im Krainer Landtag richteten die Slowenen neuestens Angriffe gegen den ihnen bisher wohlgewogenen Landespräsidenten Winkler. Der
Tiroler und Vorarlberger Landtag gefielen sich in Erörterungen betreffend die konfessionelle Schule. In Tirol ist die italienische
Partei mit einem Antrag auf administrative Zweiteilung des Landes hervorgetreten, wonach zwei national geschiedene Kreisvertretungen,
eine für Deutschtirol in Innsbruck, eine für Welschtirol in Trient, geschaffen und denselben einzelne
Agenden des Landtags zugewiesen werden sollen.
Dem Volllandtag sollten nur jene Gegenstände vorbehalten werden, welche das ganze Land betreffen. Der weitgehende Antrag
hat weder bei den klerikalen noch bei den liberalen Abgeordneten Deutsch-Tirols Aussicht auf Unterstützung. Im Dezember 1890 fand
noch eine kurze Session des Reichsrates statt, in welcher die provisorische Bewilligung des Budgets für das Jahr 1891 erfolgte.
Dasselbe wurde in den Ausgaben mit 564,5, in den Einnahmen mit 566,8 Mill. Guld. (gegen 547,1 und 548,8 im J. 1890) beziffert
und ergibt demnach einen Überschuß von 2,3 Mill. Guld. (gegen 1,7 Mill. Guld. im Vorjahr).
Eine Überraschung bildete die 23. Jan. 1891 verfügte Auflösung des Abgeordnetenhauses, dessen Mandatsdauer ohnedies im Sommer
d. J. abgelaufen wäre. Als Grund dieser Maßregel ist der Zersetzungsprozeß, welcher in den Reihen der bisherigen Majorität
eingerissen war und dieselbe nicht mehr als eine zuverlässige Stütze der Regierung erscheinen ließ,
anzusehen. Daß die innere Politik in der That an einem Wendepunkte angelangt sei, bewies die bald darauf (4. Febr.) erfolgte Enthebung
des Finanzministers v. Dunajewski, welcher als die Verkörperung jenes slawenfreundlichen föderalistischen Systems galt, in
dessen Bekämpfung die Deutschen mehr als ein Jahrzehnt ihre besten Kräfte erschöpfen mußten. Dunajewski
wurde durch den der deutsch-zentralistischen Richtung angehörigen Sektionschef des Justizministeriums Emil Steinbach ersetzt.
Die Reichsratswahlen fanden Ende Februar und Anfang März 1891 statt. Das wichtigste Ergebnis derselben war die zerschmetternde
Niederlage der Alttschechen in Böhmen, welche ihre sämtlichen Mandate in den Landgemeinden an die Jungtschechen verloren
und in den Städten nur ein einziges behaupten konnten. Infolge dieses eklatanten Mißtrauensvotums haben die Alttschechen auf
die Beteiligung an den Stichwahlen in Prag und auf ihre Handelskammerkandidaturen verzichtet und sind vom politischen Schauplatz
gänzlich zurückgetreten. Im übrigen ergaben sich geringe Veränderungen im Besitzstande der Parteien. Die deutsch-liberale
Partei hat wohl in Niederösterreich empfindliche Einbußen erlitten; so wurden in den niederösterreichischen
Landgemeinden, dann in sieben Wiener Vorstadt- und Vorortbezirken Klerikale, bez. Antisemiten gewählt. Dagegen hat die Partei
auch einige Mandate neu gewonnen und zieht in der frühern Stärke mit 110 (von 353) Abgeordneten in das Parlament ein.
Die nächststarke Partei sind die Polen (57). Die bisherigen ruthenischen Vertreter sind durch die der
Regierung und der herrschenden Polenpartei näher stehenden Jungruthenen ersetzt worden. Die Jungtschechen verfügen über 35 Mandate.
Ein neues Gepräge erhielt die Wahlbewegung durch das Hervortreten der Sozialdemokraten, welche in mehreren städtischen
Bezirken Zählkandidaten aufstellten. Taaffe sah sich daher durch den Ausfall der Wahlen nicht veranlaßt,
zurückzutreten oder durchgreifende Veränderungen im Ministerium vorzunehmen, sondern beschloß, sich von Fall
zu Fall auch
ohne die Alttschechen die erforderliche Mehrheit zu verschaffen.
In der Verwaltung haben sich wichtigere Personalveränderungen (aber ohne Änderungen der bisherigen Richtung) durch den Rücktritt
des Statthalters von Tirol, Freiherrn von Widmann, und jenes von Dalmatien, Feldmarschallleutnant v. Blazekovic,
ergeben. Für Innsbruck wurde der bisherige Statthalter von Oberösterreich, Graf Merveldt, der seinerseits durch den Hofrat der
Innsbrucker Statthalterei, Freiherrn von Puthon, ersetzt wurde, für Zara der zuletzt in den Okkupationsländern verwendete
Feldmarschallleutnant v. David ernannt.
Gegenüber der italienischen Irredenta, welche sich in Triest im September 1890 durch ein Petardenattentat
bemerkbar machte, zeigte die Regierung entschiedeneres Auftreten. Der italienische Schulverein Pro Patria in Triest wurde aus
Anlaß der Beistimmung zu den Tendenzen des Österreich feindlichen Dante-Vereins in Rom aufgelöst; die gleiche Maßregel traf
den Triester Progresso-Verein. Etwanige Rücksichten auf das Bündnis mit Italien brauchten die österreichische
Regierung bei diesem Vorgehen nicht zurückzuhalten, weil das Kabinett Crispi selbst den Mut hatte, die Barsanti- und Oberdankvereine
aufzulösen.
Mit großer Genugthuung wurde auch die Entlassung des italienischen Finanzministers Seismit-Doda, welcher bei einem Bankett
in Udine irredentistische Demonstrationen zugelassen hatte, sowie die Suspendierung des Präfekten von Udine
aus diesem Anlaß aufgenommen, da dies als ein Akt der Loyalität und Bundestreue der italienischen Regierung aufgefaßt wurde.
Sehr günstige Wirkung übte endlich die gegen die Irredenta gerichtete, den Wert der Erhaltung des Dreibündnisses betonende
Rede, welche Crispi 8. Okt. 1890 in Florenz hielt. In sehr gelungener Weise sind die von den Deutsch-Österreichern
im Sommer 1890 veranstalteten patriotischen Feste und zwar das Fest des Deutschen Schulvereins 25. und 26. Mai Linz und das vierte
deutsche Sängerbundesfest 15.-17. Aug. in Wien verlaufen. Namentlich das letztere hat sich zu einem erhebenden alldeutschen
Verbrüderungsfest und zu einer enthusiastischen Demonstration im Sinne des deutsch-österreichischen Friedensbündnisses
gestaltet. Lebhafte Genugthuung empfand man endlich in Wien über den herzlichen Empfang, welcher dem Erzherzog Franz Ferdinand,
dem präsumtiven Thronerben, bei seinem Besuch im Februar 1891 am russischen Hofe bereitet wurde.
Zur Litteratur: Wertheimer, Geschichte Österreichs und Ungarns im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrh. (Bd.
2, Schluß des Werkes, Leipz. 1890); »Österreichs Forstwesen 1848-88«, Denkschrift (Wien 1890).
(Kastenwesen.) Als die Entdeckung des Seewegs nach Ostindien die erste nähere Bekanntschaft Europas mit dem alten
Wunderland herbeiführte und die portugiesischen Seefahrer mit der von ihnen unterworfenen Bevölkerung des indischen Küstenlandes
in nähere Berührung kamen, ihre Sitten und Gebräuche studierten, erregte nichts so sehr ihre Verwunderung
als die schroffe Abstufung der Stände und Rangklassen in Indien. Die entwürdigende Stellung der Parias, die abnormen Vorrechte,
welche die Brahmanen beanspruchten, und andre Auswüchse des indischen Kastengeistes haben durch die lebhaften Schilderungen
der portugiesischen Seefahrer früh eine gewisse Berühmtheit erlangt. Auch das Wort »Kaste« stammt aus
dem Portugiesischen (vom portug. casta, »Geschlecht«). Neuere Untersuchungen haben bewiesen, daß man Indien mit Recht als die
mehr
Heimat und die dortigen sozialen Einrichtungen als das Prototyp des Kastenwesens überhaupt betrachtet hat. Namentlich hat die
genauere Durchforschung der alten Sanskritlitteratur einerseits, der Fortschritt der englischen Statistik in Indien anderseits
eine Menge neuer Aufschlüsse über das Kastenwesen gebracht, welche ein allgemeineres Interesse beanspruchen können. In der
ältesten Periode der indischen Geschichte gab es noch keine eigentlichen Kasten.
Die Brahmanen scheinen sich als Hauspriester angesehener und reicher Adels- und Fürstenfamilien und als alleinige Besitzer
des gesamten religiösen und gelehrten Wissens früh zu einer sehr einflußreichen Stellung emporschwangen zu haben, bildeten
aber den übrigen Ständen gegenüber noch keine streng in sich abgeschlossene Zunft. Erst in einem der
spätesten Lieder des Rigweda findet sich der berühmte Vers, der die Entstehung der vier Hauptkasten aus den verschiedenen
Gliedmaßen des Weltgeistes Puruscha schildert und noch in der Gegenwart als die Magna Charta des Brahmanentums betrachtet
wird.
Der Brahmane, heißt es hier, war sein Mund;
der Krieger wurde zu seinen Armen;
Schenkel war das, was jetzt
Vaisya (Ackerbauer) ist;
aus den Füßen entstand der Sudra.
Sucht man durch den mythologischen Nebel, in den diese Überlieferung
den Ursprung des indischen Kastenwesens hüllt, zu dem historischen Kern vorzudringen, so wird man sich die allmähliche Entstehung
dieser ständischen Gliederung etwa folgendermaßen vorzustellen haben: Bekanntlich sind die Arier, die
herrschende Rasse in Indien und die nahen Stammverwandten der indogermanischen Völker Europas, vom Norden her in Indien eingewandert,
wo sie die einheimische schwarze Bevölkerung teils unterjochten, teils in die Gebirge im Innern des Landes zurücktrieben.
Die jahrhundertelangen Kämpfe, die um den Besitz von Hindostan geführt wurden, begünstigten das Emporkommen
eines kriegerischen Adels. Zugleich entwickelten sich aber bei einem so tief religiös angelegten Volke die Brahmanen, welche
mit dem wirksamsten Zaubersegen für Schlacht und Krieg bekannt waren, immer mehr zu einem geschlossenen und erblichen Stande.
Den beiden privilegierten Klassen der Priester und Krieger stand die Masse des Volkes unter dem Namen der Vaisyas,
d. h. der Ackerbau und Gewerbe treibenden Klasse, gegenüber.
Eine ähnliche Rangordnung findet sich in dem Zendavesta der stammverwandten Iranier, wie auch im europäischen Mittelalter
die gesamte Bevölkerung in den Lehr-, Wehr- und Nährstand eingeteilt wurde. In Indien stand jedoch unter
diesen drei Kasten, welche unter dem Namen der »Zweimalgebornen« oder »Arier« zusammengefaßt wurden, noch eine vierte Kaste
der Sklaven oder Diener, Sudras genannt, welche aus den Überresten der unterjochten Urbevölkerung des Landes bestand.
Diese Vierkastenordnung war die älteste Form des indischen Kastenwesens und wurde als der Hauptpfeiler der
indischen Staatsverfassung noch in einer viel spätern Epoche festgehalten, welche längst, dem Fortschritt der Kultur und Gesittung
gemäß, die Anzahl der Kasten außerordentlich vervielfältigt hatte. Die indischen Gesetzbücher fassen ihrem Standpunkt
gemäß, welcher jede Vermischung der Kasten als etwas höchst Sündhaftes betrachtet, die wenig geachteten Kasten der Fischer,
Ärzte, Schauspieler, Gaukler etc. als Produkte verbotener Zwischenheiraten unter den vier Hauptkasten auf.
Thatsächlich verdanken diese Kasten ihre Entstehung der Tendenz, jedes besondere Gewerbe in jeder einzelnen Provinz zu einer
gesonderten Kaste zu erheben. Der Kastengeist, früh geweckt, hat in Indien
immer weiter um sich gegriffen, und noch heute ist
die Anzahl der Kasten in steter Zunahme begriffen, wie auch die gegenseitige Abschließung der Stände
nicht ab-, sondern zugenommen hat. Ganz geringfügige Abweichungen von der herkömmlichen Art, ein Handwerk zu betreiben, rufen
nicht selten neue Kasten ins Leben. So hat ein Teil der Milchmänner diejenigen Berufsgenossen, welche buttern, ohne die Milch
vorher aufzukochen, aus der Kaste gestoßen. In Cuttack in Bengalen finden keine Ehen statt zwischen denjenigen
Töpfern, welche ihre Töpferscheibe sitzend drehen und kleine Töpfe formen, und jenen, die ihre Scheibe stehend drehen und
große Töpfe verfertigen.
Innerhalb der Fischerkaste gibt es eine Unterkaste, welche die Maschen von rechts nach links, und eine
andre, welche sie von links nach rechts arbeitet. Aus der Sanskritlitteratur, aus dem Erbrecht und aus den alten Inschriften
läßt sich entnehmen, daß Zwischenheiraten selbst unter den Mitgliedern verschiedener Hauptkasten früher, wenn auch verpönt,
doch keineswegs selten waren. Heutzutage zerfällt jede einzelne Kaste wieder in eine Menge Unterabteilungen,
denen jeder nähere gegenseitige Verkehr untersagt ist. J. ^[John] Wilson, der sich die Darstellung des indischen Kastensystems
zu seiner wissenschaftlichen Lebensaufgabe gemacht hatte, kam in zwei Bänden nicht über die Schilderung der verschiedenen
Verzweigungen hinaus, in welche die Brahmanenkaste zerfällt (»Indian Caste«, Bombay 1877). Der Kastengeist hat sich in Indien
sogar stärker als der Islam erwiesen.
Als die Mohammedaner Indien erobert hatten, nahmen sie nach und nach das Kastenwesen selbst an, und es gibt heutzutage in Indien
kastenartige Unterschiede unter den Mohammedanern so gut wie unter den brahmanistischen Sekten. Auch die englische Herrschaft
hat das Kastenwesen bisher nur wenig gelockert, wenn auch das Zusammentreffen der verschiedensten Kasten
in den englischen Schulen, Eisenbahnen und Tramways zur Beseitigung der alten Standesvorurteile erheblich beiträgt.
Die Brahmanen, 13,730,045 Köpfe nach der Volkszählung von 1881, sind keineswegs als eine eigentliche Priesterkaste anzusehen.
Schon in alter Zeit griffen sie des Lebensunterhalts wegen zu den verschiedensten Beschäftigungen.
Heutzutage huldigt nur ein sehr geringer Prozentsatz der Brahmanen religiösen oder gelehrten Berufen, dagegen sind die verschiedensten
andern Rangklassen bei ihnen vertreten, von dem stolzen Radscha bis zu dem halbnackte brahmanischen Bauer von Orissa.
Sehr viele Brahmanen sind Bettler, andre dienen als Sepoys in der englischen Armee oder als Schreiber in
englischen Büreaus etc. Obwohl nach außen hin streng abgeschlossen und den Besitz der über die Schulter geschlungenen Brahmanenschnur
als ihr ausschließliches Privilegium betrachtend, zerfallen sie doch unter sich in zahlreiche Unterabteilungen, die nicht
untereinander heiraten und nicht miteinander speisen dürfen. Hunter, der bekannte englische Statistiker, erzählt, daß er 1869 einen
Verbrecher aus der Brahmanenkaste im Kerker traf, der versuchte, sich durch Hunger zu töten, und sich lieber körperlicher
Züchtigung unterziehen als die Speisen genießen wollte, die ein aus dem Nordwesten gebürtiger Brahmane für ihn gekocht hatte.
Die kriegerischen Radschputen (von dem Sanskritwort râjaputra, »Königssohn«),
7,107,828 Köpfe, sind die Nachfolger
der alten Kschatriyas oder Radschanyas, der Krieger- und Adelskaste. Aber diese Kaste hat die mannigfaltigsten Elemente in sich
aufgenommen, und noch heutzutage kann man in den entferntern