Die
Stellung des neuen
Ministeriums war, da es nicht über eine Mehrheit im
Storthing verfügte, von Anfang
an eine unsichere, und es beschloß, bis zu den bevorstehenden Storthingswahlen nur die laufenden
Geschäfte fortzuführen.
Da der Beschluß des
Storthings vom 23. Febr. kein Gesetzbeschluß war, so hatte er keine praktische
Folge und
nötigte den König nicht, zu demselben
Stellung zu nehmen. Der Vermittelungsvorschlag des
Königs über die Beteiligung
Norwegens
an der Leitung der auswärtigen
Politik war aber damit gescheitert.
Litteratur1885-90. Die belletristische Litteratur
Norwegens hat auch in der letzten fünfjährigen
Periode
wesentlich dieselbe realistische
Richtung befolgt, die im Anfang des letzten Jahrzehnts die bisher überwiegende
romantische und historische
Dichtung ablöste. Unter den norwegischen Dichtern nehmen Henrik
Ibsen und Björnstjerne
Björnson
immer noch unstreitig den ersten
Rang ein.
Ibsen, der sich fortwährend in
Deutschland
[* 3] aufhält, trat mit vier
Schauspielen:
»Vildanden« (»Wildente«),
»Rosmersholm«, »Fruen fra Havet«
(»Die
Frau vom
Meere«) und »Hedda
Gabler« hervor, die sämtlich dem sogen. Problemdrama angehören. Sie
zeichnen sich alle durch glänzende
Technik und vorzügliche
Komposition aus, während sie hinsichtlich der
Klarheit des
Inhalts
und der Prägnanz der Charakterzeichnung kaum auf der
Höhe seiner besten frühern Werke stehen.
Björnson hat außer einem
Lustspiel: »Geografi og Kærlighed«, in dessen
Hauptperson,
ProfessorTurman, man ein humoristisches Selbstporträt des Dichters zu sehen geglaubt hat, dienorwegische Litteratur 1885-90 mit
zwei größern
Romanen bereichert.
Der eine, »Det flager i Byen og paa Havnen« (ins Deutsche
[* 4] u. d. T.
»Das
Haus Kurt« übersetzt), behandelt die Erziehungsfrage, und obgleich die von dem Verfasser aufgestellten
Theorien von zweifelhaftem
Gehalt sein dürften, nimmt doch die
Erzählung mit ihrer ernsten
Tendenz und vortrefflichen
Charakteristik eine hervorragende
Stelle unter den
ArbeitenBjörnsons ein. Ebendasselbe gilt auch von seinem letzten, die Glaubenstoleranz verherrlichenden Werk
»Paa Guds Veie« (wo brave Leute gehen, da sind auch die Wege
Gottes).
JonasLie, der sich als liebenswürdig-humoristlscher Erzähler von optimistischer Lebensauffassung großes
Ansehen erworben hat, behauptet in den
Erzählungen »En Malström«, »Kommandörens
Döttre« und »Maisa Jons« seinen
Ruf als begabter und glaubhafter Schilderer des norwegischen Familienlebens. Den
Gegensatz
zu ihm bildet
AlexanderKielland, der, ebenso hervorragend als Erzähler, sich besonders als Satiriker und Pessimist geltend
macht. Von seinen neuesten Werken sind, außer den
Schauspielen
»Tre Par«, »Bettys Formynder« und
»Professoren«,
die allerdings von untergeordneter Bedeutung sind, vorzüglich die
Erzählungen
»Fortuna« und »Sanct
Hans-Fest« zu erwähnen,
letztere eine scharfe
Satire
gegen die religiös-politische
Partei der
Linken.
Unter die hervorragendern jüngern Schriftsteller
Norwegens gehört auch
ArneGarborg (s. d.) mit dem politisch
satirischen
Schauspiel »Uforsonlige« und zwei
Erzählungen: »Manfolk« und
»Hos Mama«, von denen die letztere den
Preis der
FreienBühne erhielt. Ein gewisses Aufsehen erregte das
Schauspiel Gunnar
Heibergs:
»KongMidas«, dessen Hauptfigur, der selbstgefällig
und gebieterische
Redakteur Ramseth, auf den Dichter Björnstjerne
Björnson abzielt, der sich vornehmlich
durch seine
Opposition gegen die sogen.
Bohême-Litteratur einer
Fraktion der litterarischen
Linken mißliebig gemacht hat.
Unter den jüngern sind noch zu nennen Kristoffer Kristoffersen (die
Erzählung »Dagligdags«);
Kristian Winterhjelm, von dessen novellistischen
Arbeiten zwei Sammlungen von kleinern
Erzählungen undSkizzen,
»Intermezzoer« betitelt, besonders zu erwähnen sind;
Didrik
Grönvold (die
Erzählungen:
»Storstadgutterne« und »Af Kopistens
Papirer«) und Nordahl Rolfsen, dessen Märchenkomödie »Svein Uræd«
(mit
Motiven von norwegischen Volksmärchen) in verhältnismäßig kurzer Zeit eine große Anzahl Ausführungen erlebte.
Die älteste und hervorragendste der norwegischen Dichterinnen, Camilla Collett, die
Schwester Henrik
Wergelands, hat
in den letzten
Jahren nichts geschrieben.
MagdaleneThoresen, ebenfalls zu den
Veteranen der norwegischen Litteratur gehörend,
trat mit Naturschilderungen aus den nördlichsten Gegenden
Norwegens unter dem Gesamttitel:
»Fra Midnatssolens Land« hervor.
Von jüngern Schriftstellerinnen, deren Werke ein größeres litterarisches
Interesse darbieten, sind zu nennen: Amalie Skram,
die vor etlichenJahren mit dem sozialen
Roman »Constance
Ring« debütierte und später unter anderm zwei
Erzählungen: »Sjur
Gabriel« und »To
Venner«, folgen ließ, von welchen die erstere eine derbe, auf genauer Kenntnis gegründete
Schilderung des
Lebens der armen
Fischer auf der Westküste
Norwegens gibt, und Alvilde Prydz, deren
Erzählungen: »I
Moll« und
»Underveis« gute novellistische
Anlagen verraten.
Die lyrische
Dichtung weist gegenwärtig nur wenige Vertreter auf: Kristoffer
Randers mit dem
Cyklus
»Unge Sange«,
TheodorCaspari
mit der Sammlung
»Lyrik og
Satire« und
Nils Collett
Vogt mit einem
Bande Gedichte. Auch
JonasLie hat seine zerstreuten
Lieder und
Gedichte gesammelt herausgegeben.
Endlich ist in unsrer Übersicht auch eines besondern Vertreters des
modernen
Naturalismus, der sogen.
Bohême-Litteratur, zu gedenken, wenn auch diese
Richtung bisher keine tiefen
Wurzeln in der
norwegischen Litteratur zu schlagen vermochte.
IhrenNamen verdankt diese
Gattung einem
RomanHansJägers:
»Fra Kristianiabohêmen«, einer krassen Schilderung von dem
Leben und
Treiben einerJugend, deren extravagante
Ideen vorzüglich auf die Beseitigung aller bestehenden sozialen
und sittlichen
Schranken gerichtet sind. Vertreter dieser
Richtung sind besonders der schon erwähnte
ArneGarborg (s.
oben),
Knut Hamsun (»Sult«) und der Genremaler
ChristianKrohg (»Albertine«). Während die
ErzählungenGarborgs und Hamsuns nach
Inhalt
und
Darstellung ein gewisses
Interesse bieten, sind die genannten Werke von
Jäger und
Krogh mangelhafte
u. unkünstlerische
Arbeiten, die das Aufsehen, das sie trotzdem bei ihrem Erscheinen hervorriefen, wohl dem Umstand mit zu
verdanken hatten, daß sie beide mit
Beschlag belegt wurden und ihren Verfassern
¶
mehr
gerichtliche Verfolgung und Strafe einbrachten. Schließlich verdienen auch zwei kritisch-biographische Litteraturwerke genannt
zu werden: das von Henrik Jäger verfaßte, zum 60jährigen Geburtstag des Dichters herausgegebene litterarische Lebensbild
»Henrik Ibsen« (ins Deutsche übersetzt von Zschalig, Dresd. 1890) und das von Vetle Vislie dem aus dem Bauernstand stammenden,
im J. 1872 gestorbenen Dichter Aasmund Olavsson Vinje, dessen Schriften seit 1882 in neuer Ausgabe erschienen,
gewidmete biographische Buch.
Norwegens einzige schöngeistig-populärwissenschaftliche Zeitschrift, die Monatsschrift »Nyt Tidsskrift«, welche seit 1882 von
den Professoren J. E. ^[JohanErnst] Sars und Olaf Skavlan in Christiania
[* 6] herausgegeben wurde, ist Ende 1888 eingegangen. Im allgemeinen
hat sie ein charakteristisches Bild der litterarischen Leistungen und Bestrebungen Norwegens dargeboten,
und es ist immerhin seltsam, daß Norwegen, welches doch dermalen die bedeutendsten Dichter des skandinavischen Nordens aufzuweisen
hat, für das Gedeihen eines derartigen litterarischen Unternehmens keinen guten Boden abgibt. Auch die Vorgänger von »Nyt
Tidsskrift«: K. A. Winter-Hjelms »Norsk Tidsskrift for Literatur«
und Sars-Liebleins »Nyt norsk Tidsskrift«, haben nur ein kurzes Dasein
geführt. Die vonL.Daae und Yngvar Nielsen redigierte Monatsschrift »Vidar« bietet nur geringen Ersatz für »Nyt Tidsskrift«,
da sie fast ausschließlich wissenschaftliche Aufsätze enthält.