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Werke über europäische und andre Länder.
Von jeher haben sich verhältnismäßig wenige amerikanische Historiker mit europäischer Geschichte eingehend beschäftigt, vielmehr haben die meisten es vorgezogen, die Resultate der transatlantischen Forscher zu den ihrigen zu machen und sie dann schriftstellerisch zu verwerten. Zu den amerikanischen Gelehrten, welche auf dem Gebiete der europäischen Geschichte wirklich Bedeutendes geleistet haben, gehört in erster Linie Henry C. Lea, ein in Philadelphia [* 2] wohnender Verlagsbuchhändler, der nach einigen kirchengeschichtlichen Arbeiten neuerdings durch seine dreibändige »Origin of the Inquisition« (1888) die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hat.
Henry M. Baird, Professor an der Universität New York, hat zu seinem frühern günstig aufgenommenen Werk »The rise of the Huguenots« eine Fortsetzung unter dem Titel: »The Huguenots and Henry of Navarre« (1886,2 Bde.) geschrieben, die sich ebenfalls durch eine klare, wenn auch etwas hausbackene Sprache [* 3] sowie durch gewissenhafte Quellenstudien auszeichnet. »France under Mazarin« (1886,2 Bde.) von J. B. ^[James Breck] Perkin behandelt auf Grund gewissenhafter Quellenstudien eine interessante, von den englischen Historikern bisher ziemlich vernachlässigte Periode Frankreichs.
Besonders anziehend ist seine Charakteristik des französischen Volkes zur Zeit Mazarins. Der Militärschriftsteller J. R. ^[richtig: J. C. für John Codman] Ropes hat ein Buch über den ersten Napoleon (»The first Napoleon«, 1886) geliefert und darin die vor diesem Eroberer in Europa [* 4] bestehenden Verhältnisse sowie die Ursachen, die ihm zum Erfolge verhalfen, so übersichtlich und klar geschildert, daß man sein Buch im Hinblick auf die vielen dasselbe Thema behandelnden Schriften durchaus nicht als überflüssig bezeichnen kann.
Den bedeutendsten Abschnitt aus der neuesten Geschichte Frankreichs behandelt E. B. Washburne in »Recollections of a minister abroad« (1887,2 Bde.). Der inzwischen verstorbene Verfasser weilte zur Zeit des deutsch-französischen Krieges als Gesandter der Vereinigten Staaten [* 5] in Paris, [* 6] woselbst er sich einer großen Popularität erfreute. Er blieb auch in der Hauptstadt während der Belagerung derselben und war somit Augenzeuge der Kämpfe zwischen den Kommunisten und Republikanern. Besonders wohlthuend wirkt des Verfassers begeisterte Vorliebe für die Deutschen. Edward Hales Werk »Franklin in France« (1887) bringt zahlreiche bisher unbekannte Dokumente über Franklins Aufenthalt in Frankreich zum Abdruck.
Um die Erforschung der Geschichte Deutschlands [* 7] haben sich die amerikanischen Historiker niemals ernstlich bekümmert. Um so erfreulicher ist es, daß Herbert Tuttle mit seiner »History of Prussia under Frederic the Great« (1888) nicht nur eine auf langjährigen Forschungen beruhende Arbeit, sondern überhaupt das gediegenste Werk der gesamten nichtdeutschen Litteratur über Friedrich d. Gr. geliefert hat. Auch die Erforschung der Geschichte Englands haben die Amerikaner gern den Engländern überlassen und sich mit deren Resultaten, soweit sie nicht das Verhältnis Englands zu Amerika [* 8] betrafen, zufriedengegeben.
Dafür aber hat der verdienstvolle amerikanische General A. Badeau, der 1861-81 als Sekretär [* 9] der amerikanischen Gesandtschaft in London [* 10] weilte, in seinem Werk »Aristocracy in England« (1886) eine Schilderung der gegenwärtigen sozialen und politischen Verhältnisse des Inselkönigreichs geliefert, die den Bewohnern desselben nicht besonders gefallen dürfte. Donald G. Mitchell, Verfasser der »Träumereien eines Junggesellen«, bespricht in »English lands, letters and kings« (1889) die englischen Zustände in historischer und litterarischer Beziehung.
Jean Roemers »Origin of the English people and of the English language« (1887), die Frucht langjähriger Studien über die Urbewohner Englands, kann als eine reichhaltige Fundgrube für den Geschichtsfreund bezeichnet werden. Der Kunstschriftsteller J. G. W. ^[richtig: S. G. W. für Samuel Green Wheeler] Benjamin, eine Zeitlang amerikanischer Gesandter in Persien, [* 11] hat seinen dortigen Aufenthalt dazu benutzt, Material zu einem lehrreichen und unterhaltenden Werke: »Persia and the Persians« (1886),
zu sammeln. In demselben behandelt er ziemlich ausführlich die Bewohner, die Schulen und die politischen Zustände Persiens. Die religiösen Verhältnisse des genannten Landes hat Samuel Johnson (»Persia«, 1885) geschildert. Der durch seine Afrikareisen allgemein bekannte Paul du Chaillu wandte in der Neuzeit seine Aufmerksamkeit dem skandinavischen Norden [* 12] zu, und das Ergebnis dieser Beschäftigung hat er in einem umfangreichen, aber doch nur kompilatorischen Werk: »The Viking age« (1889), niedergelegt, in dem er abweichend von der bisherigen Ansicht die Wikinger als Träger [* 13] der Zivilisation hinstellt und die Mythologie, die Altertümer und das soziale Leben der alten Skandinavier bespricht.
George Kennan hat in seinem epochemachenden Werk über Sibirien (deutsch von Kirchner, Berl. 1889) das Leben der nach jenem Lande Verbannten auf Grund eigner Anschauung ausführlicher geschildert, als es bisher geschehen ist. In einem Nachtrag dazu (1890) hat er uns besonders mit den entsetzlichen Schicksalen und Verhältnissen der zur Zwangsarbeit in den Minen von Kara verurteilten politischen Verbrecher vertraut gemacht. In dem Reisewerk von J. M. ^[James Monroe] Buckley: »The midnight sun, the land of the Tsar, the nihilist« (1889) bilden die dem Nihilismus gewidmeten Kapitel die interessanteste Abteilung. E. P. Vining sucht in seinem Buch »An inglorious Columbus« (1885) den Beweis zu führen, daß Amerika im 5. Jahrh. durch buddhistische Mönche entdeckt worden sei. P. Lowell, Bruder des Dichters, hat in seinem Werke »Chosön« (1886) eine auf persönlicher Anschauung beruhende Skizze von Korea geliefert, die als eine wertvolle Bereicherung unsrer Kenntnisse jenes bis jetzt so selten besuchten Landes bezeichnet werden muß. Dem nordamerikanischen Territorium Alaska sind neuerdings zwei größere Werke, eins von H. W. Elliott und das andre von Charles Halleck (1886), gewidmet worden.
Litteraturgeschichtliche Werke.
Auch auf litterarhistorischem Gebiet haben die Amerikaner in der Neuzeit einige Werke von größerer Bedeutung hervorgebracht. So hat z. B. G. Harrison das Leben des Schauspielers John Howard Payne, der hauptsächlich durch sein Lied »Home, sweet home« allgemein bekannt geworden ist, erschöpfend beschrieben. George E. Woodberry verfaßte die erste zuverlässige Biographie des unglücklichen Poeten Edgar Allan Poe, dessen Leben bisher mit den fabelhaftesten Abenteuern ausgeschmückt war.
George Prentice beschrieb das Leben Wilbur Fisks, des Gründers der Methodistenkirche in Amerika (1890), der sich auch große Verdienste um das öffentliche Schulwesen erworben hat. Das Leben und den Briefwechsel des Philologen und Naturforschers George P. Marsh hat dessen Witwe in 2 Bänden (1888) herausgegeben. Der Briefwechsel des amerikanischen Historikers und Diplomaten John Lothrop Motley (1889,2 Bde.) beginnt mit dem Jahre 1834, also zur Zeit, da der Genannte Student in Göttingen [* 14] war, und endet ¶
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mit dem Jahre 1877. Da Motley als Gesandter an mehreren europäischen Höfen Gelegenheit hatte, mit den einflußreichsten Staatsmännern intim zu verkehren, und da ihn überdies seine historischen Studien mit den berühmtesten Gelehrten seiner Zeit in Verbindung brachten, so bilden jene Briefe, deren Redaktion George W. Curtis anvertraut wurde, einen höchst beachtenswerten Beitrag zur Geschichte und Litteratur der Gegenwart. Der Verfasserin von »Onkel Toms Hütte«, Harriet Beecher-Stowe, sind schon zu Lebzeiten zwei Biographien gewidmet worden, von Florine Thayer Mc Cray (1889) und von ihrem Sohn Charles E. Stowe (1889). »Louis Agassiz, his life and correspondence« (1885) betitelt sich ein Werk von Elizabeth Cary, der Witwe des Naturforschers, das freilich mehr Lobrede als wissenschaftliche Biographie ist. Von Interesse ist auch »The life and letters of Samuel Wells Williams« (1888),
eines hervorragenden Sinologen.
Auch auf dem Gebiete der Shakespeare-Litteratur sind die Amerikaner thätig gewesen. Von Horace H. Furneß' monumentalen »Variorum edition« erschienen drei neue Bände (»Othello«, »The merchant of Venice« und »As you like it«). Während Hiram Corson (»Introduction to the study of Shakespeare«, 1889) sich vornehmlich mit dem ethischen Inhalte der Shakespeareschen Dramen beschäftigt und Robert Waters (»Shakespeare as portrayed by himself«, 1888) den Beweis zu führen sucht, daß Shakespeare in dem in vier verschiedenen Dramen auftretenden Heinrich V. seinen eignen Charakter gezeichnet habe, gibt Caroline Dall (»What we really know about Shakespeare«, 2. Aufl. 1886) eine Zusammenstellung aller nach ihrer Ansicht zuverlässigen Nachrichten über die Person Shakespeares.
Appleton Morgan, bekanntlich einer der Hauptvertreter der Idee, daß Shakespeare nicht der Verfasser der seinen Namen tragenden Werke sei, suchte seinen Standpunkt in einem neuen Werke: »Shakespeare in fact and fancy« (1888),
zu kräftigen;
eine gründliche Abfertigung der sogen. Bacon-Theorie besorgte Richard Grant White in seinen »Studies in Shakespeare« (1885).
Das Machwerk Donnellys: »The great cryptogram« (1888),
ist nur der Vollständigkeit wegen hier mit anzuführen. Zur Hamlet-Litteratur lieferten Gilchrist (»The true story of Hamlet and Ophelia«, 1889) und Cook (»The human mystery in Hamlet«, 1888).
Professor Frederic Hedge hat einige seiner geistreichen Vorträge über deutsche Litteratur (»Hours with German classics«, 1886),
in denen er Hutten, Luther, Nicolai, Lessing, Herder, Schiller, Goethe, Jean Paul und das Nibelungenlied liebevoll behandelt, B. Sanborn seine in Concord gehaltenen Vorträge über Goethe (»The life and genius of Goethe«, 1886) herausgegeben; Goethes »Faust« hat der verdienstvolle Litterarhistoriker Denton J. ^[Jaques] Snider 2 Bände (1886) gewidmet; auch William Walsh' »Faust, the legend and the poem« (1887) muß als gediegener Beitrag zur Faust-Litteratur bezeichnet werden. Die Popularität der Tondramen Richard Wagners hat auch in Amerika schon eine stattliche Litteratur hervorgerufen (so durch Gustav Kobbe, Dippold, Albert W. Parson, Henderson u. a.).
Das Studium Dantes wird seit geraumer Zeit von einem kleinen Kreise, [* 16] hauptsächlich in den Neuenglandstaaten, eifrig betrieben; und wenn auch die neuern Leistungen einer Mary A. Ward, William T. Harris' u. a. nicht gerade bedeutend zu nennen sind, so haben sie doch dem größern Publikum das Verständnis der Göttlichen Komödie wesentlich erleichtert. Eine der wichtigsten Erscheinungen auf diesem Gebiete ist Allen E. Fays »Concordance to the Divina Commedia« (1888). Litterarhistorische Aufsätze über die neuern Dichter Italiens [* 17] mit Übersetzungen bietet William D. Howells Werk »Modern Italian poets« (1887). »Lectures on Russian literature« (1889) veröffentlichte der Russe Iwan Panin. Gedankenreiche Aufsätze schönwissenschaftlichen Inhalts finden sich in C. Everetts »Poetry, comedy and duty« (1888),
sonderbare anthropologische Folgerungen in dem Buch »Romantic love and beauty« (1887; deutsch von U. Brachvogel, Stuttg. 1889) von T. Finck, der auch eine Biographie Friedr. Chopins (1889) schrieb. Sehr anmaßend, von engherzigen, religiösen Vorurteilen befangen, tritt Rose E. Cleveland, die Schwester des frühern Präsidenten, in »George Eliot's poetry, and other essays« (1885) auf und legt in diesem sonst gut geschriebenen Werke ihre Ansichten über litterarische Fragen mit seltener Offenheit nieder.
Henry M. Hudsons, des bekannten Shakespeare-Forschers, »Studies in Wordsworth« (1885) sind nichts als eine unkritische Lobrede; David Philipson bespricht in »The Jew in English fiction« (1889) die poetische Verwertung des Judentums durch Marlowe, Shakespeare, Scott, Dickens, Disraeli und Eliot. J. L. ^[Jeanette Leonard] und J. B. ^[Joseph Benson] Gilders Werk »Authors at home« (1888) enthält anziehende Skizzen aus dem täglichen Leben der populärsten Schriftsteller der Gegenwart, wie Aldrich, Whittier, Whitman, John Hay etc. Auch der verstorbene Essayist E. P. Whipple hat in »Recollections of eminent men« (1886) interessante Lebensbilder von Agassiz, Motley und Sumner geliefert.
George Child (»Recollections«, 1890) schildert ebenfalls einige Berühmtheiten, besonders General Grant, auf Grund persönlichen Umganges. James Grant Wilson hat in seinem reizenden Buch »Bryant and his friends« (1885) Bryant, Dana, Cooper, J. H. ^[John Howard] Payne und andern berühmten Dichtern einer vergangenen Periode ein liebevolles Denkmal gesetzt. Erwähnenswerte Biographien lieferten noch Henry C. Beers (»Nathaniel P. Willis«, 1885),
Ednah D. Cheney (»Louisa May Alcott«, 1889),
F. E. Cook (»Theodor Parker«, 1889),
Charles De Kay (»Ant. Louis Barye«, 1889) sowie in autobiographischer Form Lucy Larcom (»A New England girlhood«, 1889) und Daniel Bandmann (»An actor's tour«, 3. Aufl. 1886). Als die beste und ausführlichste Anthologie amerikanischer Schriftsteller muß nunmehr die 1890 in 11 Bänden vollendete, von Stedman und Hutchinson herausgegebene »Library of American literature« bezeichnet werden. Reichhaltiges und meist zuverlässiges biographisches Material enthält die im Appletonschen Verlage zu New York erschienene sechsbändige »Cyclopedia of American biography«.
Ethnologie, Philologie, Verschiedenes.
Auch auf dem Gebiete der Ethnologie und Mythologie haben sich die Amerikaner neuerdings durch einige gediegene Arbeiten ausgezeichnet. D. G. Brinton, unstreitig der gründlichste Kenner der amerikanischen Aboriginer, hat seiner »Library of American aboriginal literature« drei weitere Bände zugefügt: »The Lenape and their legends« (1885),
»Ancient Nahuatle poetry« (1887) und »Rigveda Americanus« (1890),
von denen der letztere die heiligen Gesänge der alten Mexikaner im Original nebst Übertragung enthält. Eine zuverlässige Übersicht der gegenwärtigen Verhältnisse der Indianer gibt E. S. Brooks in der »Story of the American Indian« (1887). ¶