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ebensowenig ungenannt bleiben wie die Bestrebungen von Post (»Einleitung in das Studium der ethnologischen Jurisprudenz«, Oldenb. 1886) und J. ^[Josef] Kohler (»Das Recht als Kulturerscheinung, Einleitung in die vergleichende Rechtswissenschaft«, Würzb. 1885), die Methode der neuern ethnologischen oder vergleichenden Rechtswissenschaft zugleich zu begründen und zu erläutern.
Wenden wir uns nunmehr der geistigen Kultur zu, so ist es hier insbesondere die allgemeine und vergleichende Religionsgeschichte, welche in neuerer Zeit eifrig gepflegt worden ist (vgl. auch den besondern Artikel: Religionsgeschichte in diesem Bande). In Frankreich ist für diese Studien seit einigen Jahren an der vielleicht vornehmsten Hochschule des Landes, der École des hautes études, eine eigne Sektion für die sciences religieuses begründet worden; ihre Schriften werden zum Teil in der »Bibliothèque de l'École des hautes études« veröffentlicht; der namhafteste unter den Lehrern dieser Sektion ist A. de Réville, dessen große »Histoire des religions«, 1883 mit Erörterungen über die afrikanischen und amerikanischen Religionssysteme begonnen, jetzt bis zum vierten Bande vorgeschritten ist. Von andern französischen Schriften auf diesem Gebiet mögen des Holländers C. T. Tiels auch in das Deutsche, [* 2] Französische und Englische [* 3] übersetzte und teilweise in mehreren Auflagen erschienene »Religionsgeschichte«, E. Vérons »Histoire naturelle des religions« (Par. 1885) und die »L'histoire des religions« (das. 1887) von M. Vernes erwähnt werden; letzteres Werk hat speziell die Methode der Religionsgeschichte und die Art, wie sie in Frankreich und im Ausland gelehrt wird, zum Gegenstand. Auch in England werden zahlreiche Vorlesungen über vergleichende Religionsgeschichte gehalten: eine Sammlung solcher Sonntagsvorlesungen namhafter Gelehrter ist in dem Buche »The religious systems of the world« (Lond. 1890) vereinigt, es beginnt mit der Religion der Assyrer, welche Rawlinson behandelt hat, und reicht bis in die Gegenwart, wobei aber nicht bloß Volksreligionen, sondern auch die religiösen Systeme einzelner hervorragender Geister berücksichtigt sind, so daß z. B. ein eigner Vortrag von O. Browning die Religion Dantes und ein solcher von Sir F. Pollock diejenige Spinozas erörtert.
Wir nennen außerdem noch den Essay von T. S. Bacon über die ersten Anfänge der Religion (»The beginnings of religion«, Lond. 1887),
das Buch von A. Lang (»Myth, ritual and religion«, das. 1887,2 Bde.),
welches die verschiedenen Elemente der Mythen zu scheiden und auseinander zu halten versucht, und von M. Dods Vorlesungen über »Mohammed, Buddha and Christ« (das. 1887),
ohne damit die Zahl dieser Schriften erschöpfen zu wollen. In Deutschland [* 4] haben die Versuche allgemeiner Religionsgeschichte: das »Lehrbuch der Religionsgeschichte« von T. D. Chantepie de la Saussaye (Freiburg [* 5] 1887-89,2 Bde.) und die Schrift von H. Preiß, »Religionsgeschichte« mit dem Nebentitel »Geschichte der Entwickelung des religiösen Bewußtseins in seinen einzelnen Erscheinungsformen« (Leipz. 1888),
eine wenig günstige Beurteilung erfahren; und A. Reichenbachs Buch »Die Religionen der Völker« (Münch. 1886 ff.) beschränkt sich wesentlich auf Zusammenstellung der Forschungen andrer. Das Buch des Jesuiten Chr. Pesch, »Der Gottesbegriff in den heidnischen Religionen des Altertums« (Freiburg 1886),
sucht vergeblich nachzuweisen, daß der Ursprung aller Religionen monotheistisch war, und J. H. ^[Johann Heinrich] Oswalds »Religiöse Urgeschichte der Menschheit« (2. Aufl., Paderb. 1887) steht ausgesprochenermaßen nicht eigentlich auf wissenschaftlichem, sondern auf dem dogmatischen Standpunkt der katholischen Kirche. Ungleich bedeutender sind die »Studien zur vergleichenden Religionswissenschaft« von G. Runze, deren erster Band [* 6] (Berl. 1889) die Zusammenhänge von Sprache [* 7] und Religion darlegt.
Indem wir uns die Schriften über einzelne religiöse Systeme für spätere Abschnitte dieser Übersicht vorbehalten, fügen wir hier am besten einige Arbeiten an, welche die Überreste heidnischer Vorstellungen in der Gegenwart nachzuweisen suchen. Dahin gehören einige Abschnitte in dem ausgezeichneten Buche E. Gotheins, »Die Kulturentwickelung Süditaliens in Einzeldarstellungen« (Bresl. 1886); insbesondere für den Kult des Erzengels Michael wird hier nachgewiesen, wie die Gestalt des Erzengels aus altheidnischen, urchristlichen und germanischen Religionsvorstellungen entstanden ist.
Dasselbe Thema behandelt auf breiterer Grundlage Th. Trede, »Das Heidentum in der römischen Kirche. Bilder aus dem religiösen und sittlichen Leben Süditaliens« (Gotha [* 8] 1889,2 Bde.); der Verfasser ist ein guter Beobachter und kennt die Verhältnisse Unteritaliens aus langjähriger Anschauung, aber er ist nicht frei von Einseitigkeit und Vorurteilen, und mancherlei, was er in die Betrachtung einbezogen hat, steht nur in losem Zusammenhang mit seinem eigentlichen Thema.
Mit Deutschland beschäftigen sich in gleichem Sinne das fleißige Buch von W. Kolbe, »Hessische Volkssitten und Gebräuche im Lichte der heidnischen Vorzeit« (2. Aufl., Marb. 1888),
und allgemeiner dasjenige von F. Hoffmann, »Nachklänge altgermanischen Götterglaubens in Leben und Dichten des deutschen Volkes« (Hannov. 1888),
sowie Sepp, »Die Religion der alten Deutschen und ihr Fortbestand in Volkssagen, Aufzügen und Festbräuchen bis zur Gegenwart« (Münch. 1890). Endlich seien zwei bedeutende Werke, mehr philosophischen Charakters, von R. Eucken erwähnt: »Die Einheit des Geisteslebens in Bewußtsein und That der Menschheit« (Leipz. 1888) und »Die Lebensanschauungen der großen Denker. Eine Entwickelungsgeschichte [* 9] des Lebensproblems der Menschheit« (das. 1890).
Spezialarbeiten über das Altertum.
Über Ägypten [* 10] liegen zwei umfangreiche und bedeutende Werke vor. A. Erman, »Ägypten und ägyptisches Leben im Altertum« (Tübing. 1885-87 ff., 2 Bde.), entwirft eine umfassende, ebenso gründlich wie fesselnd geschriebene, durch zahlreiche vortreffliche Illustrationen veranschaulichte Gesamtschilderung von der Kultur des Pharaonenlandes, welche die Ergebnisse der seit einem halben Jahrhundert aufs eifrigste betriebenen ägyptologischen Studien zusammenfaßt; G. Ebers, gleichfalls einer der namhaftesten Gelehrten auf diesem Gebiet, bietet in seinem »Cicerone durch das alte und neue Ägypten« (Stuttg. 1886,2 Bde.) ein Lese- und Handbuch, das seine Aufgabe, ein Wegweiser durch das Nilland zu sein, in ausgezeichneter Weise erfüllt.
Wir erwähnen außerdem noch eine Darstellung der altägyptischen Kunst von G. Maspero: »L'archéologie égyptienne« (Par. 1887; deutsch von Steindorff, Leipz. 1889),
welche als knapp und sachverständig gerühmt wird. Für die älteste Kulturentwickelung der semitischen Völker sind wichtig W. Robertson Smiths »Lectures on the religion of the Semites« (Bd. 1, Edinb. 1889);
das auf 3 Bände berechnete Werk stellt sich die Aufgabe, die ursprüngliche Religion der Semiten in ihrem Verhältnis zu andern Religionen des Altertums ¶
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klarzulegen; der erste Band behandelt die religiösen Institutionen, insbesondere die Opfer, und führt zu wichtigen neuen Ergebnissen; besonders hervorgehoben werden mag der Nachweis, daß die tierischen Schlachtopfer älter sind als die Menschenopfer. Speziell mit der assyrisch-babylonischen Religion beschäftigen sich die Vorlesungen von A. H. Sayce, »On the origin and growth of religion as illustrated by the religion of the ancient Babylonians« (Lond. 1887); ein Gesamtbild der Kultur dieser Länder geben das schon in vierter Auflage (Freib. 1891) erschienene illustrierte Kompendium von Fr. Kaulen, »Assyrien und Babylonien nach den neuesten Entdeckungen«, und das gleichfalls illustrierte Buch von A. H. Sayce, »Assyria, its princes, priests and people« (Lond. 1885),
während G. Rawlinson, »Egypt and Babylon« (das. 1884), die Kulturgeschichte der beiden bisher besprochenen Länder zu einem Buche zusammenfaßt. In die älteste Kulturepoche Arabiens führen uns die Untersuchungen über die Reste arabischen Heidentums, welche J. ^[Julius] Wellhausen im dritten Hefte seiner »Skizzen und Vorarbeiten« (Berl. 1887) veröffentlicht hat, und diejenigen in W. Robertson Smiths schönem Buche »Kinship and marriage in early Arabia« (Cambridge 1885), welche für dies Gebiet in der That die einstige Herrschaft des Mutterrechts dargethan haben; mit den ältesten Handelsbeziehungen der Phöniker, ihrem Verkehr bis zum Norden [* 12] und ihren Kolonien in Ägypten beschäftigt sich J. ^[Jens] Lieblein, »Handel und Schiffahrt auf dem Roten Meer in alten Zeiten« (Leipz. 1886); für die spätere Periode ist G. Jacob, »Der nordisch-baltische Handel der Araber im Mittelalter« (das. 1887),
zu erwähnen. Die systematischen Arbeiten über die Religion des Alten Testaments hängen so eng mit der Theologie zusammen, daß sie hier am besten ausgeschlossen bleiben; nur J. ^[Johannes] Fritz, »Aus antiker Weltanschauung. Die Entwickelung des jüdischen und griechischen Volkes zum Monotheismus« (Hagen [* 13] 1886),
mag auch hier genannt werden. C. R. Conder, »Syrian stonelore or the monumental history of Palestine« (Lond. 1886),
versucht eine Kulturgeschichte Palästinas, so wie sie sich aus den erhaltenen Denkmälern ergibt, zu entwerfen; E. Stapfer, »La Palestine au temps de Jésus-Christ« (3. Aufl., Par. 1886),
schildert die sozialen und religiösen Zustände des Landes im Anfang unsrer Zeitrechnung. Endlich sind am besten hier noch zwei Gesamtgeschichten der islamitischen Architektur zu nennen: Franz-Pascha, »Die Baukunst [* 14] des Islam« (Darmst. 1887),
und R. Adamy, »Architektonik des mohammedanischen und romanischen Stils« (Hannov. 1887). In die älteste Vorzeit der indogermanischen Völker Asiens führt uns das Buch von F. Spiegel, [* 15] »Die arische Periode und ihre Zustände« (Leipz. 1887); der Verfasser sucht hier mit den Mitteln und der Methode der Sprachvergleichung die Kulturzustände der Iranier und Indier vor ihrer Trennung zu ermitteln und zur Darstellung zu bringen; auch die »Linguistisch-historischen Forschungen zur Handelsgeschichte und Warenkunde« von O. Schrader (Jena [* 16] 1886), die in einem ersten Abschnitt den Handelsverkehr zu Wasser und zu Lande, im zweiten die Geschichte der Gewebstoffe betreffen, gehen in die älteste indogermanische Periode zurück.
Eine illustrierte Kulturgeschichte Indiens gibt Le [* 17] Bon, »Les civilisations de l'Inde« (Par. 1887),
und auch die »Geschichte des alten Indien« von S. Lefmann, welche in der Onckenschen Sammlung erschienen ist (Berl. 1890),
ist in ihrem Hauptteil kulturgeschichtlichen Inhalts. Eine Reihe von Monographien zur chinesischen Kulturgeschichte vereinigt F. Hirth in seinen »Chinesischen Studien« (Münch. u. Leipz. 1890, Bd. 1). Wir erwähnen schließlich noch das allgemeinere Werk von Le Bon, »Les premières civilisations« (Par. 1889),
eine gleichfalls illustrierte Kulturgeschichte der Ägypter, Assyrer, Juden, Perser, Meder und Phöniker und zwei nicht sehr umfangreiche, aber auf ausgebreiteten Studien beruhende Vorträge von R. v. Scala, »Über die wichtigsten Beziehungen des Orients zum Occident im Altertum« und »in Mittelalter und Neuzeit« (Wien [* 18] 1886-87).
Europäische Urgeschichte.
In das Dunkel der prähistorischen, d. h. vor dem Beginn unsrer unmittelbaren historischen Überlieferung liegenden und deshalb zumal chronologisch nicht bestimmbaren Entwickelung der Länder und Völker Europas sucht die Forschung von verschiedenen Seiten und mit verschiedenen Mitteln Licht [* 19] zu bringen. Soweit sie sich dabei der anthropologisch-naturwissenschaftlichen Methode bedient, sind ihre Ergebnisse hier nicht zu verzeichnen; nur eine der einschlagenden Arbeiten mag um ihrer großen Bedeutung willen auch hier erwähnt werden: R. Virchows im »Archiv für Anthropologie« (Bd. 16, Braunschw. 1886) veröffentlichter Gesamtbericht über die von der Deutschen anthropologischen Gesellschaft auf Virchows Anregung veranlaßten Erhebungen über Farbe der Augen, der Haut [* 20] und der Haare der [* 21] Schulkinder Deutschlands, [* 22] Erhebungen, die dann auch in der Schweiz [* 23] (Bericht von J. ^[Julius] Kollmann), Belgien [* 24] und Österreich [* 25] angestellt worden sind, und aus deren Resultaten sich nicht nur die heutige Verteilung des blonden und brünetten Typus in Mitteleuropa erkennen läßt, sondern auch wichtige Folgerungen für die Verhältnisse der Vorzeit sich ziehen lassen.
Vom anthropologischen Standpunkt geht auch das große und wichtige Werk von Joh. Ranke, »Der Mensch« (Leipz. 1886,2 Bde.),
aus; aber nur der erste Band ist vorzugsweise naturwissenschaftlichen Inhalts; der zweite, dessen zweite Hälfte den Sondertitel: »Die Urrassen in Europa« [* 26] führt, enthält eine überaus gründliche und sorgfältige Zusammenfassung der bisherigen urgeschichtlichen Forschungen und veranschaulicht in zahlreichen und zuverlässigen Abbildungen die Ergebnisse der Ausgrabungen von Waffen, [* 27] Geräten und Schmuckgegenständen prähistorischen Ursprungs in Nord- und Mitteleuropa. Im übrigen ist man aufs eifrigste mit möglichst genauer Verzeichnung und Katalogisierung dieser Fundgegenstände beschäftigt; so erscheinen, herausgegeben von der Historischen Kommission der Provinz Sachsen, [* 28] die »Vorgeschichtlichen Altertümer der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete« (Halle [* 29] 1884 ff.),
an denen verschiedene Gelehrte mitarbeiten, so von Alb. Voß und G. Stimming bearbeitet die »Vorgeschichtlichen Altertümer aus der Mark Brandenburg« [* 30] (2. Ausg., Berl. 1890),
so läßt der Historische Verein für Niedersachsen durch A. v. Oppermann einen »Atlas [* 31] vorgeschichtlicher Befestigungen in Niedersachsen« herausgeben (Hannov. 1887 ff.) und die Naturhistorische Gesellschaft zu Danzig [* 32] mit Unterstützung des westpreußischen Provinziallandtags »Die prähistorischen Denkmäler der Provinz Westpreußen [* 33] und angrenzender Gebiete« (Danz. 1887) beschreiben, so fährt das Mainzer Zentralmuseum mit seiner großartigen Publikation der »Altertümer unsrer heidnischen Vorzeit«, welche L. Lindenschmit bearbeitet, rüstig fort, so erschien im Verlag der Anthropologischen Gesellschaft in Budapest [* 34] gleichzeitig in magyarischer und deutscher Ausgabe das große Werk von J. ^[József] Hampel, »Altertümer der Bronzezeit in Ungarn« [* 35] ¶