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über diesen Gegenstand. Nicht ohne
Bitterkeit werden die wirklichen
Schwächen des Gegners aufgedeckt, aber auch manche
Punkte
getadelt, für die unbefangene Würdigung doch noch manches zur
Verteidigung anführen kann. Neben dem
oben kurz dargelegten
Theorem der sogen.
Konzentrations- oder kulturhistorischen
Stufen ist es aus dem eigentlich pädagogischen Bestand besonders
das der formalen
Stufen, das
Dittes angreift.
Herbart verlangt nämlich die Zerlegung des Unterricht
sstoffes
in sogen. pädagogische
Einheiten (etwa Stundenpensa) und deren Behandlung nach den formalen
Stufen der
Klarheit
(Analyse, Synthese),
Association,
System,
Methode, wofür verständlicher seine
Schüler wohl jetzt drei
Stufen des Anschauens
(Einleitung,
Anschauung),
Denkens (Vergleichung, Zusammenfassung), Anwendens oder die fünf der Vorbereitung, Darbietung, Verknüpfung,
Zusammenfassung, Anwendung setzen. Es ist kaum zweifelhaft, daß diese Vorschrift, wenn man sie ihres dunkeln Gewandes und
ihrer starren Gesetzlichkeit, d. h. ihrer
Schwächen, entkleidet, nichts eigentlich
Neues mehr bietet.
Aber es steckt doch ein gesunder Kern darin, und dieser ist noch nie mit so durchgreifender Wirkung geltend gemacht wie in der Herbartschen Schule. Man kann daher, wenn nur die Herbartianer nicht allzu anspruchsvoll mit ihrer Eigenart hervordrangen, sich in diesem wie in manchen andern Punkten ihre Mithilfe gern gefallen lassen und ihr nachdrückliches Dringen auf planvolles Verfahren beim Unterricht anerkennen. Der Dittessche Angriff hat alsbald das ganze Lager [* 2] der Gegner in Harnisch gebracht. Aus der größern Zahl der Gegenartikel seien hier nur die von Thilo und Flügel in der »Zeitschrift für exakte Philosophie«, Bd. 14, erwähnt, die auch als besonderes Heft unter dem Titel: »Dittes über die praktische und theoretische Philosophie Herbarts« (Langens. 1885) erschienen sind. Da Dittes hierauf 1886 im »Pädagogium« antwortete, zog sich dieser Streithandel durch mehrere Jahre.
Inzwischen ist der Herbartschen Pädagogik und ihren philosophischen Grundlagen ein neuer Gegner erstanden in dem Oldenburger Schulrat W. Ostermann (s. d.). In philosophischer Hinsicht Schüler H. Lotzes, hatte dieser schon vor Ausbruch des Dittesschen Streites einen kurzen, trefflichen Abriß, die »Grundlehren der pädagogischen Psychologie« (Oldenburg [* 3] 1880),
veröffentlicht, den er kurz darauf in das mit Wegener von ihm herausgegebene zweibändige »Lehrbuch der Pädagogik« (s. unten, S. 692) verarbeitete. Lotze, der selbst nicht daran gedacht hat, seine Philosophie auf das besondere Gebiet der Pädagogik anzuwenden, nahm noch kurz vor seinem Tode Anlaß, der Arbeit des Schülers volle Anerkennung auszusprechen. Bei dieser Arbeit hatte Ostermann auch das Bedürfnis empfunden, sich mit der Herbartschen Pädagogik gründlich auseinanderzusetzen und legte davon Rechenschaft ab in der Schrift »Die hauptsächlichsten Irrtümer der Herbartschen Psychologie und ihre pädagogischen Konsequenzen« (Oldenburg 1887). Vielleicht hat Ostermann etwas schwarz gesehen und nicht genugsam beachtet, daß ein guter Teil der Herbartschen Psychologie und noch mehr seiner Pädagogik rein empirisch begründet ist und daher mit den eigentümlichen metaphysischen Grundlagen seines Systems nicht geradezu steht und fällt.
Man kann ihn noch billiger gegen das in Herbarts und seiner Schüler redlichem Bemühen um eine wissenschaftliche Pädagogik liegende, nicht geleugnete Verdienst wünschen. Allein zunächst richtet sich doch sein Einspruch gegen die unter der beliebten Firma der Wissenschaftlichkeit so oft behauptete Geschlossenheit des Systems; und in dieser Hinsicht wird er gewiß Sieger bleiben. Es gibt schwerlich eine moderne Gestalt der Philosophie, die besonnener der exakten Forschung unsrer Tage ihr Recht gibt und dabei treuer die ewigen sittlichen Grundlagen des höhern Lebens festzuhalten, dem Glauben an die ideale Welt seinen Raum zu wahren weiß, wie die von Lotze vertretene; die Wundtsche mag ihr nahekommen und an die Seite gestellt zu werden verdienen. Schade nur, daß weder Lotze überhaupt noch bisher Wundt sich bewogen gefunden haben, die Anwendung ihrer Grundideen auf das Gebiet der Erziehung und des Unterrichts selbst zu geben. Auf jeden Fall kann der Ostermannsche kühne Vorstoß nur heilsam aufklärend wirken und hat bereits diese Frucht getragen. Flügel hat in der Schrift »Ostermann über Herbarts Psychologie« (Langens. 1887) die Verteidigung wohl etwas leicht genommen; ihr zeigte sich der Angreifer in seiner zweiten Schrift: »Zur Herbart-Frage« (Oldenb. 1888),
ebenso gewachsen wie dem weitern Streitwort Flügels (»Zeitschrift für exakte Philosophie«, Bd. 16) in dem Aufsatz des »Pädagogischen Jahresberichts« (Leipz. 1888, S. 14-47): »Zum Herbart-Streit zwischen Flügel und Ostermann«. Einen Bundesgenossen eigner Art hat Ostermann neuerdings in dem Geraer Direktor Fr. Bartels gefunden, der in der »Pädagogischen Psychologie nach Hermann Lotze« (Jena [* 4] 1890,2 Tle.) Ostermanns Grundlehren, ohne sie anzuführen, plünderte und dabei vorgab, der Lehrerwelt die erste Darstellung der Psychologie Lotzes zu bieten. Kurz zuvor hatte er in seiner Schrift »Anwendbarkeit der Herbart-Ziller-Stoyschen didaktischen Grundsätze für den Unterricht an Volks- und Bürgerschulen« (2. Aufl., Wittenb. 1888) einen anerkennenswerten Beitrag zur Herbart-Kritik geliefert.
Eine eigenartige Formulierung hat A. Vogel der Herbartfrage gegeben in seiner Schrift »Herbart oder Pestalozzi?« (Hannov. 1887). Sie muß insoweit als berechtigt anerkannt werden, wie er damit vor dem undankbaren Zurückstellen des großen praktischen Bahnbrechers und Anregers hinter dem Theoretiker warnen will. Sie verliert aber das Recht, wenn damit Pestalozzi auch als Theoretiker Herbart gegenübergestellt werden soll. Herbart ist von dem menschenfreundlichen Schweizer zum pädagogischen Interesse angeregt worden und hat dies dankbar anerkannt; aber das Gefühl des Mangels, das ihn trieb, die Pestalozzischen praktischen Ratschläge auf tiefere und festere psychologische Grundlagen zurückzuführen, war gewiß begründet. Die pädagogische Praxis wird den Schweizer stets als Klassiker dankbar verehren, aber die Pädagogik als Wissenschaft kann bei ihm nicht stehen bleiben.
Als besonders erfreulich sei hier noch die Beteiligung einiger angesehener akademischer Philosophen und Theologen außerhalb des Herbartschen Kreises an der Arbeit für die philosophische und allgemeine Pädagogik dankbar erwähnt. W. Dilthey hat in der Sitzung der Berliner [* 5] Akademie der Wissenschaften einen Vortrag gehalten »Über die Möglichkeit einer allgemeingültigen pädagogischen Wissenschaft« und darin Antwort auf die Fragen zu geben gesucht, ob eines der im 19. Jahrh. aufgetauchten Systeme der Pädagogik (Schleiermacher, Herbart, Beneke, Waitz, Spencer, Bain) Anspruch auf Gemeingültigkeit erheben könne, und wenn nicht, für welche pädagogische Lehren [* 6] die Gemeingültigkeit erreichbar sei. Schon die Thatsache, daß an dieser vornehmsten Pflegstätte deutscher Wissenschaft die Pädagogik zu ¶
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Worte kommt, was seit Schleiermachers Tagen kaum wieder geschehen sein mag, verdient dankbar hervorgehoben zu werden; aber auch der Versuch selbst, in der Erziehungswissenschaft einen festen wissenschaftlichen Kern von der umgebenden, im einzelnen ausgestaltenden Kunstlehre, sozusagen einen theoretisch-philosophischen und einen empirisch-historischen Teil zu scheiden, fordert sorgfältige Beachtung, wenngleich er einstweilen noch in schwer ringender Sprache [* 8] und im Gewande feierlicher Dunkelheit auftritt.
Ähnlichen Wunsch erweckt J. ^[Julius] Baumanns »Einführung in die Pädagogik« (Leipz. 1890), ein Heft, in dem der Göttinger Philosoph auf Grund langjähriger Erfahrung im Kolleg und im Prüfungssaal dasjenige aus der Geschichte der pädagogischen Theorien und aus der allgemeinen Pädagogik oder pädagogischen Psychologie in kurzer Auswahl darbietet, was die Studierenden befähigt, das gegebene Schulwesen seinen tiefern geschichtlichen Gründen nach zu verstehen und aus den allgemein angenommenen Lehren der Psychologie die für ihre spätere Praxis grundlegenden pädagogischen Urteile abzuleiten.
Hat Dilthey sich vielleicht etwas zu ängstlich im esoterischen Heiligtum, weitern Kreisen unnahbar, gehalten, so wird Baumann bei einer zweiten Auflage vielleicht in den beiden Hauptrichtungen seines Bemühens dem Leser etwas mehr zumuten dürfen, wenigstens wenn sein Handbuch auch für den Gebrauch in den neuen Seminaren für das höhere Schulwesen zureichen soll. Unter den Theologen verdienen zwei inzwischen verstorbene Männer besonders hervorgehoben zu werden: G. Baur (gest. 1889), der Schüler Schleiermachers, mit den trefflichen »Grundzügen der Erziehungslehre« (4. Aufl., Gießen [* 9] 1887),
und der Verfasser des großen »Systems der christlich-kirchlichen Katechetik«, G. v. Zezschwitz (gest. 1886),
mit seinem schönen »Lehrbuch der Pädagogik« (Leipz. 1882), das, aus Erlanger Vorlesungen über diesen Gegenstand hervorgewachsen, weder den entschiedenen theologischen Standpunkt noch die genaue Sachkunde und das begeisterte Interesse am Gegenstand verleugnet. Endlich sei auch im kurzen noch einiger ausländischer Vertreter der philosophischen Pädagogik gedacht, die im letzten Jahrzehnt auf die deutsche Lehrer- und Schriftstellerwelt wachsenden Einfluß geübt haben. Mannigfach waren schon immer die Wirkungen des französischen Positivisten Comte in Deutschland. [* 10] Dadurch, daß seine pädagogischen Ansichten in G. Fr. Sterzel (»A. Comte als Pädagog«, Leipz. 1886) einen Monographen gefunden, der auf den merkwürdigen Parallelismus zwischen ihm und den strengen Herbartianern bezüglich des kulturhistorischen Stufenganges der Erziehung hinwies, ist das Interesse für ihn in den pädagogischen Kreisen bei uns neu belebt. Mehr aber als Comte selbst haben zwei britische Nachfolger in Deutschland Schule gemacht, die seinen Positivismus zur Biologie oder Evolutionsphilosophie ausgestalteten: Alex. Bain mit seiner »Education as a science« (5. Aufl. 1885; deutsch, Leipz. 1880) und Herbert Spencer, dessen »Education: intellectual, moral, physical« (Lond. 1861) in der Urschrift bereits an 20 Auflagen erlebte und auch in Deutschland (übersetzt von Fr. Schultze, 3. Aufl., Jena 1889) weit verbreitet ist.
Geschichte der Pädagogik.
Reges Leben herrschte während des abgelaufenen Jahrzehnts auf dem Felde der Geschichte der Pädagogik in Deutschland. Daß die Regsamkeit sich weniger in größern zusammenfassenden Darstellungen als in einzelnen Lebens- und Zeitbildern äußerte, kann der Sache nur zum wesentlichen Vorteil gereichen. Doch hat es an dem Versuch umfassenderer Darstellung der Geschichte der Erziehung nicht ganz gefehlt. Die »Geschichte der Pädagogik, dargestellt in weltgeschichtlicher Entwickelung und im organischen Zusammenhang mit dem Kulturleben der Völker« von K. Schmidt wird in 4. Auflage gegenwärtig von Fr. Dittes und seinem Nachfolger am Wiener städtischen Pädagogium, E. Hannak (Köth., seit 1886), bearbeitet, die entschlossen sind, gegenüber dem unter Hegelschem Einfluß stark hervortretenden Schematismus der frühern Auflagen mehr den kritisch gesichteten, von der Einzelforschung festgestellten Sachverhalt in den Vordergrund zu rücken.
Der bis jetzt erschienene erste Band, [* 11] von Hannak bearbeitet, behandelt das Erziehungswesen der Naturvölker sowie der Chinesen, Japaner, Ägypter, Semiten, Inder, Perser, Griechen und Römer. [* 12] Ein überaus schwieriges und teilweise wenig dankbares Feld! Indes erweckt die rüstige Art, wie es an der Hand [* 13] zuverlässiger Quellenforschungen bestellt worden, für den weitern Fortgang des Unternehmens die besten Erwartungen. Ein zweites neues Werk dieser Art unternahm neben der großen von ihm herausgegebenen Encyklopädie der Prälat K. A. Schmid in der »Geschichte der Erziehung vom Anfang an bis auf die neuere Zeit«, einem auf 4 Bände berechneten Werke, das er in Gemeinschaft mit einer Anzahl von Gelehrten und Schulmännern zu vollenden gedachte. Es ist nicht sein Zweck, die Wissenschaft im strengern Sinne durch selbständige Untersuchungen zu fördern; den Gebildeten will er dienen, die im Gewirr der widerstreitenden Ratschläge der Parteien auch auf diesem Gebiet nach der Leuchte der Geschichte verlangen. Der erste Band (Stuttg. 1884) gibt nach der Einleitung ein übersichtliches Bild der Erziehung bei den Naturvölkern, wie bei den Kulturvölkern des Morgenlandes, den Chinesen, Indern, Persern, Semiten, besonders Assyrern, Ägyptern, dann die Geschichte der Erziehung bei den klassischen Völkern, Griechen und Römern, endlich einen Abriß des Erziehungswesens bei dem Volke der vorbereitenden Offenbarung, den Israeliten.
Die Geschichte der griechischen und römischen Erziehung hat der (1887 verstorbene) Herausgeber selbst in wesentlicher Anlehnung an das gelehrte, dreibändige Werk von L. Grasberger (Würzb. 1864-80), aber in durchaus freier Gestaltung verfaßt. Der ganze übrige Inhalt des ersten Bandes ist die Arbeit des verstorbenen Professors G. Baur zu Leipzig [* 14] und bietet in angemessener Gestalt das Beste, was nach dem heutigen Stande der Forschung möglich war. Das Werk erscheint fort unter Leitung G. Schmids zu St. Petersburg, [* 15] eines Sohnes des Begründers.
Vom zweiten Bande ist 1889 die zweite Hälfte zuerst erschienen. Sie umfaßt die Wende vom Mittelalter zur neuern Zeit und enthält drei selbständige, dankenswerte Arbeiten:
1) Erziehung und Unterricht im Zeitalter des Humanismus von K. Hartfelder (Italien, [* 16] Frankreich, Deutschland, Spanien, [* 17] England);
2) die Reformation von E. Gundert (Vorbereitung, deutsche, schweizerische Reformation);
3) die vier großen protestantischen Rektoren des 16. Jahrh. und ihre Schulen von G. Schmid (Val. Friedland-Trotzendorf, J. ^[Johannes] Sturm, M. Neander, Hieron. Wolf).
Die zwischen den beiden erschienenen Teilen des großartig angelegten Schmidschen Werkes noch klaffende Lücke füllt (der
Zeit nach allerdings nur teilweise, aber sonst in meisterhafter Weise) aus F. A. Specht, »Geschichte des Unterricht
swesens
in Deutschland bis in die Mitte des 13. Jahrh.« (Stuttg.
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