
zu seinem
Vermögen hinzuerwerben muß, um dieselbe Befriedigung zu empfinden, die ein
Armer bei dem
Gewinn von 1 Mk. empfindet.
Diese Abhängigkeit der fortune morale von der fortune physique ist bereits 1738 von
DavidBernoulli erkannt
worden; das
Bernoullische Gesetz lautet (in Grotenfelts Fassung): der subjektive Befriedigungswert eines objektiven
Quantums
der
Güter ist der
Summe der von dem betreffenden
Subjekt besessenen
Güter umgekehrt proportional.
Trotz vieler solcher
Analogien ist das
Webersche Gesetz von
Hering und
Langer ganz bestritten, von
Delboeuf
und G. E.
Müller teilweise angegriffen worden. In der That findet sich das angegebene
Verhältnis nur auf dem Gebiete der
Schallempfindungen durchgehends bestätigt und innerhalb andrer Sinnesgebiete nur bei mittlerer Reizstärke; auch ist es
noch nicht ganz gelungen, die zahlreichen
Abweichungen davon auf die störende Mitwirkung andrer
Faktoren
(Ermüdung, Übung u. dgl.) zurückzuführen.
Um
Empfindungen zu erzielen, deren Unterschiede gleich merklich sind, als gleich groß empfunden werden, müssen die
Reize
nach
WebersGesetz etwa in dem
Verhältnis 4,6,9, 13½, 20½ ... stehen, weil 4/6 = 6/9 = 9/13½ = 13½/20¼ ... ist, d. h.
sie müssen eine sogen. geometrische
Reihe¶
mehr
bilden. Es fragt sich nun, ob die entsprechenden Empfindungen sich in einer ähnlichen Reihe anordnen lassen. Fechner bejaht
diese Frage, indem er eine ganz neue Voraussetzung in das Webersche Gesetz einführt, nämlich die, daß er die eben merklichen
Zuwüchse, welche nachWeber die Empfindung bei allen verschiedenen absoluten Reizgrößen erfährt, als
gleich groß annimmt, daß er also z. B. den Zuwachs, welchen die Druck empfindung erfährt, wenn wir die auf einer Hautstelle
ruhende Last von 9 g auf 13 g erhöhen, für absolut gleich groß mit demjenigen Empfindungszuwachs erklärt, welcher bei
der Zulage von 4 kg auf 9 kg Belastung entsteht.
Hiergegen wird 1) (von Stadler, F. A. Müller, Elsas u. a.) eingewendet, daß es unberechtigt sei, die Empfindung als psychisches
Phänomen ihrer Intensität nach zahlenmäßig ausdrücken zu wollen, weil es keine Einheit gebe, an der sie gemessen werden
könne. Münsterberg
[* 16] sucht diesen Einwurf durch eine sehr geistreiche Hypothese zu beseitigen; nach ihm
nämlich kommt alle Messung der Empfindungsintensitäten so zu stande, daß Muskelempfindungen zu den Reizwahrnehmungen hinzutreten
und durch die associieren Muskelempfindungen sich feste Reihen mit abmeßbaren Instanzen bilden. Entsprechend formuliert MünsterbergWebersGesetz so: Je zwei Reize rufen dieselbe Änderung der reflektorisch erregten Muskelspannung und dadurch
dieselbe als Maß der Empfindung benutzte Spannungsempfindung hervor, wenn das Verhältnis der Reize unverändert bleibt.
2) Gegen die von Fechner neu eingeführte Voraussetzung wird geltend gemacht (unter andern von Funke), es sei viel wahrscheinlicher,
daß ein Empfindungszuwachs, um merklich zu werden, im allgemeinen um so größer sein muß, je intensiver
die vorangehende Empfindung bereits ist, oder mit andern Worten, daß Empfindungsintensitäten, welche sich gleich merklich
unterscheiden, in gleichem Verhältnis zu einander stehen. Diese Verhältnishypothese führt zu einer psychologischen Auffassung
des Fechnerschen Gesetzes.
Durch sie wird das Auftreten des angegebenen gesetzlichen Verhältnisses in die Beziehung zwischen der
Empfindung und der auffassenden Thätigkeit verlegt;
in unserm Bewußtsein existiere kein absolutes, sondern nur ein relatives
Maß für die Intensität der in ihm vorhandenen Zustände;
die Empfindungsunterschiede seien relativ gleich groß, ebenso
wie die Reizunterschiede;
die Auffassung des Unterschiedes von zwei Empfindungen geschehe im Urteil mittels der Apperzeption
und zwar stets von der Grundlage des ersten Empfindungszustandes aus (Wundt, Grotenfelt).
Die psychologische
Interpretation des Fechnerschen Gesetzes sieht in ihm ein Grundgesetz der Beziehung körperlicher und seelischer Vorgänge.
Von den vier Gliedern des ganzen Vorganges a) Reiz, b) Nervenerregung, c) Empfindung, d) Urteil (über das Verhältnis der Empfindungsintensitäten)
setzt sie a = b und c = d, behauptet dagegen von der Beziehung zwischen b und c, daß die Empfindung in dem
angegebenen Maße langsamer wachse als die Nervenerregung (Fechner). Die physiologische Deutung sucht
die Erklärung für das
langsamere Anwachsen der Empfindungen nicht in diesen selbst, sondern in Eigenschaften der Nervensubstanz (G.
E. Müller).
Die Methoden der Psychophysik sind, abgesehen von den ganz einfachen, welche die Grenzwerte der empfindbaren Reize bestimmen, folgende
vier:
1) Methode der richtigen und falschen Fälle (Fechner). Zwei Farbenschattierungen, deren Unterschied scharf an der Grenze der
Merklichkeit liegt, werden in zahlreichen Versuchen verglichen, und nach jedem Versuch wird notiert, ob eine
der beiden Farben und welche derselben als hellere erscheint. Man erhält so drei Reihen von Fällen, von denen jede einen Bruchteil
der Zahl der Gesamtfälle bildet, und berechnet aus den experimentell erhaltenen Werten der drei Verhältnisse den objektiven,
für die betreffenden Farbenschattierungen bestehenden Unterschiedsschwellenwert.
3) Methode der kleinsten Unterschiede (Weber, G. E. Müller). Ausgehend von zwei gleichen Tönen wird a) der eine derselben successiv
so lange erhöht, bis gerade ein eben merklicher Unterschied eintritt. Oder umgekehrt wird b) von einer deutlichen
Verschiedenheit zweier Töne ausgegangen und einer der beiden Töne successiv so lange dem andern angenähert,
bis der Unterschied eben aufhört, merklich zu sein. Verbindet man dieses Verfahren der eben unmerklichen Unterschiede (b)
mit jenem der eben merklichen (a), so bedient man sich der Methode 3). 4) Methode der übermerklichen Unterschiede (Delboeuf,
Wundt).
Stuft man je drei Reize so ab, daß der mittlere als genau die Mitte zwischen dem ersten und dritten haltend
von uns abgeschätzt wird, so läßt sich durch wiederholte Anwendung dieses Verfahrens eine Reizskala herstellen, deren Intervalle
gleich großen Intervallen unsrer Empfindungsschätzung entsprechen. Mißt man nun die physikalische Intensität der sämtlichen
zur Anwendung gekommenen Reize, so ergibt sich hieraus unmittelbar die Beziehung zwischen der wirklichen
und der von uns mittels der Intensität der Empfindung geschätzten Reizstärke.