mehr
eignen »Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte«, deren Hauptaufgabe die Förderung des Kehrbachschen Sammelwerkes sein sollte. Mit dem wirklichen Zusammentritt dieser Gesellschaft in Berlin [* 2] schloß das Jahrzehnt, über das hier berichtet wird, würdig ab.
Schulstatistik.
Auch auf dem Gebiete der Schulstatistik ist dem abgelaufenen 9. Jahrzehnt des Jahrhunderts das beste Zeugnis auszustellen, mag man diese im engern inne als wissenschaftliche Zusammenstellung und Verwertung der Zahlen und Zahlverhältnisse oder im weitern Sinne als wissenschaftlich geordnete Darstellung des für einen bestimmten Zeitpunkt ermittelten, allgemeinen Zustandes des Schulwesens auffassen. Für die preußische Schulstatistik im engern Sinne, soweit sie das höhere Schulwesen im amtlich anerkannten Umfang betrifft, ist seit 1884 ein eignes amtliches Organ geschaffen worden, betitelt: »Statistische Mitteilungen über das höhere Unterrichtswesen im Königreich Preußen«, [* 3] Beilage zum Zentralblatt der gesamten Unterrichtsverwaltung.
Die bis 1881 indem letztgenannten Blatte verstreut gegebenen statistischen Angaben wurden im ersten Hefte dieser Beilagen für das dazwischenliegende Triennium zusammengefaßt. Sie erscheinen seitdem in wohlgeordneter Übersicht alljährlich. Diese umfaßt drei Hauptteile:
1) Hochschulen und Akademien;
2) wissenschaftliche Prüfungskommissionen, Probekandidaten und Lehrer der höhern Lehranstalten;
3) Gymnasial- und Realanstalten. Eine höchst dankenswerte
Gabe, die nur bedauern läßt, daß sie nicht, nach analogen
Gesichtspunkten
geordnet, das ganze Unterrichtswesen, und zwar nicht das preußische allein, sondern das deutsche
umfaßt.
Ein Gesamtbericht nach Art des berühmten jährlichen
»Report of the commissioner of the
United States-board of education«
muß bei aller Selbständigkeit der einzelnen
Bundesstaaten möglich und würde hoch erwünscht sein. An
Stoff dazu fehlt es
schon jetzt nicht.
Nicht nur geben die größern deutschen
Staaten, wie
Bayern,
[* 4]
Sachsen,
[* 5]
Württemberg,
[* 6]
Baden,
[* 7]
Hessen,
[* 8] schon jetzt
von Zeit zu Zeit statistische Übersichten über ihr
Schulwesen heraus, sondern auch private Unternehmen, wie für die
Universitäten
Aschersons
»Deutscher Universitätskalender« (Berl., jährlich seit 1873),
für die höhern Lehranstalten das
»Statistische
Jahrbuch der höhern
Schulen
Deutschlands,
[* 9]
Luxemburgs und der
Schweiz«
[* 10] (neue
Folge von Mushackes »Schulkinder
II«; Leipz., seit 1880), zeigen, daß ohne übermäßigen Aufwand an Arbeitskraft etc.
das Nötige aus dem ganzen
Reiche wohl zu beschaffen ist. Inzwischen ist die Volksschulstatistik in
Preußen nicht etwa hintangestellt.
Sie fand nur nicht in fortlaufenden periodische Veröffentlichungen, sondern in zwei umfangreichen
Arbeiten
von musterhafter Vollständigkeit und Gründlichkeit
Ausdruck, die unter der Leitung eines
Rates aus dem
Kultusministerium,
des hochverdienten K.
Schneider, und eines Mitgliedes des
Statistischen
Amtes, A.
Petersilie, entstanden: »Die öffentlichen
Volksschulen im preußischen
Staate« (13. Ergänzungsheft zur
»Zeitschrift des königlich preuß.
Statist.
Büreaus«, Berl. 1883)
und »Das gesamte Volksschulwesen im preußischen
Staate im Jahre 1886« (Heft 101 der »Preußischen
Statistik«,
1889). Der reiche
Inhalt dieser epochemachenden Werke kann hier nicht einmal gestreift werden.
Aus dem weitern Umfang der Schulstatistik ist zunächst zu erwähnen, daß L. Wieses bewährte »Sammlung der Verordnungen und Gesetze für die höhern Schulen in Preußen« durch O. Kübler eine neue Auflage (3. Aufl., Berl. 1886-88,2 Bde.) erfahren hat, die an der Hand [* 11] des amtlichen »Zentralblatts für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen« (seit 1859) die geltenden Vorschriften in ihrem gegenwärtigen Bestand darstellt. Die Herrschaft des Buches ist damit auf seinem Gebiet für lange Zeit wieder gesichert.
Auch Bayern und das Königreich Sachsen haben neuerdings ähnliche Werke erhalten, jenes: Füger, »Schulordnungen der Studienanstalten, Realgymnasien und Realschulen in Bayern« (Bamb. 1889);
dieses: Philipp, »Das höhere Schulwesen im Königreich Sachsen« (Dresd. 1889).
Gleichzeitig ist der preußische
Wiese ergänzt und, was Reich
haltigkeit (auch in geschichtlicher und
eigentlich statistischer Hinsicht) wie Übersichtlichkeit betrifft, überflügelt durch das verdienstliche
Sammelwerk zweier
Räte des
Kultusministeriums, K.
Schneider und E. v.
Bremen:
[* 12] »Das Volksschulwesen im preußischen
Staate in
systematischer Zusammenstellung der auf seine innere Einrichtung und seine Rechtsverhältnisse sowie auf seine Leitung und
Beaufsichtigung bezüglichen
Gesetze und
Verordnungen« (Berl. 1886-87,3 Bde.).
Wer mit diesen amtlichen und halbamtlichen
Quellen die schon in anderm Zusammenhang hervorgehobenen statistischen
Artikel der 2.
Auflage der
Schmid-Schraderschen
Encyklopädie und die jährlichen Übersichten im »Pädagogischen Jahresbericht«
(jetzt hrsg. von A.
Richter, der
Bericht über
Deutschland
[* 13] von A.
Kleinschmidt) zusammennimmt, kann sich ein durchaus treues
und fast bis in die kleinsten
Züge genaues
Bild des preußischen
Schulwesens und im ganzen auch des deutschen
Schulwesens überhaupt zusammensetzen; was den
Wunsch jedoch nicht ausschließt, sondern vielmehr gerade nahelegt, ein solches
möchte von amtlicher
Stelle
(Reichsschulkommission) amtlich aufgestellt werden.
Bezüglich des
Auslandes ist in erster
Reihe auf die große
Schmid-Schradersche
Encyklopädie zu verweisen; namentlich für die
Länder und
Staaten, die durch
Gunst der alphabetischen
Ordnung in den letzten
Bänden behandelt worden.
Ihnen darf für
Österreich-Ungarn
[* 14] (Fr.
Frisch und M. Lövy) und die
Schweiz (Archivbüreau der schweizerischen permanenten Schulausstellung zu Zürich)
[* 15] ebenfalls der »Pädagogische
Jahresbericht« als fortlaufende Ergänzung zur Seite gestellt werden. Doch fehlt es auch nicht
an
Monographien über das
Schulwesen der Nachbarländer, die beweisen, daß die deutsche
Lehrerwelt keineswegs selbstzufrieden
die
Augen gegen das, was rings um uns zur
Pflege des
Unterrichts- und Erziehungswesens geschieht, verschließt. Von den zahlreichen
hierher gehörigen
Aufsätzen in pädagogischen
Zeitschriften kann in dieser Übersicht nicht die
Rede sein. Als Proben
selbständig erschienener
Arbeiten aus diesem Gebiet seien genannt: Lauer,
»Entwickelung und Gestaltung des belgischen Volksschulwesens«
(Berl. 1885) und »des niederländischen Volksschulwesens«
(das. 1885);
Schröder, »Das Volksschulwesen in Frankreich« (Köln [* 16] 1884-87,2 Bde.);
Jolly, »Die französische Volksschule unter der dritten Republik« (Tübing. 1884);
Wychgram, »Das weibliche Unterrichtswesen in Frankreich« (Leipz. 1886);
Kemény, »Beiträge zur Kenntnis des modernen Schulwesens von Frankreich, mit Berücksichtigung der übrigen auf der Pariser Weltausstellung vertretenen Länder« (Gotha [* 17] 1890);
Hauffe, »Die Volksschule und die Lehrerbildung in Österreich« [* 18] (das. 1887);
Klinghardt, »Das höhere Schulwesen Schwedens« (Leipz. 1887).
Mit besonderm Anteil wird überall in Deutschland das ¶
mehr
schweizerische Schulwesen verfolgt; die pädagogische Litteratur ist jedoch dort so rege und zugleich in Deutschland so zugänglich,
daß zu besondern deutschen
Schriften darüber kein Bedürfnis vorliegt. Als Hauptquellen für die Kenntnis des schweizerischen
Schulwesens der Gegenwart können noch genannt werden: Grob und Hunziker, »Statistik über das Unterrichtswesen in der Schweiz«
(Zürich
1883,7 Bde.);
Büchelers Artikel »Schweiz« in der Schmid-Schraderschen Encyklopädie (Bd. 8 der 2. Aufl.);
Hunzikers Artikel »Suisse« in Buissons »Dictionnaire« (Par. 1887).
Ähnlich liegt die Sache mit Österreich, dessen rege pädagogische Presse
hüben wie drüben gelesen wird. Als ergiebige rein österreichische Quelle
[* 20] ist da etwa noch das »Pädagogische
Jahrbuch« (Wien,
[* 21] seit 1878) zu nennen, das in seinen bisherigen zwölf Jahresheften, geleitet von M. Zens, eine Fülle von
Nachrichten geschichtlicher wie statistischer Art über Schulwesen, Lehrerleben und pädagogisches Streben des Kaiserreichs
bringt. Eine besondere, aber sehr dankenswerte Aufgabe stellte sich J. P. ^[Johannes Paul] Müller in dem Buche »Die
deutschen
Schulen im Ausland, ihre Geschichte und Statistik« (Bresl. 1885),
nachdem mit einer Monographie gleicher Art Schuricht
in seiner »Geschichte der deutschen
Schulbestrebungen in Amerika«
[* 22] (Leipz. 1884) vorausgegangen war.
Praktische Pädagogik.
Wenn die bisher besprochenen Zweige der Pädagogik im abgelaufenen Jahrzehnt fröhliches Gedeihen gezeigt, reiche Blätter und Blüten getrieben haben, so gilt das von der praktischen Pädagogik nach allen Richtungen in erhöhtem Maße. Die Masse der Flugschriften, der Lehrbücher, der Verbesserungsvorschläge ist geradezu eine erdrückende. Man kann sich der Frage kaum erwehren, ob diese Unruhe und dieser Drang nach Öffentlichkeit in der That als ein Zeichen gesunder Kraft [* 23] oder nicht vielmehr als Ausfluß [* 24] und Anzeichen eines fieberhaften Zustandes anzusehen sei.
Zweifellos ist in mehr als einer Hinsicht größere Ruhe und Besonnenheit in der litterarischen Produktion dringend zu wünschen. Allein das trifft im ganzen mehr die eben bezeichneten Felder des ganzen Gebietes, auf die hier der Natur der Sache nach nicht näher eingegangen werden kann: vor allen andern die Litteratur der Fachlehrbücher. Ja auch in Bezug darauf kann nicht geleugnet werden, daß neben zahlreichen unselbständigen und innerlich unberechtigten Erscheinungen, denen nur Gewinnsucht der Verfasser und Verleger zu Grunde liegt, auch vieles Tüchtige und Ernsthafte ans Licht [* 25] tritt, und daß namentlich auch neben dem fachwissenschaftlichen allmählich immer mehr die eigentlich pädagogischen, didaktischen und methodischen Gesichtspunkte zur Geltung kommen.
Das in den letzten Jahren immer höher angeschwollene Streitschrifttum wird hoffentlich von selbst in sein natürliches Bett [* 26] zurücktreten, wenn die augenblicklich für Volksschulen wie höhere Lehranstalten angebahnten gesetzlichen und verwalterischen Neuerungen erst zum vollen Abschluß und zum wirklichen Leben gelangt sein werden. Als unleugbarer Gewinn aus der regen und oft wirren litterarischen Bewegung in der praktischen Pädagogik kann man aber jedenfalls schon ein Zwiefaches bezeichnen: die erhebliche Bereicherung und Verbesserung der Lehrmittel, namentlich der Anschauungsmittel, und die Begründung einer in ihren Grundzügen allgemein anerkannten Schulgesundheitslehre.
Die Lehrmittel können hier, als außerhalb des eigentlichen litterarischen Gebietes stehend, nur erwähnt werden; ihrer Verbesserung dienen namentlich die immer zahlreicher entstehenden Schulmuseen und Lehrmittelausstellungen. Dagegen gehört die Schulhygiene und ihre Litteratur recht eigentlich hierher. Zwar ist diese Wissenschaft als solche nicht erst ein Kind des letzten Jahrzehnts. Indes darf man doch sagen, daß das Vorgehen des preußischen Kultusministers v. Goßler und namentlich die Berliner [* 27] Hygieneausstellung von 1883 ihr in Deutschland erst wahrhaft zum Bürgerrecht und vollen Leben verholfen haben. In diesem Jahre erschienen zwei Schriften, die auf diesem Gebiet billig vor allen andern zu nennen sind, die 2. Auflage von A. Baginskys »Handbuch der Schulhygiene« (Stuttg.) und H. Cohn, »Die Hygiene des Auges in den Schulen« (Wien), in denen die bisherigen Verhandlungen zusammengefaßt wurden.
Auch die Frage der Überbürdung der Schuljugend war nicht mehr ganz neu. Den kräftigsten Anstoß aber erhielt sie durch den übertreibenden Angriff Pädagogische Hasses in dem Vortrag »Die Überbürdung unsrer Jugend auf den höhern Lehranstalten im Zusammenhang mit der Entstehung von Geistesstörungen« (Braunschw. 1880). Inzwischen hat durch manches Für und Wider die junge Wissenschaft sich zu einer Ruhe und Reife entwickelt, bei der Arzt und Schulmann sehr wohl nebeneinander bestehen und miteinander auskommen können. Zu jenen Anstoß gebenden Werken ist eine ganze Gruppe verwandter Schriften getreten, wie: Löwenthal, »Grundzüge einer Hygiene des Unterrichts« (Wiesb. 1887);
Engelhorn, »Schulgesundheitspflege« (Stuttg. 1888);
Eulenberg u. Bach, »Schulgesundheitslehre« (Berl. 1889);
Rembold, »Schulgesundheitspflege« (Tüb. 1889);
Toselowsky, »Schulhygiene, zusammengestellt aus den Verhandlungen des Berliner medizinisch-pädagogischen Vereins« (das. 1890).
Eine eigne »Zeitschrift für Schulgesundheitspflege« von H. Kotelmann erscheint seit 1888 in Hamburg. [* 28] Wesentlich geklärt und gefördert ist diese wichtige Angelegenheit dadurch, daß mittels Erlasses vom der preußische Minister v. Goßler eine der wichtigsten Seiten der Gesundheitspflege in Schulen, die Bewegung im Freien und die Spiele (s. Jugendspiele), in Erinnerung brachte. Auch aus dieser Anregung erwuchs bald eine lebhafte litterarische Bewegung. Es genüge, auf das Buch von G. Eitner, »Die Jugendspiele« (4. Aufl., Leipz. 1890), zu verweisen, das aus der reichen Litteratur das Nötige beibringt. Welche verständige und besonnene Pflege die Schulhygiene auf medizinischer Seite heutzutage nach Überwindung mancher anfänglicher Einseitigkeiten findet, beweisen unter andern die hier einschlagenden Aufsätze in dem von O. Dammer herausgegebenen trefflichen »Handwörterbuch der öffentlichen und privaten Gesundheitspflege« (Stuttg. 1891).
Ist dieses Feld allen Arten von Schulen gemein, so scheiden sich übrigens die verschiedenen Stufen und Zweige des Unterrichtswesens schroffer, als es im wahren Interesse des Volkslebens und in der Natur der Sache begründet liegt, so daß die noch übrige praktische pädagogische Litteratur 1880-90 im engern Sinne für das höhere und für das Volksschulwesen gesondert zu betrachten ist.
Höheres Schulwesen.
Im vorigen Jahrzehnt stand unter Nachwirkung des nationalen Aufschwunges von 1870 und 1871 und unter dem unmittelbaren Einfluß der preußischen allgemeinen Bestimmungen für das Volksschulwesen vom dieses an Regsamkeit dem höhern Schulwesen voran. Dies Verhältnis hat sich, wenn nicht umgekehrt, so doch wesentlich verschoben. Durch die um 1880 in Blüte [* 29] stehende Überbürdungsfrage ¶