Volkswirtschaft selbst, bez. mit der Ausdehnung der landwirtschaftlichen und industriellen weltwirtschaftlichen Beziehungen
zusammenhängende Erscheinung dar. Das wiederholt auftretende Übermaß des Angebots, bez. der Produktion kann wohl einigermaßen
durch schützende Zollpolitik, durch Aufsuchung neuer Absatzgebiete und speziell durch Förderung der Kolonialpolitik, ferner
durch Hebung der Kaufkraft der breitesten Volksschichten gemindert werden, woneben auch die Währungsfrage
fortwährend im Auge zu behalten ist.
Aber ein ruhigeres, gleichmäßigeres Verhältnis zwischen Nachfrage und Angebot im allgemeinen und damit auch eine befriedigendere
Gesamt-Preisgestaltung ist schwerlich ohne neue volkswirtschaftlich-organisatorische Bildungen zu erwarten. Ob nicht schon
in den heutigen Kartellen (Koalitionen, Konventionen, Verkaufskontoren, Syndikaten) der Industrie ein Ansatz
dazu oder doch ein instinktives Tasten danach vorhanden ist, kann nur die Folgezeit lehren. Die Wahrscheinlichkeit weist darauf
hin, daß bis zur Ausbildung von korporativ gestalteten Betriebsgenossenschaften vorerst der freie Arbeitsvertrag eine festere
und geregeltere Grundlage durch Schaffung von Arbeitervertretungen finden wird, womit sich auch die Einkommensverteilung,
bez. die Kaufkraftverteilung weitaus günstiger gestalten
dürfte.
Litteratur. In erster Linie sind zu nennen: Ad. Soetbeer, Materialien zur Erläuterung und Beurteilung der wirtschaftlichen Edelmetallverhältnisse
und der Währungsfrage (2. Aufl., Berl. 1886), und Erw.
Nasse, Das Sinken der Warenpreise während der letzten 15 Jahre (in
Conrads »Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik«, 1888, Bd. 17, S. 50-66
und S. 129-181).
Vgl. auch Arendt, Der Währungsstreit in Deutschland (Berl. 1886);
J. ^[Julius] Wolf, Die gegenwärtige Wirtschaftskrisis (Tübingen
1888);
Wasserrab, Preise und Krisen (Preisschrift, Stuttg. 1889).
Von ausländischen Stimmen sind besonders zu nennen: Goschen, Ansprache im Institute of Bankers, April 1883: On the probable
results of an increase in the purchasing power of gold, und Robert Giffen, Essays in finance (2. Serie,
Lond. 1886), worunter hervorzuheben: »Trade depression and low prices; Gold supply, the rate of discount and prices; The effects
on trade of the supply of coinage« (vgl. dazu die Berichte der beiden in England zur Untersuchung der Wirtschaftsdepression
und auch der Währungsfrage ernannten königlichen Kommissionen, insonderheit den Schlußbericht der erstern: »Final report
of the Royal Commission appointed to inquire into the depression of trade and industry«, Lond.
1886);
Leroy-Beaulieu, La baisse des prix des marchandises, ses causes et ses effets (im ȃconomiste
français«, 12. und
Siehe auch das amtliche italienische Quellenwerk »Movimento dei prezzi
di alcuni generi alimentari dal 1862 al 1885« (Rom 1886),
das amtliche »Statistische Jahrbuch für das Deutsche Reich« (11.
Jahrg., Berl. 1890). Die gesamte Litteratur ist angegeben in Soetbeers oben erwähnten »Materialien«, S. 81-98.
(engl., abgekürzt pm.), Prämie, auf englischen Kurszetteln im Gegensatz zum discount oder
Damno (abgekürzt dis.) s. v. w. Aufgeld, Überschuß über den Paribetrag.
[* ] Bevölkerung. Das vorläufige Ergebnis der Volkszählung vom weist für eine Bevölkerung von 29,957,302
Seelen auf. Die Zunahme seit 1885 beläuft sich auf 1,643,469 Personen, d. h. auf 5,79 Proz. oder
jährlich auf 1,13 Proz. (gegenüber 0,75,
bez. 1,17 Proz.
in den Perioden 1880-85 und 1875-80). Die Bevölkerung verteilt sich auf die einzelnen Provinzen folgendermaßen:
Provinzen
Einw. 1890
auf 1 QKilometer
Zu- u. Abnahme in Proz.
Ostpreußen
1958132
53
-0.07
Westpreußen
1433480
56
+1.79
Berlin (Stadtkreis)
1579244
+20.07
Brandenburg
2542401
64
+8.54
Pommern
1521211
50
+1.04
Posen
1752094
60
+2.13
Schlesien
4223807
105
+2.71
Sachsen
2579852
102
+6.24
Schleswig-Holstein
1217393
65
+5.83
Hannover
2280491
59
+4.96
Westfalen
2428736
120
+10.17
Hessen-Nassau
1664000
107
+4.49
Rheinland
4710313
174
+8.42
Hohenzollern
66148
58
-0.86
Zusammen:
29957302
86
+5.79
Unter den Provinzen zeigen die stärkste Zunahme der Stadtkreis Berlin, Westfalen, Brandenburg und Rheinland,
die geringste Pommern und Westpreußen; in Ostpreußen und Hohenzollern hat sich sogar eine geringe Abnahme der Bevölkerung ergeben.
Unter den Regierungsbezirken weisen Potsdam, Arnsberg und Düsseldorf die größte, Königsberg und Liegnitz die geringste Zunahme
auf. In den Bezirken Sigmaringen, Stralsund, Köslin und Gumbinnen hat die Bevölkerung um ein Geringes abgenommen.
Unter den 546 Kreisen (mit Einschluß von Berlin) hat die Bevölkerung in 378 zu-, in 168 abgenommen. Letztere gehören überwiegend
den sechs östlichen Provinzen an. Die stärkste Zunahme zeigten die Kreise in der Umgebung von Berlin (Teltow +36,17 Proz.,
Niederbarnim +29,92 Proz.) und einzelne in Westfalen und Oberschlesien. Mehr als zwei Drittel der Gesamtvermehrung
der Bevölkerung Preußens entfallen auf die Städte mit mehr als 10,000 Einw. Während man 1885 deren nur 196 mit 7,010,308
Einw. zählte, gab es 1890: 205 mit 8,289,913 Einw. Darunter war eine Großstadt (Berlin), 15 Städte mit 100,000-500,000 Einw.
(1885: 11),12 mit 50,000-100,000 Einw. (1885:
14),64 mit 20,000-50,000 Einw. (1885: 56),113 mit 10,000-20,000
Einw. (1885: 114). In die Reihe der Städte mit mehr als 100,000 Einw. sind Stettin, Krefeld, Aachen und Halle a. S., in die mit
mehr als 50,000 Charlottenburg, dessen Bevölkerung seit der letzten Volkszählung um 81,43 Proz. zugenommen
hat, und Duisburg eingetreten.
Sechs Städte, welche 1885 mehr als 10,000 Einw. hatten, sind aus der Reihe der Städte verschwunden, da sie mit benachbarten
Städten verschmolzen sind, so Buckau und Neustadt-Magdeburg mit Magdeburg, Ottensen mit Altona, Dorp mit Solingen und Deutz und Ehrenfeld
mit Köln. (Vgl. im übrigen die Liste der Städte mit mehr als 20,000 Einw. beim Artikel »Deutschland«, S.
190-191, die allerdings inzwischen einige Berichtigungen erfahren hat.) Die Zahl der Eheschließungen ist von 229,999 (16,1
pro Mille) im J. 1887 auf 240,996 (16,5 pro Mille) im J. 1889
mehr
gestiegen, bleibt jedoch hinter dem bisher höchsten Stande vom Jahre 1872 um 14,890 zurück. Die Zahl der Ehescheidungen,
die bis 1888 alljährlich gestiegen ist, hat 1889, wo sie 3994 betrug, gegen das Vorjahr um 257 abgenommen. Geburten fanden
1889: 1,136,588 statt, davon Lebendgeburten 1,094,504 (561,115 männlichen, 533,389 weiblichen Geschlechts). Unehelich
wurden 85,962 Kinder geboren (7,85 Proz.); darin zeigt sich gegenüber der Periode 1885-87, wo die unehelichen Geburten 8,11
Proz. ausmachten, ein nicht unbedeutender Fortschritt. Sterbefälle kamen 1889: 724,803 vor (inkl.
Totgeborne), gegen das Vorjahr 16,594 mehr, doch weniger als sonst in einem Jahre seit 1880. Die natürliche Vermehrung betrug
411,785 Personen, d. h. 14,2 auf 1000 zu Anfang des Jahres Lebende. Sie ist fast ebenso groß als im Vorjahr
(14,8 pro Mille) und erheblich höher als im Zeitraum 1880-86, wo sie nur 11,5-12,4
pro Mille betrug.
Die Zahl der überseeischen Auswanderer aus Preußen betrug in den Jahren 1889 und 1890: 57,957, bez. 51,407
Personen, davon wählten 32,042, bez. 32,131 den Weg über Bremen, 16,628, bez. 17,449 über Hamburg, 2154, bez. 1827 über
andre deutsche Häfen, 5447, bez. 6740 über Antwerpen, 1147, bez. 833 über Rotterdam. Der Strom der Auswanderer lenkte sich
vornehmlich nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika (54,211, bez. 47,469 Personen); daneben 1923, bez. 2574 nach
Brasilien, 765, bez. 319 nach Argentinien. Am stärksten war die Auswanderung aus den Provinzen Posen (10,310 u. 10,122), Westpreußen
(10,038 u. 9613), Pommern (8016 u. 7965) und Hannover (6730 u. 5657), am schwächsten 1889 aus der Provinz Schlesien (1905) und 1890 aus
der Rheinprovinz (1218).
Konfession. Während bis 1867 die evangelische Bevölkerung in Preußen, auch abgesehen von der außergewöhnlichen Vermehrung durch
die Erwerbung überwiegend evangelischer Landesteile (1866), stärker als die römisch-katholische zunahm, ist seitdem ein
stärkeres Anwachsen der katholischen Bevölkerung beobachtet worden. Diese Veränderung läßt sich zunächst durch die Einwanderung
von Katholiken aus Süddeutschland und die Auswanderung von Evangelischen aus den westlichen Provinzen Preußens
nach Süddeutschland erklären.
Bei der Volkszählung von 1885 bildete nämlich die evangelische Bevölkerung in Preußen 64,42 Proz., die katholische 33,97
Proz. der Gesamtbevölkerung; unter den Einwanderern waren aber nur 48,23
Proz. Evangelische neben 44,74 Proz. Katholiken, während bei den Auswanderern
auf 66,46 Proz. Evangelische 30,39 Proz. Katholiken entfielen. Eine zweite Quelle der stärkern Vermehrung der Katholiken im
preußischen Staate bildet der größere Überschuß der Geburten über die Sterbefälle und die größere eheliche Fruchtbarkeit
(1877-87 im Durchschnitt gegenüber den Evangelischen im Verhältnis von 53:44) innerhalb der katholischen Bevölkerung.
Dieser Rückgang wird für das evangelische Bekenntnis nur unerheblich dadurch ausgeglichen, daß von
den Nachkommen aus konfessionellen Mischehen mehr als die Hälfte den Evangelischen zufällt, und daß der Übertritt zum
evangelischen Bekenntnis bedeutend stärker ist als zum römisch-katholischen. So sind in den Jahren 1882-87: 11,240 Römisch-Katholische
zum evangelischen Bekenntnis, aber nur 1334 Evangelische zum römisch-katholischen Bekenntnis übergetreten.
Die infolge der Maigesetze im J. 1875 von 958 auf 596 gesunkene Zahl der Niederlassungen von römisch-katholischen Orden im
preußischen Staate hat
sich im verflossenen Jahrzehnt wieder zur frühern Höhe erhoben, nachdem durch die Gesetze vom und nicht
bloß den Orden, die es mit der Krankenpflege zu thun haben, sondern auch denen, die sich mit dem Unterricht
und der Erziehung der weiblichen Jugend beschäftigen, gestattet wurde, neue Niederlassungen zu gründen. Deshalb stieg die
Zahl der Ordensniederlassungen zu Ende 1889 wieder auf 974, die zusammen ca. 10,500 Mönche und Nonnen enthielten.
Landwirtschaft. Auf Grund der Materialien der Gebäudesteuerrevision vom Jahre 1879 ist im königlichen Statistischen Büreau
eine Statistik des Grundeigentums und der Gebäude im preußischen Staate bearbeitet worden, wobei als Besitzungen einzelne
Gebäude oder Gebäudekomplexe mit den wirtschaftlich dazu gehörenden nutzbaren Flächen angesehen werden. Die Erhebung bezieht
sich auf den ganzen Staat mit Ausnahme Hohenzollerns, für welches das Gebäudesteuergesetz von 1861 nicht
gilt.
Danach gab es in Preußen (in Stadt und Land) 2,917,852 Besitzungen, die meisten in der Rheinprovinz (19,39 Proz.), Schlesien (13,81
Proz.), Sachsen (9,89 Proz.) und Hannover (9,27 Proz.), die wenigsten in Berlin (0,63 Proz.), Westpreußen (3,94 Proz.), Pommern
(4,30 Proz.) und Schleswig-Holstein (4,72 Proz.). Unter allen Besitzungen waren
149,606 (5,13 Proz.) öffentliche, davon gehörten dem Staate, dem königlichen Hause, Standesherren etc. 10,5 Proz., den
Gemeinden, Kirchen- und Schulsocietäten 79,4 Proz., den Provinzen, Kreisen etc. 1,8 Proz., den Eisenbahnen 6,3 und milden Stiftungen 2 Proz.
Die überwiegende Mehrzahl der Besitzungen (94,87 Proz.) gehörte
Privatpersonen und wirtschaftlichen Genossenschaften, wie Kreditvereinen, Aktiengesellschaften etc. Verhältnismäßig die meisten
öffentlichen Besitzungen entfallen auf Pommern, Brandenburg und Sachsen.
Wenn man unter den Privatbesitzungen die ländlichen ausschließlich ins Auge faßt, so ergibt sich, daß davon 1,559,712
mit einem Umfang von 23,9 Mill. Hektar vorhanden sind. Davon gehörten dem Großgrundbesitz (Grundsteuerreinertrag
von mehr als 1500 Mk.) 2,1 Proz. mit 9 Mill.
Hektar, dem mittlern Besitz (Reinertrag 300-1500 Mk.) 11,7 Proz. mit
7,1 Mill. Hektar, dem Kleinbesitz (Reinertrag 100-300 Mk.) 17,1 Proz. mit
4,5 Mill. Hektar und dem Parzellenbesitz, dessen Inhaber auf andern Erwerb durch Tagelohn etc. angewiesen
sind, 69,1 Proz. mit 3,2 Mill. Hektar.
Die Ernte des Jahres 1889 blieb hinter den beiden allerdings günstigen Erntejahren 1886 und 1887 in den wichtigsten Feldfrüchten
erheblich zurück. Hauptgrund war besonders für die östlichen Provinzen die anhaltende Trockenheit in den Monaten Mai und
Juni. Die Ernte ergab folgende Mengen (in Parenthese verglichen mit dem Ertrag des Jahres 1888): Weizen 1,323,266
Ton. (-88,574 T.), Roggen 3,676,425 T. (-205,837 T.), Gerste 922,086 T. (-174,460 T.), Hafer 2,499,494 T. (-241,042 T.), Buchweizen
110,488 T. (+10,834 T.), Erbsen 218,273 T. (-21,073 T.), Bohnen 123,397 T. (+7205 T.), Kartoffeln 16,936,440 T. (+2,931,595
T.), Klee (Futter) 2,306,053 T. (+193,321 T.), Wiesenheu 6,874,462 T. (+756,518 T.). Nach der wie alljährlich
im Oktober angestellten vorläufigen Ermittelung läßt sich die Ernte des Jahres 1890 als eine gute Mittelernte bezeichnen.
Man schätzt den Ertrag von Winterweizen auf 1,37 Mill. T. (1889: 1,22 Mill. T.),
Winterroggen auf 3,72 Mill. T. (3,64 Mill. T.),
Sommergerste auf 1,06 Mill. T.
mehr
(0,9 Mill. T.), Hafer 2,93 Mill. T., Erbsen 0,26 Mill. T., Kartoffeln 12,39 Mill. T., Kleeheu 2,86 Mill. T., Wiesenheu 7,33
Mill. T. Nur bei Kartoffeln, dem Winterraps und Kleeheu dürfte die Ernte erheblich hinter einer Mittelernte zurückbleiben.
An Hopfen wurden 1889: 15,833 Doppelzentner, an Tabak 10,621 T. Blätter geerntet. 1890 ist die mit Tabak
bepflanzte Fläche (mit dem Vorjahr verglichen) von 4778 auf 5129 Hektar gestiegen. Die Weinernte ergab 1889: 281,313 hl (1888:
266,843 hl). Im Regierungsbezirk Wiesbaden war der Ertrag 1889 mit 65,840 hl um 8822 hl geringer als im Vorjahr, die Qualität
aber erheblich besser. Der Bergbau lieferte 1889 folgendes Ergebnis:
Förderung
Absatzfähige Produktion
Tonnen
Tonnen
Wert (Mark)
Steinkohlen
61436991
57889269
314377290
Braunkohlen
14205047
12612432
31376156
Steinsalz
251849
222821
1071342
Kalisalze
872782
283070
4012230
Eisenerze
4375283
4371851
31379718
Zinkerze
707537
707537
17656433
Bleierze
161972
159846
16521830
Kupfererze
573230
573230
18197140
An Salzen aus wässeriger Lösung wurden 1889 gewonnen: 268,362 Ton. Kochsalz, 94,728 T. Chlorkalium, 48,023
T. Glaubersalz, 26,499 T. schwefelsaures Kali etc. Die Verhüttung der Erze ergab 1889 folgende Mengen: 3,218,719 T. Roheisen
im Werte von 163¾ Mill. Mk., 135,972 T. Zink in Blöcken im Werte von 49⅓ Mill. Mk., 90,809 T. Blei im
Werte von 23 Mill. Mk. (außerdem 2373 T. Kaufglätte), 21,668 T. Kupfer im Werte von 24⅔ Mill. Mk., 256,324 kg Silber im Werte
von 32¼ Mill. Mk., 179½ kg Gold im Werte von ½ Mill. Mk., 282 T. Nickel im Werte von 1⅕ Mill. Mk., 321,093 T. Schwefelsäure
im Werte von 10⅙ Mill. Mk. Die Gesamtproduktion der Bergwerke hatte 1889 einen Wert von 466,9 Mill. Mk.
(1888: 410,8 Mill.), der Hüttenwerke einen solchen von 475 Mill. Mk. (1888: 427 Mill.). Die im Besitz des Staates befindlichen
Bergwerke, Hütten und Salinen hatten im Etatsjahr 1888/89 ein Arbeitspersonal von 51,235 Köpfen. Bei einem
Gesamtwert der Verkaufserzeugnisse von 103 Mill. Mk. (gegen 97,4 Mill.
im Vorjahr) betrug der Überschuß 17⅙ Mill. Mk. (3,4 Mill. Mk.
mehr als im Vorjahr). Der Mehrertrag wurde besonders durch die Steigerung des Steinkohlenbergbaus verursacht, während der
Salzbergbau und die Produktion der Hüttenwerke einen Rückgang zeigten.
Industrie. Die Anwendung der Dampfkraft in der Industrie, Schiffahrt und Landwirtschaft hat in den letzten
Jahren eine weitere Steigerung erfahren. Die Zahl der feststehenden Dampfkessel betrug 1890: 48,538 (1879: 32,411), die der
feststehenden Dampfmaschinen 46,554 (1879: 29,895), der beweglichen Dampfkessel und Lokomobilen 12,822 (1879: 5536), der Schiffsdampfkessel
2046, der Schiffsdampfmaschinen 2007. Von den feststehenden Dampfkesseln und Dampfmaschinen wurden 1890:
24,92 Proz. im Bergbau und Hüttenwesen, 27,11 Proz. in der Nahrungs- und Genußmittelindustrie, 9,57 Proz. in der Textilindustrie
benutzt. Die beweglichen Dampfkessel und Lokomobilen sind überwiegend in der Land- und Forstwirtschaft (7086) im Gebrauch und
zwar besonders in den Provinzen Sachsen und Schlesien. Dagegen sind die feststehenden Dampfkessel und Dampfmaschinen
am zahlreichsten in der Rheinprovinz, Westfalen und Schlesien.
Im Etatsjahr 1889/90 waren von 7035 Brauereien 6577 im Betrieb, welche 22,28 Mill. hl Bier produzierten; sie zahlten 18⅓ Mill.
Mk. Brausteuer. Am bedeutendsten ist die Bierproduktion in den Provinzen Brandenburg,
mit Berlin, und Rheinland, am
geringsten in Posen und Westpreußen. Im Betriebsjahr 1888/89 waren von 7939 Brennereien 6744, darunter 4434 gewerbliche, im
Betrieb; die Produktion belief sich auf 2,222,731 hl reinen Alkohol, woran 1,572,666 hl die niedrigere Verbrauchsabgabe zu tragen
hatten.
Die Branntweinsteuer lieferte in Preußen 110½ Mill. Mk., darunter 20⅙ Mill. Mk.
Maischbottich- und Materialsteuer und 90,3 Mill. Mk. Verbrauchsabgabe. Im Betriebsjahr 1889/90 waren 315 Rübenzuckerfabriken
im Betrieb, welche 7,8 Mill. Ton. Rüben verarbeiteten und 960,699 T. Rohzucker nebst 191,686 T. Melasse produzierten. Von der
Produktion entfallen 41 Proz. auf die Provinz Sachsen, 16 Proz. auf Schlesien und 13 Proz. auf Hannover. Der Ertrag
der Abgaben auf Zucker betrug 61¼ Mill. Mk., darunter 17 Mill. Mk. Rübensteuer (nach
Abzug von 45½ Mill. Mk. Steuervergütungen für ausgeführten Zucker), 7,8 Mill. Mk. zurückgezahlte Steuervergütung und 36 Mill.
Mk. an Verbrauchsabgabe. Das preußische Eisenbahnnetz hatte eine Ausdehnung von 27,105 km, wovon 24,519 unter Staatsverwaltung
und 2586 km unter Privatverwaltung standen. Unter den Staatsbahnen waren 8790 km zwei- und mehrgeleisige, 9239 km eingeleisige
Vollbahnen, 6358 km Nebenbahnen, 132 km verpachtete Strecken. Im Bau waren 1638 km, davon 1602 km Staatsbahnen.
Der Staatshaushaltsetat für 1890/91 beziffert die Einnahmen u. Ausgaben auf 1,593,093,513 Mk., und zwar betrugen
die ordentlichen Ausgaben 1,544,780,144 Mk., die einmaligen und außerordentlichen 48,313,369 Mk.
In seinen Hauptposten bietet der Etat folgendes Bild:
Ordentliche Einnahmen und Ausgaben.
Einnahmen
Ausgaben
Mark
Mark
Landwirtschaft, Domänen, Forst
82682334
39519180
Direkte Steuern
165746800
13898100
Indirekte Steuern und Lotterie
77938820
31572050
Berg-, Hütten- u. Salinenwesen
121282170
102944683
Eisenbahnverwaltung
852959086
522079184
Dotationen
220675
260353638
Allgemeine Finanzverwaltung
223717847
249343598
Staatsverwaltung
68545781
325069711
Zusammen:
1593093513
1544780144
Einmalige und außerordentliche Ausgaben.
Für Eisenbahnzwecke
-
17807000
Bauverwaltung
-
9962000
Ministerium d. geistl. Angelegenh.
-
6149852
Ministerium für Landwirtschaft
-
4676545
Sonstige Ministerien
-
9717972
Gesamtsumme:
1593093513
1593093513
Bei der allgemeinen Finanzverwaltung sind die Beiträge zu den Ausgaben des Reiches auf 155,754,017 Mk.
veranschlagt; die Staatsschuld erfordert 250,968,048 Mk., darunter für Tilgung 47 Mill. Mk.
Der Voranschlag für 1891/92, welcher gegenwärtig (April 1891) dem Landtag zur Beratung vorliegt, balanciert in Einnahme und
Ausgabe mit 1,720,834,749 Mk., dabei sind die ordentlichen Ausgaben mit 1,670,452,170 Mk., die außerordentlichen
mit 50,382,552 Mk. angesetzt. Die Staatsschuld beträgt 5843 Mill. Mk.
Die Zahl der Sparkassen ist im Laufe des Jahres 1889 von 1363 auf 1378 gestiegen; letztere besaßen 3416 Annahmestellen, welche
sich auf 2830 Orte verteilten. Die Einlagen vermehrten sich von 2888 Mill. auf 3102 Mill. Mk.;
doch entfielen von diesem Zuwachs 78 Mill. Mk. auf zugeschriebene
mehr
Zinsen. Die Zahl der Sparkassenbücher vermehrte sich auf 5,3 Mill., im Durchschnitt entfielen auf ein Buch 584 Mk. Am höchsten
ist der Einlagebestand in den Provinzen Westfalen (17,2 Proz. des Gesamtkapitals), Hannover (13,6 Proz.) und der Rheinprovinz
(13,5 Proz.), am niedrigsten in den Provinzen Posen (1,33 Proz.), Westpreußen (1,53 Proz.) und Ostpreußen
(1,66 Proz.). Die meisten Einlagen befinden sich in den städtischen
(47,9 Proz.) und Kreis-, resp. Amtssparkassen (29,5 Proz.).
Die Sparkassengelder sind nebst dem 209 Mill. Mk. betragenden Reservefonds meist in Hypotheken (52,4 Proz.) und Inhaberpapieren
(33,2 Proz.) angelegt. Trotz der besonders in den westlichen Provinzen erfolgten Zinsherabsetzung auf 3 Proz.
sind die Sparkassen in ihren Einnahmen im Vergleich zu frühern Jahren zurückgegangen, da sie die Einlagen auch zu niedrigern
Zinsfuß anlegen mußten.
Geschichte
Die Sitzungen des Landtags dauerten 1890 fast fünf Monate, vom 15. Jan. bis 13. Juni; gleichwohl war ihr positives Ergebnis gering.
Außer dem Haushaltsetat wurden bloß eine Erhöhung der Beamtenbesoldungen, das Rentengutsgesetz, die
Eisenbahnvorlagen, die Reliktenversorgung der Volksschullehrer und das Notariatsgesetz beschlossen. Diese Unfruchtbarkeit
der Verhandlungen hatte teilweise ihren Grund darin, daß die Thätigkeit des Abgeordnetenhauses durch die in den Februar fallenden
Reichstagswahlen gehemmt wurde; ferner gaben bei den Budgetverhandlungen der Aufstand der Bergarbeiter in
Westfalen 1889 und die sozialen Reformpläne der Regierung Anlaß zu eingehenden Besprechungen, und die Zentrumspartei brachte
bei dem Kultusetat wieder alle vermeintlichen Klagepunkte in weitschweifigster Form vor, um ihre Wähler in der nötigen Kampfesstimmung
zu erhalten; endlich übte der plötzliche Rücktritt Bismarcks eine so lähmende Wirkung aus, daß die Kartellmehrheit
des Abgeordnetenhauses sich nicht einmal zu einer Kundgebung für den scheidenden langjährigen Ministerpräsidenten aufzuraffen
vermochte.
Dazu kam, daß mehrere Gesetzvorlagen von Bedeutung wegen Uneinigkeit der gesetzgebenden Faktoren nicht zum Abschluß gelangten,
so das Gesetz über die Unterhaltung der schlesischen Flüsse, über den Ersatz des Wildschadens und über die Regelung der
Schulpflicht. Besonders merkwürdig war das Schicksal des Sperrgeldergesetzes. Der Entwurf desselben wurde dem Abgeordnetenhaus vorgelegt,
gerade 15 Jahre nach Erlaß des Gesetzes, betreffend die Einstellung der Leistungen aus Staatsmitteln für die römisch-katholischen
Bistümer und Geistlichen vom (Brotkorbgesetz), dessen § 9 bestimmte, daß über die während
Einstellung der Leistungen aufgesammelten Beträge eine gesetzliche Verwendung vorbehalten werde.
Daß diese zu gunsten der katholischen Kirche erfolgen werde, war von der Staatsregierung wiederholt erklärt worden. Die
aufgesammelten Beträge beliefen sich zusammen auf 16,013,731 Mk., die 3½proz. Rente hiervon auf 560,481 Mk. Der Gesetzentwurf
bestimmte nun, daß diese Rente auf die verschiedenen römisch-katholischen Diözesen nach Maßgabe der
aus ihnen eingekommenen Teile des Gesamtbetrags verteilt und die Unterverteilung auf Grund eines zwischen der Staatsregierung
und den betreffenden kirchlichen Obern zu vereinbarenden Planes veranlaßt werde.
Die Regierung hatte sich darüber Gewißheit verschafft, daß die päpstliche Kurie gegen diese Lösung der Frage
nichts Anzuwenden habe. Und da der Staat zur Rückgabe der
Sperrgelder durchaus nicht gesetzlich verpflichtet war, da niemand
ein Recht auf Entschädigung hatte, so konnte der Gesetzentwurf als ein Beweis friedfertiger Gesinnung und des Wunsches nach Versöhnung
gelten. Dennoch war die Zentrumspartei unter Führung des unermüdlichen Agitators Windthorst mit dem Entwurf,
der »mit dem Recht und den Interessen der katholischen Kirche in Widerspruch« stehe, nicht einverstanden, sondern forderte entweder
Entschädigung jedes einzelnen durch Einbehaltung der Zahlungen Geschädigten, was weder gesetzlich vorgeschrieben noch ausführbar
war, oder bedingungslose Herauszahlung des ganzen Kapitals an die kirchlichen Behörden.
Beides lehnte der Minister entschieden ab. In der evangelischen Bevölkerung regte sich aber der Unmut
darüber, daß der katholischen Kirche große Geldsummen ohne Verpflichtung des Staates ausgeliefert werden sollten, während
noch nichts für die ebenfalls versprochene Entschädigung der evangelischen Kirche für die Aufhebung der Stolgebühren geschehen
war. Da nun bei der ablehnenden Haltung der Zentrumspartei der friedliche Zweck der Vorlage nicht erreicht
werden konnte, so erklärten die Nationalliberalen und dann die Konservativen, welche anfangs der Annahme der Vorlage geneigt
gewesen waren, sie nur dann annehmen zu wollen, wenn das Zentrum ihr zustimme.
Auch mußte dieses sich überzeugen, daß die römische Kurie und ein Teil der preußischen Bischöfe,
namentlich der Fürstbischof Kopp von Breslau, gegen die Vorlage nichts einzuwenden hätten. Aber der ultramontane Graf Strachwitz
hatte gleich bei der ersten Lesung in einer äußerst heftigen Rede die Vorlage als Konfiskation und Diebstahl bezeichnet, und
nun konnten auch die gemäßigten Zentrumsmitglieder nicht zurück, während die Intransigenten, vor allem
der Welfe Windthorst, einen Agitationsstoff wie das Sperrgesetz nicht verlieren mochten. So wurde denn das Sperrgesetz 7. Juni mit
allen Stimmen gegen 14 der Deutschfreisinnigen, welche sich aus Wahlrücksichten nicht die Ungnade des Zentrums zuziehen mochten,
abgelehnt, und der Kultusminister v. Goßler deutete an, daß so bald keine neue Vorlage in dieser Sache
erfolgen werde.
Da das Abgeordnetenhaus den Staatshaushaltsetat nicht so rechtzeitig zu Ende beraten hatte, daß auch das Herrenhaus ihn vor 1. April hätte
erledigen können, wurde die gesetzliche Gültigkeit des vorjährigen Etats durch ein besonderes Gesetz verlängert, damit
das Herrenhaus die Beratung auch nach dem 1. April vornehmen konnte. Der Etat ergab in endgültiger Feststellung
in Einnahme und Ausgabe 1,593,093,513 Mk., an welcher Summe die Eisenbahnverwaltung den höchsten Anteil hatte; sie ergab allein 853 Mill.
Einnahmen, die übrigen Betriebsverwaltungen des Staates (Domänen, Forsten, Bergwerke etc.) 230 Mill.;
aus der Reichskasse flossen 200 Mill., während die direkten Steuern und Gefälle nur 200 Mill. brachten.
Die Finanzlage war günstig; die Überschüsse der Finanzjahre 1887/88 betrugen 50, 1888/89: 68¼, 1889/90 fast 90 Mill.,
welche Überschüsse fortan zur Tilgung der Staatsschulden verwendet werden sollen. Die Staatsschuldenlast belief sich 1890 auf 5200 Mill.
Mk.
Die in der Eröffnungsrede für später in Aussicht gestellte Steuerreform wurde in dieser
Sitzungsperiode nicht vorgelegt, ebensowenig die dringend notwendige Landgemeindeordnung und das Gesetz über die Schulunterhaltungspflicht.
Doch ließen die Ausführungen des neuen
mehr
Ministerpräsidenten v. Caprivi, als er sich dem Landtag vorstellte, daß zwar der alte Kurs beibehalten werden solle, naturgemäß
aber die kollegialische Verfassung des Staatsministeriums und damit mehrere bisher zurückgedrängte Bestrebungen fortan mehr
zur Geltung kommen würden, erkennen, daß nach dem Rücktritt Bismarcks die Reformthätigkeit in Gang kommen solle. Ein Zeichen
dafür, daß es der Staatsregierung damit ernst sei, war der Rücktritt des Finanzministers v.
Scholz, der wohl infolge von Kränklichkeit alle Initiative verloren hatte, und die Berufung des bisherigen Oberbürgermeisters
von Frankfurt a. M., Miquel, an seine Stelle, welche Ende Juni 1890 erfolgte.
Miquel, der, obwohl Führer der Nationalliberalen, sich doch von einseitigem Parteitreiben und von Vorurteilen
frei gehalten hatte, genoß das Vertrauen des Kaisers in besonderm Maße, und auch die übrigen Minister begrüßten seinen
Eintritt in ihre Mitte mit besten Hoffnungen. Auch noch einige andre Veränderungen fanden im Ministerium statt. An Stelle des
Kriegsministers v. Verdy trat im Oktober der General v. Kaltenborn-Stachau; der landwirtschaftliche Minister
v. Lucius wurde im November durch v. Heyden ersetzt.
Nun kamen die unter Bismarck vertagten Reformen wieder in Fluß. Durch die rastlose Thätigkeit der Minister wurden die Arbeiten
so schnell gefördert, daß schon 12. Nov. der Landtag zusammenberufen werden konnte, um die neuen Gesetzvorlagen
zu beraten. Als solche kündigte die Thronrede, mit welcher der Kaiser den Landtag eröffnete, ein neues Einkommensteuergesetz,
welches an Stelle der bisherigen Klassensteuer und klassifizierten Einkommensteuer eine einheitliche Steuer mit Deklarationspflicht
setzte, eine Erweiterung der Erbschaftssteuer und eine Reform der Gewerbesteuer an. »Das Ziel dieser Gesetzentwürfe«, hieß es,
»ist eine gerechtere und gleichmäßigere Veranlagung der
direkten Steuern und im Zusammenhang damit eine verhältnismäßige Entlastung der kleinern und mittlern Einkommen und gewerblichen
Betriebe... Der nach dem Abschluß der ersten Veranlagung der direkten Steuern auf der neuen Grundlage aufkommende Mehrertrag
soll schon jetzt durch eine ausdrückliche Gesetzesvorschrift ausschließlich zu weitern Entlastungen insbesondere
der Kommunalverbände mittels Überweisung von Grund- und Gebäudesteuer bestimmt werden.« Ferner wurden ein Volksschulgesetz,
welches mit bedeutender Beihilfe des Staates die Unentgeltlichkeit des Volksschulunterrichts durchführen, das Einkommen des
Lehrerstandes erhöhen und eine gerechtere Verteilung der Volksschullasten bewirken sollte, und eine neue Landgemeindeordnung
für die alten Provinzen als besonders wichtige Reformen bezeichnet. Die Finanzen des Staates befanden sich
in guter Ordnung, und die erheblichen Überschüsse der letzten Jahre konnten zur Verringerung der Staatsschulden verwendet
werden.
Die Fraktionsverhältnisse im Abgeordnetenhaus schienen der Regierung günstig. Die 120 Konservativen, 66 Freikonservativen
und 84 Nationalliberalen bildeten eine genügende Mehrheit. Seit die Zentrumspartei unter der Führung
Windthorsts im Reichstag eine freundliche Stellung zur Regierung eingenommen hatte, brauchte man auch im Landtag keine scharfe
Opposition von ihr zu befürchten, und die 29 Deutschfreisinnigen kamen schon ihrer geringen Zahl wegen wenig in Betracht.
Bei der dreitägigen Debatte über die drei Steuergesetze in erster Lesung im November wurde die Reform Miquels
fast vom gesamten Abgeordnetenhaus sympathisch begrüßt
und nach gründlicher Beratung in der Kommission und nach eingehender
Erörterung bei der zweiten und dritten Lesung im Hause selbst, welch letztere im Februar und März 1891 mehrere Wochen in Anspruch
nahm, mit großer Mehrheit angenommen; die Änderungen, welche das Haus beschloß, veränderten den Grundgedanken
der Reform nicht.
Die Landgemeindeordnung stieß in der Kommission auf Widerstand bei den Konservativen, die sich aber schließlich mit der Regierung
einigten. Gegen das Volksschulgesetz, welches das ausschließliche Aufsichtsrecht des Staates über die Volksschule scharf
betonte, erhoben sich die Ultramontanen und bemühten sich, durch Anträge und lange Verhandlungen die
Arbeiten des Ausschusses so zu verzögern, daß das Gesetz in dieser Tagung nicht zu stande käme. Um die Zentrumspartei für
die großen Reformgesetze günstig zu stimmen, entschloß sich die Regierung, einer Anregung der Bischöfe nachgebend, im Januar 1891 dem
Landtag ein neues Sperrgeldergesetz vorzulegen, welches die im Frühjahr 1890 energisch zurückgewiesenen
Ansprüche der Ultramontanen (s. oben) einfach erfüllte und das ganze angesammelte Geld bedingungslos der römisch-katholischen
Kirche auslieferte.
Der Ministerpräsident Caprivi und der Kultusminister v. Goßler suchten den peinlichen Eindruck, den diese völlig veränderte
Haltung der Regierung gegen die kirchlichen Ansprüche, diese durch kein Staatsinteresse gerechtfertigte weitgehende Nachgiebigkeit
hervorrufen mußte, dadurch abzuschwächen, daß sie der evangelischen Kirche die Entschädigung für die Stolgebühren im nächsten
Jahre in Aussicht stellten. Das Zentrum zeigte sich mit der neuen Vorlage zufrieden, die Freikonservativen und Nationalliberalen
verwarfen sie durchaus.
Die Konservativen stellten im März einen Vermittelungsantrag, welcher zwar die Auszahlung des Kapitals an
die kirchlichen Behörden zuließ, aber die Verwendung desselben der Kontrolle des Staates unterwarf. Das Staatsministerium
ging auf diesen Mittelweg ein. Hierdurch wurde die Stellung des Kultusministers v. Goßler, die schon bei den Beratungen der
Schulkonferenz gewankt hatte (s. den Artikel Höhere Lehranstalten, S. 429), erschüttert; dazu kam, daß seine Bemühungen,
die Beratung des Volksschulgesetzes zu beschleunigen, scheiterten. So erbat und erhielt er denn seine Entlassung
und wurde durch den Grafen von Zedlitz und Trützschler ersetzt. Dieser Wechsel hatte die Vertagung des Volksschulgesetzes bis
zur nächsten Session zur Folge. Auch der Staatshaushaltsetat für 1891/92 konnte vor dem im
Landtag nicht zu Ende beraten werden, so daß wiederum die nachträgliche Genehmigung der nach diesem Tage geleisteten Ausgaben
in das Gesetz ausgenommen wurde.
Zur neuern Litteratur über die Geschichte Preußens vgl. die Übersicht Historische Litteratur, S. 416.