mehr
(0,9 Mill. T.), Hafer 2,93 Mill. T., Erbsen 0,26 Mill. T., Kartoffeln 12,39 Mill. T., Kleeheu 2,86 Mill. T., Wiesenheu 7,33 Mill. T. Nur bei Kartoffeln, dem Winterraps und Kleeheu dürfte die Ernte erheblich hinter einer Mittelernte zurückbleiben. An Hopfen wurden 1889: 15,833 Doppelzentner, an Tabak 10,621 T. Blätter geerntet. 1890 ist die mit Tabak bepflanzte Fläche (mit dem Vorjahr verglichen) von 4778 auf 5129 Hektar gestiegen. Die Weinernte ergab 1889: 281,313 hl (1888: 266,843 hl). Im Regierungsbezirk Wiesbaden war der Ertrag 1889 mit 65,840 hl um 8822 hl geringer als im Vorjahr, die Qualität aber erheblich besser. Der Bergbau lieferte 1889 folgendes Ergebnis:
Förderung | Absatzfähige Produktion | ||
---|---|---|---|
Tonnen | Tonnen | Wert (Mark) | |
Steinkohlen | 61436991 | 57889269 | 314377290 |
Braunkohlen | 14205047 | 12612432 | 31376156 |
Steinsalz | 251849 | 222821 | 1071342 |
Kalisalze | 872782 | 283070 | 4012230 |
Eisenerze | 4375283 | 4371851 | 31379718 |
Zinkerze | 707537 | 707537 | 17656433 |
Bleierze | 161972 | 159846 | 16521830 |
Kupfererze | 573230 | 573230 | 18197140 |
An Salzen aus wässeriger Lösung wurden 1889 gewonnen: 268,362 Ton. Kochsalz, 94,728 T. Chlorkalium, 48,023 T. Glaubersalz, 26,499 T. schwefelsaures Kali etc. Die Verhüttung der Erze ergab 1889 folgende Mengen: 3,218,719 T. Roheisen im Werte von 163¾ Mill. Mk., 135,972 T. Zink in Blöcken im Werte von 49⅓ Mill. Mk., 90,809 T. Blei im Werte von 23 Mill. Mk. (außerdem 2373 T. Kaufglätte), 21,668 T. Kupfer im Werte von 24⅔ Mill. Mk., 256,324 kg Silber im Werte von 32¼ Mill. Mk., 179½ kg Gold im Werte von ½ Mill. Mk., 282 T. Nickel im Werte von 1⅕ Mill. Mk., 321,093 T. Schwefelsäure im Werte von 10⅙ Mill. Mk. Die Gesamtproduktion der Bergwerke hatte 1889 einen Wert von 466,9 Mill. Mk. (1888: 410,8 Mill.), der Hüttenwerke einen solchen von 475 Mill. Mk. (1888: 427 Mill.). Die im Besitz des Staates befindlichen Bergwerke, Hütten und Salinen hatten im Etatsjahr 1888/89 ein Arbeitspersonal von 51,235 Köpfen. Bei einem Gesamtwert der Verkaufserzeugnisse von 103 Mill. Mk. (gegen 97,4 Mill. im Vorjahr) betrug der Überschuß 17⅙ Mill. Mk. (3,4 Mill. Mk. mehr als im Vorjahr). Der Mehrertrag wurde besonders durch die Steigerung des Steinkohlenbergbaus verursacht, während der Salzbergbau und die Produktion der Hüttenwerke einen Rückgang zeigten.
Industrie. Die Anwendung der Dampfkraft in der Industrie, Schiffahrt und Landwirtschaft hat in den letzten Jahren eine weitere Steigerung erfahren. Die Zahl der feststehenden Dampfkessel betrug 1890: 48,538 (1879: 32,411), die der feststehenden Dampfmaschinen 46,554 (1879: 29,895), der beweglichen Dampfkessel und Lokomobilen 12,822 (1879: 5536), der Schiffsdampfkessel 2046, der Schiffsdampfmaschinen 2007. Von den feststehenden Dampfkesseln und Dampfmaschinen wurden 1890: 24,92 Proz. im Bergbau und Hüttenwesen, 27,11 Proz. in der Nahrungs- und Genußmittelindustrie, 9,57 Proz. in der Textilindustrie benutzt. Die beweglichen Dampfkessel und Lokomobilen sind überwiegend in der Land- und Forstwirtschaft (7086) im Gebrauch und zwar besonders in den Provinzen Sachsen und Schlesien. Dagegen sind die feststehenden Dampfkessel und Dampfmaschinen am zahlreichsten in der Rheinprovinz, Westfalen und Schlesien.
Im Etatsjahr 1889/90 waren von 7035 Brauereien 6577 im Betrieb, welche 22,28 Mill. hl Bier produzierten; sie zahlten 18⅓ Mill. Mk. Brausteuer. Am bedeutendsten ist die Bierproduktion in den Provinzen Brandenburg, mit Berlin, und Rheinland, am geringsten in Posen und Westpreußen. Im Betriebsjahr 1888/89 waren von 7939 Brennereien 6744, darunter 4434 gewerbliche, im Betrieb; die Produktion belief sich auf 2,222,731 hl reinen Alkohol, woran 1,572,666 hl die niedrigere Verbrauchsabgabe zu tragen hatten.
Die Branntweinsteuer lieferte in Preußen 110½ Mill. Mk., darunter 20⅙ Mill. Mk. Maischbottich- und Materialsteuer und 90,3 Mill. Mk. Verbrauchsabgabe. Im Betriebsjahr 1889/90 waren 315 Rübenzuckerfabriken im Betrieb, welche 7,8 Mill. Ton. Rüben verarbeiteten und 960,699 T. Rohzucker nebst 191,686 T. Melasse produzierten. Von der Produktion entfallen 41 Proz. auf die Provinz Sachsen, 16 Proz. auf Schlesien und 13 Proz. auf Hannover. Der Ertrag der Abgaben auf Zucker betrug 61¼ Mill. Mk., darunter 17 Mill. Mk. Rübensteuer (nach Abzug von 45½ Mill. Mk. Steuervergütungen für ausgeführten Zucker), 7,8 Mill. Mk. zurückgezahlte Steuervergütung und 36 Mill. Mk. an Verbrauchsabgabe. Das preußische Eisenbahnnetz hatte eine Ausdehnung von 27,105 km, wovon 24,519 unter Staatsverwaltung und 2586 km unter Privatverwaltung standen. Unter den Staatsbahnen waren 8790 km zwei- und mehrgeleisige, 9239 km eingeleisige Vollbahnen, 6358 km Nebenbahnen, 132 km verpachtete Strecken. Im Bau waren 1638 km, davon 1602 km Staatsbahnen.
Der Staatshaushaltsetat für 1890/91 beziffert die Einnahmen u. Ausgaben auf 1,593,093,513 Mk., und zwar betrugen die ordentlichen Ausgaben 1,544,780,144 Mk., die einmaligen und außerordentlichen 48,313,369 Mk. In seinen Hauptposten bietet der Etat folgendes Bild:
Ordentliche Einnahmen und Ausgaben. | ||
---|---|---|
Einnahmen | Ausgaben | |
Mark | Mark | |
Landwirtschaft, Domänen, Forst | 82682334 | 39519180 |
Direkte Steuern | 165746800 | 13898100 |
Indirekte Steuern und Lotterie | 77938820 | 31572050 |
Berg-, Hütten- u. Salinenwesen | 121282170 | 102944683 |
Eisenbahnverwaltung | 852959086 | 522079184 |
Dotationen | 220675 | 260353638 |
Allgemeine Finanzverwaltung | 223717847 | 249343598 |
Staatsverwaltung | 68545781 | 325069711 |
Zusammen: | 1593093513 | 1544780144 |
Einmalige und außerordentliche Ausgaben. | ||
Für Eisenbahnzwecke | - | 17807000 |
Bauverwaltung | - | 9962000 |
Ministerium d. geistl. Angelegenh. | - | 6149852 |
Ministerium für Landwirtschaft | - | 4676545 |
Sonstige Ministerien | - | 9717972 |
Gesamtsumme: | 1593093513 | 1593093513 |
Bei der allgemeinen Finanzverwaltung sind die Beiträge zu den Ausgaben des Reiches auf 155,754,017 Mk. veranschlagt; die Staatsschuld erfordert 250,968,048 Mk., darunter für Tilgung 47 Mill. Mk. Der Voranschlag für 1891/92, welcher gegenwärtig (April 1891) dem Landtag zur Beratung vorliegt, balanciert in Einnahme und Ausgabe mit 1,720,834,749 Mk., dabei sind die ordentlichen Ausgaben mit 1,670,452,170 Mk., die außerordentlichen mit 50,382,552 Mk. angesetzt. Die Staatsschuld beträgt 5843 Mill. Mk.
Die Zahl der Sparkassen ist im Laufe des Jahres 1889 von 1363 auf 1378 gestiegen; letztere besaßen 3416 Annahmestellen, welche sich auf 2830 Orte verteilten. Die Einlagen vermehrten sich von 2888 Mill. auf 3102 Mill. Mk.; doch entfielen von diesem Zuwachs 78 Mill. Mk. auf zugeschriebene
mehr
Zinsen. Die Zahl der Sparkassenbücher vermehrte sich auf 5,3 Mill., im Durchschnitt entfielen auf ein Buch 584 Mk. Am höchsten ist der Einlagebestand in den Provinzen Westfalen (17,2 Proz. des Gesamtkapitals), Hannover (13,6 Proz.) und der Rheinprovinz (13,5 Proz.), am niedrigsten in den Provinzen Posen (1,33 Proz.), Westpreußen (1,53 Proz.) und Ostpreußen (1,66 Proz.). Die meisten Einlagen befinden sich in den städtischen (47,9 Proz.) und Kreis-, resp. Amtssparkassen (29,5 Proz.). Die Sparkassengelder sind nebst dem 209 Mill. Mk. betragenden Reservefonds meist in Hypotheken (52,4 Proz.) und Inhaberpapieren (33,2 Proz.) angelegt. Trotz der besonders in den westlichen Provinzen erfolgten Zinsherabsetzung auf 3 Proz. sind die Sparkassen in ihren Einnahmen im Vergleich zu frühern Jahren zurückgegangen, da sie die Einlagen auch zu niedrigern Zinsfuß anlegen mußten.
Geschichte
Die Sitzungen des Landtags dauerten 1890 fast fünf Monate, vom 15. Jan. bis 13. Juni; gleichwohl war ihr positives Ergebnis gering. Außer dem Haushaltsetat wurden bloß eine Erhöhung der Beamtenbesoldungen, das Rentengutsgesetz, die Eisenbahnvorlagen, die Reliktenversorgung der Volksschullehrer und das Notariatsgesetz beschlossen. Diese Unfruchtbarkeit der Verhandlungen hatte teilweise ihren Grund darin, daß die Thätigkeit des Abgeordnetenhauses durch die in den Februar fallenden Reichstagswahlen gehemmt wurde; ferner gaben bei den Budgetverhandlungen der Aufstand der Bergarbeiter in Westfalen 1889 und die sozialen Reformpläne der Regierung Anlaß zu eingehenden Besprechungen, und die Zentrumspartei brachte bei dem Kultusetat wieder alle vermeintlichen Klagepunkte in weitschweifigster Form vor, um ihre Wähler in der nötigen Kampfesstimmung zu erhalten; endlich übte der plötzliche Rücktritt Bismarcks eine so lähmende Wirkung aus, daß die Kartellmehrheit des Abgeordnetenhauses sich nicht einmal zu einer Kundgebung für den scheidenden langjährigen Ministerpräsidenten aufzuraffen vermochte.
Dazu kam, daß mehrere Gesetzvorlagen von Bedeutung wegen Uneinigkeit der gesetzgebenden Faktoren nicht zum Abschluß gelangten, so das Gesetz über die Unterhaltung der schlesischen Flüsse, über den Ersatz des Wildschadens und über die Regelung der Schulpflicht. Besonders merkwürdig war das Schicksal des Sperrgeldergesetzes. Der Entwurf desselben wurde dem Abgeordnetenhaus vorgelegt, gerade 15 Jahre nach Erlaß des Gesetzes, betreffend die Einstellung der Leistungen aus Staatsmitteln für die römisch-katholischen Bistümer und Geistlichen vom (Brotkorbgesetz), dessen § 9 bestimmte, daß über die während Einstellung der Leistungen aufgesammelten Beträge eine gesetzliche Verwendung vorbehalten werde.
Daß diese zu gunsten der katholischen Kirche erfolgen werde, war von der Staatsregierung wiederholt erklärt worden. Die aufgesammelten Beträge beliefen sich zusammen auf 16,013,731 Mk., die 3½proz. Rente hiervon auf 560,481 Mk. Der Gesetzentwurf bestimmte nun, daß diese Rente auf die verschiedenen römisch-katholischen Diözesen nach Maßgabe der aus ihnen eingekommenen Teile des Gesamtbetrags verteilt und die Unterverteilung auf Grund eines zwischen der Staatsregierung und den betreffenden kirchlichen Obern zu vereinbarenden Planes veranlaßt werde.
Die Regierung hatte sich darüber Gewißheit verschafft, daß die päpstliche Kurie gegen diese Lösung der Frage nichts Anzuwenden habe. Und da der Staat zur Rückgabe der Sperrgelder durchaus nicht gesetzlich verpflichtet war, da niemand ein Recht auf Entschädigung hatte, so konnte der Gesetzentwurf als ein Beweis friedfertiger Gesinnung und des Wunsches nach Versöhnung gelten. Dennoch war die Zentrumspartei unter Führung des unermüdlichen Agitators Windthorst mit dem Entwurf, der »mit dem Recht und den Interessen der katholischen Kirche in Widerspruch« stehe, nicht einverstanden, sondern forderte entweder Entschädigung jedes einzelnen durch Einbehaltung der Zahlungen Geschädigten, was weder gesetzlich vorgeschrieben noch ausführbar war, oder bedingungslose Herauszahlung des ganzen Kapitals an die kirchlichen Behörden.
Beides lehnte der Minister entschieden ab. In der evangelischen Bevölkerung regte sich aber der Unmut darüber, daß der katholischen Kirche große Geldsummen ohne Verpflichtung des Staates ausgeliefert werden sollten, während noch nichts für die ebenfalls versprochene Entschädigung der evangelischen Kirche für die Aufhebung der Stolgebühren geschehen war. Da nun bei der ablehnenden Haltung der Zentrumspartei der friedliche Zweck der Vorlage nicht erreicht werden konnte, so erklärten die Nationalliberalen und dann die Konservativen, welche anfangs der Annahme der Vorlage geneigt gewesen waren, sie nur dann annehmen zu wollen, wenn das Zentrum ihr zustimme.
Auch mußte dieses sich überzeugen, daß die römische Kurie und ein Teil der preußischen Bischöfe, namentlich der Fürstbischof Kopp von Breslau, gegen die Vorlage nichts einzuwenden hätten. Aber der ultramontane Graf Strachwitz hatte gleich bei der ersten Lesung in einer äußerst heftigen Rede die Vorlage als Konfiskation und Diebstahl bezeichnet, und nun konnten auch die gemäßigten Zentrumsmitglieder nicht zurück, während die Intransigenten, vor allem der Welfe Windthorst, einen Agitationsstoff wie das Sperrgesetz nicht verlieren mochten. So wurde denn das Sperrgesetz 7. Juni mit allen Stimmen gegen 14 der Deutschfreisinnigen, welche sich aus Wahlrücksichten nicht die Ungnade des Zentrums zuziehen mochten, abgelehnt, und der Kultusminister v. Goßler deutete an, daß so bald keine neue Vorlage in dieser Sache erfolgen werde.
Da das Abgeordnetenhaus den Staatshaushaltsetat nicht so rechtzeitig zu Ende beraten hatte, daß auch das Herrenhaus ihn vor 1. April hätte erledigen können, wurde die gesetzliche Gültigkeit des vorjährigen Etats durch ein besonderes Gesetz verlängert, damit das Herrenhaus die Beratung auch nach dem 1. April vornehmen konnte. Der Etat ergab in endgültiger Feststellung in Einnahme und Ausgabe 1,593,093,513 Mk., an welcher Summe die Eisenbahnverwaltung den höchsten Anteil hatte; sie ergab allein 853 Mill. Einnahmen, die übrigen Betriebsverwaltungen des Staates (Domänen, Forsten, Bergwerke etc.) 230 Mill.; aus der Reichskasse flossen 200 Mill., während die direkten Steuern und Gefälle nur 200 Mill. brachten. Die Finanzlage war günstig; die Überschüsse der Finanzjahre 1887/88 betrugen 50, 1888/89: 68¼, 1889/90 fast 90 Mill., welche Überschüsse fortan zur Tilgung der Staatsschulden verwendet werden sollen. Die Staatsschuldenlast belief sich 1890 auf 5200 Mill. Mk.
Die in der Eröffnungsrede für später in Aussicht gestellte Steuerreform wurde in dieser Sitzungsperiode nicht vorgelegt, ebensowenig die dringend notwendige Landgemeindeordnung und das Gesetz über die Schulunterhaltungspflicht. Doch ließen die Ausführungen des neuen
mehr
Ministerpräsidenten v. Caprivi, als er sich dem Landtag vorstellte, daß zwar der alte Kurs beibehalten werden solle, naturgemäß aber die kollegialische Verfassung des Staatsministeriums und damit mehrere bisher zurückgedrängte Bestrebungen fortan mehr zur Geltung kommen würden, erkennen, daß nach dem Rücktritt Bismarcks die Reformthätigkeit in Gang kommen solle. Ein Zeichen dafür, daß es der Staatsregierung damit ernst sei, war der Rücktritt des Finanzministers v. Scholz, der wohl infolge von Kränklichkeit alle Initiative verloren hatte, und die Berufung des bisherigen Oberbürgermeisters von Frankfurt a. M., Miquel, an seine Stelle, welche Ende Juni 1890 erfolgte.
Miquel, der, obwohl Führer der Nationalliberalen, sich doch von einseitigem Parteitreiben und von Vorurteilen frei gehalten hatte, genoß das Vertrauen des Kaisers in besonderm Maße, und auch die übrigen Minister begrüßten seinen Eintritt in ihre Mitte mit besten Hoffnungen. Auch noch einige andre Veränderungen fanden im Ministerium statt. An Stelle des Kriegsministers v. Verdy trat im Oktober der General v. Kaltenborn-Stachau; der landwirtschaftliche Minister v. Lucius wurde im November durch v. Heyden ersetzt.
Nun kamen die unter Bismarck vertagten Reformen wieder in Fluß. Durch die rastlose Thätigkeit der Minister wurden die Arbeiten so schnell gefördert, daß schon 12. Nov. der Landtag zusammenberufen werden konnte, um die neuen Gesetzvorlagen zu beraten. Als solche kündigte die Thronrede, mit welcher der Kaiser den Landtag eröffnete, ein neues Einkommensteuergesetz, welches an Stelle der bisherigen Klassensteuer und klassifizierten Einkommensteuer eine einheitliche Steuer mit Deklarationspflicht setzte, eine Erweiterung der Erbschaftssteuer und eine Reform der Gewerbesteuer an. »Das Ziel dieser Gesetzentwürfe«, hieß es, »ist eine gerechtere und gleichmäßigere Veranlagung der direkten Steuern und im Zusammenhang damit eine verhältnismäßige Entlastung der kleinern und mittlern Einkommen und gewerblichen Betriebe... Der nach dem Abschluß der ersten Veranlagung der direkten Steuern auf der neuen Grundlage aufkommende Mehrertrag soll schon jetzt durch eine ausdrückliche Gesetzesvorschrift ausschließlich zu weitern Entlastungen insbesondere der Kommunalverbände mittels Überweisung von Grund- und Gebäudesteuer bestimmt werden.« Ferner wurden ein Volksschulgesetz, welches mit bedeutender Beihilfe des Staates die Unentgeltlichkeit des Volksschulunterrichts durchführen, das Einkommen des Lehrerstandes erhöhen und eine gerechtere Verteilung der Volksschullasten bewirken sollte, und eine neue Landgemeindeordnung für die alten Provinzen als besonders wichtige Reformen bezeichnet. Die Finanzen des Staates befanden sich in guter Ordnung, und die erheblichen Überschüsse der letzten Jahre konnten zur Verringerung der Staatsschulden verwendet werden.
Die Fraktionsverhältnisse im Abgeordnetenhaus schienen der Regierung günstig. Die 120 Konservativen, 66 Freikonservativen und 84 Nationalliberalen bildeten eine genügende Mehrheit. Seit die Zentrumspartei unter der Führung Windthorsts im Reichstag eine freundliche Stellung zur Regierung eingenommen hatte, brauchte man auch im Landtag keine scharfe Opposition von ihr zu befürchten, und die 29 Deutschfreisinnigen kamen schon ihrer geringen Zahl wegen wenig in Betracht.
Bei der dreitägigen Debatte über die drei Steuergesetze in erster Lesung im November wurde die Reform Miquels fast vom gesamten Abgeordnetenhaus sympathisch begrüßt und nach gründlicher Beratung in der Kommission und nach eingehender Erörterung bei der zweiten und dritten Lesung im Hause selbst, welch letztere im Februar und März 1891 mehrere Wochen in Anspruch nahm, mit großer Mehrheit angenommen; die Änderungen, welche das Haus beschloß, veränderten den Grundgedanken der Reform nicht.
Die Landgemeindeordnung stieß in der Kommission auf Widerstand bei den Konservativen, die sich aber schließlich mit der Regierung einigten. Gegen das Volksschulgesetz, welches das ausschließliche Aufsichtsrecht des Staates über die Volksschule scharf betonte, erhoben sich die Ultramontanen und bemühten sich, durch Anträge und lange Verhandlungen die Arbeiten des Ausschusses so zu verzögern, daß das Gesetz in dieser Tagung nicht zu stande käme. Um die Zentrumspartei für die großen Reformgesetze günstig zu stimmen, entschloß sich die Regierung, einer Anregung der Bischöfe nachgebend, im Januar 1891 dem Landtag ein neues Sperrgeldergesetz vorzulegen, welches die im Frühjahr 1890 energisch zurückgewiesenen Ansprüche der Ultramontanen (s. oben) einfach erfüllte und das ganze angesammelte Geld bedingungslos der römisch-katholischen Kirche auslieferte.
Der Ministerpräsident Caprivi und der Kultusminister v. Goßler suchten den peinlichen Eindruck, den diese völlig veränderte Haltung der Regierung gegen die kirchlichen Ansprüche, diese durch kein Staatsinteresse gerechtfertigte weitgehende Nachgiebigkeit hervorrufen mußte, dadurch abzuschwächen, daß sie der evangelischen Kirche die Entschädigung für die Stolgebühren im nächsten Jahre in Aussicht stellten. Das Zentrum zeigte sich mit der neuen Vorlage zufrieden, die Freikonservativen und Nationalliberalen verwarfen sie durchaus.
Die Konservativen stellten im März einen Vermittelungsantrag, welcher zwar die Auszahlung des Kapitals an die kirchlichen Behörden zuließ, aber die Verwendung desselben der Kontrolle des Staates unterwarf. Das Staatsministerium ging auf diesen Mittelweg ein. Hierdurch wurde die Stellung des Kultusministers v. Goßler, die schon bei den Beratungen der Schulkonferenz gewankt hatte (s. den Artikel Höhere Lehranstalten, S. 429), erschüttert; dazu kam, daß seine Bemühungen, die Beratung des Volksschulgesetzes zu beschleunigen, scheiterten. So erbat und erhielt er denn seine Entlassung und wurde durch den Grafen von Zedlitz und Trützschler ersetzt. Dieser Wechsel hatte die Vertagung des Volksschulgesetzes bis zur nächsten Session zur Folge. Auch der Staatshaushaltsetat für 1891/92 konnte vor dem im Landtag nicht zu Ende beraten werden, so daß wiederum die nachträgliche Genehmigung der nach diesem Tage geleisteten Ausgaben in das Gesetz ausgenommen wurde.
Zur neuern Litteratur über die Geschichte Preußens vgl. die Übersicht Historische Litteratur, S. 416.