Derselbe ist jedoch seit 1871 geisteskrank und deshalb regierungsunfähig; er lebt seit 1872 in der Heilanstalt
Gilgenberg
bei
Baireuth.
[* 2] Das
Pactum tutorium von 1667 berücksichtigt aber nur die
Vormundschaft für einen unmündigen, nicht die
Regentschaft
für einen kranken
Inhaber des
Throns. Der
Gesetzentwurf bestimmte daher: »Der
Fürst ist befugt, im voraus
für den
Fall einen
Regenten, dem das ganze Domanialeinkommen zufallen soll, aus der Zahl der successionsberechtigten volljährigen
Agnaten des Fürstenhauses zu ernennen, daß der Thronerbe
PrinzAlexander zur Lippe
[* 3] zur Zeit des Anfalls der
Regierung an deren
eigner Übernahme durch körperliche oder geistige
Schwäche verhindert sein sollte.« Die fernere Streitfrage,
ob nun die erbherrliche
LinieLippe-Biesterfeld oder
Schaumburg-Lippe als nächstberechtigt anzusehen sei, wurde hierbei nicht
entschieden und nur gegen die erstere von seiten der
Regierung der Umstand geltend gemacht, daß in ihr wiederholt nicht ebenbürtige
Ehen geschlossen worden seien. Es war offenbar, daß die
Regierung dem
Fürsten dasRecht sichern wollte,
aus dem fürstlichen
HauseSchaumburg-Lippe den
Regenten zu ernennen und dadurch in der Erbfolgefrage eine Art Vorentscheidung
zu fällen.
Darauf nahm der
Landtag ohne weitere
Erörterung die
Erklärung an, daß noch dringender als die Vereinbarung neuer Regentschaftsbestimmungen
die verfassungsmäßige
Fürsorge für den
Fall erscheine, »daß nach dem Ausscheiden der jetzt regierenden
Linie des Regentenhauses
infolge eines länger dauernden Thronstreits zwischen den Seitenlinien der
Thron
[* 4] thatsächlich eine Zeitlang
erledigt bleibt und damit die Thätigkeit der öffentlichen
Organe lahmgelegt, der ganze Staatsorganismus in seiner
Existenz
zeitweilig gefährdet wird«. Die
Regierung beschloß dagegen, von allen weitern
Schritten zur gesetzlichen
Lösung der
Regentschafts-,
bez. Thronfolgefrage abzusehen. Dies veranlaßte die
Opposition im
Landtag, der
Regierung im
Januar 1891 ausdrücklich
ihre Mißbilligung darüber auszusprechen, daß es ihr bis jetzt nicht gelungen sei, geordnete und friedliche Zustände im
Lande herzustellen.
(in
Hamburg
[* 5] Effektenliquidationsbüreau, in
Frankfurt
[* 6] a. M.
Kollektivskontro genannt), eine von dem
Liquidationsverein für
Zeitgeschäfte an der
Berliner
[* 7]
Börse zu dem
Zwecke geschaffene und jeweilig von der
Bank desBerliner
Kassenvereins nach Vereinbarung mit dem Vorstand jenes
Vereins nach Art einer Zentralabrechnungsstelle organisierte Einrichtung,
um die Abwickelung der am
Ultimo zu erfüllenden
Engagements zu erleichtern. Dem
Verein gehören als Mitglieder alle Börsenbesucher
an, welche
Zeitgeschäfte abzuschließen pflegen, während andre, welche nur gelegentlich sich mit solchen
Geschäften befassen,
sich unmittelbar mit ihren Kontrahenten zu verständigen haben.
Die Mitglieder des
Vereins geben am Nachmittag des vorletzten Börsentags vor
Ultimo an dem
Büreau
die von ihnen per ultimo
abgeschlossenen
Käufe und Verkäufe auf besondern Abrechnungsbogen (Skontrobogen) auf, diese
Bogen,
[* 8] von denen für jedes
Effekt
ein besonderes
Formular ausgegeben wird, enthalten die vollständigeListe der Mitglieder des
Vereins. Da
mitunter zwischen zwei Spekulanten während des
MonatsKäufe und Verkäufe abgeschlossen werden, so ergeben sich Saldi für
den Einzelnamen.
Aus den Saldi des ganzen
Bogens, bez. aus der Gesamtsumme der zu liefernden und zu beziehenden Beträge
ergibt sich der Betrag, welchen das Mitglied netto zu beziehen oder zu liefern hat (der Saldo). Diejenigen,
welche mehr
Stücke zu beziehen als zu liefern haben, fügen ihrem
Skontro Empfangsbeläge über den Nettobetrag der zu erhaltenden
Stücke bei. Diese Beläge werden am nächsten
Morgen als Lieferzettel an diejenigen ausgegeben, welche nach Ausweis ihrer
Skontri zu liefern haben.
Sind die Skontri alle rechtzeitig eingeliefert und richtig aufgestellt, so muß die Gesamtsumme aller
zu liefernden
Stücke ebenso groß sein wie diejenige der zu empfangenden
Stücke. Das
Büreau steht alsdann glatt. Ergibt sich
jedoch für dasselbe ein Saldo, so liegt ein Fehler vor, für welchen der schuldige Teil eine
Konventionalstrafe zu zahlen
hat.
Kann aber der Fehler bis zu der der Einlieferung der Skontri nächstfolgenden
Börse nicht ermittelt werden, so hat das
Büreau das
Recht, im
Falle ein Saldo abzunehmen bleibt, Lieferzettel an den
Verein selbst auszugeben.
[* 10] Die Maßregeln der russischen
Regierung zur Unterdrückung der lutherischen
Kirche und
der deutschen
Kultur in den baltischen
Provinzen wurden 1890 fortgesetzt. Die Konsistorien und Superintendenturen von
Riga,
[* 11] Reval
[* 12] und der
InselÖsel wurden aufgehoben, den übrigen Konsistorien befohlen, ihre gesamte
Korrespondenz nur in
russischer
Sprache
[* 13] zu führen. Auch wurden die Konsistorien unter die Beschlüsse des heiligen russischen
Synods gestellt.
Der russischen
Kirche wurde das Enteignungsrecht zum
Bau russischer Gotteshäuser und
Schulen verliehen und die »baltische
Brüderschaft«,
welche sich die
Bekehrung des lettischen und esthnischen Landvolks zum
Ziel ihrer Bestrebungen machte, auf jede
Weise begünstigt.
Unter diesen Umständen waren die Erfolge der Proselytenmachereien nicht unbedeutend. 1887 traten in
den drei baltischen
Gouvernements 2360
Personen von der lutherischen zur russischen
Kirche über.
Dagegen waren von den in den 40er
Jahren bekehrten viele (120,000), namentlich seit 1864, wieder zum
Luthertum zurückgekehrt,
und gegen diese richtete sich namentlich der
Zorn der russischen
Popen und Beamten. Die Erteilung des
Abendmahls
an dieselben durch lutherische
Geistliche wurde streng geahndet.
Ferner wurden zahlreiche lutherische
Geistliche mit Gefängnis
oder
Verbannung bestraft, weil sie
gemischte Ehen eingesegnet oder ihre Gemeindemitglieder verhindert hätten, sich freiwillig
der griechisch-orthodoxen
Kirche anzuschließen u. dgl. m.
Besonders stachelten die
Russen die Landleute auf, ihre
Geistlichen der Schmähung der orthodoxen
Kirche
zu beschuldigen, und auf solche Zeugnisse hin wurden mehrere
Pastoren zu schweren
Strafen verurteilt. In
Mitau
[* 14] wurde am
Gymnasium
die evangelische Schulandacht ohne weiteres vom
Direktor, einem zur orthodoxen
Kirche übergetretenen
Tschechen, durch eine
griechisch-orthodoxe Gebetsfeier ersetzt, obwohl von
¶
mehr
473 Schülern nur 23 dem orthodoxen Glauben angehörten. Gleiche Maßregeln wurden den übrigen Lehranstalten angekündigt.
Wer gegen solche Bedrückungen der lutherischen KircheEinspruch erhob, wurde für intolerant erklärt. Auch den kleinern Städten
wurde für den innern Geschäftsgang der Gebrauch der russischen Sprache vorgeschrieben. Um jedem Ausbruch der immer mehr anschwellenden
Erbitterung zuvorzukommen, wurden die Gouverneure mit Formularen für sofortige Verschickung jeder verdächtigen Person versehen.