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Höhlenwohnungen der Urzeit bis zu unserm heutigen städtischen Hausbau darzustellen unternimmt. Besonders hervorzuheben sind weiter die der Geschichte der Trachten gewidmeten Arbeiten: das prächtige Werk A. Racinets, »Le [* 2] costume historique«, von welchem A. Rosenberg eine deutsche Ausgabe veranstaltete (Berl. 1883-88,5 Bde.), und die beiden großen, schon in zweiter Auflage erschienenen, zugleich den Hausrat und zum Teil auch andre Werkzeuge [* 3] des friedlichen und kriegerischen Lebens in zahlreichen Abbildungen veranschaulichenden Bücher von J. H. ^[Jacob Heinrich] v. Hefner-Alteneck, »Trachten, Kunstwerke und Gerätschaften vom frühen Mittelalter bis Ende des 18. Jahrhunderts« (Frankf. a. M.),
und Frdr. Hottenroth, »Trachten, Haus-, Feld- und Kriegsgerätschaften der Völker alter und neuer Zeit« (2. Aufl., Stuttg. 1882 ff.); lediglich mit Kriegswerkzeugen beschäftigt sich das sehr gründliche und reichhaltige Werk von A. Demmin, [* 4] »Die Kriegswaffen in ihrer historischen Entwickelung von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart« (2. Aufl., Leipz. 1886). Minder umfangreich und mehr populären Charakters ist das Buch von A. v. Heyden, »Die Tracht der Kulturvölker Europas vom Zeitalter Homers bis zum Beginn des 19. Jahrh.« (Leipz. 1889). Neben diesen umfassenden Werken gibt es eine große Zahl von Monographien über einzelne Gegenstände des materiellen Kulturlebens, von denen nur beispielsweise J. Friedrichson, »Geschichte der Schiffahrt« (Hamb. 1889),
Beßler, »Geschichte der Bienenzucht« [* 5] (Ludwigsb. 1885),
eine »Geschichte des Geldes« von Del Mar (Lond. 1885, engl.),
eine »Geschichte des Pfluges« von Muñoz y Rubio (Madrid [* 6] 1886, span.),
eine »Geschichte der Reitkunst« von B. v. Öttingen (Berl. 1885) und A. Ottos, »Beiträge zur Geschichte der ältern Haustiere« erwähnt werden mögen.
Ein Teil dieser letzterwähnten Schriften hat uns schon zur Geschichte der wirtschaftlichen Kultur übergeführt, auf welchem Gebiet wir noch einige bedeutende Leistungen zu nennen haben. Eine wertvolle Arbeit ist Kulturgeschichtliche v. Scherzers Buch »Das wirtschaftliche Leben der Völker« (Leipz. 1885), welches sich die Aufgabe gestellt hat, die wichtigsten Elemente und Faktoren, welche die Geschichte des Menschengeschlechts konstituieren, in ihrer allmählichen Entwickelung bis zum heutigen Standpunkt in ein Gesamtbild zusammenzufassen. Ebenso verdient W. Götz, »Die Verkehrswege im Dienste [* 7] des Welthandels« (Stuttg. 1888), mit Anerkennung genannt zu werden: mit ungemeiner Beherrschung des Stoffes hat der Verfasser die Geschichte der Überwindung geographischer Entfernungen durch die Verkehrseinrichtungen der Menschen von den Zeiten der Ägypter und Assyrer an bis zu dem Zeitalter der Eisenbahnen, Dampfschiffe und Telegraphen [* 8] dargestellt.
Besonders eifrig hat man sich in den letzten Jahren mit der Geschichte der gesellschaftlichen Kultur beschäftigt, und seit den Forschungen Bachofens und Darguns über das sogen. Mutterrecht steht dabei die Entstehungs- und Entwickelungsgeschichte [* 9] der Familie im Vordergrund der Diskussion. Von den größern Schriften darüber steht diejenige von Fr. v. Hellwald, »Die menschliche Familie nach ihrer natürlichen Entstehung und Entwickelung« (Leipz. 1888), auf dem Standpunkt der darwinistischen Entwickelungslehre und setzt daher mit einer Betrachtung der geschlechtlichen Verhältnisse der Tierwelt ein, um daran Untersuchungen über die entsprechenden Verhältnisse der Urmenschen zu knüpfen. Auf Grund eines reichen ethnologischen Materials wird dann die Entstehung des Mutterrechts und der Übergang zum Vaterrecht und zur Ehe sowie die weitere Entwickelung der Familie bis in die neuere Zeit geschildert. Gleichfalls auf ethnologischer Grundlage beruhend, aber die juristischen Gesichtspunkte mehr betonend, stimmen die »Studien zur Entwickelungsgeschichte des Familienrechts« von A. H. Post (Oldenb. 1889) in vielen wichtigen Punkten mit den Ergebnissen v. Hellwalds überein, während das sehr gelehrte, von nicht gewöhnlichem Scharfsinn zeugende Buch von C. N. Starcke, »Die primitive Familie in ihrer Entstehung und Entwickelung« (Leipz. 1888), in einem entschiedenen Gegensatz zu der in diesen Fragen jetzt herrschenden Ansicht steht, und indem es an dem ethnologischen Material einschneidende Kritik ausübt, wenigstens soviel darthut, daß die Thatsachen, die sich aus der ethnologischen Forschung ergeben, nicht bloß eine Deutung zulassen.
Uns speziell interessiert, daß seine Ausführungen, soweit sie die von vielen neuern, vor allen von Dargun behauptete einstige Herrschaft des Mutterrechts bei den indogermanischen Völkern bestreiten, durch eine gehaltreiche Untersuchung von B. Delbrück, »Die indogermanischen Verwandtschaftsnamen« (»Abhandlungen der sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften«, Leipz. 1889, Bd. 11), eine gewichtige Unterstützung erhalten haben. Mit den Mitteln der vergleichenden Sprachforschung wird hier überzeugend dargethan, daß für die Zeit, in welcher die indogermanischen Völker in ihrer Kultur noch ungetrennt waren, Spuren des Vaterrechts erweislich, solche des Mutterrechts dagegen nicht erweislich sind: von Reminiszenzen eines ursprünglichen Mutterrechts noch bei den Germanen wird man danach nicht mehr reden dürfen.
Mancherlei, was mit den hier behandelten Fragen zusammenhängt, ist übrigens auch in dem bekannten Werke von H. Ploß, »Das Weib in der Natur und Völkerkunde«, behandelt, von welchem die zweite Auflage vorliegt (Leipz. 1887). Spärlicher vertreten sind allgemeine Arbeiten über einzelne Probleme der rechtlichen und staatlichen Kultur; wir erwähnen L. Felix, »Der Einfluß der Natur auf die Entwickelungsgeschichte des Eigentums« (Leipz. 1883),
ein Werk, in dem eine Fülle von Einzelthatsachen gesammelt ist, die auf die Entstehung des Eigentumsbegriffs und seine Beeinflussung durch Natur, Sitte, Religion Bezug haben; sodann M. Jähns' Schrift »Heeresverfassung und Völkerleben« (Berl. 1885), welche die Geschichte der militärischen Institutionen von den Wanderheeren und Heergemeinden des Altertums bis zu den auf der allgemeinen Wehrpflicht beruhenden Heeren der Gegenwart verfolgt und den Zusammenhang dieser Institutionen mit dem Völkerleben im allgemeinen darlegt; ferner die geistvollen Studien W. Roschers, »Umrisse zur Natur des Cäsarismus« und »Umrisse zur Natur der Demokratie« (»Abhandlungen der sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften« Bd. 10,11, Leipz. 1888 f.),
weiter L. Günthers fleißige und gründliche Untersuchungen über »Die Idee der Wiedervergeltung in der Geschichte und Philosophie des Strafrechts«, die in ihrem ersten Teile (Erlang. 1889) Altertum und Mittelalter umfassen. Aber auch die allgemeinern Untersuchungen über das Recht und seinen Zusammenhang mit der allgemeinen Kultur, wie sie vom philosophischen Standpunkt aus von J. ^[Jakob] Frohschammer, »Über die Organisation und Kultur der menschlichen Gesellschaft; philosophische Untersuchungen über Recht und Staat, soziales Leben und Erziehung« (Münch. 1885),
angestellt sind, dürfen hier ¶
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ebensowenig ungenannt bleiben wie die Bestrebungen von Post (»Einleitung in das Studium der ethnologischen Jurisprudenz«, Oldenb. 1886) und J. ^[Josef] Kohler (»Das Recht als Kulturerscheinung, Einleitung in die vergleichende Rechtswissenschaft«, Würzb. 1885), die Methode der neuern ethnologischen oder vergleichenden Rechtswissenschaft zugleich zu begründen und zu erläutern.
Wenden wir uns nunmehr der geistigen Kultur zu, so ist es hier insbesondere die allgemeine und vergleichende Religionsgeschichte, welche in neuerer Zeit eifrig gepflegt worden ist (vgl. auch den besondern Artikel: Religionsgeschichte in diesem Bande). In Frankreich ist für diese Studien seit einigen Jahren an der vielleicht vornehmsten Hochschule des Landes, der École des hautes études, eine eigne Sektion für die sciences religieuses begründet worden; ihre Schriften werden zum Teil in der »Bibliothèque de l'École des hautes études« veröffentlicht; der namhafteste unter den Lehrern dieser Sektion ist A. de Réville, dessen große »Histoire des religions«, 1883 mit Erörterungen über die afrikanischen und amerikanischen Religionssysteme begonnen, jetzt bis zum vierten Bande vorgeschritten ist. Von andern französischen Schriften auf diesem Gebiet mögen des Holländers C. T. Tiels auch in das Deutsche, [* 11] Französische und Englische [* 12] übersetzte und teilweise in mehreren Auflagen erschienene »Religionsgeschichte«, E. Vérons »Histoire naturelle des religions« (Par. 1885) und die »L'histoire des religions« (das. 1887) von M. Vernes erwähnt werden; letzteres Werk hat speziell die Methode der Religionsgeschichte und die Art, wie sie in Frankreich und im Ausland gelehrt wird, zum Gegenstand. Auch in England werden zahlreiche Vorlesungen über vergleichende Religionsgeschichte gehalten: eine Sammlung solcher Sonntagsvorlesungen namhafter Gelehrter ist in dem Buche »The religious systems of the world« (Lond. 1890) vereinigt, es beginnt mit der Religion der Assyrer, welche Rawlinson behandelt hat, und reicht bis in die Gegenwart, wobei aber nicht bloß Volksreligionen, sondern auch die religiösen Systeme einzelner hervorragender Geister berücksichtigt sind, so daß z. B. ein eigner Vortrag von O. Browning die Religion Dantes und ein solcher von Sir F. Pollock diejenige Spinozas erörtert.
Wir nennen außerdem noch den Essay von T. S. Bacon über die ersten Anfänge der Religion (»The beginnings of religion«, Lond. 1887),
das Buch von A. Lang (»Myth, ritual and religion«, das. 1887,2 Bde.),
welches die verschiedenen Elemente der Mythen zu scheiden und auseinander zu halten versucht, und von M. Dods Vorlesungen über »Mohammed, Buddha and Christ« (das. 1887),
ohne damit die Zahl dieser Schriften erschöpfen zu wollen. In Deutschland [* 13] haben die Versuche allgemeiner Religionsgeschichte: das »Lehrbuch der Religionsgeschichte« von T. D. Chantepie de la Saussaye (Freiburg [* 14] 1887-89,2 Bde.) und die Schrift von H. Preiß, »Religionsgeschichte« mit dem Nebentitel »Geschichte der Entwickelung des religiösen Bewußtseins in seinen einzelnen Erscheinungsformen« (Leipz. 1888),
eine wenig günstige Beurteilung erfahren; und A. Reichenbachs Buch »Die Religionen der Völker« (Münch. 1886 ff.) beschränkt sich wesentlich auf Zusammenstellung der Forschungen andrer. Das Buch des Jesuiten Chr. Pesch, »Der Gottesbegriff in den heidnischen Religionen des Altertums« (Freiburg 1886),
sucht vergeblich nachzuweisen, daß der Ursprung aller Religionen monotheistisch war, und J. H. ^[Johann Heinrich] Oswalds »Religiöse Urgeschichte der Menschheit« (2. Aufl., Paderb. 1887) steht ausgesprochenermaßen nicht eigentlich auf wissenschaftlichem, sondern auf dem dogmatischen Standpunkt der katholischen Kirche. Ungleich bedeutender sind die »Studien zur vergleichenden Religionswissenschaft« von G. Runze, deren erster Band [* 15] (Berl. 1889) die Zusammenhänge von Sprache [* 16] und Religion darlegt.
Indem wir uns die Schriften über einzelne religiöse Systeme für spätere Abschnitte dieser Übersicht vorbehalten, fügen wir hier am besten einige Arbeiten an, welche die Überreste heidnischer Vorstellungen in der Gegenwart nachzuweisen suchen. Dahin gehören einige Abschnitte in dem ausgezeichneten Buche E. Gotheins, »Die Kulturentwickelung Süditaliens in Einzeldarstellungen« (Bresl. 1886); insbesondere für den Kult des Erzengels Michael wird hier nachgewiesen, wie die Gestalt des Erzengels aus altheidnischen, urchristlichen und germanischen Religionsvorstellungen entstanden ist.
Dasselbe Thema behandelt auf breiterer Grundlage Th. Trede, »Das Heidentum in der römischen Kirche. Bilder aus dem religiösen und sittlichen Leben Süditaliens« (Gotha [* 17] 1889,2 Bde.); der Verfasser ist ein guter Beobachter und kennt die Verhältnisse Unteritaliens aus langjähriger Anschauung, aber er ist nicht frei von Einseitigkeit und Vorurteilen, und mancherlei, was er in die Betrachtung einbezogen hat, steht nur in losem Zusammenhang mit seinem eigentlichen Thema.
Mit Deutschland beschäftigen sich in gleichem Sinne das fleißige Buch von W. Kolbe, »Hessische Volkssitten und Gebräuche im Lichte der heidnischen Vorzeit« (2. Aufl., Marb. 1888),
und allgemeiner dasjenige von F. Hoffmann, »Nachklänge altgermanischen Götterglaubens in Leben und Dichten des deutschen Volkes« (Hannov. 1888),
sowie Sepp, »Die Religion der alten Deutschen und ihr Fortbestand in
Volkssagen, Aufzügen und Festbräuchen bis zur Gegenwart« (Münch. 1890). Endlich seien zwei bedeutende Werke, mehr philosophischen
Charakters, von R. Eucken erwähnt: »Die Einheit des Geisteslebens in Bewußtsein und That der Menschheit«
(Leipz. 1888) und »Die Lebensanschauungen der großen
Denker. Eine Entwickelungsgeschichte des Lebensproblems
der Menschheit« (das. 1890).
Spezialarbeiten über das Altertum.
Über Ägypten [* 18] liegen zwei umfangreiche und bedeutende Werke vor. A. Erman, »Ägypten und ägyptisches Leben im Altertum« (Tübing. 1885-87 ff., 2 Bde.), entwirft eine umfassende, ebenso gründlich wie fesselnd geschriebene, durch zahlreiche vortreffliche Illustrationen veranschaulichte Gesamtschilderung von der Kultur des Pharaonenlandes, welche die Ergebnisse der seit einem halben Jahrhundert aufs eifrigste betriebenen ägyptologischen Studien zusammenfaßt; G. Ebers, gleichfalls einer der namhaftesten Gelehrten auf diesem Gebiet, bietet in seinem »Cicerone durch das alte und neue Ägypten« (Stuttg. 1886,2 Bde.) ein Lese- und Handbuch, das seine Aufgabe, ein Wegweiser durch das Nilland zu sein, in ausgezeichneter Weise erfüllt.
Wir erwähnen außerdem noch eine Darstellung der altägyptischen Kunst von G. Maspero: »L'archéologie égyptienne« (Par. 1887; deutsch von Steindorff, Leipz. 1889),
welche als knapp und sachverständig gerühmt wird. Für die älteste Kulturentwickelung der semitischen Völker sind wichtig W. Robertson Smiths »Lectures on the religion of the Semites« (Bd. 1, Edinb. 1889);
das auf 3 Bände berechnete Werk stellt sich die Aufgabe, die ursprüngliche Religion der Semiten in ihrem Verhältnis zu andern Religionen des Altertums ¶